Einschaltquoten-Humbug: 11% ARD, 13% ZDF – 100% daneben

Einschaltquoten. Ein Wort im Dauergebrauch. Wie so viele Worte im Dauergebrauch, ein Wort, von dem so gut wie niemand weiß, was es eigentlich bedeutet. Wenn, wie wir vor einigen Tagen berichtet haben, die Reichweite der ARD bei 14 bis 49jährigen nur noch rund 5,6% beträgt, dann ist das zunächst einmal wenig. Die Aussage basiert auf Daten, die wir aus den heiligen Hallen der öffentlich-Rechtlichen erhalten haben, und wenn man die Daten genauer betrachtet, die Rohdaten, dann ergibt sich etwas, was die meisten, die die Daten nutzen, einfach so hinnehmen: Am 14. November haben um 19.00 Uhr 260.000 Zuschauer im Alter von 14 bis 49 Jahren ZDF-heute angesehen. Das SAT1-Frühstücksfernsehen hatten morgens um 7.00 Uhr 280.000 Zuschauer unter den 14 bis 49jährigen. Das ZDF-Mittagsmagazin um 13.00 Uhr haben gerade noch 30.000 Zuschauer im Alter von 14 bis 49 Jahre angesehen. Und so geht das weiter.

Fällt Ihnen etwas auf?

260.000, 280.000, 30.000, nicht etwa 264.187 und 280.017 und 30.587, nein, 260.000, 280.000 und 30.000, runde Zahlen, ein untrügliches Anzeichen dafür, dass es sich um Schätzungen, nicht um TATSÄCHLICHE Zuschauerzahlen handelt.
Des Rätsels Lösung für die runden Zahlen findet sich in dem, was die meisten, die „Einschaltquoten“ im Mund führen, nicht wissen: WIE KOMMEN EINSCHALTQUOTEN ÜBERHAUPT ZUSTANDE?



Die höchst offiziellen und deshalb mit dem Siegel ihrer vermeintlichen Verlässlichkeit ausgezeichneten Einschaltquoten, findet man bei AGF. Schon einmal gehört? AGF? Die AGF wurde 1988 als Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung gegründet. Mittlerweile hat die technische Entwicklung die Benennung überholt. Deshalb nennt sich die GmbH nun „AGF-Videoforschung“ auch nicht wirklich up to date. Die AGF Videoforschung mit Sitz in Frankfurt ist eine GmbH, die 10 Gesellschafter hat, darunter ARD, ZDF, RTL, Tele5, Sky, die Welt-Verlagsgruppe usw.:

Die AGF wiederum ist der Auftraggeber für die GfK-Fernsehforschung. GfK steht für Gesellschaft für Konsumforschung. Die Gesellschaft für Konsumforschung wiederum ist ein Marktforschungsunternehmen, das seit 1985 die Sparte „GfK-Fernsehforschung“ unterhält, und hier entstehen die Einschaltquoten, alle Einschaltquoten.
Ausgangspunkt ist das so genannte Fernsehforschungspanel (oder Fernsehpanel):

„Das Fernsehpanel besteht aus 5.400 Haushalten, in denen rund 11.000 Personen leben. Seit dem 01.01.2016 ist die Grundgesamtheit als Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland in Privathaushalten mit mindestens einem Fernsehgerät und einem deutschsprachigen Haupteinkommensbezieher definiert. Damit wird die Fernsehnutzung von 75,86 Mio. Personen ab 3 Jahre bzw. 38,77 Mio. Fernsehhaushalten abgebildet (Stand 01.07.2019).”

Falls Sie sich gewundert haben, wie es möglich ist, dass Ihr Fernsehkonsum in die Berechnung einer Einschaltquote eingeht, haben Sie nunmehr die Erklärung: Ihr privater Fernsehkonsum geht NICHT in die Berechnung der Einschaltquote ein (sofern Sie nicht Mitglied im GfK-Fernsehforschungspanel sind). Die Berechnung der Einschaltquote erfolgt auf Basis eines Verfahrens, das man als eine virtuose Mirage der Vortäuschung repräsentativer Stichproben bezeichnen kann, also des Versuchs, aus wenigen alle hochzurechnen. Für den Augenblick genügt es festzustellen, dass die Einschaltquoten, die berechnet werden, auf Haushalten basieren, von denen jeder 7.200 Haushalte repräsentieren soll. Wenn also 30.000 14-49jährige das ZDF-Mittagsmagazin gesehen haben sollen, dann basiert diese Behauptung auf nicht mehr als 4-6 Personen!
Richtig: 4-6.

Doch der Reihe nach.

Alles fängt mit der Media-Analyse an. Die Media-Analyse ist eine Umfrage, die unter 65.000 Personen durchgeführt wird. Ziel ist es, das Mediennutzungsverhalten der Befragten zu erforschen und als „Soll-Vorgabe“, wie es dann heißt, zu benutzen, um das oben bereits erwähnte Fernsehforschungspanel „repräsentativ“ nennen zu können. Dies erfolgt durch den Taschenspielertrick aller Meinungsforscher: Gewichtung. Das System ist ganz einfach. Wenn in der Bevölkerung 35% erwerbstätig sind, im Datensatz aber nur 17,5%, dann werden die Erwerbstätigen im Datensatz einfach mit 2 multipliziert und die nicht Erwerbstätigen mit 0,5. Schon soll der Datensatz repräsentativ sein.



Im Zusammenhang mit Einschaltquoten ist die Idee hinter der Gewichtung eine noch wildere, denn: Die Gewichtungsfaktoren werden als Zielvorgabe aus der Media-Analyse, also den Angaben von 65.000 Befragten abgeleitet. Für den Fall, dass die Angaben der 65.000 Befragen repräsentativ wären, könnte man, Zielvorgaben ableiten, die die Repräsentativität der Zusammensetzung des Fernsehforschungspanel gewährleisteten, so die Annahme, die man wohl nur als aberwitzig bezeichnen kann.

Die Zielvorgaben, die aus den Daten von 65.000 im Rahmen der „Media-Analyse“ Befragten abgeleitet werden, beziehen sich, nach allem, was man an Methodeninformationen finden kann, auf das Bundesland, das Alter und die Bildung des Haupteinkommensbeziehers, die Empfangsebene (Kabel, Satellit …) und den Plattformzugang (PayTV). Man muss sich das etwa so vorstellen: 2,6% der Befragten in der Media-Analyse wohnen in Berlin, sind zwischen 25 und 34 Jahren alt und haben ein Hochschulstudium absolviert, sie nutzen Kabelfernsehen und haben keinen Zugang zu PayTV, deshalb müssen im GfK-Fernsehforschungspanel auch 2,6% der Teilnehmer dieselbe Merkmalskombination (Berlin, 25-34 Jahre alt, …) aufweisen.
Gewichtung und Repräsentativität sind die Mirage, die Sender und Konsumforscher in trauter Kollusion in die Wüste des Sendeangebots stellen, um den Werbetreibenden, die meinen, über Fernsehwerbung einen Hund hinter dem Ofen hervorlocken zu können, das Geld aus der Tasche zu ziehen. Die Einschaltquoten sind die Trinkflaschen, die vor der Nase des Verdurstenden in der Wüste gewedelt werden.

Das bringt uns zum Fernsehforschungspanel. Dessen Mitglieder haben ein kleines Gerät (ein GfK-Meter), das ihnen Zugriff auf ihr Fernsehen nur nach Anmeldung ermöglicht und jedes Zappen, jedes Verweilen in einem Programm aufzeichnet. Es gibt insgesamt, wie oben geschrieben, rund 5.400 Haushalte, die mit einem GfK-Meter ausgestattet sind, rund 11.000 Personen leben in diesen Haushalten.

Die Haushalte sind nach den Kriterien zusammengestellt, die wir oben berichtet haben. Die GfK und die AGF sind nicht wirklich transparent, was ihre Gewichtungskriterien angeht, aber diejenigen, die sie angeben, reichen bereits, um den Humbug offenzulegen.

5.400 Haushalte mit 11.000 Personen, das ergibt eine durchschnittliche Haushaltsgröße von 2.04 Personen (eine reine Rechengröße natürlich) und entspricht in etwa der durchschnittlichen Haushaltsgröße, die man auf Grundlage des Mikrozensus des Statistischen Bundesamts berechnen kann (2.00). Die Übereinstimmung ist indes verwunderlich, denn im Mikrozensus sind alle Haushalte berücksichtigt, die es in Deutschland gibt, während das GfK-Fernsehforschungspanel eine rein-deutsche Angelegenheit ist, dessen Zusammensetzung wie folgt definiert ist:
„Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland in Privathaushalten mit mindestens einem Fernsehgerät und einem deutschsprachigen Haupteinkommensbezieher“.
Wie auch immer.

Quelle und Bestellung

Rund 5.400 Haushalten und 11.000 Personen sind im Panel der GfK-Fernsehforschung, das natürlich repräsentativ ist, schon weil man es als nicht repräsentatives Panel weder der AGF noch denen, die auf Grundlage von Einschaltquoten für ihre Werbung bezahlen müssen, verkaufen könnte. Die Konsequenzen sind nicht auszudenken. Indes … Sehen Sie selbst.
Die folgenden Kriterien sollen die Aufnahme in das GfK-Fernsehforschungspanel steuern:

  • Bundesland (K=16)
  • Alter (K=4)
  • Bildung (K=4)
  • Empfangsebene (K=4)
  • Plattform (K=2)

Die Zahlen in Klammern geben die minimale Anzahl von Kategorien an. 16 Bundesländer gibt es in Deutschland, daran lässt sich nichts drehen. Die geringste Anzahl von Alterskategorien zur Erfassung von 3 – 100+jährigen und von Bildung ist 4, Empfangsebenen sind wiederum fix: IPTV, Satellit, Kabel und terrestrisch, also vier und einen PayTV-Zugang, den kann man haben oder nicht.

Auf Grundlage dieser Vorgaben kann man die Zellengrößen berechnen, die im Fernsehforschungspanel für eine kumulative Kombination der Merkmale, die ja das Auswahlkriterium sein soll, das die Daten repräsentativ macht, vorhanden ist.
Wir machen das tabellarisch und der Einfachheit halber unter der Annahme, dass die Kategorien alle gleich groß sind (das sind sie natürlich nicht, schon weil Berlin kleiner als Bayern ist, auf die Art der Berechnung und die Größe der kleinsten angeblich repräsentativen Zelle hat dies jedoch keinen Einfluss):

Empfangsebene (K=4)511

Kriterium Haushalte Personen
Ausgangsmenge 5.400 11.000
Bundesländer (K=16) 338 688
Alter (K=4) 85 172
Bildung (K=4) 21 43
Plattformzugang (K=2) 3 6

Die Repräsentativität des GfK-Fernsehforschungspanel basiert somit auf Zellengrößen von 3 bzw. 6 Haushalten bzw. Personen. Wer Lächerlichkeit steigern kann, der darf das gerne tun. Zum Verständnis: Wir haben die Kriterien angewendet, die auf der Seite der AGF präsentiert werden, um zu zeigen, wie valide und reliable und vor allem repräsentativ das Fernsehforschungspanel und damit die Ergebnisse, also die Einschaltquoten angeblich sind.



Das Ergebnis dieser Anwendung ist eine Katastrophe.

Wir haben die Werte gerundet. Man muss die Ergebnisse wie folgt lesen: Bei gleicher Verteilung sind für jedes Bundesland 338 Haushalte und 688 Einzelpersonen repräsentativ. Nun ist Bundesland aber nicht das einzige Kriterium, das zur Gewichtung benutzt wird, Alter und Bildung des Haupteinkommensbeziehers spielen auch eine Rolle. Wir haben angenommen, dass der Bezug eines Erwerbseinkommens im eigenen Haushalt mit 18 Jahren beginnen kann und bis zum Lebensende operationalisiert werden muss. Die Spanne von 18 Jahren bis 100+ Jahren haben wir mit 4 Kategorien erfasst: 18-35, 36-51,52-68,69-End. Darüber kann man heftig streiten, aber jeder Streit wird damit enden, dass die Anzahl der Kategorien erhöht werden muss. Unsere Berechnung ist eine konservative Berechnung, mit mehr Kategorien wird das Ergebnis für das Panel noch katastrophaler als es eh schon ist. Für die 4 Alterskategorien stehen in jedem der Bundesländer 85 Haushalten und 172 Personen zur Verfügung. Die Vorgehensweise bei der Bildung ist analog. Wir unterscheiden ohne Schulabschluss, Hauptschulabschluss, Realschulabschluss und (Fach)Hochschulreife. In jedem Bundesland stehen für die jeweiligen Schulabschlüsse in den einzelnen Altersgruppen 21 Haushalte und 43 Personen zur Verfügung. Soll die Empfangsform auch noch berücksichtigt werden, dann führt die entsprechende Gewichtung zu Zellengrößen mit 5 Haushalten und 11 Personen. Die letzte Variable „Zugang zu PayTV“ führt zu Zellengrößen mit 3 Haushalten und 6 Personen. Das ist die Katastrophe der Repräsentativität, zu der die Gewichtung, die doch eigentlich die Repräsentativität herstellen soll, führt.

Der Irrsinn, der hier Methode geworden ist, lässt sich auch noch anders darstellen:

Am 14. November hatte das ZDF unter den 14-49jährigen die folgenden Marktanteile:

  • 12.00 Uhr: 60.000 Zuschauer, entspricht einem Marktanteil von 3,5%. Die Angaben beruhen auf 8 (!) Befragten im Alter von 14-49 Jahren des Fernsehforschungspanels.
  • 16.15 Uhr: 160.000 Zuschauer, entspricht einem Marktanteil von 6%. Die Angaben beruhen auf 23 (!) Befragten im Alter von 14-49 Jahren des Fernsehforschungspanels.
  • 22.15 Uhr: 620.000 Zuschauer, entspricht einem Marktanteil von 6,8%. Die Angaben beruhen auf 90 Befragten im Alter von 14-49 Jahren des Fernsehforschungspanels.

Es soll ja Menschen geben, die der Reichweiteforschung glauben und Einschaltquoten für den heiligen Gral der Medienwirkungsforschung halten. Es soll zudem Menschen geben, die für ihnen präsentierte Einschaltquoten, die mehr oder weniger Fiktion darstellen, hohe Summen ausgeben, um sich einen Werbeplatz zu sichern. Und dann gibt es ganz verwirrte, die tatsächlich darüber streiten wollen, ob es die wahre Einschaltquote gibt. Es gibt sie nicht. Es gibt fiktive Werte, wie die folgenden, die von der AGF stammen:

Quelle


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