Kulturelle Revolution im Vereinigten Königreich: Nachwahlbetrachtung

Wie immer, wollen wir das betrachten, was sonst niemand betrachtet. Und nein, wir haben keine Lust, uns mit dem Blech auseinanderzusetzen, das Helmut Marquardt bei der ARD verzapfen kann. Das ist eine Entscheidung der geistigen Hygiene und gegen Marquardt.

Was uns viel wichtiger erscheint, ist auf eine Tatsache hinzuweisen, die diese Wahl, die Brexit-Wahl, in der es aber um viel mehr als den Brexit ging, auszeichnet: Ein Re-alignment einer Wählergruppe, die sich in den letzten Jahren immer mehr von der Labour-Party entfernt hat, von den Corbynista regelrecht entfremdet wurde: Arbeiter.

Wrexham, Bolsover, Blyth Valley, Workington, das waren über die letzten Jahrzehnte feste Größen im Wahlkalkül der Labour-Party. Tatsächlich wäre wohl auch ein Besenstiel, der als Labour-Kandidat getarnt war, gewählt worden, so fest waren die vier Wahlkreise, die wir hier stellvertretende betrachten wollen, in der Hand von Labour. Keiner, der vier Wahlkreise hatte je einen anderen als einen Labour-Abgeordneten im Unterhaus. Alle, stellvertretend haben wir hier eine Statistik der sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung von Blyth Valley verlinkt, sind Wahlkreise mit einem hohen Arbeiteranteil.



Das Walisische Wrexham ist eine Stadt der Eisenarbeiter, Workington ist der britische Inbegriff des Arbeiters, des Workington-Man. Feste Wählerschaften für Labour also, jedenfalls dann, wenn man eine der Konfliktlinien zugrundelegt, die in der Politikwissenschaft seit ihrer Einführung durch Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan zugrunde gelegt werden: Arbeit und Kapital. Arbeit, so die einfache Rechnung, ergibt Wähler von Labour, Kapital, das sind Wähler der Tories.

Seit gestern ist diese einfache Erzählung als nicht nur falsch, sondern als vollkommen falsch ausgewiesen. Die Wahlkarte von England und Nordwales umfasst unzählige Wahlkreise, die feste Burgen der Labour Party waren und die geschliffen wurden. Die Arbeiterschaft hat sich von Labour abgewendet, und sie hat die britische Insel einmal mehr vor einer Katastrophe bewahrt, so wie z.B. 1941 durch die Unterstützung von Winston Churchill. Dieses Mal war es nicht die Katastrophe von Friedensverhandlungen mit Hitler Deutschland, sondern die Katastrophe einer marxistischen Regierung aus Ewiggestrigen, die denken, sie könnten modernen Gesellschaften mit Rezepten aus dem 19. Jahrhundert zuleibe rücken, mit Rezepten, die sich schon damals als falsch erwiesen haben.

Wir wollen der Tatsache, dass es die Arbeiterklasse war, dass es der Arbeiterklasse zu verdanken ist, dass Corbyn verhindert wurde und Britannien nun den Weg aus dem bürokratischen europäischen Moloch in den freien Welthandel gehen kann, ein schriftliches Denkmal setzen und eine kurze Rede von Douglas Carswell anfügen, in der Carswell die Leistung der britischen Arbeiterschaft würdigt.



Carswell, für alle, die ihn nicht kennen, war von 2005 bis 2017 Abgeordneter im Britischen Unterhaus. Als Abgeordneter der Tories hat er sich schnell einen Ruf als Euroskeptiker erworben, u.a. deshalb, weil er 2009 eine Private Member Bill vor das House of Commons gebracht hat, die zum Ziel hatte, ein Referendum über die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union zu erwirken. Sein Versuch ist fehlgeschlagen, und sein Verhältnis zur Tory Party und David Cameron hat sich abgekühlt. Als Folge trat Carswell zu UKIP über und hat 2015 für  UKIP in Clacton den einzigen Sitz im Unterhaus errungen. Die Beziehung zu UKIP währte nur kurz: 2017 war Carswell unabhängiger Abgeordneter im Unterhaus. In der von Theresa May angesetzten Snap Election hat er nicht mehr kandidiert. Carswell betreibt einen sehr guten YouTube-Channel. Der folgende Mitschnitt stammt aus einer Diskussion, die er mit pro-Kapitalismus-Studenten von Turnaround UK darüber geführt hat, dass Labour nicht mehr die Partei der Arbeiterklasse ist. Seine Aussagen, die am 8. November, also vor der Wahl vom 12. Dezember getroffen wurden, haben geradezu prophetischen Charakter:

Carswell beschreibt hier eine neue Art von Kulturkampf, von Klassenkampf, wenn man so will. Die chattering classes, wie es in Britannien heißt, also die Klasse der Schwätzperten, der – wie sie heute heißen: Woke, die nichts können, nicht gelernt haben, nicht leisten, aber versuchen in einer Form des autoritären und vollkommen intoleranten moralischen Interventionismus, andere zu dem Handeln, zu dem Denken zu zwingen, das sie für richtig halten, stehen denen gegenüber, die die produktive Klasse bilden. Denjenigen, die Mehrwert erwirtschaften. Denjenigen, die die Gesellschaft am Laufen halten. Denjenigen, deren Fehlen man sofort feststellt, während das Fehlen von einem, 10, 100, 1000 Mitgliedern der schwätzenden Klasse nicht einmal bemerkt wird. Dr. habil. Heike Diefenbach hat diese neue gesellschaftliche Konfliktlinie schon am 19. Mai diesen Jahres beschrieben. Ihre analytischen und prognostischen Fähigkeiten haben somit eine noch längere Reichweite als die von Douglas Carswell.



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