Zunahme rechtsextremistisch-motivierter Gewalttaten – wirklich?

Rechtsextreme Straftaten sind ein in Deutschland sorgfältig konstruierter Gegenstand, dem auch im Bundestag eine große Zahl von regelmäßig wiederkehrenden Anfragen über “rechtsextremistisch motivierte Gewalt” gewidmet wird. Gemeinsam mit dem Bundesprogramm “Demokratie leben!” und anderen Formen, die der Beschwörung Bekämpfung vornehmlich des rechten Extremismus dienen sollen, sind sie Bestandteil dessen, was dann zur öffentlichen Meinung erhoben werden soll: Rechtsextremismus ist eine große und wachsende Gefahr.

Die Erzählung findet dann z.B. ihren Niederschlag in einem der wohl schlechtesten Beiträge zu diesem Thema, der in der WELT vom 23. Juni 2019 erschienen ist. Unter der Überschrift “Verfassungsschutz registriert Zunahme rechter Gewalt” findet sich ein Text, in dem es KEIN ernstzunehmendes Datum zu rechtsextremen Gewalttaten gibt, in dem letztlich nur konstatiert wird, dass die Anzahl der Mitglieder rechtsextremer Organisationen, die der Bundesverfassungsschutz irgendwie ermittelt und von denen er einen Teil als “gewaltbereit” einstuft, worauf auch immer begründet, 24.000 bzw. 12.700 betrage. Dass beide Zahlen einen Anstieg darstellen, dafür bleibt der Beitrag jeden Beleg schuldig. Der einzige berichtete Anstieg findet sich in der folgenden Formulierung: “die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten stieg demnach auf 48 – nach 28 im Jahr 2017”. Diese Zahl ist, mit Verlaub, grober Unfug, wie wir gleich zeigen werden.




Der Beitrag in der WELT ist symptomatisch für den Umgang mit einem Thema, bei dem die meisten Journalisten auch ohne Datenbasis zu wissen meinen, wie es sich darstellt. Dabei kommen dann Beiträge wie die folgenden heraus, die sorgfältig daran arbeiten, die Erzählung, nach der die Gewalt von rechts zunehme, aufzubauen, schon weil es mit dem Kampf gegen den Rechtsextremismus viel Geld zu verdienen gibt, die ministerialen Fördertöpfe, die dem Kampf gegen den Alp der deutschen Vergangenheit gewidmet sind, sind prall gefüllt, um gefördert zu werden genügt es, von einem Alptraum zu berichten.





Die Ansicht, rechtsextreme Gewalttaten hätten zugenommen, hat im Jahr 2019 durch den Mord an Walter Lübcke und den Anschlag von Halle einiges an Auftrieb erhalten. Welche Rolle im Fall der Ermordung von Walter Lübcke eine rechtsextreme Einstellung des Täters gespielt hat, ob sie überhaupt eine Rolle gespielt hat, ist weitgehend unklar, nicht einmal die Bundesregierung kann in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der LINKE einen Hinweis präsentieren.

Zu dem wirren Einzeltäter aus Halle, haben wir uns hier bereits geäußert.



Welche Rückschlüsse Taten, die von Einzeltätern begangen werden, auf ein rechtsextremes Netzwerk, die Zunahme rechtsextremer Gewalt usw. zulassen, ist eine offene Frage. Die Antwort, die man aus kriminologischer Sicht geben muss: Zunächst keine. Hinzu kommt, dass der Deliktbereich der rechtsextremistisch und linksextremistisch oder allgemein der politisch motivierten Kriminalität ein eher dubioser ist, denn wie, wenn nicht per Bekennerschreiben, entsprechender Aussage des Täters kann man bestimmen, ob eine Straftat entsprechend “motiviert” und nicht etwa, was in letzter Zeit sehr beliebt geworden ist: Ergebnis einer Traumatisierung des Täters war.

Motive werden im Geist eines Menschen geformt und dann, vielleicht, in eine Tat umgesetzt. Die Forschung, die eine Verbindung zwischen Handlungsmotiven und Handlungen herstellen will, steht regelmäßig vor dem Problem, dass das Vorhandensein eines Handlungsmotivs nicht immer, eigentlich in den seltensten Fällen in einer entsprechenden Handlung resultiert. Daher werden die Motive erschlossen, und zwar im Falle politisch motivierter Kriminalität aus den Umständen der Tat. Dieser Schluss ist in vielen Fällen ein hochspekulativer, der z.B. über die Hautfarbe eines Opfers oder den Slogan, der an eine Hauswand gesprüht wird, erfolgt. Einfacher ist es, wenn wie im Fall von Halle oder wie im Fall von linken Krawallen in Connewitz, die politische Orientierung offenkundig ist.

Lange Rede kurzer Sinn: Zahlen zur politisch-motivierten Kriminalität sind mit Vorsicht zu genießen.

Wir haben vor diesem Hintergrund die Antwort auf die Frage, ob rechtsextreme Gewalt in den letzten Jahren zugenommen hat, gesucht und dabei auf die Zahlen des Bundesministerium des Innern und des Bundesverfassungsschutzes, die nicht immer mit einander übereinstimmen (z.B. gibt das BMI für 2017 1130 rechtsextremitisch-motivierte Gewalttaten an, der Bundesverfassungsschutz 1054) für rechts- und linksextrem motivierte Gewalttaten gesammelt. Hier das Ergebnis:

Aus der Abbildung kann man Folgendes entnehmen:

  • Von 2008 bis 2017 ist linksextremistisch motivierte Gewalt stets weiter verbreitet als rechtsextremistisch motivierte Gewalt. Die Berichterstattung in Medien und die Verlautbarungen von Parteien tragen dem keinerlei Rechnung;
  • Sowohl links- als auch rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten nehmen über den Beobachtungszeitraum leicht zu, wobei das Ausgangsniveau für rechtsextremistisch-motivierte Gewalttaten ein geringeres ist als das linksextremistischer Gewalttaten;

Die neuesten Daten für 2019, die wir gefunden haben, stammen aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Bündnis90/Die Grünen, aus dem Oktober 2019 mit dem Titel “Gefahr durch rechtsextreme und rechtsterroristische Strukturen in Deutschland 2019”. Demnach wurden im ersten Halbjahr 2019 439 Gewalttaten mit einem rechtsextremistischen und 470 mit einem linksextremistischen Hintergrund gezählt. Das lässt einen weiteren Rückgang für 2019 im Vergleich zu 2018 und keinen Anstieg erwarten.



Insgesamt macht unsere Abbildung deutlich, wie sehr die Antwort auf die Frage, haben rechtsextremistisch-motivierte oder rechtsextreme oder linksextremistisch-motivierte Gewalttaten zugenommen vom gewählten Beobachtungszeitraum abhängt. De facto sind rechtsextremistisch-motivierte Gewalttaten seit 2017 rückläufig, ein Anstieg lässt sich lediglich für die Jahre 2014, 2015 und 2016 verzeichnen. Das gleiche gilt für linksextremistisch-motivierte Gewalttaten, die auf höherem Niveau eine vergleichbare Entwicklung zeigen. Letztlich ist die Frage, wie viele Straftaten verzeichnet werden auch ein Ergebnis polizeilicher Ermittlungstätigkeit, d.h. der Ressourcen, die in die Ermittlung einer Motivlage hinter einer Straftat gesteckt werden. Da man annehmen muss, dass deutlich mehr Ressourcen mit dem Versuch einhergehen, einen rechtsextremistisch motivierten Tathintergrund zu rekonstruieren als dies für die Rekonstruktion linksextremistisch motivierte Taten der Fall ist, muss man unsere Ergebnisse als erstaunlich bewerten.




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