UK Coronavirus Handlungsplan: Bis zu 20% der Erwerbstätigen können wegen Krankheit fehlen

Die Regierung von Boris Johnson hat heute ihren Handlungsplan mit Blick auf SARS-CoV-2 veröffentlicht. Wir stellen hier in groben Zügen den Inhalt dar, der sich über 26 Seiten erstreckt. Wer den Action Plan im Original lesen will, wir haben ihn auf unseren Server  geladen, er kann hier eingesehen und heruntergeladen werden.

Falls jemandem eklatante Unterschiede auffallen, zwischen der Art und Weise, wie im UK mit der Gefahr, die von SARS-CoV-2 ausgeht, umgegangen wird und der Art und Weise, wie dies in Deutschland geschieht, das liegt daran, dass es eklatante Unterschiede gibt.



Es ist das Einfachste, den Handlungsplan entlang der wichtigsten Punkte des Inhaltsverzeichnisses darzustellen:

Zwei Dinge springen einem regelrecht an, wenn man dieses Inhaltsverzeichnis sieht: Zum einen wird hier ein geplantes Vorgehen, das auf unterschiedlichen Eventualitäten aufbaut (weil man die Zukunft nicht vorhersehen kann), beschrieben und in einer Reihe von Szenarien ausformuliert, welche Reaktionen je nach der Art der Entwicklung vorgesehen sind. Zum anderen gibt es einen Punkt “References”, also eine Literaturliste, in der 16 Studien zu SARS-CoV-2 zusammengestellt werden, viele davon haben wir auf ScienceFiles besprochen. Da auf die Studien im Text an Stellen verwiesen wird, an denen es Sinn macht, auf die jeweilige Studie zu verweisen, muss man davon ausgehen, dass die Autoren des UK Coronavirus Action Plan die Studien tatsächlich gelesen haben.

Unter Punkt 2 findet sich eine Zusammenstellung dessen, was über SARS-CoV-2 und COVID-19 bislang bekannt ist. Die Zusammenstellung ist nicht vollständig, aber die wesentlichen Punkte sind enthalten. Die Punkt 2.5 und 2.6 stellen die wichtigsten Randbedingungen zusammen:

  • Es gibt keine natürliche Immunität gegen SARS-CoV-2 -> jeder kann sich das Virus einfangen;
  • Es ist sehr wahrscheinlich, dass das UK von der Pandemie erfasst wird [Bislang gibt es im UK nur einen Bruchteil der Infizierten, die es in Deutschland gibt]
  • Bisherige Daten zeigen, dass der Krankheitsverlauf für eine Mehrheit mild bis moderat verlaufen wird;
  • Eine Minderheit der Infizierten wird Komplikationen entwickeln, in der Regel eine Lungenentzündung, die eine stationäre Behandlung oftmals eine intensive stationäre Behandlung erfordern.
  • Bislang zeigen die Daten eine mit dem Alter und mit Vorerkrankungen steigende Wahrscheinlichkeit einer schweren Infektion;
  • “Given that the data are still emerging, we are uncertain of the impact of an outbreak on business. In a stretching scenario, it is possible that up to one fifth of employees may be absent from work during peak weaks” (7-8). Wann hätte man je von einer deutschen Regierung gehört, dass sich deren Angehörige über etwas NICHT sicher sind. 

Kapitel 3 präsentiert Daten für bisherige Pandemien und Epidemien, die von Corona-Viren ausgelöst wurden, darunter die bekannte spanische Grippe, die nach dem Ersten Weltkrieg 20 bis 50 Millionen Tote weltweit gefordert hat. Wie viele es tatsächlich waren, weiß niemand. Die Case Fatality Rate der Spanischen Grippe lag mit rund 2% deutlich unter der Case Fatality Rate von COVID-19, die von der WHO gerade erst mit 3,4% angegeben wurde. Das sei all denen gesagt, die immer noch ihr kindisches “aber an der Grippe sterben jährlich …” Liedchen anstimmen wollen. Epidemien und Pandemien beschreiben einen Zeitverlauf. SARS-CoV-2 hat das Potential, weit mehr Opfer zu fordern als die spanische Grippe. Ob es das wird, ist eine Frage, die man beantworten kann, wenn die Pandemie beendet ist. Derzeit stehen wir am Anfang der Pandemie und vor der Frage, ob wir das Virus ernst nehmen und uns vorbereiten oder uns in die Hand imaginierter Götter begeben und alles laufen lassen. Für einen rationalen Akteur ist klar, welche Option er wählt.


Punkt 3.5 stellt die Prinzipien, auf denen alle Planung basiert, zusammen, darunter:

  • die Prämisse, dass sich das UK auf einen schweren Ausbruch von COVID-19 vorbereiten muss;
  • eine kontinuierliche Risikobewertung auf Grundlage aktueller Daten und neuer Erkenntnisse wissenschaftlicher Forschung;
  • das Ziel, die Folgen von SARS-CoV-2 über Zeit zu dehnen, d.h. die Geschwindigkeit, mit der sich das Virus verbreitet, nach Möglichkeit zu verringern;
  • eine würdige Behandlung aller Infizierten auch derer, die absehbar sterben werden, sicherzustellen;

Bis zu diesem Punkt ist deutlich geworden, dass die britische Regierung das neue Coronavirus sehr ernst nimmt und das Ziel verfolgt, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen. Auf der Basis einer Zusammenstellung aller Maßnahmen, die bislang bereits getroffen wurden (Kapitel 4) werden dann Maßnahmen für verschiedene Szenarien zusammengestellt, nämlich 

  • die Eindämmung des Virus;
  • die Verzögerung seiner Verbreitung;
  • die Milderung der Folgen;

Solange es möglich ist, soll versucht werden, das Virus einzudämmen. Offenkundig ist das nur so lange möglich, so lange nachvollzogen werden kann, auf welchem Weg ein Infizierter infiziert wurde, und wer mit dem Infizierten Kontakt hatte. Vermutlich ist diese Phase bereits vorbei. Ergo geht es in die Phase, in der eine Verzögerung der Verbreitung des Virus erreicht werden soll. Zu diesem Zweck sind im Zusammenhang mit dem Action Plan noch einmal die Befugnisse der relevanten Akteure geklärt worden: Wer kann Personen in Quarantäne schicken, wie lange, wo? Welche Kriterien entscheiden darüber, wer wo in Quarantäne zu gehen hat? Wann können Betriebe, Schulen, Verwaltungen usw. durch wen geschlossen werden? Alle Maßnahmen, die notwendig sind, um das Virus an einer schnellen Verbreitung zu hindern, sind hier angesprochen. Scheitert auch der Versuch, das Virus an seiner Verbreitung zu hindern, zu behindern, dann bleibt nur die Milderung der Folgen, also das Klotzen mit den vorhandenen Mitteln des NHS, des National Health Service. Dabei wird es sich im Vereinigten Königreich ab einer bestimmten Anzahl von schwer Erkrankten nicht mehr verhindern lassen, Prioritäten zu setzen, Triage zu verwenden. Hinter dem Wort “Triage” versteckt sich die Behandlung in Abhängigkeit von bestimmten Kriterien. Wenn z.B. weniger Beatmungsgeräte vorhanden sind als es Personen gibt, die sie nachfragen, müssen ein oder mehrere Ärzte eine schnelle Entscheidung darüber treffen, welcher Patient beatmet wird. Die Kriterien, die eine so harte Entscheidung begründen können, müssen allen bekannt sein, um Willkür und Korruption auszuschließen. Die Einschätzung der Überlebenswahrscheinlichkeit dürfte das wichtigste Kriterium angesichts knapper medizinischer Kapazitäten sein. Wie sie bestimmt wird, ist eine Frage, die man nicht dem Zufall überlassen kann. 



Das alles sind Probleme, die im UK Coronavirus Action Plan angesprochen sind. Wer den Action Plan gelesen hat, ist ein für alle Mal von der deutschen Larmoyanz geheilt, die an Dilettantismus grenzt (von welcher Seite auch immer). Offenkundig ist SARS-CoV-2 nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen kann. Es hat Auswirkungen auf die Wirtschaft, wie wir schon vor Wochen hier dargestellt haben, es stellt eine Zäsur im öffentlichen Leben dar, bringt Routinen und Abläufe durcheinander. Dass COVID-19 in rund 80% der Fälle einen moderaten Verlauf nimmt, ändert nichts an einer durchschnittlichen Erkrankungsdauer von mindestens 10 Tagen, die – wenn millionenfach der Fall – erhebliche Auswirkungen auf das öffentliche Leben haben wird.

Darauf muss man sich vorbereiten.

Angesichts des hanebüchenen Unsinns, der aus Deutschland zu uns dringt und über den wir hier und hier und hier berichtet haben, haben wir erhebliche Zweifel daran, dass die Schwätzperten der deutschen Regierung auch nur ansatzweise geeignet sein werden, die kommende Krise zu meistern. Sie machen auf uns eher den Eindruck eines Surfers, der den Tsunami reiten will… selbstüberschätzend, ahnungslos, naiv …

Die folgende kleine Perle haben wir bei der WELT gefunden. Sie zeigt den Normalzustand in Deutschland, ein Patchwork unterschiedlicher Initiativen, die sicher gut gemeint sind, aber normalerweise Virologen die Haare zu Berge stehen lassen müssen. Wenn Sie die folgende Meldung lesen, dann stellen Sie sich vor, Sie stünden in der Warteschlange, gemeinsam mit einem oder zwei mit SARS-CoV-2 Infizierten. SARS-CoV-2 kann über kleinste Tröpfchen über relativ große Distanz (mindestens von einem Zimmer ins nächste) verbreitet werden. Sie können das Virus von Oberflächen aufnehmen, auf die jemand geniest oder die er infiziert hat … Die Möglichkeiten sind fast unerschöpflich:

“Das Berliner Universitätsklinikum Charité hat von einer Warteschlange an der neu eingerichteten Untersuchungsstelle für mögliche Coronavirus-Infektionen auf dem Gelände des Virchow-Klinikums berichtet. Am Dienstagmittag habe es eine Schlange mit rund 100 Patienten gegeben, sagte der Ärztliche Direktor der Charité, Ulrich Frei. Am Dienstagmorgen hatte die neue Anlaufstelle ihre Arbeit aufgenommen. Auch die Berliner Vivantes-Kliniken kündigten am Dienstag an, an zwei Standorten separate Einrichtungen zur Abklärung von Coronavirus-Verdachtsfällen einzurichten. Ein Eröffnungstermin wurde nicht genannt. Frei von der Charité schilderte, die Notaufnahme werde zunehmend frequentiert von Menschen, die testen lassen wollten, ob sie mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert seien. Darunter seien viele Fälle, bei denen es lediglich im Hals kratze oder der Nachbar in Italien gewesen sei. Schon vor einer Woche sei deshalb die Idee entstanden, auf dem Gelände des Virchow-Krankenhauses ein Gebäude zu suchen, das in keinem Zusammenhang mit der Notaufnahme und der restlichen Klinik stehe. Durch das separate Haus lasse sich auch das Risiko verringern, dass medizinisches Personal in der Notaufnahme von Patienten infiziert werde.”

Dass sich “Patienten” gegenseitig infizieren, ist augenscheinlich nicht so schlimm.


Ständig aktualisierte Informationen zu Forschung zu SARS-CoV-2 und zu aktuellen Ereignissen, findet sich u.a. hier:




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