COVID-19: Schulschließungen ohne Effekt auf die Ausbreitung von SARS-CoV-2

Schulschließungen waren unter den ersten, wenn nicht die ersten Mittel, die diskutiert wurden, um die Verbreitung von SARS-CoV-2 zu behindern. Man denkt (und wir alle halten unseren Regierungen ja immer noch eine Restrationalität zugute), dass Regierungen ihre Entscheidungen auf Grundlage von Daten, Informationen und einer Abwägung von Kosten und Nutzen treffen, dass sie, mit anderen Worten, informierte Entscheidungen treffen, diese also nicht das Ergebnis von Panik oder Hysterie sind.

Schulschließungen, so zeigen Studien aus der Vergangenheit, tragen dazu bei, die Verbreitung von Influenza zu vermindern. Bin Nafisah et al. (2018) haben 31 Einzelstudien analysiert, in denen untersucht wurde, ob Schulschließungen einen angebbaren Effekt auf den Ablauf einer Influenza-Epidemie haben. Sie konnten zeigen, dass Schulschließungen die maximale Anzahl von Infektionen um rund 30% reduzieren und die Dauer der Epidemie um im Median 11 Tage verkürzen können.



Quelle

Cowling, Ali und Ng kommen in ihrer Untersuchung aus dem Jahre 2020 zum gleichen Ergebnis, zeigen jedoch auch, dass die Verbreitung von Influenza sprunghaft steigt, wenn Schulen wieder geöffnet werden, ein Ergebnis, das erste Zweifel an der Wirksamkeit der Maßnahme weckt.

Offenkundig haben Regierungen in den meisten Ländern, mit einer bemerkenswerten Ausnahme: Taiwan, die Ergebnisse, die für Influenza-Epidemien berichtet werden, einfach auf SARS-CoV-2 übertragen, in der Hoffnung, die Verbreitung von COVID-19 dadurch reduzieren zu können.

Indes: Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen Influenza und SARS-CoV-2

  • Kinder und Jugendliche erkranken häufiger als Erwachsene an Influenza, entwickeln bei SARS-CoV-2 aber in der Mehrheit der Fälle entweder milde Symptome, sofern sie überhaupt erkranken bzw. nicht in der Mehrzahl asymptomatische Träger sind, die keinerlei Erkrankung entwickeln;
  • Kinder und Jugendliche erkranken nicht nur häufiger an Influenza sie übertragen Influenza in der Regel auch häufiger als Erwachsene. Abermals ist dies bei COVID-19 anders: Kinder und Jugendliche erkranken deutlich seltener als Erwachsene und scheinen nach ersten Ergebnissen, die Viner et al. (2020) berichten, SARS-CoV-2 auch seltener zu übertragen;
  • Hinzu kommt, dass Wu, Leung und Leung berichtet haben, dass Schulschließungen zur Vermeidung einer Influenza-Epidemie den größten Effekt dann haben, wenn das Virus eine geringe Reproduktionsrate hat (R0 < 2), während COVID-19 eine relativ hohe Reproduktionsrate aufweist (R0 >2,5);
  • Schließlich erhöhen Schulschließungen die Ansteckungsrate in den Familien und der direkten sozialen Umgebung der Kinder und haben ökonomische Kosten, die sehr hoch sind. Folglich will gut überlegt sein, ob eine Schulschließung das Mittel der Wahl ist.

Vor diesem Hintergrund haben sich die mehrheitlich britischen Forscher Russell M. Viner, Simon J. Russell, Helen Croker, Jessica Packer Joseph Ward, Claire Stansfield, Oliver Mytton und Robert Booy aufgemacht, um die empirischen Belege dafür, dass die Verbreitung von SARS-CoV-2 oder vergleichbaren Coronaviren, SARS-CoV-1 oder MERS [Middle Eastern Respiratory Syndrom] durch Schulschließungen beeinflusst werden kann.


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Um ihre Forschungsfrage zu beantworten, haben die Autoren nach Fachbeiträgen gesucht, die sich der entsprechenden Frage widmen. Seit SARS-CoV-1 in Asien endemisch war bzw. seit dem letzten größeren Ausbruch von MERS sind mehr als 10 Jahre vergangen, Zeit genug, so sollte man denken, damit Wissenschaftler diese wichtige Frage untersuchen können und Organisationen, die – wie die WHO – eigens dafür gegründet wurden, Politikern Entscheidungshilfen, etwa durch die Sammlung von Studienergebnissen oder Beauftragung entsprechender Studien, mit Daten und Ergebnisse zu liefern.

Gesucht haben die Autoren in den einschlägigen Datenbanken wie PubMed, der Global Database on COVID-19 der WHO, sowie in medRixv. Gefunden haben sie 16, in Worten: Sechzehn Beiträge, die sich mit der Frage befassen. 8 Beiträge sind in Zeitschriften veröffentlicht und haben SARS-CoV-1 und MERS zum Gegenstand, 8 Beiträge betreffen SARS-CoV-2 und wurden auf medRxiv veröffentlicht. Die Datenbank der WHO hat keinen einzigen verwertbaren Beitrag beigetragen. Was auch immer die WHO in ihrer “Global Database on COVID-19” sammelt, die Antwort auf die Frage, ob Schulschließungen die Ausbreitung von COVID-19 behindern, ist nicht dabei.

Die gefundenen Studien stammen aus China, Singapur, Hong Kong, Taiwan, dem Vereinigten Königreich und den USA …

Aus Deutschland ist keine derartige Studie bekannt – was wir für wenig verwunderlich halten. Eine Suche danach, ob vor allem Frauen unter der Schulschließung zu leiden haben, hätte mit höherer Wahrscheinlichkeit in Deutschland einen Treffer erbracht (wer mag kann unsere Hypothese testen).



Unter den 16 Studien befinden sich 6 Studien, die Schulschließungen als Teil eines Gesamtpakets von Maßnahmen sozialer Distanzierung beschreiben, den Effekt, von Schulschließungen also nicht gesondert betrachten. 6 der verbleibenden 10 Studien arbeiten mit Daten, bei 4 Studien handelt es sich um Modellrechnungen.

Die Studien die mit aktuellen Daten arbeiten, kommen zu den folgenden Ergebnissen:

  • Eine mehr als zwei Monate andauernde Schulschließung anlässlich der SARS-CoV-1 Epidemie in Peking hat keinerlei nachweisbaren Effekt auf die Verbreitung von SARS-CoV-1 in Peking. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Studien.
  • Eine dreiwöchige Schulschließungen in Singapur im März 2003 hat ebenfalls keinen offenkundigen Effekt auf die Verbreitung von SARS-CoV-1.
  • Eine Studie aus den USA kommt zu dem Ergebnis, dass die Schließung der Schulen für fünf Tage im Februar 2019 in der Region Seattle dazu beigetragen hat, die Verbreitung eines Coronavirus um 5,6% zu reduzieren.

In den Worten der Autoren:

“Data from the SARS outbreak in mainland China, Hong Kong and Singapore suggest that school closures and other activities such as school temperature monitoring [Temperaturmessung bei den Schülern] did not contribute to control of infection transmission” (Vigner 2020, 401).

Studien, die den Effekt von Maßnahmen sozialer Distanz auf die Verbreitung von SARS-CoV-2 modellieren, kommen generell zu dem Ergebnis, dass diese Maßnahmen dem Ziel, die Verbreitung des Virus zu verhindern, dienen. Indes kommt die einzige Studie, die explizit untersucht, wie groß der Effekt ist, der von einer Schulschließung ausgeht, die Studie des Imperial College in London, die wir hier besprochen haben, zu dem Ergebnis, dass Schulschließungen das am wenigsten effektive Mittel zur Verhinderung einer Ausbreitung von SARS-Cov-2 sind, dasdie Anzahl der COVID-19 Toten um 2% bis 4% zu reduzieren vermag. Dieser Nutzen einer Schulschließung muss mit den Kosten der Schulschließung verrechnet werden, zumal eine Schulschließung dazu führt, dass die sozialen Kontakte der Kinder zwar in Schulen reduziert, aber in ihrem näheren Umfeld erhöht werden:

Kosten der Schulschließung, Hochrechnung für die USA;
Quelle

“Reviews also note that the benefit of school closure might be less than what have been assumed or modelled as social contacts between children and between children and adults continue as part of informal childcare and non-school gatherings of children and young people. This conclusion is a particular concern for COVID-19, with its higher mortality among older people, as around 40% of the UK’s grandparents provide regular childcare for their grandchildren” (Vigner et al. 2020, 402).

Nimmt man nun die hohen ökonomischen und sozialen Kosten, die mit einer Schulschließung verbunden sind (Bildung hat nach wie vor den höchsten Effekt auf das Einkommen bzw. das GDP eines Landes, Kinder, die nicht zur Schule gehen und zuhause schreien, werden schnell zu einer erheblichen Belastung für ihre Umgebung), dann stellt sich die Frage, ob der wohl geringe Effekt auf die Verbreitung von SARS-CoV-2, der von Schulschließungen ausgeht, die Maßnahme rechtfertigt.

Hier kommt einmal mehr Taiwan ins Spiel. In Taiwan wurden während der SARS-CoV-1 Epidemie im Jahre 2003 die Schulen überhaupt nicht geschlossen, während sie zu Beginn der SARS-CoV-2 Pandemie für wenige Tage geschlossen, aber bereits Ende Februar wieder geöffnet wurden. Taiwan hat mit einer Reihe sehr aggressiver Maßnahmen die Verbreitung von SARS-CoV-2 effektiv unterbunden. Das Land berichtet derzeit 429 Infizierte, 6 Tote und keine Neuinfektionen. Das zeigt, dass die Schließung der Grenzen, aggressives Nachverfolgen der Kontakte von auf SARS-Cov-2 positiv Getesteten und deren Isolierung wohl die besten Mittel sind, um der Pandemie Herr zu werden. Diese Mittel müssen jedoch frühzeitig eingesetzt werden. Verschläft man den Zeitpunkt, zu dem es noch möglich ist, SARS-CoV-2 Infektionen zu ihrem Ursprung (Patient X) im eigenen Land zurück zu verfolgen, dann muss man zu anderen und wesentlich teureren Maßnahmen greifen, darunter auch Schulschließungen, von denen sich nunmehr die Frage stellt, ob sie jenseits symbolischer Wirkung und jenseits von virtue signalling überhaupt einen Effekt auf die Verbreitung von SARS-CoV-2 und nicht mehr Kosten als Nutzen bringen.


Cowling, Benjamin J., Sheikh Taslim Ali, Tiffany WY Ng, Tim K. Tsang, Julian CM Li, Min Whui Fong, Qiuyan Liao et al. (2020). Impact assessment of non-pharmaceutical interventions against coronavirus disease 2019 and influenza in Hong Kong: an observational study. Lancet Public Health (2020).

Nafisah, Sharafaldeen Bin, Aliyah H. Alamery, Aminah Al Nafesa, Bakhitah Aleid, & Brazanji, Nora A. (2020). School closure during novel influenza: A systematic review. Journal of infection and public health 11(5): 657-661.

Viner, Russel M., Russel Simon J. Croker, Helen, Packer, Jessica, Ward, Joseph, Stansfield, Claire, Mytton, Oliver, Bonell, Chris & Booy, Robert (2020). School Closure and Management Practices During Coronavirus Outbreaks Including COVID-19: A Rapid Systematic Review. Lancet, Child & Adolescent Health 4(5), 397-404.

Wu, Joseph T., Kathy Leung & Leung, Gabriel M. (2020). “Nowcasting and forecasting the potential domestic and international spread of the 2019-nCoV outbreak originating in Wuhan, China: a modelling study.” The Lancet 395(10225): 689-697.



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