Gangelt – Der schmale Grat zwischen Wissenschaft und Scharlatanerie

Ausnahmslos alle Medien, die über die Endergebnisse der Studie von Hendrik Streeck und 21 in der Öffentlichkeit generell Unbekannten (Ausnahme Martin Exner) berichten, berichten von den 1,8 Millionen (eigentlich sind es 1,78 Millionen) potentiell Infizierten, die man dann erhält, wenn man davon ausgeht, dass die offizielle gemeldeten Toten, 6.575 waren es, als die Autoren ihre Arbeit beendet haben, 0,37% der in Deutschland Infizierten darstellen. Zwischenzeitlich sind aus den 6.575 Toten 6.993 Tote geworden, was dazu führt, dass nicht 1,8 Millionen Deutsche, sondern 1,9 Millionen Deutsche infiziert sind. So ist das eben bei Berechnungen, die vom Grat der Lauterkeit in den Bereich des politischen Opportunismus abgewichen sind, sie liefern bestenfalls Tagesergebnisse, täglich veränderbar und allzeit falsch.

Klar, wenn man für die eigene Forschung 65.000 Euro an Steuergeldern des Landes Nordrhein-Westfalen einsteckt, dann muss man natürlich auch etwas liefern, was dem Landesfürsten in NRW gefällt. Eine Infection Fatality Rate von 0,37%, die in Gangelt gefunden worden sein soll und die man eben einmal auf Deutschland hochrechnet, um zu 1,8 bzw. 1,9 Millionen bzw. morgen noch mehr Infizierten zu kommen, ist da genau das, was politische verwertbar, medial aufbereitbar und weitflächig vertreibbar ist.



Und man kann die Forscher um Streek und Exner hier auch nicht aus der Verantwortung nehmen, denn sie haben diese – vollkommen unlautere – Interpretation ihrer Ergebnisse selbst vorgegeben, heißt es doch in der Pressemeldung der Universität Bonn:

“Mit der Gesamtzahl aller Infizierter kann die Infektionssterblichkeit (IFR) bestimmt werden. Sie liegt für SARS-CoV-2 für den Ausbruch in der Gemeinde Gangelt bei 0,37 Prozent“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn. Mit der IFR lässt sich anhand der Zahl der Verstorbenen auch für andere Orte mit anderen Infektionsraten abschätzen, wie viele Menschen dort insgesamt infiziert sind. Der Abgleich dieser Zahl mit der Zahl der offiziell gemeldeten Infizierten führt zur sogenannten Dunkelziffer. Diese ist in Gangelt rund 5-fach höher als die offiziell berichtete Zahl der positiv getesteten Personen. Legt man für eine Hochrechnung etwa die Zahl von fast 6.700 SARS-CoV-2-assoziierten Todesfällen in Deutschland zugrunde, so ergäbe sich eine geschätzte Gesamtzahl von rund 1,8 Millionen Infizierten. Diese Dunkelziffer ist um den Faktor 10 größer als die Gesamtzahl der offiziell gemeldeten Fälle (162.496 am 03.05.2020, 07:20 Uhr).”

Dass Pressevertreter auf diese Zahlen springen werden, war Streeck bei Äußerung sicher klar, dass sein Faktor 10 keinem Test auf Reliabilität standhalten wird, sicher auch. Aber, wer sich von Politikern finanzieren lässt, der muss natürlich etwas liefern. Und Streeck liefert: “in Gangelt zeigten 22 Prozent von allen Infizierten gar keine Symptome”, sagt Streeck und Exner fügt im Beitrag des MDR noch insult to injury:

“Dass offenbar jede fünfte Infektion ohne wahrnehmbare Krankheitssymptome verläuft, legt nahe, dass man Infizierte, die das Virus ausscheiden und damit andere anstecken können, nicht sicher auf der Basis erkennbarer Krankheitserscheinungen identifizieren kann”.

Dass es asymptomatische Träger von SARS-CoV-2 gibt, ist lange bekannt. Dass sie infizieren können, ohne zu wissen, dass sie selbst erkrankt sind, ist ebenfalls lange bekannt. Dass die Anzahl der asymptomatischen Träger von SARS-CoV-2 irgendwo zwischen 10% und 25% liegen soll, haben eine Reihe chinesischer Studien errechnet. Das alles ist nicht neu. Das einzige, was neu ist, was aus Gangelt neu geliefert wird, sind die 22%, und die sind falsch (dazu gleich).

Das ganze Elend der Forschung aus Gangelt kann man an wenigen Passagen aus dem Abschlussbericht deutlich machen: “A random population sample revealed”, so schreiben die 22 Forscher auf Seite 11 ihres Abschlussberichts. Im selben Abschlussbericht steht auf Seite 8 “For the study, 600 adult persons with different surnames in Gangelt were randomly selected, and all household members were asked to participate in the study”. Es handelt sich also um keinen “random population sample”, sondern um einen “household sample”, der vielleicht zufällig gezogen wurde. Um dies zu prüfen, müsste man, dem Anspruch der Forscher entsprechend, die Verteilung der 919 Studienteilnehmer nach Haushaltsgröße mit der bundesweiten Verteilung vergleichen. Streeck et al. haben das nicht getan, wir schon. Hier das Ergebnis:

Haushaltsgröße Studie “Gangelt” Deutschland
1 Person 24,2% 41,9%
2 Personen 45,5% 33,8%
3 Personen 14,6% 11,9%
4 Personen 12,1% 9,1%
5 Personen 3,7% 3,4%

Eine Abweichung um 35,4% von der bundesweiten Grundgesamtheit ist sicher nicht das, was eine Stichprobe auszeichnet, die den Anspruch erheben kann, repräsentativ zu sein. Die Hochrechnung auf Deutschland, die Streeck in der Pressemeldung und Exner im Beitrag des MDR vornehmen, ist somit durch die Daten nicht gedeckt.

Nun wird es manche geben, die denken, wir bei ScienceFiles, wir sind wieder super genau. Tatsächlich wissen Exner und Streeck sehr genau, dass ihre Ergebnisse nicht belastbar sind, außerhalb von Gangelt keinen Wert haben, heißt es doch auf Seite 13 des Abschlussberichts:

“It is important to note that the infection rate in Gangelt is not representativ for other regions in Germany or other countries” (13)

Warum jemand zunächst schreibt, dass seine Ergebnisse nicht über Gangelt hinausweisen, um dann lustige Rechen-Luftnummern zu vollführen, in denen er versucht, genau das zu liefern: Ergebnisse, die über Gangelt hinausweisen, ist eine Frage, die man vermutlich und abermals nur mit dem Verweis auf den Ursprung der Gelder, die die Gangelt-Untersuchung erst möglich gemacht haben, beantworten kann. Die Grenze der wissenschaftlichen Lauterkeit ist jedenfalls da überschritten, wo wissend, dass die eigenen Daten keinerlei Übertragung auf andere Regionen zulassen, genau diese Übertragung erfolgt, und zwar ebenso wohlwissend, dass sich die Medienvertreter auf die Zahlen stürzen werden und in der Mehrzahl außerstande sein werden, die Ergebnisse, die sie kolportieren, auch nur ansatzweise kritisch zu kommentieren.

Die oben zitierte Aussage von Seite 13 des Abschlussberichts, macht die ganze Misere dieses Projekts deutlich, das nicht an wissenschaftlichen Ergebnissen (dazu kommen wir gleich noch), sondern an politischer Effekthascherei interessiert zu sein scheint. Die Zahl der Infection Fatality Rate, die berühmten 0,37%, sie machen das sehr deutlich.

In ihrem Sample finden die Autoren 138 Personen, die aktuell positiv auf SARS-CoV-2 testen, die Antikörper aufweisen, die auf eine vergangene Infektion schließen lassen oder die berichten, in der Vergangenheit an SARS-CoV-2 erkrankt gewesen zu sein. Aus diesen 138 werden irgendwie 15,5% (obwohl es sich nur um 15,02% der Studienteilnehmer handelt), die wiederum auf die Bevölkerung von ganz Gangelt, 12.597 Personen, hochgerechnet werden. Schon diese Hochrechnung ist durch keinerlei statistische Verfahren gedeckt, und die Autoren interessieren sich auch nicht dafür, ob und wie weit ihre Stichprobe von der Bevölkerungsverteilung in Gangelt, nach Alter, nach Haushaltsgröße etc abweicht. Und so werden aus den 15,5%, die 138 Studienteilnehmer repräsentieren, 1.956 Personen, die in Gesamt-Gangelt infiziert sein sollen. Die Hochrechnung auf Ganz-Gangelt ist deshalb notwendig, weil Sterberaten nur für Ganz-Gangelt vorliegen. Ganze 7 Personen, in Worten: SIEBEN Personen sind in Ganz-Gangelt an COVID-19 verstorben, was nun in eine Infektion Fatality Rate von 0,37% umgerechnet wird ((7/1.956))*100). Aus diesen 0,37% resultieren dann die 1,8, mittlerweile 1,9 Millionen, die als potentiell in Deutschland infiziert, im Dunklen ihrer Ziffer verbleibend durch die Presse gehen.



Ein Wahnsinn.
In ihrem Abschlussbericht geben die Forscher an, dass zwischenzeitlich eine weitere Person an COVID-19 verstorben sein soll. Um den Wahnsinn deutlich zu machen, rechnen wir einmal mit 8 Personen.
Bei 8 Personen ergeben sich die folgenden Werte:

  • Die Infection Fatality Rate (IFR) beträgt nun 0,41%
  • Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Abschlussberichts waren demnach 1.6 Millionen Menschen deutschlandweit mit SARS-CoV-2 infiziert bzw. mittlerweile 1,7 Millionen.

Ein Toter macht einen Unterschied von 200.000 Infizierten.
Ein schönes Mittel, um solchen Junk zu entlarven, nutzt Extremwerte. Gehen wir davon aus, dass einmal nur einer einmal 100 Menschen in Groß-Gangelt verstorben wären.

  • Bei einem Toten ergibt sich eine IFR von 0,05%;
  • Deutschlandweit wären nunmehr 13,2 Millionen Infiziert;
  • Bei 100 Toten ergibt sich eine IFR von 5,11%;
  • Deutschlandweit sind nun nur noch 128.670 Menschen Infiziert;

Die gesamte Studie ist, soweit es den Versuch betrifft, Aussagen für Deutschland daraus abzuleiten, nichts anderes als Kaffeesatzlesen, gemischt mit dem Versuch, 10 Minutes of Fame in der medialen Öffentlichkeit zu erringen und seinem politischen Herrn die Gelegenheit zu geben, sich medial zu inszenieren. Mit Wissenschaft hat das nichts zu tun.

Sehr wohl mit Wissenschaft haben die Ergebnisse etwas zu tun, die man zwar nicht über Gangelt hinaus verallgemeinern kann, die aber, nimmt man andere Ergebnisse hinzu, dazu beitragen, ein Muster herauszuarbeiten, das z.B. die Hauptsymptome, die mit einer Erkrankung an COVID-19 einhergehen, zusammenstellt.

Ein Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn, Fieber, Husten, Müdigkeit, Frösteln und Schwitzen im Wechsel, Kopf- und Muskelschmerzen sowie Halsschmerzen und ein Gefühl der Enge im Brustkorb sind demnach die wichtigsten Symptome, anhand derer sich eine Erkrankung an COVID-19 feststellen lässt.

Weitere Ergebnisse:

  • Zwischen einer Vorerkrankung und dem Risiko, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren, besteht kein Zusammenhang (erhoben wurden Lungenerkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen, Neurologische Erkrankungen, Krebs und Diabetes).
  • Eine Karnevalveranstaltung in Gangelt ist ein Ereignis, das zur Verbreitung von SARS-CoV-2 beigetragen hat und das Risiko, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren, ist in Mehrpersonenhaushalten höher als in Ein- oder Zweipersonenhaushalten;
  • Die Menge der Antikörper, die im Blut von Personen, die an COVID-19 erkrankt waren, gefunden wurde, ist nicht sonderlich hoch.

Das sind Ergebnisse, die an bisherige Studien anschlussfähig sind. Warum man diese guten Ergebnisse aus dem Fenster wirft, um Junk wie die Hochrechnung für Deutschland, der medial zwar vermarktbar aber wissenschaftlich unlauter ist, zu verbreiten?
Politischer Druck?




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