Raucher leben länger? Unerwartetes aus der COVID-19-Forschung

Jahrhundertelang war das Wissen, dass Tabak vor allem wegen des darin enthaltenen Nikotin ein hochwirksames Insektizid und recht wirksames Herbizid, kurz: ein gutes Pestizid ist, Allgemeingut. Dann kam der Kreuzzug gegen das Rauchen und die damit einhergehende Verteufelung von Tabak und Nikotin. Letzteres, so die Kunde, mache zum einen abhängig und habe zum anderen eine Vielzahl gesundheitlicher Schäden zum Ergebnis. Die Meinungsordnung ist eindeutig: Wer auf der Höhe der gutmenschlichen, politisch-korrekten und vermeintlich wissenschaftlich sanktionierten Zeit sein will, der behauptet, Rauchen und Nikotin seien allumfassend schädlich. Zweifel ausgeschlossen.

Dessen ungeachtet entdeckt die wissenschaftliche Forschung Nikotin und Tabak gerade neu. In den letzten Jahren wurden eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten veröffentlicht, die das Potential von Nikotin in der Kontrolle von landwirtschaftlichen Schädlingen, von Kartoffelkäfern, Schaben bis hin zu Pilzen zum Gegenstand hatten. Eine Zusammenfassung der aktuellen, nicht mehr ganz so aktuellen, Entwicklungen findet sich im Beitrag von Walia, Saha und Tripathi et al. mit dem TitelPhytochemical biopesticides: some recent developments“, der 2017 in der Phytochemistry Review (16: 989–1007) veröffenlicht wurde. Ein neuerer Überblick findet sich im Beitrag von Butu, Stef, Grozea, Corneanu und Butnariu mit dem Titel “Biopesticides: Clean and Viable Technology for Healthy Environment“, der 2020 im von Hakeem, Bhat und Qadri herausgegebenen Sammelband “Bioremediation and Biotechnology” (107-151) erschienen ist.



Kurz: Dass Nikotin ein gutes Mittel ist, um Bakterien, Pilze und landwirtschaftliche Schädlinge unter Kontrolle zu halten, setzt sich gerade wieder als Wissen durch. Dass Nikotin oder die Folgen von Rauchen, genaues muss erst noch erforscht werden, eine Art Versicherung gegen SARS-CoV-2 sein kann, zwar keine 100%ige, aber eine, die die Wahrscheinlichkeit, an COVID-19 ernsthaft bzw. überhaupt zu erkranken, zu reduzieren scheint, ist eines jener Ergebnisse, die die derzeitige Forschung rund um SARS-CoV-2 so interessant machen. Wo hat man es heute noch, dass Ergebnisse publiziert werden, die nicht nur der politisch-korrekten Vorgabe widersprechen, sondern zudem interessant sind?

Schon der im Februar von Zhang et al. veröffentlichte Beitrag “Clinical characteristics of 140 patients infected with SARS-CoV-2 in Wuhan, China” hat einen Anteil von Rauchern unter den an COVID-19 Erkrankten berichtet, der deutlich geringer war als der Anteil der Raucher in der chinesischen Gesellschaft, der bei rund 25% liegt. Zwar haben Zhou et al. (2020), deren Studie wir hier besprochen haben, eine höhere Todesrate für Raucher, die an COVID-19 erkrankt waren, berichtet (siehe Tabelle rechts), aber ihre Ergebnisse basieren auf einer sehr geringen Fallzahl (11 Raucher) und zeigen bereits, dass Raucher mit 6% der an COVID-19 Erkrankten im Sample von Zhou deutlich unter ihrem nationalen Anteil von rund 25% bleiben.


Zhang, Jin-jin, Xiang Dong, Yi-yuan Cao, Ya-dong Yuan, Yi-bin Yang, You-qin Yan, Cezmi A. Akdis, and Ya-dong Gao (2020). “Clinical characteristics of 140 patients infected with SARS‐CoV‐2 in Wuhan, China.” Allergy.

Fei Zhou, Ting Yu, Ronghui Du, Guohui Fan, Ying Liu, Zhibo Liu, Jie Xiang, Yeming Wang, Bin Song, Xiaoying Gu, Lulu Guan, Yuan Wei, Hui Li, Xudong Wu, Jiuyang Xu, Shengjin Tu, Yi Zhang, Hua Chen, Bin Cao (2020). Clinical course and risk factors for mortality of adult inpatients with COVID-19 in Wuhan, China: a retrospective cohort study. The Lancet.


Auch Goyal et al. (2020) berichten auf Grundlage von Daten für New York eine geringere Wahrscheinlichkeit, Raucher unter an COVID-19 Erkrankten zu finden. Während der Anteil der Raucher in New York bei rund 17,5% der Bevölkerung liegt, ist der Anteil der Raucher unter denen, die an COVID-19 erkrankt sind, mit 5,1% deutlich geringer. Die Ergebnisse von Goyal et al. basieren auf den Daten von 393 Patienten, so dass man angesichts der oben berichteten Ergebnisse davon ausgehen kann, dass Raucher irgend eine Art von Resistenz gegen SARS-CoV-2 besitzen.


Goyal, Parag, Justin J. Choi, Laura C. Pinheiro, Edward J. Schenck, Ruijun Chen, Assem Jabri, Michael J. Satlin et al. (2020). Clinical characteristics of Covid-19 in New York city. New England Journal of Medicine.


Die neueste Studie zu diesem Thema kommt aus Italien. Nicola Gaibazzi, Domenico Tuttolomondo, Angela Guidorossi, Andrea Botti, Andrea Tedeschi, Chiara Martini und Maria Mattioli haben sie gerade auf medRxiv veröffentlicht und fügen mit dieser Studie ein weiteres Steinchen in das Mosaik der Raucher-Resistenz ein.



Ihre Untersuchung basiert auf 441 COVID-19-Patienten, die in einer Klinik in Parma behandelt wurden. 62% der Patienten sind männlich, das Durchschnittsalter der Patienten beträgt 71 Jahre, 156 Patienten sind im Verlauf der Behandlung verstorben, 285 konnten als geheilt entlassen werden. Die folgende Tabelle aus der Arbeit von Gaibazzi et al. (2020) stellt einige Charakteristika der Patienten zusammen.

Die Ergebnisse von Gaibazzi et al. bestätigen die Ergebnisse von Zhou et al. (2020), die wir oben berichtet haben. Für Raucher gilt, dass sie dann, wenn sie an COVID-19 erkranken, eine geringere Überlebenswahrscheinlichkeit haben als Nichtraucher oder Erkrankte mit Diabetes, der Anteil von aktiven Rauchern ist unter den Patienten, die an COVID-19 erkranken, jedoch deutlich geringer als in der italienischen Gesellschaft. Gut 24% der italienischen Bevölkerung rauchen, der Anteil der Raucher unter den an COVID-19 Erkrankten ist mit 4,8% deutlich geringer.

Die Forschungslage mit Blick auf den Zusammenhang zwischen Rauchen und einer Erkrankung an COVID-19 ergibt somit  ein mehr oder weniger gut belegtes Bild:

  • Raucher scheinen eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit zu haben, überhaupt an COVID-19 zu erkranken als Nichtraucher.
  • Wenn Raucher an COVID-19 erkranken, dann ist ihre Überlebenswahrscheinlichkeit etwas geringer als die von Nichtrauchern.

Rauchen, so kann man aus diesen Ergebnissen schließen, hat auch seine Vorteile. Warum viele Raucher eine Art Immunität gegenüber SARS-CoV-2 zu haben scheinen, ist eine bislang offene Frage, ebenso wie die Frage, warum manche Raucher dennoch an COVID-19 erkranken, eine offene Frage ist. Es liegt nahe, Alterseffekte zu vermuten, etwa dahingehend, dass Raucher vornehmlich unter jungen Menschen zu finden sind, damit bewegen wir uns aber bislang im Reich der Spekulation (oder Antizipation), d.h.: der entsprechende Zusammenhang wäre noch zu erforschen.

Laufende Forschung zu einem konkreten Thema, das nicht von politisch-korrekten Sykophanten heimgesucht wird, ist eine sehr spannende Sache, eine Art Fortsetzungsroman mit unbekannter Zahl Fortsetzungen…


Gaibazzi, Nicola, Tuttolomondo, Domenico, Guidorossi, Angela, Botti, Andrea, Tedeschi, Andrea, Martini, Chiara & Mattioli, Maria (2020). Smoking Prevalence is Low in Symptomatic Patients Admitted for COVID-19.




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