Barnier: Vereinigtes Königreich hat als Handelspartner weniger Wert als Mexiko

Michel Barnier hat auf den Brief von David Frost geantwortet. Nicht mit klaren Aussagen, unser Titel ist eine Konsequenz, die man aus seinen Aussagen ziehen muss, aber doch in einer Weise, die deutlich macht, dass man mit der EU-Kommission nicht verhandeln kann. Es wäre demnach aus unserer Sicht das Beste, wenn das Vereinigte Königreich die Verhandlungen mit der EU abbricht und sich auf Handelsbeziehungen auf Grundlage der WTO-Vereinbarungen, wie wir das schon vor Jahren geschrieben haben, einstellt.



Wer unseren gestrigen Post in Erinnerung hat, in dem wir den frostigen Brief von David Frost besprochen haben, der weiß, dass es im Wesentlichen drei Dinge gibt, um die gestritten wird:

  • Die EU will eine Sonderbehandlung für das Vereinigte Königreich, die – verglichen mit existierenden Freihandelsabkommen z.B. zwischen der EU und Japan, der EU und Kanada, der EU und Mexiko, der EU und Norwegen, das Vereinigte Königreich schlechter stellen als jedes der genannten Länder;
  • Die EU will die eigenen Regeln zur Grundlage aller Handelsbeziehungen erheben, sie zur besten aller möglichen Handelswelten erklären und die eigenen Regeln (den so genannten Acquis communitaire) für das Vereinigte Königreich verbindlich und den European Court of Justice zum Wächter über deren Einhaltung machen;
  • Die EU begründet diese Sonderbehandlung, die nichts anderes ist als eine Strafaktion, mit der räumlichen Nähe und der großen ökonomischen Integration, die zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich bestehen soll;

Es gibt noch eine Reihe von anderen Streitpunkten, z.B. die Idee aus Brüssel, der Zugang zu britischen Hoheitsgewässern sei EU-Fischern auch 2021 noch in genau dem Ausmaß zu gewähren, in dem er durch EU-Regelungen derzeit gewährt werden muss. Aber Barnier geht auf diese Streitpunkte, die David Frost in seinem Brief explizit angesprochen hat, nicht ein. Barnier vermeidet in seinem Brief jeden konkreten Bezug. Er geriert sich wie eine beleidigte Leberwurst, die sich gezwungen sieht, sich gegen ihren Willen öffentlich zu etwas zu äußern, zu dem sie sich nicht äußern will.

Dies wird schon im zweiten Absatz deutlich, in dem Barnier sich darüber beklagt, dass Frost den Weg eines öffentlichen Austausches, also eines, den jeder EU-Bürger nachvollziehen kann, gewählt hat. Das sei nicht der beste Weg, um substantielle Punkte zu diskutieren, behauptet er und zerstört damit einen Strohmann, den er selbst gerade aufgestellt hat, denn niemand hat vorgeschlagen, substantielle Punkte in öffentlichen Briefen zu diskutieren. Und Barnier offenbart seine tiefe Beleidigung und seinen Ärger darüber, dass er sich nun öffentlich rechtfertigen muss, mit dem Satz:

“I would not like the tone that you have taken to impact the mutual trust and constructive attitude that is essential between us”.

Was sagt man zu einem solchen Satz? Beleidigte Leberwurst ist noch das Beste, was uns dazu eingefallen ist. Wenn Herr Barnier durch den Ton, in dem Argumente vorgebracht werden, beeinflussbar ist, dann ist er als Verhandlungsführer fehl am Platze. Von einem Verhandlungsführer wird erwartet, dass er Argumente beurteilt, nicht, ob sie im Singsang der Unterwerfung oder im Ärger darüber, dass sich die EU nicht bewegt, vorgetragen werden. Der erste Impuls, den ein solcher emotionaler Quatsch auslöst, ist natürlich Herrn Barnier zu empfehlen, sich um die Rolle von Beaker in der Muppets Show zu bewerben. Aber das wird dem Ernst der Situation nicht gerecht, die dadurch ausgezeichnet ist, dass die EU einen Verhandlungsführer hat, der mehr Wert auf die Art und Weise eines Vortrags als auf den Inhalt legt. Das ist ein klares Indiz für einen Fundamentalisten, der von allen in seiner Umgebung Untertänigkeit erwartet.

Das nächste Indiz folgt auf dem Fuß.

Die Ungleichbehandlung des Vereinigten Königreichs im Vergleich zu Mexiko oder Japan oder Kanada usw. begründet Barnier wie folgt:

“… there is not automatic entitlement to any benefits that the EU may have offered or granted in other contexts and cicrumstances to ofther, often very different partners. Every agreement that the EU has concluded is unique, with its own balance of rights and obligations, tailored to the partner and era in which it is concluded. There is no model, no uniform precedent to follow in EU trade policy”.

Man sagt, die Antwort muss dem Affront gerecht werden. Die einzige Antwort, die wir uns auf eine solche prätentiöse und hochnäsige Behandlung eines souveränen Landes und seiner Bevölkerung vorstellen können, ist ein Faustschlag in die Kauleiste. Insofern mag Barnier sich noch glücklich schätzen, dass die Verhandlungen als Videokonferenz geführt werden. Die Prämissen, unter denen Barnier “verhandelt”, besser: diktiert, sind hier offensichtlich: Die EU gewährt. Die EU bietet an. Andere akzeptieren, fügen sich. Was die EU gerade gewillt ist, anzubieten, das ist von Fall zu Fall verschieden, folgt KEINERLEI fester Regel, keinerlei Rationalität, ist al gusto. Wie es den EU-Herren beliebt. Die EU rühmt sich, eine demokratischen Werten verbundene Organisation zu sein. Sie ist, wie hier sehr deutlich wird, eine Ansammlung von Gestalten, die feudale Herrschaft wiederbeleben wollen und sich in direkter Nachfolge absolutistischer Herrscher des 17. und 18. Jahrhunderts wähnen.



Mit solchen Leuten kann man nicht verhandeln.

In diesem Sinne geht es weiter. Der Brief von Barnier ist voller leerer Worte, in denen die “Souveränität des Vereinigten Königreichs” festgestellt wird, so als sei das etwas, das festzustellen in den Zuständigkeitsbereich der EU fiele, um dann in den Folgesätzen deutlich zu machen, dass nicht Souveränität, sondern Unterwerfung gemeint ist. Es scheint in Brüssel und vor allem bei Barnier eine Denkbehinderung zu geben, die den Gedanken verhindert, dass das Vereinigte Königreich verlangen könnte, dass die eigenen Rechtssätze zur Grundlage des Freihandelsabkommens gemacht werden, dass das Unterhaus bei Streitigkeiten über die Einhaltung von Vertragspflichten mit einfacher Mehrheit entscheidet und ansonsten britischen Gerichten die Hoheit über Handelskonflikte zusteht.

Wer sich über solche Forderungen aufregt, der hat den ersten Schritt zum Verständnis einer Verhandlungsposition getan. Offenkundig würde man in Verhandlungen auf einen Kompromiss zuarbeiten, der beiden Vertragspartnern entgegenkommt, indem z.B. vereinbart wird, zukünftige Handels-Streitigkeiten vor der dazu zuständigen Stelle, der WTO, zu verhandeln. Nicht so bei der EU. Die EU-Kommission ist bis heute der Ansicht, die Extremposition, die wir oben für das UK beschrieben haben, sei, auf die EU gewendet, die einzige Grundlage, auf der man ein Freihandelsabkommen abschließen könne, auf Basis der unumschränkten Geltung von EU-Regeln, auf Basis der Beilegung von Handelskonflikten durch den Europäischen Gerichtshof und auf Basis eines einseitigen Diktats der Spielregeln zukünftiger Beziehungen. Wie gesagt, die EU wähnt sich im Feudalismus und Barnier sieht sich vielleicht als eine Re-Inkarnation von Kardinal Richelieu.

Barnier macht dies auf der zweiten Seite seines Briefes sehr deutlich, wenn er schreibt:

“This means upholding the common high standards applicable in the EU and in the United Kingdom at the end of the transition period in the areas of state aid, competition, social and employment standards, environment and climate change, and relevant tax matters. It also requires, appropriate mechanisms for the effective implementation of these standards domestically, as well as for enforcement and dispute settlement”.

Die Passage ist ein Beispiel für das unkonkrete Gesülze, hinter dem Barnier die Tatsache verstecken will, dass er keinerlei Absicht hat, die Position der EU, die die EU seit mehreren Jahren stur eingenommen hat, auch nur geringfügig zu verändern. Was angeboten wird, ist eine vollständige Unterwerfung des Vereinigten Königreichs unter die Regeln der EU, den Europäischen Gerichtshof und die Bürokratie der Eurokraten, also genau das, weshalb der BREXIT erfolgt ist.

Mit Leuten wie Barnier kann man nicht verhandeln. Wir hoffen, die britische Regierung zieht Ende Juni die Konsequenzen und erklärt die Verhandlungen für gescheitert.

Schließlich sieht sich Barnier genötigt, auf die leidige Diskussion um das Level Playing Field, das hinter all dem, was wir bislang geschrieben haben, steht, zurückzukommen und behauptet, es handele sich dabei um nichts anderes als das, was in der “Political Declaration”, die mit der Regierung Johnson vereinbart worden sei, stehe.

Machen wir die Probe aufs Exempel. In Sektion “XIV Level Playing Field for open and fair competition” steht:

“Given the Union and the United Kingdom’s geographic proximity and economic interdependence, the future relationship must ensure open and fair competition, encompassing robust commitments to ensure a level playing field. The precise nature of commitments should be commensurate with the scope and depth of the future relationship and the economic connectedness of the Parties. These commitments should prevent distortions of trade and unfair competitive advantages. To that end, the Parties should uphold the common high standards applicable in the Union and the United Kingdom at the end of the transition period in the areas of state aid, competition, social and employment standards, environment, climate change, and relevant tax matters. The Parties should in particular maintain a robust and comprehensive framework for competition and state aid control that prevents undue distortion of trade and competition; commit to the principles of good governance in the area of taxation and to the curbing of harmful tax practices; and maintain environmental, social and employment standards at the current high levels provided by the existing common standards. In so doing, they should rely on appropriate and relevant Union and international standards, and include appropriate mechanisms to ensure effective implementation domestically, enforcement and dispute settlement. The future relationship should also promote adherence to and effective implementation of relevant internationally agreed principles and rules in these domains, including the Paris Agreement.”

Wie man es von einer politischen Erklärung erwarten kann, werden hier Absichtserklärungen formuliert, die beiderseitige Wünsche umfassen. Es wird indes an keiner Stelle festgelegt, dass die Standards, die nach dem Ende der Übergangsperiode gelten, denen entsprechen müssen, die heute gelten oder gar die sein müssen, die in der EU gegeben sind. In vielen Bereichen sind die Standards im Vereinigten Königreich (z.B. bei den Rechten von Arbeitnehmern) ohnehin höher als in der EU, entsprechend würde man erwarten, dass die EU, wenn der Kommission so sehr daran gelegen ist, den höchsten Standard zu sichern, die Regeln des Vereinigten Königreichs übernimmt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Passage der politischen Erklärung wird in Brüssel als Rechtfertigung dafür interpretiert, das Vereinigte Königreich nach der Übergangsphase an genau dieselben Regeln zu binden, an die es während seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union gebunden war, Regeln, die es z.B. unmöglich machen, Handelsverträge mit anderen Ländern abzuschließen. Einmal mehr zeigt sich, dass es der EU-Kommission nicht darum geht, einen fairen Vertrag auszuhandeln, der Grundlage eines Freihandelsabkommens sein kann, sondern darum, das UK auch nach dem BREXIT an die EU zu ketten und alle Möglichkeiten, die der BREXIT eröffnet, zunicht zu machen.

Einmal mehr: Mit solchen Leuten kann man nicht verhandeln. Leute wie Barnier wollen nicht verhandeln. Sie wollen diktieren. Barnier wäre im Wald von Compiegne besser aufgehoben als in Brüssel. Die britische Regierung sollte die Verhandlungen beenden und Handelsbeziehungen mit den Mitgliedsstaaten der EU auf bilateraler Basis einer gemeinsamen WTO-Mitgliedschaft aufnehmen.




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