Arbeit lohnt sich nicht: Rentensystem belohnt Müßiggang

Nehmen wir zwei Brüder Paul und Peter. Paul macht mit 16 Jahren eine Lehre in einem Handwerksbetrieb und wird als Geselle übernommen. Im Verlauf seines Lebens wechseln sich Zeiten der Arbeitslosigkeit mit Zeiten, in denen Paul genau das verdient, was als jährliches Durchschnittseinkommen in die Berechnung seiner Rente eingeht, ab. Mit zunehmendem Alter fällt es Paul immer schwerer, seinem Arbeitspensum nachzukommen. Zipperlein stellen sich ein, er bekommt Arthritis in beide Knie hat immer längere Zeiten der Krankheit und schleppt sich mit Ach und Krach über die Altersgrenze zum Rentenbezug. Alles in allem hat Paul 35 Beitragsjahre zusammenbekommen, in denen er jeweils genau das Durchschnittseinkommen verdient hat. Die Berechnung seiner Bruttorente folgt der folgenden Formel:

BR = EPi * ARDt * ZF * RAF

Das Monstrum, das der Berechnung der Rentenhöhe dient, besteht im Wesentlichen daraus, die erreichten Entgeltpunkte mit dem aktuellen Rentenwert (ARW), dem Zeitfaktor und dem Rentenartfaktor zu multiplizieren. Der Zeitfaktor dient im vor allem  dazu, die Bruttorente bei vorzeitigem Renteneintritt zu verringern, der Rentenartfaktor hat eine ähnliche Funktion im Hinblick auf unterschiedliche Arten der Rente.



Paul hat 35 Jahre genau das Durchschnittseinkommen verdient. Er hat somit jedes Jahr einen Entgeltpunkt angesammelt und kommt auf deren 35. Der aktuelle Rentenwert in den alten Bundesländern beträgt 34,19 Euro. Für sein 35 Jahre umfassendes Erwerbsleben erhält Paul eine Rente von 1.196,65 Euro im Monat.

Peter, sein Bruder, hat sein Leben vornehmlich damit zugebracht, eine Karriere als erst Junkie, dann Alkoholiker, dann Rekonvaleszent, schließlich als Frührentner zu verbringen. Er hat Anspruch auf Grundsicherung und erhält 432 Euro plus Kosten für Unterkunft und Heizung (Die Mehrkosten, auf die Peter wegen seiner alkoholbedingten Erwerbsunfähigkeit Anspruch hat, die berücksichtigen wir hier nicht). Alles zusammen (ohne die Mehrkosten) addiert sich auf 936,81 Euro. Paul, der ein Leben lang gearbeitet und dem Renten- und Sozialbeiträge und Abgaben von seinem Lohn abgezogen wurden, erhält nur 259,84 Euro im Monat (27,7%) mehr als sein Bruder Peter, der ein Leben lang anderen auf der Tasche gelegen ist. Zur Belohnung für sein Arbeitsleben muss Paul seine Rente aus Erwerbstätigkeit versteuern, während Peter seine Grundsicherung steuerfrei erhält. Die Lücke zwischen beiden schrumpft weiter. Da Paul im Jahre 2019 in Rente gegangen ist, muss er noch 59 Euro seiner Jahresrente als Steuer an das Finanzamt überweisen.

Wozu arbeiten?



Sicher, unser Beispiel ist eines, das entlang von starken Kontrasten modelliert ist, aber es zeigt doch deutlich, dass das deutsche Sozialsystem mitnichten ein System ist, das auf Gerechtigkeit ausgerichtet ist. Es ist ein Sozialsystem, das auf die Ausbeutung derjenigen, die arbeiten, die regulär und kontinuierlich arbeiten, ausgerichtet ist. Die Umverteilung, die im deutschen Sozialsystem erfolgt, geht grundsätzlich zu Lasten derer, die arbeiten und zu Gunsten derer, die nicht oder nicht viel arbeiten. Wer das als Gerechtigkeit ansehen will, der sollte noch einmal nachlesen, was der Begriff der Gerechtigkeit eigentlich für eine Bedeutung hat.

Wir haben unsere Berechnung entlang der von Hermann Buslei, Johannes Geyer, Anna Hammerschmid und Mia Teschner verfassten Arbeit mit dem Titel “Gesetzliche Rente über dem Grundsicherungsniveau: Zahl der benötigten Beitragsjahre stark gestiegen” durchgeführt, die im DIW- Wochenbericht 26/2020 erschienen ist. Die Berechnung von Buslei et al. dient einem etwas anderen Zweck. Wir haben uns die Ergebnisse der vier vom DIW ausgeliehen und angewendet. Das Ergebnis ist erschreckend, und es wird nicht besser, wenn man die Ergebnisse von Buslei hinzunimmt, die u.a. untersucht haben, wie lange ein Durchschnittsverdiener, also nicht etwa ein prekär oder aushilfsweise Beschäftigter, nein ein Arbeitnehmer, der voll erwerbstätig ist und jedes Jahr genau das Durchschnittsverdienst erreicht, das einen Entgeltpunkt entspricht, wie lange ein solcher Durchschnittsverdiener in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen muss, um genau den Rentenanspruch zu erhalten, den ein Asylbewerber, der es z.B. nicht geschafft hat, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, der aber die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, nach Jahren der Arbeitslosigkeit als Grundsicherung hat, zu erreichen. Das Ergebnis ist schockierend und beträgt: 27,4 Jahre. 61% der Lebensarbeitszeit muss ein Durchschnittsverdiener aufwenden, um über das Rentennniveau, das ganz ohne Arbeit erreichbar ist, hinauszukommen.

Wenn man nun noch bedenkt, dass ein Ideal-Durchschnittsverdiener, der es auf 45 Jahre Arbeitszeit gebracht hat, dabei jährliche einen Entgeltpunkt angesammelt hat, einer üppigen Rente von 1.538,55 Euro BRUTTO entgegensieht, dann kann man sich tatsächlich fragen, ob es sich in Deutschland lohnt, zu arbeiten und Beiträge in die Gesetzliche Rentenversicherung zu entrichten.

Was meinen unsere Leser?

Lohnt sich Arbeiten noch?

View Results

Wird geladen ... Wird geladen ...

Buslei, Hermann, Geyer, Johannes, Hammerschmid, Anna & Teschner, Mia (2020). Gesetzliche Rente über dem Grundsicherungsniveau: Zahl der nötigen Beitragsjahre stark gestiegen. DIW-Wochenbericht 26/2020: 467-476.



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Dann unterstützen Sie bitte unseren Fortbestand als freies Medium.
Vielen Dank!

[wpedon id=66988]



Folgen Sie uns auf TELEGRAM


Bleiben Sie mit uns in Kontakt.
Wenn Sie ScienceFiles abonnieren, erhalten Sie bei jeder Veröffentlichung eine Benachrichtigung in die Mailbox.

ScienceFiles-Abo
Loading



ScienceFiles-Shop


Folgen Sie uns auf Telegram.
Anregungen, Hinweise, Kontakt? -> Redaktion @ Sciencefiles.org
Wenn Ihnen gefällt, was Sie bei uns lesen, dann bitten wir Sie, uns zu unterstützen. ScienceFiles lebt weitgehend von Spenden. Helfen Sie uns, ScienceFiles auf eine solide finanzielle Basis zu stellen.
Wir haben drei sichere Spendenmöglichkeiten:

Donorbox

Unterstützen Sie ScienceFiles


Unsere eigene ScienceFiles-Spendenfunktion

Zum Spenden einfach klicken

Unser Spendenkonto bei Halifax:

ScienceFiles Spendenkonto: HALIFAX (Konto-Inhaber: Michael Klein):
  • IBAN: GB15 HLFX 1100 3311 0902 67
  • BIC: HLFXGB21B24

Print Friendly, PDF & Email
23 Comments

Schreibe eine Antwort zu Niels DettenbachAntwort abbrechen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Entdecke mehr von SciFi

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen

Entdecke mehr von SciFi

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen