Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Legitimation der Gesinnungsdiktatur

Gesetze wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz kommen in der Regel mit dem Hinweis, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag einen Bericht vorlegen wird, in dem die Wirkung des entsprechenden Gesetzes evaluiert worden sei. Für das zum 1. Oktober 2017 in Kraft getretene Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat Martin Eifert, der den Lehrstuhl für “Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht” an der, nah? wo wohl: Humboldt Universität zu Berlin inne hat, die entsprechende Evaluation nun vorgelegt. Es ist ein Bericht von knapp 130 Seiten geworden, dem eine Art Zusammenfassung von rund 30 Seiten vorangestellt ist, die im Bundesministerium für Justiz erstellt wurde.

Wenn wir einen solchen Bericht sehen, von dem man sicher sein kann, dass ihn so gut wie keiner der Bundestagsabgeordneten, denen er vorgelegt wird, wirklich liest, dann stellt sich uns immer die Frage, in welcher Weise hier Akademiker für politische Zwecke instrumentalisiert werden bzw. sich bereitwillig haben instrumentalisieren lassen. Wir haben das für einen Punkt untersucht, der für uns eines der Hauptprobleme ist, das sich mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz verbindet: Das sogenannte Overblocking, also vorauseilender Gehorsam durch die Netzwerkbetreiber, die lieber zu viel als zu wenig blocken, weil ihnen Bußgelder angedroht werden. Neben der abschreckende Wirkung ihre Meinung zu äußern, die das Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf Menschen mit abweichenden Meinungen hat, ist die Beseitigung legitimer Meinungsäußerungen durch Betreiber sozialer Netzwerke und natürlich die damit verbundene Möglichkeit der Denunziation missliebiger Meinungen per Meldung durch Hinz und Kunz der größte Anschlag auf die Meinungsfreiheit, weshalb wir Heiko Maas in der Vergangenheit als Totengräber des Rechtssystems bezeichnet haben. Die SPD hat sich überhaupt von einer Partei, die einst für Freiheit eingetreten ist, sehr schnell zu einer Partei der Repression und Überwachung entwickelt, ein Zeichen dafür, dass Sozialisten die Oberhand über Sozialdemokraten gewonnen haben.



Doch nun zum Bericht.

Quelle

Overblocking kommt im Bericht bestenfalls sporadisch vor.
In der Zusammenfassung, die vorangestellt ist, und die wohl eine höhere Wahrscheinlichkeit hat, von Abgeordneten überhaupt zumindest überflogen zu werden, sind die folgenden zwei Sätzchen, die sich mit Overblocking befassen, auf Seite 30 in einem Absatz, der unter Fazit und mit “Zielerreichung” überschrieben ist, verborgen. Sie lauten:

“Zum Auftreten des sogenannten Overblocking sind aus den zur Verfügung stehenden Daten noch keine abschließenden Bewertungen möglich. Es gibt bislang keine Hinweise für Overblocking.”

Die beiden Sätzchen nehmen auf, was auf Seite 16 unter der Überschrift “Overblocking” zu finden ist:

“Erhebliche Kritik im Zuge der Diskussion um das NetzDG lag in der Befürchtung, dass der Bußgelddruck des Gesetzes die Anbieter dazu verleiten könnte, zu viel und zu schnell zu löschen („Overblocking“). Derzeit lassen sich keine Anhaltspunkte für ein „Overblocking“ feststellen.

Dieses Framing, nachdem erhebliche Kritik mit dem so genannten “Overblocking” verbunden gewesen sei, eine Befürchtung, die sich anhand derzeitiger Anhaltspunkte nicht als gerechtfertigt feststellen lasse, ist grundsätzlich mit der Thematisierung von “Overblocking” verbunden. Alles nicht so schlimm, ist die Meldung. Wir zeigen im weiteren Verlauf, was es mit dieser Behauptung auf sich hat. Zunächst noch eine Ergänzung zur Art und Weise der Zusammenfassung der Ergebnisse des Evaluationsberichts, die ihren Bias nur schwer verbergen kann, der man das Bemühen, die Gesetzgebung als gerechtfertigt, notwendig, von Betreibern akzeptiert, in Teilen nicht weitgehend genug, schon deshalb anmerkt, weil sie dem Leser förmlich aufgezwungen wird. So findet sich aus dem Handbuch der Versuche, die Leser übers Ohr zu hauen, auch die Umsetzung des Hinweises: Thematisiere Probleme, aber zeige ihre Irrelevanz:

“Bisher sind zwar einzelne Fälle bekannt, in denen Anbieter sozialer Netzwerke Inhalte entfernt oder Accounts mit der Begründung der Verbreitung unzulässiger Inhalte gesperrt haben, in denen die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Maßnahmen zwischen betroffenen Nutzerinnen und Nutzern und Anbietern vor Gericht im Streit stand (Sperrungen von Nutzeraccounts sind im NetzDG nicht vorgesehen und können somit ohnehin nicht auf dessen Vorgaben beruhen). Vereinzelt ist es auch zu gerichtlichen Entscheidungen gekommen, in denen über die Zulässigkeit dieser Maßnahmen entschieden wurde. Allerdings waren Hintergrund der streitigen Maßnahmen jeweils – soweit bekannt – Flagging-Beschwerden (das heißt Prüfungen allein nach den anbietereigenen Gemeinschaftsstandards) oder sonstige Beschwerden beziehungsweise eigene Initiativen der Anbieter, nicht jedoch NetzDG-Beschwerden.”

Abermals die Meldung: alles nicht schlimm. Der flüchtige Leser muss daher zu folgendem Eindruck kommen: Die Befürchtung eines Overblocking, das zeigt die Evaluation von Martin Eifert, ist ohne empirische Basis. Es gibt kein Overblocking, nur vereinzelte Fälle, die so selten sind, dass man sie ignorieren kann und die ohnehin nicht den Zuständigskeitsbereich des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes betreffen.



Liest man die Evaluation von Eifert, dann zeigt sich zunächst ein ganz anderes Bild (Seitenzahlen beziehen sich auf die Bundestagsdrucksache 19/22610):

11. Strukturelle juristische Fehlbewertungen: Over- und Underblocking

a) Anreizstruktur
Eine eindeutige Beurteilung, ob das NetzDG die Netzwerkanbieter zu strukturellen juristischen Fehlbewertungen in Gestalt von Overblocking (Entfernen rechtmäßiger Inhalte) oder Underblocking (Unterlassen des Entfernens rechtswidriger Inhalte) verleitet, setzte eine umfassende inhaltliche Überprüfung voraus. Eine solche ist im Rahmen dieser Evaluation mangels überprüfbaren Entscheidungsmaterials nicht leistbar. Dargestellt werden können hier aber die vom NetzDG gesetzte Anreizstruktur und die Einschätzung der Akteur*innen. Der Gesetzgeber hat jedenfalls die Gefahr des Overblockings gesehen und ist davon ausgegangen, dass sieben Tage für eine sorgfältige Prüfung, ggf. unter Einholung externer Expertise, ausreichten, um strukturellen Fehlbewertungen vorzubeugen. (Seite 73)

Mit anderen Worten: Die Frage, ob ein Overblocking stattgefunden hat, eine Frage, die man mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung beantworten muss, INDEM man Nutzer befragt und untersucht, ob es betroffenen Nutzern möglich ist, gegen die Löschung, Sperre oder Einschränkung ihrer Reichweite oder welche Maßnahme auch immer mit Verweis auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz getroffen wurde, effizient und schnell vorzugehen, um dann im nächsten Schritt zu klären, in wie vielen Fällen eine Entscheidung zur Löschung oder Sperre etc. zurückgenommen wurde, wurde überhaupt nicht untersucht. Eifert hat nichts von dem, was notwendig wäre, getan: er kann somit keinerlei Aussagen zu Overblocking machen.

Das hält ihn jedoch nicht davon ab, diese Aussagen dennoch zu treffen. Zwei Seiten weiter, auf Seite 75 steht genau die Schlussfolgerung, die auf Seite 73 als aufgrund fehlender Daten als nicht möglich beschrieben worden ist.

c) Zwischenergebnis Over- und Underblocking

Das NetzDG schafft weder einseitige Anreize für Overblocking noch für Underblocking. Die politische und mediale Diskussion war jedoch von Anfang an sehr auf die Gefahr des Overblockings fokussiert (s. dazu Teil 2 B.). Dies spiegelt sich auch in den Bußgeldleitlinien des BMJV wider, die allein Underblocking, nicht aber Overblocking explizit adressieren. Jedoch haben weder Netzwerkanbieter noch NGOs, Berufsverbände und sonstige Verbände noch die Medien bisher berichtet, dass sich die Befürchtungen vor systematischem Overblocking realisiert hätten (vgl. auch oben  Teil 2 B.). Die ursprünglich weit verbreitete Annahme, das NetzDG führe zu systematischem Overblocking, bleibt damit ohne umfassende inhaltliche Evaluation bloße Spekulation und erscheint angesichts mangelnder Hinweise aus den sensibilisierten Kreisen der Betroffenen oder der beobachtenden Medien unplausibel.

Zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass es kein Overblocking gebe, gelangt Eifert, weil Netzwerkanbieter, NGOs und Berufsverbände (vornehmlich Rechtsanwälte) die entsprechende Gefahr unterschiedlich einschätzen. Warum auch nicht? Die Frage, ob Einbrüche in Berlin zugenommen haben, wird ja bekanntlich auch durch die Einschätzung von Einbrechern, deren Verteidigern und NGOs, die sich für die Abschaffung von Gefängnissen einsetzen, beantwortet. Was als Evaluation daherkommt, ist ein schlechter Witz, der in einer zentralen Frage keinerlei methodischen Standards gerecht wird, aber was soll man von einem Akademiker halten der von “Rechtsanwält*innen” schreibt?



Die Frage, ob ein Bericht, der von einem Bundesministerium in Auftrag gegeben wurde, um ein Gesetz, das von diesem Ministerium betrieben und vom Bundestag verabschiedet wurde, zu evaluieren, überhaupt den Methoden, die man an eine Evaluation von z.B. Gesetzeswirkungen anlegen muss, gerecht wird, Methoden, zu denen viele Bücher geschrieben wurden, ist natürlich nicht Gegenstand der Berichterstattung für den Bundestag. Die dortigen Abgeordneten werde mit viel Bericht, den sie nicht lesen, erschlagen, mit einer Zusammenfassung, die nur auflistet, was dem Ministerium genehm ist, und z.B. vergisst zu erwähnen, dass die Frage des Overblocking ÜBERHAUPT NICHT UNTERSUCHT WURDE, abgespeist, alles, damit ein Gesetz, das man in etlichen Jahren als erstes offizielles Dokument einer einsetzenden Gesinnungsdiktatur bezeichnen wird, reingewaschen und die Farce seiner angeblichen Evaluation aufrecht erhalten werden kann.

So ist das derzeit in Deutschland. Ministerien benutzen Wissenschaft. Sie benutzen Wissenschaft, um ihre politischen Ziele zu legitimieren. Sie benutzen Wissenschaftler, um das zu tun, wenngleich viele Wissenschaftler sich allzu bereitwillig benutzen lassen. Wissenschaft als Institution ist in Deutschland zerstört, Politiker haben sie zerstört, indem sie Hochschulen in ihrer Kurzsicht zu ideologischen Kaderschmieden, Anbiederanstalten und Legitimationsbeschaffern gemacht haben.

Gesamter Bericht: Bundestags-Drucksache 19/22610



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