Alles eine Frage der Darstellung!? Der „person-positivity bias“ im Dienst der Manipulation

von Dr. habil. Heike Diefenbach

Zu postulieren, dass Sprache der Verständigung von Menschen miteinander dient, klingt ziemlich trivial. Im Bereich des Fremdsprachen-Lernens ist genau diese Vorstellung die Leitvorstellung: man lernt eine Fremdsprache, um sich mit Leuten, die diese Sprache als Muttersprache sprechen, kommunizieren zu können, so die gängige Vorstellung. Ggf. wird in diesem Zusammenhang die Bedeutung der den sprachlichen Ausdruck begleitenden Gestik angesprochen, oder der sprachliche Ausdruck in seinen kulturellen Bezügen dargestellt.

Die sozialpsychologische Beschäftigung mit der Sprache kennt aber noch ganz andere Aspekte der sprachlichen Mitteilung bzw. Verständigung. So gibt die Art und Weise, wie jemand mit jemand anderem spricht, Aufschluss über die Beziehungen zwischen den beiden Personen oder z.B. speziell über den sozialen Status, den ein Sprecher gegenüber (einem/) anderen hat oder einzunehmen gedenkt (Brownlow et al. 2017; Greene 2021; Markowitz 2018).

Und natürlich wird Sprache in den Dienst der Überredung gestellt, wie die regelrechte Flut von Büchern zeigt, die dem willigen Zauberlehrling der Rhetorik versprechen, seinen Willen durch die Anwendung rhetorischer Tricks gegenüber Anderen durchzusetzen – immer in der Hoffnung, dass die Anderen nicht dieselben Rhetorik-Bücher gelesen haben und die Tricks kennen oder ihrerseits anzuwenden versuchen.

Einer der Tricks, mit denen die Wahrnehmung oder Bewertung bestimmter Botschaften durch den Hörer derselben manipuliert werden soll, beruht auf dem sogenannten „person positivity bias“, über den ich in meinem letzten post hier auf ScienceFiles berichtet habe.

Zur Erinnerung: Der “person-positivity bias” bezeichnet die menschliche Tendenz, Einstellungsobjekte um so positiver zu bewerten, je eher sie individuellen Menschen ähneln (Sears 1983), also auch z.B. einen einzelnen Menschen, der (unter vielen anderen Eigenschaften) Mitglied in einer Gewerkschaft ist, positiver einzuschätzen als (die Gruppe der) Gewerkschaftsmitglieder oder gar die Gewerkschaft.



Es gab und gibt immer Menschen, die versuchen, sich allgemein-menschliche Tendenzen für ihre Zwecke zunutze zu machen, oder solche, die davon leben, Anderen für den Einsatz zu deren Zwecken Manipulationsmittel an die Hand zu geben. Mit Bezug auf den „person-positivity bias“ kann das bedeuten, dass man dann, wenn man eine positive Bewertung einer Sache oder Praxis, z.B. einer bestimmten Politik, erreichen möchte, diese Praxis als eine im Vollzug durch handelnde Menschen darstellt, während man dann, wenn man eine negative Bewertung dieser Sache oder Praxis erreichen möchte, dieselbe als solche, d.h. als Praxis, darstellt:

“In theory, communicators should be able to exploit the bias to their persuasive advantage by strategically choosing words at different points along the personhood continuum” (McGlone & Glowacki 2018: 116),

d.h.:

“When arguing in favor of a particular practice, communicators may harness person positivity bias by articulating the practice in terms of the people who perform it (journalists protect our freedom of expression; psychiatrists help the mentally ill put their lives back in order; etc.). However, when arguing against the practice, they are better off criticizing the practice than its practitioners (journalism sensationalizes more than it informs; psychiatry medicalizes unhappiness as a mental illness; etc.). The topical scope of this strategy and the duration of its persuasive impact are important issues for future research” (McGlone & Glowacki 2018: 122-123).

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Dementsprechend wäre es manipulations-strategisch richtig, wenn z.B. im Aufdruck auf Zigarettenschachteln “Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit” steht, aber in der Werbung für Raucherunterstände geschrieben wird: „Raucherunterstände bieten Rauchern noch mehr Komfort in der Zigarettenpause und schaffen zugleich einen ansprechenden Platz im Außenbereich, der sich in die Umgebung optimal einfügt … Raucherzimmer müssen heute vielerorts räumlich klar abgetrennt sein von der übrigen Einrichtung. Wer den Platz oder die Möglichkeiten zum Umbau nicht hat, muss die Raucher für die Zigarettenpause vor die Türe schicken“.

Aber funktioniert diese Art der Personalisierung bzw. Individualisierung tatsächlich, wenn es darum geht, für eine Sache zu werben?

Die Studie von Matthew S. McGlone und Elizabeth M. Glowacki (2018), aus der oben schon zitiert wurde, liefert einen Beleg dafür, dass es funktioniert. Die 850 Probanden in dieser Studie, die sich zur Teilnahme freiwillig gemeldet hatten, wurden mit kurzen, fingierten Meinungsartikeln (hier: von nicht namentlich genannten Autoren), wie sie in Zeitungen gedruckt werden, konfrontiert. In den Meinungsartikeln wurde zu zwei kontroversen Thema Stellung genommen, nämlich entweder zu Zuwanderung oder zu Schönheitschirurgie, wobei einmal eine kritische Haltung zur in Frage stehenden Sache eingenommen wurde bzw. die Gefahren oder Nachteile der Sache thematisiert wurden, ein anderes Mal die mit der Sache verbundenen Chancen oder Vorteile thematisiert wurden, d.h. eine con- und eine pro-Variante von Meinungsartikeln wurde erstellt.

Außerdem wurden die verschiedenen Versionen der Meinungsartikel um eine weitere Variation ergänzt, die für diese Studie entscheidende; es wurden nämlich von den beschriebenen Varianten wieder zwei Varianten angefertigt, von denen eine personen- oder akteursbezogen formuliert wurde, die andere sachbezogen. D.h. in einer Version wurden von „immigrants“ und „cosmetic surgeons“, also Zuwanderern und Schönheitschirurgen gesprochen, in der anderen von „immigration“ und „cosmetic surgery“, also Zuwanderung und Schönheitschirurgie. So hieß es in einer Version z.B. „Immigration strengthens and diversifies the nation’s workforce“ (etwa: „Zuwanderung stärkt und diversifiziert die Arbeitnehmerschaft im Land“), in der anderen „Immigrants strengthen and diversify the nation’s workforce“ (etwa: „Zuwanderer stärken und diversifizieren die Arbeitnehmerschaft im Land“) (McGlone & Glowacki 2018: 118).

Insgesamt wurden also acht verschiedene Versionen von Meinungsartikeln erstellt, von denen einem Probanden jeweils eine Version zur Lektüre vorgelegt wurde. Nach der Lektüre füllten die Probanden einen Fragebogen aus, in denen sie (u.a.) auf verschiedenen 7-Punkte-Skalen angeben sollten, inwieweit sie mit den Behauptungen des Autors ihres Textes übereinstimmten, ob der Text überzeugend ist, ob der Text die Sache verzerrt darstellt –die Einschätzungen der Probanden zu diesen Aussagen wurden für die Analyse zu einem „Persuasionswert“ zusammengefasst. Es wurde auch nach verschiedenen sozio-demographischen Merkmalen gefragt, und es wurde ggf. vorhandene Betroffenheit der Probanden von den beiden Themen kontrolliert, indem gefragt wurde, ob die Person jemals in die USA zugewandert sei und ob sie sich jemals einer Schönheitsoperation unterzogen habe (McGlone & Glowacki 2018: 119). Die Daten derjenigen, für die das der Fall war, wurden aus den statistischen Auswertungen ausgeschlossen.

Die Datenanalyse ergab zunächst, dass Probanden, die einen Text über Schönheitsoperationen lasen, den Text für überzeugender hielten als Probanden, die einen Text über Zuwanderung lasen, unabhängig davon, ob der Text ein pro- oder ein con-Text war. Und Probanden, die einen pro-Text lasen, schätzten den Text als überzeugender ein als Probanden, die einen con-Text lasen. Letzteres interpretierten die Forscher als Ausdruck eines Effekts der sozialen Erwünschtheit (McGlone & Glowacki 2018: 120).

Was den „person-positivity-bias“ betrifft, so stellten die Forscher fest, dass die Probanden pro-Texte als überzeugender einschätzten, wenn sie personenbezogen formuliert waren, also von Zuwanderern und Schönheitschirurgen sprachen. Umgekehrt zeigte sich, dass Probanden, die con-Texte gelesen hatten, diese Texte überzeugender fanden, wenn sie sachbezogen formuliert waren, also im Text von Zuwanderung und Schönheitschirurgie gesprochen wurde (McGlone & Glowacki 2018: 121).

Die Forscher konnten also zeigen, dass es tatsächlich einen Unterschied für die Überzeugungskraft einer positiven oder negativen Darstellung macht, ob eine personen- oder eine sachbezogene Darstellung gewählt wird. Obwohl der Unterschied zwischen den Worten „immigration“ und „immigrants“ und zwischen „surgery“ und „surgeons“ formal betrachtet nicht groß ist, haben sie als Stimuli unterschiedliche Effekte, d.h. sie lösen bei den Probanden unterschiedliche Reaktionen aus:

„Actor nouns enjoy an inductive advantage over other person descriptors (They are athletes vs. They are athletic; They are coffee drinkers vs. They drink coffee a lot) by essentializing their human referents into stable representations … Activity nouns essentialize the events they describe by abstracting away events aspects, including the human actors who participate in them (The officers investigated vs. There was in investigation). As a result, readers tend to exhibit poorer recall of and report lower imageability for event descriptions that employ activity nouns rather than active verb phrases …” ((McGlone & Glowacki 2018: 122).

Die Autoren sehen ihre Forschung im Dienst derer, die mit Kommunikation und Überredung ihr Geld verdienen. Ihre Forschungsergebnisse, so schreiben sie,

„[s]pecifically … suggest a strategy for improving the persuasive impact of arguments about social issues that is ostensibly orthogonal to argument cogency. When arguing in favour of a particular practice, communicators may harness person positivity bias by articulating the practice in terms of the people who perform it … However, when arguing against the practice, they are better off criticizing the practice than its practitioners …” (McGlone & Glowacki 2018: 122-123).

Salopp auf den Punkt gebracht heißt das, dass es „menscheln“ muss, wenn man für eine Sache werben möchte, aber man sachbezogen darstellen muss, wenn man gegen eine Sache Stellung nimmt.

Leute, die z.B. meinen, gegen „Rassismus“ oder „Sexismus“ oder Ungleichheiten aller Art Stellung nehmen zu müssen oder „anzuklagen“, würden daher gut daran tun, tatsächlich gegen ihre diversen „ismen“ zu argumentieren zu versuchen, statt diesbezüglich auf die Anklage von „Rassisten“, „Sexisten“ u.a.m. auszuweichen. Sie wären daher auch gut damit beraten, auf die Erstellung von Namenslisten, in denen die Namen von „Abtrünnigen vom Guten“ zusammengestellt sind, und auf Plakatierungsaktionen, in denen die menschlichen Antlitze „Abtrünniger“ in einer Art Prangerfunktion öffentlich dargestellt werden, zu verzichten, denn das ist sozial-psychologisch betrachtet genau die falsche Strategie, was wiederum sicherlich einen Teil des Mißerfolgs solcher Aktionen erklärt. Ihre „Kritik“ wäre ggf. in sachbezogener Darstellung auf der psychologischen Ebene zweifellos effektiver.

Dasselbe gilt für all diejenigen, die meinen, sie könnten Andere dazu bringen, bestimmte Inhalte, Worte, Meinungen negativ zu bewerten, indem sie sie als Inhalte, Worte oder Meinungen von „Rechten“, „Nazis“, „Cov-Idioten“ oder „Klimaleugnern“ darstellen. Die in solchen Beschimpfungen vorgenommene Personalisierung (und Essentialisierung) steht dem, was von den Beschimpfern erreicht werden soll, entgegen. Aber Ideologen dürften, eben weil sie Ideologen sind, selten gute Strategen sein. (An ihre Adresse gerichtet sei gesagt: „Consider this piece of advice a freebe“).

Pikanterweise liegen Indizien dafür vor, dass Personalisierung bzw. das „Menscheln“ als Strategie der Beeinflussung vor allem bei der linken Hälfte des politischen Spektrums ankommt. So haben Aalberg und Beyer (2015) in ihrer Studie über Effekte des „Framings“ von Berichten über illegale Zuwanderung mit Hilfe von Personalisierung festgestellt, dass diese mediale Praxis (in den USA, in Frankreich und in Norwegen) nicht den Präferenzen der die Medien konsumierenden Öffentlichkeit (in den USA, in Frankreich und in Norwegen, gemessen anhand von Daten aus Bevölkerungsumfragen,) entspricht:

„Considering the total sample (including all three countries), we see that the human interest frame is present in almost half of the news coverage of irregular immigration. Those members of the public who explicitly state that they support the use of this news frame is, however, only 24%, and a larger share (35%) do not agree with the media’s need to use the human interest frame. In other words, a larger proportion of the public does not want journalists to rely on individual stories when they cover irregular immigration … So while the media use the human interest frame in news on irregular immigration in about half the stories they publish, less than a quarter of the respondents explicitly state that they prefer such framing. Thus, by framing irregular immigration in personalized news stories, they only give a minority of the public what they want” (Aalberg & Beyer 2015: 865-866).

(Das war “another freebe” von mir an die Adresse von Medienschaffenden gerichtet.)

Und zweitens haben Aalberg und Beyer festgestellt, dass es

„… a strong relationship between individuals’ preference for human interest –framed news, their ideological leanings, and attitudes toward irregular immigration [gibt]. Or, rather, as measured in the model, those who place themselves to the left on the ideological left-right dimension and who are more supportive of irregular immigration also favour human interest-framed news coverage. Conservatives, who place themselves more to the right on the ideological dimension and people who are more critical toward irregular immigration, do not agree that individual news stories would provide a better understanding of the issue or irregular immigration” (Aalberg & Beyer 2015: 868).

Es scheint, dass diejenigen in der rechten Hälfte des politischen Spektrums weniger dazu neigen, individualistische Fehlschlüsse zu begehen, und eher dazu neigen, eine Sache analytisch zu betrachten und sachlich zu bewerten, während diejenigen in der linken Hälfte bereit sind, von einem individuellen Fall auf das Ganze fehlzuschließen, und eine Position zu übernehmen, wenn es in der Darstellung derselben „menschelt“.

Es mag daher sein, dass es vor allem diejenigen in der linken Hälfte des politischen Spektrums sind, die von einer Einschätzung oder Meinung durch „Menscheln“ überzeugt werden können, unabhängig davon, ob für die Einschätzung oder Meinung geworben wird oder gegen sie Position bezogen wird. Diejenigen in der rechten Hälfte des politischen Spektrums scheinen dagegen vergleichsweise Immunität gegen Personalisierung als Beeinflussungsstrategie zu haben.

Diese Zusammenhänge bedürfen zweifellos weiterer Überprüfung, aber vorliegende Befunde weisen in die beschriebene Richtung.

Und so kommt es, dass es nicht für alle Leser gleichermaßen notwendig erscheint, der Manipulationsberatung, die McGlone & Glowacki (2018) geben, eine Warnung hinzuzugesellen, vor entsprechenden Manipulationsversuchen auf der Hut zu sein. Bei denjenigen unserer Leser in der rechten Hälfte des politischen Spektrums scheint Personalisierung als Beeinflussungsstrategie ohnehin nicht die Wirkung zu haben, die Manipulateure sich von diesen Beeinflussungsstrategien vielleicht versprechen.


Literatur:

Aalberg, Toril, & Beyer, Audun, 2015: Human Interest Framing of Irregular Immigration: An Empirical  Study of Public Preferences for Personalized News Stories in the United States, France, and Norway. American Behavioral Scientist 59(7): 858-875.

McGlone, Matthew S., & Glowacki, Elizabeth M., 2018: Hate the Sin, Love the Saints: Activities Versus Actors in Message Design. Journal of Language and Social Psychology 37(1): 114-128.

Sears, David O., 1983: The Person-Positivity Bias. Journal of Personality and Social Psychology 44(2): 233-250.



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