Alles eine Frage der Darstellung!? Der „person-positivity bias“ im Dienst der Manipulation
von Dr. habil. Heike Diefenbach
Zu postulieren, dass Sprache der Verständigung von Menschen miteinander dient, klingt ziemlich trivial. Im Bereich des Fremdsprachen-Lernens ist genau diese Vorstellung die Leitvorstellung: man lernt eine Fremdsprache, um sich mit Leuten, die diese Sprache als Muttersprache sprechen, kommunizieren zu können, so die gängige Vorstellung. Ggf. wird in diesem Zusammenhang die Bedeutung der den sprachlichen Ausdruck begleitenden Gestik angesprochen, oder der sprachliche Ausdruck in seinen kulturellen Bezügen dargestellt.
Die sozialpsychologische Beschäftigung mit der Sprache kennt aber noch ganz andere Aspekte der sprachlichen Mitteilung bzw. Verständigung. So gibt die Art und Weise, wie jemand mit jemand anderem spricht, Aufschluss über die Beziehungen zwischen den beiden Personen oder z.B. speziell über den sozialen Status, den ein Sprecher gegenüber (einem/) anderen hat oder einzunehmen gedenkt (Brownlow et al. 2017; Greene 2021; Markowitz 2018).
Und natürlich wird Sprache in den Dienst der Überredung gestellt, wie die regelrechte Flut von Büchern zeigt, die dem willigen Zauberlehrling der Rhetorik versprechen, seinen Willen durch die Anwendung rhetorischer Tricks gegenüber Anderen durchzusetzen – immer in der Hoffnung, dass die Anderen nicht dieselben Rhetorik-Bücher gelesen haben und die Tricks kennen oder ihrerseits anzuwenden versuchen.
Einer der Tricks, mit denen die Wahrnehmung oder Bewertung bestimmter Botschaften durch den Hörer derselben manipuliert werden soll, beruht auf dem sogenannten „person positivity bias“, über den ich in meinem letzten post hier auf ScienceFiles berichtet habe.
Zur Erinnerung: Der “person-positivity bias” bezeichnet die menschliche Tendenz, Einstellungsobjekte um so positiver zu bewerten, je eher sie individuellen Menschen ähneln (Sears 1983), also auch z.B. einen einzelnen Menschen, der (unter vielen anderen Eigenschaften) Mitglied in einer Gewerkschaft ist, positiver einzuschätzen als (die Gruppe der) Gewerkschaftsmitglieder oder gar die Gewerkschaft.
Es gab und gibt immer Menschen, die versuchen, sich allgemein-menschliche Tendenzen für ihre Zwecke zunutze zu machen, oder solche, die davon leben, Anderen für den Einsatz zu deren Zwecken Manipulationsmittel an die Hand zu geben. Mit Bezug auf den „person-positivity bias“ kann das bedeuten, dass man dann, wenn man eine positive Bewertung einer Sache oder Praxis, z.B. einer bestimmten Politik, erreichen möchte, diese Praxis als eine im Vollzug durch handelnde Menschen darstellt, während man dann, wenn man eine negative Bewertung dieser Sache oder Praxis erreichen möchte, dieselbe als solche, d.h. als Praxis, darstellt:
“In theory, communicators should be able to exploit the bias to their persuasive advantage by strategically choosing words at different points along the personhood continuum” (McGlone & Glowacki 2018: 116),
d.h.:
“When arguing in favor of a particular practice, communicators may harness person positivity bias by articulating the practice in terms of the people who perform it (journalists protect our freedom of expression; psychiatrists help the mentally ill put their lives back in order; etc.). However, when arguing against the practice, they are better off criticizing the practice than its practitioners (journalism sensationalizes more than it informs; psychiatry medicalizes unhappiness as a mental illness; etc.). The topical scope of this strategy and the duration of its persuasive impact are important issues for future research” (McGlone & Glowacki 2018: 122-123).
Dementsprechend wäre es manipulations-strategisch richtig, wenn z.B. im Aufdruck auf Zigarettenschachteln “Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit” steht, aber in der Werbung für Raucherunterstände geschrieben wird: „Raucherunterstände bieten Rauchern noch mehr Komfort in der Zigarettenpause und schaffen zugleich einen ansprechenden Platz im Außenbereich, der sich in die Umgebung optimal einfügt … Raucherzimmer müssen heute vielerorts räumlich klar abgetrennt sein von der übrigen Einrichtung. Wer den Platz oder die Möglichkeiten zum Umbau nicht hat, muss die Raucher für die Zigarettenpause vor die Türe schicken“.
Aber funktioniert diese Art der Personalisierung bzw. Individualisierung tatsächlich, wenn es darum geht, für eine Sache zu werben?
Die Studie von Matthew S. McGlone und Elizabeth M. Glowacki (2018), aus der oben schon zitiert wurde, liefert einen Beleg dafür, dass es funktioniert. Die 850 Probanden in dieser Studie, die sich zur Teilnahme freiwillig gemeldet hatten, wurden mit kurzen, fingierten Meinungsartikeln (hier: von nicht namentlich genannten Autoren), wie sie in Zeitungen gedruckt werden, konfrontiert. In den Meinungsartikeln wurde zu zwei kontroversen Thema Stellung genommen, nämlich entweder zu Zuwanderung oder zu Schönheitschirurgie, wobei einmal eine kritische Haltung zur in Frage stehenden Sache eingenommen wurde bzw. die Gefahren oder Nachteile der Sache thematisiert wurden, ein anderes Mal die mit der Sache verbundenen Chancen oder Vorteile thematisiert wurden, d.h. eine con- und eine pro-Variante von Meinungsartikeln wurde erstellt.
Außerdem wurden die verschiedenen Versionen der Meinungsartikel um eine weitere Variation ergänzt, die für diese Studie entscheidende; es wurden nämlich von den beschriebenen Varianten wieder zwei Varianten angefertigt, von denen eine personen- oder akteursbezogen formuliert wurde, die andere sachbezogen. D.h. in einer Version wurden von „immigrants“ und „cosmetic surgeons“, also Zuwanderern und Schönheitschirurgen gesprochen, in der anderen von „immigration“ und „cosmetic surgery“, also Zuwanderung und Schönheitschirurgie. So hieß es in einer Version z.B. „Immigration strengthens and diversifies the nation’s workforce“ (etwa: „Zuwanderung stärkt und diversifiziert die Arbeitnehmerschaft im Land“), in der anderen „Immigrants strengthen and diversify the nation’s workforce“ (etwa: „Zuwanderer stärken und diversifizieren die Arbeitnehmerschaft im Land“) (McGlone & Glowacki 2018: 118).
Insgesamt wurden also acht verschiedene Versionen von Meinungsartikeln erstellt, von denen einem Probanden jeweils eine Version zur Lektüre vorgelegt wurde. Nach der Lektüre füllten die Probanden einen Fragebogen aus, in denen sie (u.a.) auf verschiedenen 7-Punkte-Skalen angeben sollten, inwieweit sie mit den Behauptungen des Autors ihres Textes übereinstimmten, ob der Text überzeugend ist, ob der Text die Sache verzerrt darstellt –die Einschätzungen der Probanden zu diesen Aussagen wurden für die Analyse zu einem „Persuasionswert“ zusammengefasst. Es wurde auch nach verschiedenen sozio-demographischen Merkmalen gefragt, und es wurde ggf. vorhandene Betroffenheit der Probanden von den beiden Themen kontrolliert, indem gefragt wurde, ob die Person jemals in die USA zugewandert sei und ob sie sich jemals einer Schönheitsoperation unterzogen habe (McGlone & Glowacki 2018: 119). Die Daten derjenigen, für die das der Fall war, wurden aus den statistischen Auswertungen ausgeschlossen.
Die Datenanalyse ergab zunächst, dass Probanden, die einen Text über Schönheitsoperationen lasen, den Text für überzeugender hielten als Probanden, die einen Text über Zuwanderung lasen, unabhängig davon, ob der Text ein pro- oder ein con-Text war. Und Probanden, die einen pro-Text lasen, schätzten den Text als überzeugender ein als Probanden, die einen con-Text lasen. Letzteres interpretierten die Forscher als Ausdruck eines Effekts der sozialen Erwünschtheit (McGlone & Glowacki 2018: 120).
Was den „person-positivity-bias“ betrifft, so stellten die Forscher fest, dass die Probanden pro-Texte als überzeugender einschätzten, wenn sie personenbezogen formuliert waren, also von Zuwanderern und Schönheitschirurgen sprachen. Umgekehrt zeigte sich, dass Probanden, die con-Texte gelesen hatten, diese Texte überzeugender fanden, wenn sie sachbezogen formuliert waren, also im Text von Zuwanderung und Schönheitschirurgie gesprochen wurde (McGlone & Glowacki 2018: 121).
Die Forscher konnten also zeigen, dass es tatsächlich einen Unterschied für die Überzeugungskraft einer positiven oder negativen Darstellung macht, ob eine personen- oder eine sachbezogene Darstellung gewählt wird. Obwohl der Unterschied zwischen den Worten „immigration“ und „immigrants“ und zwischen „surgery“ und „surgeons“ formal betrachtet nicht groß ist, haben sie als Stimuli unterschiedliche Effekte, d.h. sie lösen bei den Probanden unterschiedliche Reaktionen aus:
„Actor nouns enjoy an inductive advantage over other person descriptors (They are athletes vs. They are athletic; They are coffee drinkers vs. They drink coffee a lot) by essentializing their human referents into stable representations … Activity nouns essentialize the events they describe by abstracting away events aspects, including the human actors who participate in them (The officers investigated vs. There was in investigation). As a result, readers tend to exhibit poorer recall of and report lower imageability for event descriptions that employ activity nouns rather than active verb phrases …” ((McGlone & Glowacki 2018: 122).
Die Autoren sehen ihre Forschung im Dienst derer, die mit Kommunikation und Überredung ihr Geld verdienen. Ihre Forschungsergebnisse, so schreiben sie,
„[s]pecifically … suggest a strategy for improving the persuasive impact of arguments about social issues that is ostensibly orthogonal to argument cogency. When arguing in favour of a particular practice, communicators may harness person positivity bias by articulating the practice in terms of the people who perform it … However, when arguing against the practice, they are better off criticizing the practice than its practitioners …” (McGlone & Glowacki 2018: 122-123).
Salopp auf den Punkt gebracht heißt das, dass es „menscheln“ muss, wenn man für eine Sache werben möchte, aber man sachbezogen darstellen muss, wenn man gegen eine Sache Stellung nimmt.
Leute, die z.B. meinen, gegen „Rassismus“ oder „Sexismus“ oder Ungleichheiten aller Art Stellung nehmen zu müssen oder „anzuklagen“, würden daher gut daran tun, tatsächlich gegen ihre diversen „ismen“ zu argumentieren zu versuchen, statt diesbezüglich auf die Anklage von „Rassisten“, „Sexisten“ u.a.m. auszuweichen. Sie wären daher auch gut damit beraten, auf die Erstellung von Namenslisten, in denen die Namen von „Abtrünnigen vom Guten“ zusammengestellt sind, und auf Plakatierungsaktionen, in denen die menschlichen Antlitze „Abtrünniger“ in einer Art Prangerfunktion öffentlich dargestellt werden, zu verzichten, denn das ist sozial-psychologisch betrachtet genau die falsche Strategie, was wiederum sicherlich einen Teil des Mißerfolgs solcher Aktionen erklärt. Ihre „Kritik“ wäre ggf. in sachbezogener Darstellung auf der psychologischen Ebene zweifellos effektiver.
Dasselbe gilt für all diejenigen, die meinen, sie könnten Andere dazu bringen, bestimmte Inhalte, Worte, Meinungen negativ zu bewerten, indem sie sie als Inhalte, Worte oder Meinungen von „Rechten“, „Nazis“, „Cov-Idioten“ oder „Klimaleugnern“ darstellen. Die in solchen Beschimpfungen vorgenommene Personalisierung (und Essentialisierung) steht dem, was von den Beschimpfern erreicht werden soll, entgegen. Aber Ideologen dürften, eben weil sie Ideologen sind, selten gute Strategen sein. (An ihre Adresse gerichtet sei gesagt: „Consider this piece of advice a freebe“).
Pikanterweise liegen Indizien dafür vor, dass Personalisierung bzw. das „Menscheln“ als Strategie der Beeinflussung vor allem bei der linken Hälfte des politischen Spektrums ankommt. So haben Aalberg und Beyer (2015) in ihrer Studie über Effekte des „Framings“ von Berichten über illegale Zuwanderung mit Hilfe von Personalisierung festgestellt, dass diese mediale Praxis (in den USA, in Frankreich und in Norwegen) nicht den Präferenzen der die Medien konsumierenden Öffentlichkeit (in den USA, in Frankreich und in Norwegen, gemessen anhand von Daten aus Bevölkerungsumfragen,) entspricht:
„Considering the total sample (including all three countries), we see that the human interest frame is present in almost half of the news coverage of irregular immigration. Those members of the public who explicitly state that they support the use of this news frame is, however, only 24%, and a larger share (35%) do not agree with the media’s need to use the human interest frame. In other words, a larger proportion of the public does not want journalists to rely on individual stories when they cover irregular immigration … So while the media use the human interest frame in news on irregular immigration in about half the stories they publish, less than a quarter of the respondents explicitly state that they prefer such framing. Thus, by framing irregular immigration in personalized news stories, they only give a minority of the public what they want” (Aalberg & Beyer 2015: 865-866).
(Das war “another freebe” von mir an die Adresse von Medienschaffenden gerichtet.)
Und zweitens haben Aalberg und Beyer festgestellt, dass es
„… a strong relationship between individuals’ preference for human interest –framed news, their ideological leanings, and attitudes toward irregular immigration [gibt]. Or, rather, as measured in the model, those who place themselves to the left on the ideological left-right dimension and who are more supportive of irregular immigration also favour human interest-framed news coverage. Conservatives, who place themselves more to the right on the ideological dimension and people who are more critical toward irregular immigration, do not agree that individual news stories would provide a better understanding of the issue or irregular immigration” (Aalberg & Beyer 2015: 868).
Es scheint, dass diejenigen in der rechten Hälfte des politischen Spektrums weniger dazu neigen, individualistische Fehlschlüsse zu begehen, und eher dazu neigen, eine Sache analytisch zu betrachten und sachlich zu bewerten, während diejenigen in der linken Hälfte bereit sind, von einem individuellen Fall auf das Ganze fehlzuschließen, und eine Position zu übernehmen, wenn es in der Darstellung derselben „menschelt“.
Es mag daher sein, dass es vor allem diejenigen in der linken Hälfte des politischen Spektrums sind, die von einer Einschätzung oder Meinung durch „Menscheln“ überzeugt werden können, unabhängig davon, ob für die Einschätzung oder Meinung geworben wird oder gegen sie Position bezogen wird. Diejenigen in der rechten Hälfte des politischen Spektrums scheinen dagegen vergleichsweise Immunität gegen Personalisierung als Beeinflussungsstrategie zu haben.
Diese Zusammenhänge bedürfen zweifellos weiterer Überprüfung, aber vorliegende Befunde weisen in die beschriebene Richtung.
Und so kommt es, dass es nicht für alle Leser gleichermaßen notwendig erscheint, der Manipulationsberatung, die McGlone & Glowacki (2018) geben, eine Warnung hinzuzugesellen, vor entsprechenden Manipulationsversuchen auf der Hut zu sein. Bei denjenigen unserer Leser in der rechten Hälfte des politischen Spektrums scheint Personalisierung als Beeinflussungsstrategie ohnehin nicht die Wirkung zu haben, die Manipulateure sich von diesen Beeinflussungsstrategien vielleicht versprechen.
Literatur:
Aalberg, Toril, & Beyer, Audun, 2015: Human Interest Framing of Irregular Immigration: An Empirical Study of Public Preferences for Personalized News Stories in the United States, France, and Norway. American Behavioral Scientist 59(7): 858-875.
McGlone, Matthew S., & Glowacki, Elizabeth M., 2018: Hate the Sin, Love the Saints: Activities Versus Actors in Message Design. Journal of Language and Social Psychology 37(1): 114-128.
Sears, David O., 1983: The Person-Positivity Bias. Journal of Personality and Social Psychology 44(2): 233-250.
Wissenschaftliche Texte aufbereitet zum argumentativen Gebrauch finden Sie bei ScienceFiles.
Unterstützen Sie bitte unseren Fortbestand als Freies Medium.Vielen Dank!
[wpedon id=66988]
- ScienceFiles-Spendenkonten
- Deutsche Bank
- Michael Klein
- BIC: DEUTDEDBCHE
- IBAN: DE18 8707 0024 0123 5191 00
- Tescobank plc.
- ScienceFiles / Michael Klein
- BIC: TPFGGB2EXXX
- IBAN: GB40 TPFG 4064 2010 5882 46
- Sponsern Sie ScienceFiles oder Artikel von ScienceFiles (einfach klicken)
Folgen Sie uns auf TELEGRAM
Bleiben Sie mit uns in Kontakt.
Wenn Sie ScienceFiles abonnieren, erhalten Sie bei jeder Veröffentlichung eine Benachrichtigung in die Mailbox.
Folgen Sie uns auf Telegram.
Anregungen, Hinweise, Kontakt? -> Redaktion @ Sciencefiles.org
Wenn Ihnen gefällt, was Sie bei uns lesen, dann bitten wir Sie, uns zu unterstützen. ScienceFiles lebt weitgehend von Spenden. Helfen Sie uns, ScienceFiles auf eine solide finanzielle Basis zu stellen.
Wir haben drei sichere Spendenmöglichkeiten:
Donorbox
Unterstützen Sie ScienceFiles
Unsere eigene ScienceFiles-Spendenfunktion
Unser Spendenkonto bei Halifax:
ScienceFiles Spendenkonto:
HALIFAX (Konto-Inhaber: Michael Klein):
- IBAN: GB15 HLFX 1100 3311 0902 67
- BIC: HLFXGB21B24
Unser Spendenkonto bei Halifax:
ScienceFiles Spendenkonto: HALIFAX (Konto-Inhaber: Michael Klein):- IBAN: GB15 HLFX 1100 3311 0902 67
- BIC: HLFXGB21B24
Meines Erachtens spielt der kulturelle Hintergrund fuer die Personenbezogenheit von Aussagen eine grosse Rolle. An einem Ende des Spektrums scheinen die US-Amerikaner zu stehen, die nicht nur einen starken Drang zur Personalisierung verspueren, sondern auch fehlender Personalisierung feindselig gegenueber zu stehen scheinen. Auf der anderen Seite vielleicht ein klassischer Deutscher.
Wo ich dies sehr haeufig beobachtet habe, auf allen Niveaus, ist in der Mathematik (und der Informatik). Ein US-Amerikaner muss “Alice” und “Bob” fuer Variablen A, B sagen, waehrend z.B. ich davon immer irritiert werde — ich muss dann immer die Personen in die Variablen uebersetzen. Z.B. in Diskussionen mit (u.a. sehr bekannten theoretischen) US-Informatikern bemerkte ich diese Kommunikationsschwierigkeiten.
Dies ist sicherlich nur ein Aspekt von vielen hier (hier ist nicht der Platz fuer die Theorie von alldem), und auch ein Aspekt, der mehr das theoretische Denken betrifft. Ich waere aber sehr vorsichtig, von Erfahrungen aus einem Kulturbereich (wie in den Zitaten berichtet) auf andere Kulturbereiche zu schliessen.
@O Kullmann
Ihre Erfahrungen stimmen überein mit einem Einzelbefund aus der Studie von Aalberg und Beyer, der den Vergleich der drei Länder USA, Frankreich und Norwegen betrifft:
“The Americans prefer human interest stories on irregular migration to a much larger degree than Norwegian and French respondents do” (Aalberg & Beyer 2015: 869),
wobei man allerdings anfügen muss, dass der “much larger degree” 7 bzw. 8 Prozent beträgt: 29% der Befragten in den USA hatten eine Präferenz für individualisierte, “human interest”-Berichte, 22% der Befragten in Frankreich, und 21% der Befragten in Norwegen. Der Unterschied ist nicht zu vernachlässigen, aber auch nicht gerade überwältigend. Unter “a much larger degree” hätte ich persönlich etwas anderes verstanden.
Es stimmt, man Ergebnisse aus einem Land nicht “einfach so” auf andere Länder übertragen und mit Sicherheit behaupten, dass etwas überall so sein müsse, weil es irgendwo so ist.
Aber wenn dasselbe Ergebnis in einer Reihe von Ländern erzielt wurde, hier: in westlichen Ländern, die jedoch schwerlich als mehr oder weniger kulturell identisch angesehen werden können, dann dreht sich die Beleglast um, und man muss überlegen, warum man eigentlich einen Unterschied zwischen Ländern oder Kulturen erwarten sollte, d.h. man braucht eine Theorie darüber wie und warum gesellschaftliche oder kulturelle Rahmenbedingungen einen “person positivity bias” hervorbringen oder strärken (oder eben nicht hervorbringen oder behindern) sollten.
Sears, der zuerst konkrete Hypothesen über den “person positivity bias” aufgestellt hat und zuerst das Konzept von diesem bias überhaupt genauer ausgearbeitet hat, ging davon aus, dass dieser bias ein anthropologisches Merkmal ist, d.h. ein allgemein-menschliches. Das schließt kulturelle Einflüsse nicht automatisch aus, aber es bedeutet, dass der bias überall zu beobachten sein sollte, aber vielleicht oder vermutlich in unterschiedlichem Ausmaß insofern der bias kulturell überformt/ gesellschaftlich beeinflusst sein kann. Bislang stützt die empirische Forschung diese Erwartung, und deshalb gibt es bis auf Weiteres keinen Grund, von dieser Auffassung des “person positivity bias” abzurücken.
Festhalten können wir also:
Das oben zitierte Ergebnis von Aalberg und Beyer stimmt mit dem Eindruck, den Sie aus anderen Zusammenhängen in den USA bzw. Erfahrungen mit US-Amerikanern gewonnen haben, überein.
Das Ergebnis stimmt auch mit der Annahme überein, dass der “person positivity bias” ein allgemein-menschliches Merkmal ist und kein kultur- oder gesellschaftsspezifisches, wobei die immerhin bestehenden Unterschiede zwischen den Ländern (sowie die Unterschiede zwischen “Liberalen” und “Konservativen”, über die ich meinem Text oben berichtet habe,) dafür sprechen, dass der bias kulturell, gesellschaftlich oder weltanschaulich, überformt sein kann.
In diesem Zusammenhang ist vielleicht noch interessant, dass Aalberg & Beyer mit Bezug auf Unterschiede mit Bezug auf die Präferenz für individualisierte, “human interest”-Berichte auch festgestellt haben:
“We find no systematic difference based on age, but women and those with higher [formaler!] education prefer individualizing news stories more than men and citizens with less [formaler!] education” (Aalberg & Beyer 2015: 869).
Das könnte dafür sprechen, dass Präferenzen erlernt werden bzw. als Soll-Erwartungen (mehr) an bestimmte Gruppen von Menschen gerichtet werden (als an andere). Man könnte z.B. vermuten, dass an Frauen ebenso wie an Personen, die für Jahre einem mehr oder weniger politisch korrekten universitäres Umfeld ausgesetzt waren, systematisch die Erwartung gerichtet wurde/wird, dass sie “Verständnis” zeigen für Befindlichkeiten, aber nicht unbedingt für komplexe Zusammenhänge, vielleicht gepaart mit der Überzeugung, sich um andere Menschen “kümmern” zu müssen, die ihrer Anteilnahme, aber auch ihrer (An-/)Leitung(!), angeblich bedürftig seien.
Aber hierüber kann man bislang mangels Forschung nur spekulieren…
“We find no systematic difference based on age, but women and those with higher [formaler!] education prefer individualizing news stories more than men and citizens with less [formaler!] education” (Aalberg & Beyer 2015: 869).
Das finde ich recht erstaunlich, denn erwartet hätte ich bei zunehmender formaler Bildung eher mehr Abstraktion (also “nouns”, Regeln). Möglicherweise war das Mitte/Ende des 20.Jhdts auch mal so? Und wir haben seit den 90ern eine über die Unis laufende Welle an Personenkult II?
Sehr interessant! Danke! Wie in den Medien wird dies sicherlich an Schulen bereits angewendet.
A) Jetzt müsste das auch noch an Kinder geforscht werden, ob sich ein Gefüge von beeinflussbar/manipulierbar bis gesunder Skepsis/Immunität dort wiederfindet. Dies, da trotz der oft indoktrinative Umgebung in der sie jeden Tag geschickt werden, ein großer Teil der Kinder ‘gesünder Menschenverstand’ wohl scheint beizubehalten.
B) Oder auch, ob es sich bestätigt, das Menschen die als erwachsenen an allem etwas auszusetzen haben (der Staat ist Sch…), ob dieses Phenomen im Kindesalter als Einstellung bereits wiederzufinden ist. Da Kinder nur wenige Systeme kennen, besser gesagt, ob, zB eine Abneigung gegenüber anderen Kindern (eventuell aus einem persönlichen Defizit heraus) zu einem System kollektiviert wird (die Kinder von Reiche Leute) und so für die Abneigung genutzt wird, wohl auch vom Problem selbst ablenkt, der sich dann im Laufe der Zeit zementiert.
C) Auch würde ich gerne erfahren, ob und wie Kinder das verinnerlichen was sie vorgesetzt bekommen; die Vermenschlichung der Nachricht für ihre Neigung zu nutzen und positiv zu bleiben oder auch ob und wie sie unbewusst anfangen, ein System darin zu sehen, diese dann gedanklich stehen lassen oder nutzen, um eine Abneigung oder auch eine Faszination zu entwickeln.
Beispiel, jetzt bewusst nicht politisiert, Unterricht über Spinnen: Nur Insekt und Jäger, oder entwickelt sich daraus Arachnophobie oder eine Faszination/Vorliebe. Dies lise sich förmlich endlos erweitern.
@PeBrg
Das alles würde ich auch gerne wissen. Und nicht nur Sie und ich würden das gerne wissen! Sie verweisen mit Ihren Fragen auf riesiges Forschungsgebiet, das letztlich tiefergehende Fragen zu beantworten hätte: Was ist überahupt inwieweit individuell verankert, was gelernt, was ggf. inwieweit veränderbar, was warum nicht? Inwieweit ist biologisch verankert, wer was wie lernt oder nicht lernt? etc. etc., also auf anthropologische Grundfragen. Sie schreiben es ja auch selbst: “Dies ließe sich förmlich endlos erweitern”.
Und obwohl interessante und qualitätvolle Forschung hierzu seit Jahrzehnten betrieben wurde, ist das zu beackernde Feld RIESIG, und derzeit ist solche Forschung zumindest im Westen auch nicht en vogue, denn: nicht politisch korrek und daher suspekt oder für die Forscher karrieregefährdend, z.B. dann, wenn Forscher es wagen, darüber zu spekulieren, dass z.B. Intelligenzunterschiede für irgendwelche Ausgänge im Leben von Menschen relevant, wenn nicht entscheidend, sein könnten ….
Bis auf Weiteres ist deshalb, fürchte ich, leider keine nennenswerte Forschung von Relevanz für Einsichten in die Anthropologie zu erwarten; vielmehr wird derzeit (tatsächlich begann das schon in den 70er-Jahren) daran gearbeitet, das Wenige, was erarbeitet wurde, sagen wir: was wir wissen, in Vergessenheit geraten zu lassen oder zu diskreditieren, bis hin zu persönlichen Angriffen gegen Forscher wie z.B. den Kulturanthropoologen Napoleon Chagnon, über den ich hier auf Sciencefiles schon berichtet habe.
Deshalb erfinden und begründen die Linken auch gern Sozialleistungen für/mit eher seltene(n), tragischen oder ungerechten Einzelfälle(n), die dann von der sie kassierenden Mehrheit lediglich abgestaubt und missbraucht werden. Grundrente und gepamperte (angebliche & absichtliche) Alleinerziehende fallen mir da spontan ein.
@MasedPringle
Stimmt!
Aber nicht alle Einzelfälle werden von Linken gleichermaßen gewürdigt. Sie mögen es z.B., zu zeigen, wie ein einsamer Eisbär auf einer ebenso einsamen Eisscholle durch’s weite Meer treibt, aber sie kommen nicht auf die Idee, zu zeigen, wie eine Fledermaus von den Flügeln eines Windkraftrades in Teile zerhackt wird. Und „human interest“-Berichte von Gaststätten-Besitzern, die durch den lockdown finanziell ruiniert werden oder wurden, scheinen mir auch nicht gerade das zu sein, was Linke mögen oder aufgrund ihrer Wertschätzung für das individuelle Leben und Wohlergehen in Medien verbreiten möchten.
Man müsste also erklären, warum ein Einzelfall anders behandelt wird als ein anderer. Und das kann man nicht erklären, wenn man von einer allgemeinen Präferenz für „human (oder animal) interest“-Berichte ausgeht oder vom „person positivtiy bias“ als solchem.
Eine Erklärung, die mir einfällt, könnte sein, dass dem „human interest“ von Linken gar kein „person positivity bias“ in seinem eigentlichen Sinn, zugrundeliegt, dass es beim „human interest“ von Linken also gar nicht um den INDIVIDUALISIERENDEN Blick auf das einzelne Lebewesen und sein Wohlergehen geht, sondern um einen ESSENZIALISIERENDEN Blick, bei dem das einzelne Lebewesen auf ein, vielleicht zwei, drei, Merkmale, reduziert wird und so zu einem Typus wird, zu einem Symbol, das als solches gerade nicht für ein individuelles Lebewesen steht. Nicht umsonst sprechen Linke gerne von „der Frau“, als sei mit dem Verweis auf Weiblichkeit alles andere über diesen Menschen schon mitgesagt, und das, obwohl die Rede von „der Frau“ klingt, als würde damit ein einzelner Mensch bezeichnet.
Oder nehmen wir das Flüchtlingsbeispiel (weil es ja auch in den Forschungen, von denen ich berichtet habe, vorkommt):
Bilder von verwahrlosten, vielleicht hungernden, einsamen minderjährigen Flüchtlingen dienen vielleicht gerade nicht der Individualisierung von Flüchtlingen, sondern – sozusagen umgekehrt – der Essenzialisierung von Flüchtlingen. Wenn die Essenz von Flüchtlingen ist, unschuldige, bedauernswerte Menschen, die ohne eigenes Verschulden in Not geraten sind und nun in einer bedauernswerten Lage sind, zu sein, wie es die Kinder auf dem Bild vielleicht sind, dann wird das Bild von den Kindern zum Symbol für DEN Flüchtling, dessen Essenz in den genannten Eigenschaften besteht. Das ist aber gerade das Gegenteil einer Individualisierung von „Flüchtlingen“ als Menschen mit den verschiedensten Hintergründen, den verschiedensten Motiven, in den verschiedensten Lebenslagen.
Was ich sagen will, ist ungefähr: man richtet den Blick vordergründig auf einen Einzelnen, aber tatsächlich will man nicht den einzelnen Menschen in seiner Individualität samt seiner individuellen Lage zeigen, sondern man will ihn lediglich als Exemplar eines Typus darstellen, als Exemplar einer Sammlung von Menschen, die dieselbe „Essenz“ haben, eben die, ein armer, bedauernswerter, unverschuldet in Not geratener Flüchtling zu sein. Und wenn das die „Essenz“ solcher Leute ist, dann ist sie es eben, egal, ob es sich um Kinder handelt, Angehörige von Schlepperbanden, Erwachsene, die vor einem Krieg oder vor Verfolgung geflohen sind, oder Erwachsene, die einfach irgendwo ein besseres Leben suchen, oder Erwachsene, die ein besseres Leben an einem bestimmten Ort suchen, weil ihne dort ein bereits ansässiger Verwandter einen Job verschaffen kann, etc. etc. Diese Beispiele verschiedener Menschen mit verschiedenen Motiven in verschiedenen Lagen bilden einen Anflug von Individualität ab, aber genau diese soll ja nicht durch „human interest“-Berichte nahegelegt werden, sondern eben, dass Menschen einen bestimmten Typus darstellen, der durch eine bestimmte Essenz gegenüber anderen Typen ausgezeichnet ist.
Und das zu vermuten, liegt ja nahe: Wie sonst könnte man einen einzelnen Menschen zum Gegenstand in einem „human interest“-Bericht über Flüchtlinge – und eben nichts anderes, nicht über Väter, Geschiedene, Weltreisende, was weiß ich – machen?!
Ich weiß nicht, ob diese Spekulationen einer genaueren Analyse standhalten würden, ganz zu schweigen von einer empirischen Prüfung (und ich weiß auch nicht auf Anhieb, wie man diesen Unterschied zwischen Individualisierung und Essenzialisierung in einer experimentellen Studie umsetzen könnte), aber in jedem Fall denke ich, dass hier noch einiger Forschungsbedarf besteht: was genau ist es, was dem Interesse an einem Einzelfall zugrundeliegt und dem Desinteresse an einem anderen?
Läge die Antwort einfach in der ideologischen Nähe des jeweiligen Einzelfalles, dann dürfte es keinen mehr oder weniger durchgängig zu beobachtenden „person positivity bias“ geben, und Konservative müssten eine Präferenz für „ihre“ Einzelfälle haben ebenso wie „Liberale“ eine Präferenz für „ihre“ Einzelfälle haben. Also spielt hier (außerdem?) etwas anderes eine Rolle, und ich vermute, dass eben deindividualisierende Blick nicht immer gleich beschaffen ist, dass man – wie gesagt – auf den Einzelnen als individuellen Menschen in seiner gesamten, ihm eigenen Individualität, schauen kann oder auf den individuellen Menschen als Träger einer „Essenz“, die er mit anderen teilt, als Exemplar eines Typus.
Da fällt mir der Meister Proper ein. Gut, für die Gender-Gestörten wäre Meister Proper wohl ein (glänzend) weißer Patriarch, der die Bodenpflege erfunden hat, um Frauen durch die körperliche Bürde der Hausarbeit zu unterdrücken, weswegen die Bodenpflege überwunden werden muß … was wohl auch die Zustände in Linken-Hochburgen wie der berühmten Berliner Liebigstraße erklärt. Aber normalen Menschen gelingt die positive Identifikation mit der Figur Meister Proper, die eine Mischung aus der bildlichen Darstellung der Wirkung des Produktes Meister Proper, und idealer Eigenschaften, die sich der Nutzer des Produktes (womöglich) aneignen möchte, ist. Es handelt sich dementsprechend um durchwegs positiv besetzte Eigenschaften, die mit Adjektiven wie “stark, glänzend sauber und rein, zuverlässig, klug, irgendwie sympathisch” und weiteren Eigenschaften beschrieben sind.
@Marvin Falz
Ja, die – bislang ungeklärte – Frage ist, WARUM eine Präferenz für “human interest”-Darstellungen bei einem Teil der Bevölkerung und anscheinend vor allem Linken, besteht. Was genau sprechen diese Darstellungen an? Werden sie mit Eigenschaften assoziiert, wie Sie vorgeschlagen haben?
Oder bildet sie wirklich eine Individualisierung im Sinn des “person positivity bias” ab?
Oder bildet sie nur auf den ersten Blick, eigentlich gerade keine Indvidualisierung ab, sondern eine Essenzialisierung, bei der ein reiner Typus gebildet wird (z.B. der Typus von DER leidenden Frau als Opfer von Männern, von Werten wie Leistung und Eigenverantwortlichkeit, von “Unterrepräsentation” in bestimmten gesellschaftlichen Feldern, von “den Verhältnissen” eben).
Wir können diese Fragen bis auf Weiteres leider nicht beantworten. Aber Forschungsbedarf besteht hier auf jeden Fall.
Ich meine, mich an einen Artikel auf ScienceFiles zu erinnen, in dem beschrieben wird, dass Linke es in der Kindheit nicht geschafft haben, eine Individualität zu entwickeln, und an die Stelle der Individualität die Gruppenidentität tritt. (Der Artikel ist in den letzten Monaten erschienen.) Die Gruppenidentität gilt als sicher, sie muß um jeden Preis erhalten werden, was nur gelingt, wenn sie gegen Veränderung geschützt wird. Vielleicht stehen sich Individualisierung und Essenzialisierung als Gegenpole auf einem Spektrum gegenüber, und je nach Entwicklung ist eine Person individualistischer oder essenzialistischer in ihren Ansichten und ihrem Verhalten.
–
Wenn “human interest”-Darstellungen und die Idee der Repräsentation beide eine Vorbild-Funktion haben, dann lässt sich vielleicht ein Bezug zwischen der Abnahme eines Bedürfnisses nach Vorbildern herstellen mit der Individualisierung, dem Erwachsenwerden eines Menschen, der Reifung des Charakters. Oder die Vorbilder ändern sich, anfangs simple Charaktere, mit der Zeit komplexer werdende Charaktere. Oder der Mensch baut sich anhand von vielen unterschiedlichen Vorbildern ein Selbstbild auf.
–
Vielleicht lässt sich mit der Klärung des Warums auch eine Erklärung finden, warum “human interest”-Darstellungen in Filmen, Fernsehen und Superhelden-Comics bis vor ein paar Jahren ähnliche positive Charaktereigenschaften, wie ich sie in der Figur Meister Proper erwähnt habe, gezeigt haben, Charaktereigenschaften, mit denen sich jeder identifizieren kann; und seit ein paar Jahren vermehrt essenzialistische, gruppenbezogene Eigenschaften in den Vordergrund gerückt worden sind. Interessanterweise gibt es in Hollywood-Filmen schon seit Jahrzehnten weibliche Figuren, die – um es mal so auszudrücken – ihre Frau gestanden haben, die aber trotzdem weiblich gewesen sind. Die modernen “starken, unabhängigen” Frauen haben meistens keinen eigenen Charakter, und übernehmen lediglich eine Figur, die vorher männlich gewesen ist, der bekannte “gender swap”.
Personengruppen allgemein (Cchirurgen vs Chirurgie) zu nutzen, wie in den Beispielen am Anfang, mag vielleicht hier und da ein geschicktes Framing zu sein. Aber die konkreten Fallbeispiele in vielen journalistischen Artikeln, wo einzelne Personen herausgestellt werden um aufs Ganze zu schließen, wo es menscheln soll, sind sehr oft eine ziemlich dumme Idee und strategisch unklug. Als Beleg muss man nicht einmal Relotius aus dem Hut zaubern, der sämtliche Artikel so aufgebaut hat und große Teile erlogen oder hinzugedichtet hat. Es gibt unzählige Beispiele von Artikeln oder Fernsehbeiträgen, die ganz schnell wie ein Kartenhaus zusammen gefallen sind. Menschen sind nicht perfekt Aber um eine positive Wirkung zu entfalten müssen sie es sein, wenn sie als Prototypen vorgestellt werden. Beispiele: Der Migrant aus Afghanistan, der die 15-jährige Freundin hatte (KiKa), wo sich dann herausstellte, dass er sie zum Kopftuch und gewissermaßen zur Konversion zwang, dass er möglicherweise älter als 21 war. Die Kundin im Laden beim MDR, die irgendeinen Öko-Kram forderte, sich aber als Lokalpolitikern oder Kandidatin der Grünen herausstellte. Wenn man also nicht nur den Ausschnitt betrachtet, den uns der Journalist zeigen will, sondern nur ein bisschen drumherum schaut, bricht seine Darstellung fast immer zusammen. Das mag auch der Grund sein, warum jede Kritik an Thunberg mit maximalem Hass bekämpft wird. Thunberg funktioniert nur so lange, wo sie nicht als launische oder auch mal freche Göre gezeigt wird. Dann zerbricht das Bild.
Das ist aber egal, daß das Bild irgendwann zerbricht. Dann wird das nächste Bild aufgebaut.
Im Fall Thunberg ist es: Kommt ein Artikel in Boulevard, dass sie jetzt ihren ersten Freund hat (mit allem Pipapo hat), ist ihr Mythos ab jetzt zerstört. Kommt ein Artikel, dass sie die letzten Jahre mit diversen Personen herumgevögelt hat, ist die komplette Bewegung zerstört, die ihre Unschuld vor sich hertrug, was nicht nur im viel konservativerem Drittland wichtig ist, sondern auch hier (“Tochter Theresa” statt Mutter). Kommt ein Artikel, dass sie bis heute Beziehungsunfähig und ungevögelt ist, ist der Mythos ebenfalls zerstört, denn es belegt tendenziell, dass sie nicht ganz dicht und vor allem fremdbestimmt ist.