Wie immer gefährlicher, übertragbarer, tödlicher: C.1.2: Begrüßen Sie mit uns die SARS-CoV-2 Variante Nummer 1.304!!!

Heureka.
Es gibt eine neue.
Alpha, Beta, Delta, sie sind Geschichte.
Lambda, einst der Shooting-Star am Varianten-Himmel, von dem sich die Mortalitätsenthusiasten und Intensivbettenfanatiker so viel erwartet haben, weigert sich standhaft, im Wesentlichen Peru in relevanter Menge zu verlassen und nach Europa zu reisen.

Aber jetzt gibt es C.1.2!
C.1.2

Die MS-Medien-Euphorie ist ausgebrochen:

  • Laut einer Studie könnte C.1.2 noch ansteckender sein als die Delta Variante (Web.de);
  • In den vergangenen Monaten hat sich die Variante C.1.2 weiter ausgebreitet, vor allem in Südafrika (t-online);
  • C.1.2-Impfstoff könnte bei neuer Mutanten nicht wirken (ruhr24);
  • Neue Corona-Variante C.1.2 beschäftigt Wissenschaftler in Südafrika – angesichts der hohen Mutationsrate haben Wissenschaftler … ein besonderes Auge auf … C.1.2 (Stern)
  • C.1.2 – Neue Corona-Variante hat hohes Mutationspotential (n-TV);
  • C.1.2 – gefährlicher als Delta? Stark mutierte Corona-Variante entdeckt (nochmal n.TV);
  • C.1.2 aus Südafrika: Corona-Variante mit ungewöhnlich vielen Mutationen aufgetaucht (Schweriner Volkszeitung);
  • In einer alarmierenden Studie berichten Wissenschaftler aus Südafrika über eine neue Corona-Variante (Radio Hamburg);
  • Nach Delta: Forscher identifizieren neue ‘besorgniserregende’ Corona-Variante C.1.2 (Nürnberger Nachrichten):

Varianten Galore.
Dürfen wir vorstellen: C.1.2:

Quelle

Der Fundus von C.1.2 besteht derzeit aus 70! Sequenzen, davon sind 15 Sequenzen als C.1.2 ausgewiesen, 55 sind C.1.2 nur zugeordnet. Ein wichtiger Unterschied, zu dem wir noch kommen. C.1.2 ist eine Bezeichnung, die der Nomenklatura der sogenannte Pango Lineage entstammt, einem Versuch, das Mutationschaos, das sich bei RNA-Viren und DNA-Viren einstellt, mehr oder minder in den Griff zu bekommen. Die Zuordnung einer Sequenz zu einer Lineage ist klar geregelt. Es gibt ein Set von Regeln, das über 10 Seiten ausgebreitet wird, und das hier nachgelesen werden kann. Notwendig ist diese Nomenklatur, weil das Genom von SARS-CoV-2 rund 30.000 Nukleotide umfasst und somit rund 30.000 potentielle Orte, an denen sich eine Mutation einstellen kann. Nicht nur können sich an 30.000 verschiedenen Stellen im Genom von SARS-CoV-2 Mutationen einstellen, es können sich auch in unterschiedlichen Sequenzen an unterschiedlichen Stellen unterschiedlich viele Mutationen einstellen. Deshalb ist es notwendig, eine Methode zu finden, um die vielen möglichen Mutationen, die sich auf einem Genom oder auf einer Genomsequenz einfinden können, zuzuordnen oder genau auszuweisen.

Pango Lineage ist ein solches System. C.1.2 ist eine Benennung, aus dem System der Pango Lineages. Sie weist C.1.2 als zweiten Abkömmling des ersten Abkömmlings von C. C.1 ist identisch mit B.1.1.1, dem ersten Abkömmling des ersten Abkömmlings des ersten Abkömmlings von B. Drei Ziffern nach dem Buchstaben ist in der Nomenklatur jeweils Schluss, und es wird im nächsten Buchstaben neu begonnen. B.1.1.7, Alpha für die WHO und “die britische Mutante”, für Hirnis in deutschen Redaktionsstuben, ist der siebte Abkömmling des ersten Abkömmlings von A.1.1.1; Schon diese Nomenklatur macht deutlich, dass sich die Gensequenzen, die hier geordnet werden, in einem Punkt unterscheiden, während sie in anderen identisch sind, denn um einen Abkömmling von A.1.1.1 unterscheiden zu können, muss es eine Anzahl von Gemeinsamkeiten und eine Reihe von Unterschieden geben. Auf einem Genom mit 30.000 Mutationsmöglichkeiten, kein Problem. Das, was in Medien als Delta oder Alpha oder nun als C.1.2 bezeichnet wird, basiert in der Regel auf Gensequenzen, die bestimmte, C.1.2 definierende Mutationen teilen, während sie in anderen Teilen ihres Genoms durchaus verschieden sein können.

Die folgende Abbildung zeigt das System der Zuordnung, das in Pango Lineages zum Einsatz kommt, eine Mischung aus Entwicklungsdynamik und Hierarchie:

Quelle

Die Ausweisung einer neuen Lineage und die Bestimmung der sie definierenden Merkmale ist ein Prozess, der von einer dazu eingesetzten Arbeitsgruppe durchgeführt wird. Nachdem eine Lineage ausgewiesen ist, können Zuordnungen erfolgen, Voraussetzung ist, dass die Gensequenz mindestens 95% des Genoms von SARS-CoV-2 umfasst. Gensequenzen, die nur Teile des Genoms umfassen, werden über die Software “Pangolin” zugewiesen. Die Software basiert darauf, die Lineage für die Mutationen, die in einer Gensequenz gefunden werden, zu finden, mit denen die Gensequenz die meisten Übereinstimmung aufweist.

Bislang gibt es 1.304 Pango Lineages, also Varianten von SARS-CoV-2. C.1.2 ist eine davon und nicht einmal eine bemerkenswerte. Der von Aine O’Toole, Oliver G. Pybus, Michael E. Abram, Elizabeth J. Kelly und Andrew Rambaut verfasste Beitrag “Pango lineage designation and assignment using SARS-CoV-2 spike gene nucleotide sequences” ist ein guter Einstieg, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was sich eigentlich hinter der Bezeichnung “B.1.1.7” im Besonderen bzw. einer Pango lineage im Allgemeinen bzw. hinter der sehr kruden Bezeichnung “Alpha” oder “Delta”, die die WHO bevorzugt, versteckt.

In diesem Beitrag findet sich die folgende Abbildung:

Quelle: O’Toole et al. (2021).

Dargestellt sind hier Häufigkeiten für Mutationen auf bestimmten Positionen im Genom von Alpha, Beta, Gamma und Delta. Mutationen können als synonyme oder nicht-synonyme Mutation auftreten oder als Einfügung bzw. Löschung einer Position im Genom. Bei synonymen Mutationen wird in der Regel lediglich ein Basenpaar im dritten Nukleotid eines Kodons verändert. Aminosäuren in RNA bestehen aus mehreren Kodons. Eine synonyme Mutation ändert nichts an der Aminosäure. Eine nicht synonyme Mutation verändert die Aminosäure, in dem entweder ein Nukleotid gelöscht oder ergänzt wird. Nicht synonyme Mutationen sind deutlich seltener als synonyme Mutationen und im Gegensatz zu synonymen Mutationen relevant.

O’Toole und Kollegen (2021) finden z.B. für das Spike-Protein in 89,2% der Positionen eine Mutation (1138 von 1274)., wenn sie die 345.356 SARS-CoV-2 Genome, die in GISAID gespeichert sind, analysieren. Unter 458.622 Gensequenzen von SARS-CoV-2, die einer Lineage im Pango System zugeordnet sind, finden die Autoren 31.940 Nukleotid-Sequenzen, die dem Spike-Protein zugeordnet sind, davon finden sich 2.600 in mehr als einer Lineage, vier finden sich in mehr als 50 Lineages und eine hat es in 658 Lineages geschafft. Das zeigt sehr deutlich, dass eine Sequenz, die b.1.1.7 zugeordnet wird, nicht grundverschieden von einer Sequenz ist, die C.1.2 zugeordnet wird. Die “neuen” Varianten sind nur insofern neue Varianten als sie den Teilen von bislang vorhandenen Varianten, die sie nach wie vor umfassen, neue Mutationen hinzugesellen. Die Pango Nomenklatur trägt dem Rechnung. C.1.2 ist also keine Mutation, die vom Himmel gefallen ist, sie ist Teil einer Evolution, die mit A.1 begonnen hat. C.1.2 enthält weiterhin Teile von A.1 und von B.1 und von B.1.1.1 und zusätzlich ein paar neue Mutationen, die ausreichen, um C.1.2 als ausreichend verschieden von B.1.1.1 anzusehen und eine neue Lineage, Lineage Nr. 1.304 zu eröffenen: C.1.2.

Für diese neue Lineage gibt es derzeit 70 Sequenzen. Das hindert die Hirnis, die in Redaktionen sitzen, aber nicht daran, schon einmal den Panikknopf umzustellen und ihr übliches Lamento anzustimmen, das, das sie immer anstimmen: gefährlicher, übertragbarer, tödlicher. Alle Beiträge haben wiederum die gerade von Catherine Scheepers und … bis Jinal N. Bhiman (2021) veröffentlichte Arbeit mit dem Titel “The continuous evolution of SARS-CoV-2 in South Africa: a new lineage with rapid accumulation of mutations of concern and global detection” zum Gegenstand, in der die Autoren von ihren Analysen berichten, die sie auf Basis von 63 Gensequenzen, von denen 59 verwertbar waren, erstellt haben. Die 59 verwertbaren Gensequenzen zeigen eine Reihe bekannter Mutationen auf dem Spike-Protein, darunter die alten Bekannten N501Y und E484K, die schon Beta (b.1.351 – der 351ste Abkömmling von b.1) aufgewiesen hat und D614G, die erst-Mutation nach dem CCP-Urvirus, die alle Lineages enthalten. Dass die Gensequenzen nicht alle identisch sind, die Zuordnung zu C.1.2 auf einem eng umrissenen Set von Mutationen basiert, das wird anhand der folgenden Ergebnisse deutlich. Die Mutationen, die C.1.2 auszeichnen, finden sich vor allem in den Open Reading Frames (ORF) 1a, 3a und 9a, sowie in den Proteinen S(pike), E, M und N.

  • 30 Mutationen, die C.1.2 bestimmen, finden bei mehr als der Hälfte der 57 Gensequenzen;
  • Auf dem Spike-Protein haben etwas mehr als 50% der zugeordneten Gensequenzen 14 Mutationen;
  • Rund 44% der 57 Gen-Sequenzen weisen die P25L-Mutation in der N-Terminal Domain (NTD) auf;
  • 19% der 57 Gen-Sequenzen haben L585F (von Lambda bekannt) im Spike Protein;
  • 16% haben die Mutation T478K in der S1-Domain des Spike-Proteins (von Delta bekannt);
  • 8% tragen die Mutation D936H und
  • weitere 8% die Mutation H1101Q in der S2-Domain des Spike-Proteins;
  • Eine Mehrheit der Gensequenzen, über die genaue Anzahl machen die Autoren keine Angabe, trägt nicht synonyme Mutationen in der N-terminal Domain (NTD), darunter Y144del, 242-244del, also Löschungen, die aus Alpha und Beta bekannt sind.

Insgesamt zählen die Autoren 57 für sie relevante Mutationen (unter gut 30.000 möglichen) von denen einige (Beispiele oben) bereits von anderen Varianten bekannt sind. Daraus, dass C.1.2 Mutationen aufweist, die sich auch für Alpha und Beta finden, schließen die Autoren, dass C.1.2 die Fähigkeit mitbringen KÖNNTE, Impfstoffen zu entgehen und daraus, dass C.1.2 weitere Mutationen auf dem Spike-Protein mit Eta und Gamma teilt, schließen sie, dass die Gefahr, dass Impfstoffe nicht wirksam sind, sehr hoch ist. Daraus, dass die Verbreitung von C.1.2 in Südafrika, wie sie schreiben: konsistent steigt, von einem Anteil von 0,2% unter den im Mai in Südafrika gesammelten Gen-Sequenzen, zu einem Anteil von 1,6% im Juni und 2,0% im Juli, folgern die Autoren, eine höhere Mutationsgeschwindigkeit und aus all dem leiten sie ab, dass C.1.2 nicht, wie das Public Health England schreibt, eine Variant of Investigation, sondern eine Variant of Concern sei.

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Und der mediale Widerhall ist erstaunlich, geradezu orchestriert. Es wäre eine eigene Forschung wert, herauszufinden, wie es ein Beitrag, der am 26. August auf medRxiv veröffentlich wurde (und damit nicht peer reviewd ist – was für Redations-Schranzen ja gemeinhin sehr wichtig ist.), in so kurzer Zeit in Presseagenturen und danach in fast alle Zeitungen Deutschlands schafft. Man muss den Eindruck gewinnen, dass es bei Agenturen Beschäftigte gibt, die regelrecht darauf lauern, dass eine neue Studie, die verspricht, eine noch gefährlichere Variante zu Tage befördert zu haben, auftaucht, die man dann in aller Unkenntnis und mit nur einem Ziel: Panik, breittreten kann.

Indes sind die Ergebnisse von Scheepers et al. (2021) bestenfalls vorläufig, denn die Zuordnung ihrer Gensequenzen zu C.1.2 ist eine mittels Pangolin, also über eine Software, die nach Gemeinsamkeiten such, und zwar auf Grundlage von Gensequenzen, die die Anforderungen an eine eindeutige Bestimmung nicht erfüllen, weil sie weniger als 95% des Genoms von SARS-CoV-2 umfassen. Für diese unvollständigen Gensequenzen, so haben O’Toole et al. (2021) in ihrem Beitrag gezeigt, die häufig nur aus dem Spike-Protein bestehen, ist es wichtig, einem bestimmten von O’Toole et al. (2021) entwickelten Prozedere zu folgen, um sichergehen zu können, dass die Zuschreibung zu einer Pango Lineage auch korrekt ist. O’Toole haben ihren Beitrag am 10. August 2021 veröffentlicht. Der Beitrag findet sich nicht in der Literaturliste von Scheepers et al. (2021). Sie sind der Verfahrensweise, die O’Toole et al. (2021) entwickelt haben, also nicht gefolgt. Der Stellenwert der Ergebnisse von Scheepers et al. (2021) ist damit unklar, vermutlich dubios.

Für Dilettanten in Medien und Politik, die es gewohnt sind, sich über Dinge auszulassen, von denen sie keine Ahnung haben, ist das offenkundig kein Problem.

Übrigens haben Scheepers et al. (2021) keinerlei Antwort auf die Frage gegeben, ob C.1.2 gefährlicher als bisherige Varianten ist. Sie interessieren sich ausschließlich für das vielleicht vorhandene Potential, Impfstoffen zu entkommen. Jeder Schreiberling, der etwas anderes behauptet, hat seiner Phantasie freien Lauf gelassen.


O’Toole, Aine et al. (2021). Pango lineage designation and assignment using SARS-CoV-2 spike gene nucleotide sequences. bioRxiv.

Scheepers, Cathrine et al. (2021). The continuous evolution of SARS-CoV-2 in South Africa: a new lineage with rapid accumulation of mutations of concern and global detection. medRxiv.



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