Studie aus dem UK zeigt: Long Covid kaum vorhanden – ScienceFiles lag wieder einmal richtig

Am 8. Juni 2021 haben wir eine “Studie” des Britischen Office for National Statistics (ONS) besprochen, mehr auseinandergenommen und gezeigt, dass die Studie, die angeblich Millionen von an Long Covid leidenden Briten identifiziert haben wollte, Humbug ist, eine statistische Suppe, die für jeden ungenießbar ist, der auch nur rudimentäre Kenntnisse von Statistik und Methoden hat.

Rudimentäre Kenntnisse von Statistik, rudimentäre Kenntnisse und ideologisches Eifertum schließen sich naturgemäß gegenseitig aus:

Karl Lauterbach, der sich hier auf eben die von uns auseinandergenommene Studie bezieht, hat eine traumhafte Sicherheit, wenn es darum geht, daneben zu liegen, etwas zu behaupten, was durch die Fakten nicht gedeckt ist, eine Studie zu feiern, die Junk ist, einfach nur Blödsinn zu verbreiten. Lauterbach ist einer der Superspreader, wenn es um Fake News geht.

Die Studie des Office for National Statistics (ONS), die wir im Beitrag Anfang Juni auseinander genommen haben, ist zwischenzeitlich, mit Datum des gestrigen Tages, vom ONS zurückgenommen worden, nein, nicht zurückgenommen, die Ergebnisse sind durch eine neue Analyse berichtigt worden, die alte Analyse wurde als mit methodischen Mängeln belastet beschrieben, mit genau den methodischen Mängeln, die wir ausgeführt haben. Mit der neuen Analyse verbindet sich gleichzeitig die Hoffnung auf Vergessen – möge in ein paar Tagen niemand mehr an die grottenschlechte Analyse denken, die das ONS im Juni unter die Bevölkerung geworfen hat, jene Studie, die die meisten MS-Medien und Leute wie Lauterbach so bereitwillig aufgenommen haben, um den Unfug zu verbreiten, dass es Millionen Menschen gebe, die unter Long-COVID leiden würden und dass vor allem und zunehmend Kinder darunter leiden würden. Alles falsch. Die neue Studie des ONS, ein Versuch, Reputation zurückzugewinnnen, sie zeigt es.

Um fair zu sein, es gab schon bei Veröffentlichung des panikfähigen Materials im Juni ein paar Mitarbeiter beim ONS, die von ihrem Gewissen geplagt wurden. Das hat sich so niedergeschlagen:


Irgend jemand beim Office for National Statistics hat eine Ausbildung und nutzt sein daraus resultierendes Herrschaftswissen um darauf hinzuweisen, dass man Kopf- und Glieder- und Muskelschmerzen und Müdigkeit auch aus anderen Gründen, denn aus einer zurückliegenden Erkrankung an COVID-19 beziehen kann. Das führt zu der wohl wichtigsten Frage überhaupt: Was ist Long Covid? Damit wir alle wissen, wovon wir reden, wir reden von “any of the following”, von einem der folgenden Symptome. Wer von sich sagt, er habe oder er habe dauerhaft eines der folgenden Symptome und zudem positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde, von dem wir behauptet, er leide an Long Covid. In der ursprünglichen Panikveröffentlichung des ONS hat sich das wie folgt dargestellt. Lassen Sie sich von der Einheit “Thousands” nicht stören. Das ist die damalige Hochrechung zur Panikerzeugung, die mittlerweile zurückgezogen wurden. Dazu gleich.

Die Symptome, die Long Covid begründen sollen sind: Schlappheit, Müdigkeit, Kurzatmigkeit, Muskelschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Verlust des Geschmacks- oder des Geruchssinns, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Angst, Sorgen, Gedächtnisprobleme, Niedergeschlagenheit, Husten, Brustschmerzen, Schwindel, Appetitlosigkeit, Halsschmerzen, Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Fieber. Long Covid wird angenommen, wenn eines dieser Symptome bei einem positiv Getesteten vorliegt. Wie man der Abbildung entnehmen kann, gibt es den eindeutigen Zusammenhang, dass mit der objektiven Bestimmbarkeit und Schwere eines Leidens, die Häufigkeit, mit der es berichtet wird, zurückgeht. Kopf- und Bauchschmerzen kann man behaupten, ohne sie zu haben. Fieber nicht. Dieser Zusammenhang ist ein erster, der einen Sozialforscher stutzig macht.

Der nächste Zusammenhang, der stutzig machen muss, und den das ONS schon im Juni berichtet hat: Frauen und Vorerkrankte berichten häufiger über eines der oben genannten Symptome. Wir haben damals einen kleinen Bogen zur Hysterieforschung geschlagen und die Bedeutung, die eingebildete Krankheiten vor allem für weibliche “Leidende” spielen, dargestellt.

Der wichtigste Einwand, der einem Forscher sofort kommen muss, wenn er diese Daten sieht, der bezieht sich darauf, dass AUSNAHMSLOS alle dieser Symptome auch eine andere Ursache als COVID-19 haben können. Das muss man prüfen. Dass das ONS seine Ergebnisse im Juni OHNE diese Prüfung veröffentlicht hat, zeigt, dass es nicht um Wissenschaft, sondern um ideologische Schützenhilfe ging. Hinzu kommt natürlich, dass die Daten nicht von Personen generiert wurden, die alle an COVID-19 erkrankt waren, sondern von Personen, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Das ist ein himmelweiter Unterschied.

Bringen wir unsere damalige Kritik auf drei Punkte:

  • Eine Selbstauskunft über angebliche Symptome nach Erkrankung ist in hohem Maße anfällig für individuelle Merkmale, die sich positiv auf die Bereitschaft, bei sich Krankheit festzustellen, auswirken.
  • Die Beschaffenheit der Allerwelts-Symptome, die Long Covid determinieren sollen, macht es notwendig, auszuschließen, dass die Symptome eine andere Ursache als Covid-19 haben.
  • Wenn man Long Covid untersuchen will, dann muss man sich auf Personen konzentrieren, die nachweislich an COVID-19 erkrankt waren.

Der zuletzt genannte Kritikpunkt ist weiterhin gegeben, denn nach wie vor basieren die Analysen des ONS auf Personen, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Die beiden ersten Kritikpunkte wurden aufgenommen und sind in eine recht gute Analyse gemündet, die indes vollkommen darauf verzichtet, über die Deskription, die bivariate Beschreibung hinauszugehen, was angesichts der Beliebtheit derer sich Cox Regressionen oder Logistische Regressionen in ONS-Kreisen und bei PHE erfreuen, doch erstaunlich ist.

Wie auch immer.

Die Ergebnisse der neuen Studie des ONS, die wir nun präsentieren, basieren auf 26.147 Teilehmern des britischen Coronavirus Infection Survey (CIS), die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden und ebenso vielen Teilnehmern, die nicht positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Beide Gruppen, die SARS-positiven und die SARS-negativen wurden anhand soziodemographischer Variablen (Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen …) gematched, so dass die Ergebnisse eine hohe Validität beanspruchen können. Das Design ist erstaunlich gut, wenn man die Murks-Studie in Erinnerung hat, die aus dem selben Haus im Juni 2021 ausgeworfen wurde. Für beide Gruppen wird nun untersucht, wie häufig sie angeben, mindestens EINES der 12 oben genannten Symptome bei sich zu entdecken, um auf diese Weise ein Maß dafür zu bekommen, ob die entsprechenden Symptome in der Gruppe der SARS-positiven häufiger berichtet werden als in der Gruppe der SARS-negativen.

Das Ergebnis sieht wie folgt aus:

Drei Dinge kann man bereits feststellen:

  • Falls es Long Covid gibt, dann ist der Spuk zahlenmäßig sehr gering und spätestens 8 Wochen nach Infektion vorbei.
  • Da Personen mit “health conditions”, also Vorerkrankungen nach einem positiven Test häufiger über Symptome, die indikativ für Long Covid sein sollen, berichten, liegt der Schluss nahe, dass schlechte Gesundheit sich nach einem positiven Test in den Eindruck übersetzt, durch SARS-CoV-2 gesundheitlich noch schlechter dran zu sein. Der Einfluss gesellschaftlicher Trends auf individuelle Selbstzuschreibungen ist eines der am besten belegten Ergebnisse der Sozialpsychologie.
  • Für Kinder ist Long Covid zu keinem Zeitpunkt nach einem positiven Text ein Problem. Wer behauptet, Long Covid sei bei Kindern ein besonders großes Problem, der lügt.

Das Schöne am Versuch des ONS seine Reputation zu retten, ist der Versuch zu demonstrieren, dass die Mitarbeiter des ONS in statistischen Methoden firm sind. Das schlägt sich in unterschiedlichen Ansätzen zur Bestimmung der Prävalenz von Long Covid nieder. Unter anderem im Versuch, selbstberichetes Long Covid, das die Grundlage der Panikergebnisse aus dem Juni war, zu erden, also eine Idee davon zu gewinnen, wie sehr Menschen, wenn sie einmal positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, dazu tendieren, diesen positiven Test als Beginn allen Leidens zu inszenieren oder herbeizuphantasieren, vielleicht um sich interessanter zu machen, vielleicht, um einer gesellschaftlichen Mode zu folgen, who knows.

Die folgende Tabelle zeigt die Antwortverteilung für die selben Gruppen, die auch in der Tabelle oben berücksichtigt sind, und zwar auf die Frage: “Würden Sie von sich sagen, dass Sie unter Long Covid leiden, dass sie auch mehr als 4 Wochen nach ihrer Erkrankung an COVID-19 noch unter Symptomen leiden, die sie nicht anders als durch COVID-19 erklären können?” [die beiden Spalten links) [Man beachte, dass Befragte geradezu dazu eingeladen werden, sich als krank zu definieren und dem Befrager den Wunsch zu erfüllen, ein Leiden nach Erkrankung selbst dann zu berichten, wenn man asymptomatisch gewesen ist.]

Zunächst zeigt ein Vergleich der beiden Tabellen, dass selbstberichtetes, allgemein erfragtes Covid um 50% höher ausfällt als Long Covid, das direkt über konkrete Symptome erhoben wurde. Dann fällt auf, dass die soziodemographischen Gruppen, deren Mitglieder offenkundig am meisten durch Überreport von Symptomen auffallen, diejenigen sind, die offenkundig aus den unterschiedlichsten Gründen besonders sensibel auf ihre Gesundheit bzw. die sich aus angeblicher Krankheit ergebenden Vorteile achten:

  • Personen im Alter von 35 bis 49 Jahre, in ihrer Mehrheit Erwerbstätige, denen von COVID nur dann Risiken drohen, wenn sie Vorerkrankungen mitbringen: Long Covid um 64,6% übertrieben;
  • Personen im Alter von 50 bis 69 Jahren: Long Covid um 52,8% übertrieben;
  • Frauen: Long Covid um 49,5% übertrieben;
  • Personen mit Vorerkrankungen: Long Covid um 40,3% übertrieben;
  • Für Kinder werden Symptome untertrieben, ein weiterer Beleg dafür, dass das Problem “Long Covid” eines ist, das von demjenigen ausgeht, der es bei sich selbst festgestellt hat, denn die Symptome für Kinder werden von einem Elternteil berichtet;

Die Ergbnisse beruhen auf den Angaben von 21.374 Teilnehmern am CIS. Stellt man nun noch die Ergebnisse aus der vorausgehenden Tabelle und dem Vergleich der Häufigkeit der entsprechenden Symptome zwischen SARS-positiven und SARS-negativen in Rechnung, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass mit Fragen nach Long Covid in Befragungen vor allem das gemessen wird, was in der Sozialforschung zum einen als soziale Erwünschtheit bekannt ist, man zum anderen unter dem Begriff des “Hypochonders” fassen kann, den schon Moliere beschreiben hat: Eine Einbildung, die sich in der Wirklichkeit nur selten wiederfinden lässt.

Nun wäre es natürlich spannend, Syndrome des Überberichtens zu identifizieren, also herauszufinden, welche Merkmale diejenigen tragen, die besonders gerne angeben an etwas zu leiden, an dem sie offenkundig nicht leiden. Leider fehlt die ansonsten so obligatorische Logistische Regression. Wir sind also auf Vermutungen reduziert, educated guesses.

Mit der neuen Veröffentlichung ist das ONS somit erheblich zurückgerudert. Aus der Massenerkrankung Long Covid, die nach den Schätzungen des ONS aus dem Juni 2021 Millionen Opfer fordert, ist etwas geworden, unter dem vermutlich manche Menschen leiden, weit weit weniger als behauptet und das sich in weiten Teilen nicht von den Alltagsleiden unterscheidet, die man z.B. als Heuverschnupfter oder Wetterfühliger erträgt.

Die nächste Panik-Kampagne ist versandet. Wir können einmal mehr zur Tagesordnung übergehen.


Office for National Statistisc (2021). Technical article: Updated estimates of the prevalence of post-acute symptoms among people with coronavirus (COVID-19) in the UK: 26 April 2020 to 1 August 2021. London.



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