Die un-ethischen Empfehlungen des sogenannten Deutschen Ethikrates:

Eine ethische Beurteilung des Papiers zur „[e]thischen Orientierung zur Frage einer allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht“

Vom 22. Dezember 2021 stammt ein neunzehn Seiten umfassender Text, in dem der sogenannte Deutsche Ethikrat seine „[e]thische Orientierung zur Frage der allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht“ darstellt. Die Mitglieder des sog. Deutschen Ethikrates qualifizieren dieses Papier im Untertitel als „Ad-hoc-Empfehlung“, aber sie ist alles andere als das: statt „ad hoc“ formuliert worden zu sein, ist sie das Ergebnis eines Arbeitsauftrages, den ihnen

„… [d]ie Bundesregierung sowie die Ministerpräsidentinnen [– damit ist hinsichtlich der Bereitschaft der Mitglieder, Gesten der Unterwürfigkeit unter politische Korrektheitsvorgaben zu setzen, schon einiges gesagt –] und Ministerpräsidenten … am 2. Dezember 2021 …“ (Deutscher Ethikrat 2021: 2)

erteilt haben. Ihr Auftrag war,

„… eine sogenannte allgemeine gesetzliche Impfpflicht, die bis vor einigen Monaten noch vielfach ausgeschlossen wurde, einer erneuten Bewertung zu unterziehen und eine Einschätzung zu den ethischen Aspekten einer allgemeinen Impfpflicht‘ vorzulegen“ (Deutscher Ethikrat 2021: 2).

Immerhin: wer bezahlt, bestimmt – unabhängig davon, ob die Zahlung in Geld, in Naturalien oder in vermeintlicher Reputation erfolgt. Und so haben die Mitglieder ihre frühere, politisch nicht genehme Stellungnahme “einer erneuten  Bewertung” unterzogen, und siehe da – aufgrund einer „[v]eränderte[n] Faktenlage und Situation“ die allgemeine Impfpflicht, die sie noch

„… im Februar 2021 in […]einer Ad-hoc-Empfehlung zum Umgang mit Geimpften …“

abgelehnt haben,

„… weil er [der sogenannte Deutsche Ethikrat] sie zum damaligen Zeitpunkt weder für notwendig noch für ethisch vertretbar hielt“ (Deutscher Ethikrat 2021: 3),

„… mit vier Gegenstimmen“ (Deutscher Ethikrat 2021: 17)

empfohlen.

So sehr es erfreuen muss, dass es vier von insgesamt 24 Personen im sogenannten Deutschen Ethikrat gibt, die im Stande sind, zu zweifeln und zu widersprechen, so beklemmend ist es, dass der Rest, also alle 20 Personen, der „Empfehlung“, eine allgemeine Impfpflicht einzuführen, zugestimmt haben, es also keine Enthaltungen gab (Deutscher Ethikrat 2021: 17).

Gerade von einer Gruppe von Leuten, die sich als „Ethikrat“ betiteln lassen, hätte man erwartet, dass sie ihrem Papier zumindest eine kurze Begründung der Gegenposition, also der Position (oder Positionen) der vier Personen, die nicht zugestimmt haben, anfügen, besonders da sie doch im selben Papier den Anspruch formulieren,

„… einen Beitrag zur ethischen Urteilsbildung in Bezug auf die allgemeine gesetzliche Impfpflicht leisten“ (Deutscher Ethikrat 2021: 3)

zu wollen.

Ist man beim sogenannten Deutschen Ethikrat mehrheitlich der Meinung, dass die Darstellung der Gegenposition der vier Personen, die sich gegen die „Empfehlung“ ausgesprochen haben, für die „ethische Urteilsbildung“ irrelevant ist? Oder ist die Mehrheit der Mitglieder des sogenannten Deutschen Ethikrates der Auffassung, dass die Darstellung von Gegenposition/en gegen „Empfehlungen“ allgemein dazu geeignet sind, die jeweils erwünschten Ergebnisse der „ethische[n] Urteilsbildung“ zu gefährden und deshalb besser grundsätzlich unterbleiben? Immerhin ist die Anfügung der Minderheiten- bzw. Gegenposition keine gänzlich unerhörte Sache und kommt z.B. in der Juristerei nicht selten vor, besonders (soweit ich es beurteilen kann) beim U.S.-amerikanischen Supreme Court. Aber gut – freuen wir uns an dieser Stelle über die vier Gegenstimmen und halten gleich zu Anfang fest, dass diese vier Personen ausgenommen sind, wenn im Folgenden vom sogenannten Deutschen Ethikrat die Rede ist.

Die erste Seltsamkeit mit Bezug auf die „Empfehlung“ des sogenannten Deutschen Ethikrates ist die anscheinend sehr einfache Wandelbarkeit der ethischen Beurteilungen einer allgemeinen Impfpflicht gegen Covid-19 durch seine Mitglieder. Ethik ist ein System von Sätzen, die von moralischen Prinzipien abgeleitet werden. Oder anders ausgedrückt: Ethische Beurteilungen erfolgen auf der Basis moralischer Prinzipien, und moralische Prinzipien werden so genannt, weil sie handlungsleitende Sätze von einiger Verbindlichkeit sind. Als solche werden sie nicht bei jeder Gelegenheit, bei der man veränderte Umweltbedingungen oder Umstände vorfindet, relativiert oder gänzlich verworfen.

Gehen wir z.B. von dem kategorischen Imperativ in der Ethik Immanuel Kants 1906[1785] aus. Es handelt sich dabei um das moralische Grundprinzip, das (etwas unglücklich formuliert) als „Instrumentalisierungsverbot“ bekannt geworden ist: Es besagt, dass niemand bloß als Mittel für die Zwecke Anderer benutzt werden darf, sondern immer (zumindest: auch) als ein Zweck an sich angesehen und respektiert werden muss. Thomas Nagel hat eine Implikation dieses Satzes, die sich direkt auf die derzeitigen Verhältnisse mit Bezug auf staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 (wenn man unterstellen möchte, dass es bei diesen Maßnahmen tatsächlich hierum geht) beziehen lässt, in einem Buch aus dem Jahr 1991 kurz und klar wie folgt auf den Punkt gebracht:

„… if you force someone to serve an end that he cannot be given adequate reason to share, you are treating him as a mere means – even if the end is his own god, as you see it but he doesn’t” (Nagel 1991: 159),

d.h.

“Wenn du jemanden dazu zwingst, einem Zweck zu dienen, von dem du ihn durch die Angabe hinreichender Gründe nicht überzeugen kannst, dann behandelst du ihn als bloßes Mittel (zum Zweck) – sogar dann, wenn der Zweck (deines Handelns) sein eigenes Wohlergehen ist, wie du es wahrnimmst oder einschätzt, aber er eben nicht“.

Wenn man das Instrumentalisierungsgebot als ein moralisches Prinzip akzeptiert, dann bedeutet das, dass man sein Handeln grundsätzlich – auch in Krisensituationen – an ihm ausrichtet. Oder, wie es bei Dimmock und Fisher in ihrem Lehrbuch über „Ethics for A-Level“(2017) – also ein Lehrbuch, das für den Unterricht von britischen Schülern im Alter zwischen 16 und 19 Jahren geschrieben wurde! – heißt:

„If it is true that murder is wrong [bzw. wenn man es für wahr hält, also davon überzeugt ist, dass Morden prinzipiell falsch ist], then we should not murder, even if we might want to [aus welche Gründen auch immer]. Equally, it it is true that giving to charity is right, then we should give to charity, even if we might not want to. At its core, morality is supposed to offer reasons for action that we cannot simply ignore even if we like murdering or hate charitable giving” (Dimmock & Fisher 2017: 108; Hervorhebungen im Original).

Wenn das, was angeblich moralische Prinzipien sind, einfach außer Kraft gesetzt werden, um irgendwelchen anderen Erwägungen, die an sich keine moralischen sind, Rechnung zu tragen, dann hat es sich offensichtlich nicht um moralische Prinzipien gehandelt. Und dass die angeblich ethischen Bewertungen von mindestens ein paar der 20 Mitglieder des sogenannten Deutschen Ethikrates nicht auf moralischen Prinzipien beruhen, wird bereits an der schlichten Tatsache erkennbar, dass sie so wichtige ethisch relevante Größen wie die der individuellen Freiheit samt des moralischen Rechtes auf körperliche Unversehrtheit zwischen Februar 2021 und Dezember 2021 verwerfen, weil die neueste angeblich ethische „Empfehlung“

„… unter den Bedingungen der dynamischen Entwicklung der Pandemie, vor dem Hintergrund der aktuell zur Verfügung stehenden empirischen Erkenntnisse über die Pandemie und ihrer Unsicherheit“ (Deutscher Ethikrat 2021: 4)

verfasst wurde. Aber sie wurden nicht nur „vor d[ies]em Hintergrund“ verfasst. Tatsächlich wird im Papier des sogenannten Deutschen Ethikrates explizit festgehalten:

„Die folgenden Überlegungen beruhen daher auf einem sich kontinuierlich verändernden Wissensstand. Hieraus folgt die konsequente Revisionsoffenheit und –bedürftigkeit der folgenden Aussagen und Empfehlungen“ (Deutscher Ethikrat 2021: 4).

Sie beruhen also explizit nicht auf moralischen Prinzipien, sondern darauf, wie „die Pandemie“ und die Umstände, die die Mitglieder des sogenannten Deutschen Ethikrates mit Bezug auf „die Pandemie“ gerade für relevant halten, den Mitgliedern zu einem bestimmten Zeitpunkt gerade vorkommen. Dementsprechend basiert die angeblich „ethisch“ begründete Empfehlung des sogenannten Deutschen Ethikrates auf Sätzen wie diesem:

„Nicht zuletzt angesichts der Virusvarianten Omikron spricht vieles dafür, dass Folgeimpfungen notwendig sein werden“ (Deutscher Ethikrat 2021: 5).

Oder diesem:

„Außerdem muss festgehalten werden, dass die deutsche Impfstrategie im Vergleich zu anderen Staaten deutlich weniger erfolgreich war“ (Deutscher Ethikrat 2021: 5).

Wenn man empirisch argumentieren möchte, muss man dafür Sorge tragen, dass man tatsächlich Bescheid weiß über die Fakten, wie sie bis zum entsprechenden Stichtag bekannt sind. Der sogenannte deutsche Ethikrat war was die Empirie betrifft aber offensichtlich sehr mangelhaft informiert: Der erste Satz war am 22. Dezember längst als falsch erwiesen, d.h. es war bekannt, dass es sich bei Omikron um eine leicht übertragbare, aber harmlose Mutation handelt und im zweiten Satz wird einfach vorausgesetzt, dass die Impfung gegen Covid-19 wünschenswert und nennenswert wirksam sei, was nicht der Fall ist, wie schon lange bekannt ist, und sei es nur, weil mehrfache Folgeimpfungen nicht notwendig wären, wenn die Impfung nennenswert wirksam wäre.

Aber von einem „Ethikrat“ würde man erwarten, dass er mehr leisten kann als seine Desinformation über Fakten in den Ring der allgemeinen Desinformation und Verwirrung zu werfen. Man würde erwarten, dass er sich von moralischen Prinzipien leiten lässt, sie benennnt und aus ihnen ableitet, ob und ggf. wie eine allgemeine Impfpflicht ethisch rechtfertigbar ist.

Aber der sogenannte Deutsche Ethikrat lässt sich nicht von einem moralischen Prinzip leiten und stellt auch nicht dar, wie eine allgemeine Impfpflicht auf der Basis verschiedener, vielleicht konkurrierender moralischer Prinzipien – sei es das Kant’sche Instrumentalisierungsverbot, sei es irgendeine Variante des Utilitarismus, sei es die aristotelische Ethik oder sogar ein in sich widersprüchliches ethisches System wie das ethische „Nicht-System“ bzw. der Situationismus von Fletcher (1966) – zu beurteilen ist.

Wenn überhaupt etwas, dann legt man beim sogenannten Deutschen Ethikrat neben einem Sammelsurium faktisch falscher Behauptungen eigene, spontan formulierte Leitsätze zugrunde, die einigeremaßen eigenwillig sind und deshalb selbst einer solidigen ethischen Begründung bedürften (falls eine solche möglich wäre), so z.B.:

„Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper gilt aber nicht absolut“ (Deutscher Ethikrat 2021: 8).

Wieso nicht? Was, wenn ich dem aufgrund moralischer Prinzipien nicht zustimme?

Oder z.B.:

„Der Deutsche Ethikrat sieht eine grundsätzliche moralische Verpflichtung, durch eine Impfung sich und andere zu schützen“ (Deutscher Ethikrat 2021: 5).

In Ordnung, aber ich nicht, und mir ist keine Moralphilosophie bekannt, aus der sich solches ableiten lassen würde. Und selbst dann, wenn man diese nonchalant dahingeworfene, starke Behauptung spontan akzeptieren wollte: Wenn das ein moralisches Prinzip ist, von dem sich der sogenannte Deutsche Ethikrat im Dezember 2021 leiten ließ, dann muss man festhalten, dass es im Februar desselben Jahres als der sogenannte Deutsche Ethikrat einer Impfpflicht noch eine Absage erteilt hat noch keines war bzw. für den sogenannten Deutschen Ethikrat nicht handlungsleitend war. Wie ernst ist dann aber ein solches, angebliches moralisches Prinzip zu nehmen?!

Gleichzeitig ist die menschliche Freiheit für den sogenannten Deutschen Ethikrat suspendierbar. Nachdem er auf Seite 8 des Papiers die üblichen Lippenbekenntnisse zur „menschlichen Freiheit“ als „fundamental“ „[f]ür unsere Gesellschaft“ „und durch die Verfassung in vielerlei Hinsicht[?] geschützt“ abgelegt hat und festgehalten hat, dass „Freiheit […] jedem Menschen aus sich heraus zu[kommt]“ (Deutscher Ethikrat 2021: 8), wird all dies gleich wieder negiert. Die „Begrenzung von Freiheit“ (Deutscher Ethikrat 2021: 8) durch „gesetzliche[…] Pflichten“ (Deutscher Ethikrat 2021: 8) muss zwar

„… sorgfältig begründet und gegen das hohe Gut der persönlichen Freiheit abgewogen werden. Dies kann im Bewusstsein geschehen, dass die individuelle Freiheit des einen nicht nur an den Grenzen der individuellen Freiheit aller andere endet … Vielmehr verdankt sich die individuelle Freiheit jeder einzelnen Person überhaupt erst im freiheitsermöglichenden bzw. –förderlichen Zusammenleben mit allen anderen. Die Pandemie führt diesen grundsätzlichen Sachverhalt vor Augen: Ein funktionierendes Gemeinwesen, das durch eine solidarische Gesellschaft gewährleistet wird, ist im Falle einer schweren[?!] Erkrankung eine wesentliche Voraussetzung, um individuelle Freiheit zu behalten oder gegebenenfalls wiederzuerlangen. Die Pandemie führt vor Augen, dass unterschiedliche Freiheiten zusammenhängen: die Freiheit, Bildung als essenzielles Gut zu erlangen sowie Kultur, Freizeit etc. umfassend zu genießen, lässt sich nur gewährleisten, solange die Pandemie unter Kontrolle ist. Dasselbe gilt auch für die Freiheit beruflicher Lebensgestaltung für viele Millionen Menschen etwa in Handel, Kultur oder Gastronomie, deren materielle Existenz von der Zugänglichkeit ihrer Angebote abhängig ist.“ (Deutscher Ethikrat 2021: 8).

Das „hohe Gut persönlicher Freiheit“ steht beim sogenannten Deutschen Ethikrat also nicht hoch genug im Kurs, um nicht durch die Wahrnehmung einer „Pandemie“ durch irgendwelche Personen in politischen Ämtern oder irgendwelchen Mitgliedern in irgendeinem „Rat“ ausgesetzt werden zu können. Es ist ja nicht so, dass „die Pandemie“ die Freiheiten beseitigt hätte, die Menschen nun „gegebenenfalls wieder[…]erlangen“ können. Die Menschen haben diese Freiheiten verloren, weil andere Menschen eine „Pandemie“ wahrnehmen, sie auf bestimmte Weise wahrnehmen und sie zum Anlass nehmen, die Freiheitsrechte von Menschen zu beschränken oder zu beseitigen. Der sogenannten Deutsche Ethikrat tut so, als wären diejenigen, die die Freiheitsrechte von Menschen unter Bezug auf die von ihnen auf bestimmte Weise wahrgenommene „Pandemie“ von der „Pandemie“ selbst gezwungen worden, diese Freiheitsrechte zu beseitigen, als hätten sie nicht anders gekonnt. Tatsächlich hätte es ihnen aber vollkommen freigestanden, das „hohe Gut persönlicher Freiheit“, das für „unsere Gesellschaft“ „fundamental“ ist, zu respektieren. Sie taten es nicht, und man muss hieraus schließen, dass es sich bei besagtem „hohen Gut“ eben doch nicht um ein aus moralischen Prinzipien abgeleitetes Gut handelt, sondern es bloß ein Gut ist, das nach Gutdünken einiger Weniger gegeben und genommen werden kann. Die Wiedererlangung von Freiheiten ist dementsprechend allein davon abhängig, ob und wann es diesen Wenigen gefällt, nach ihrem persönlichen Gutdünken Freiheiten zu gestatten – oder nicht.

Freiheit kommt nach dem sogenannten Deutschen Ethikrat also eben nicht jedem Menschen aus sich heraus zu, sondern sie kommt ihm zu, wenn andere Leute sie ihm aufgrund ihrer Wahrnehmung und Bewertung irgendwelcher situativer Bedingungen oder nur ihrer (Macht-/)Lust und Laune zukommen lassen.

Und das wäre die Frage, die eine ethische Beurteilung der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht zu behandeln hätte: Ist es überhaupt ethisch rechtfertigbar, dass ein Staat die Menschen in diesem Staat einer allgemeinen durch Erpressungs-/Zwangsmaßnahmen durchzusetzende Verpflichtung zu einem bestimmten Handeln unterwirft, das Teile dieser Menschen nicht ausführen wollen, das also ihren persönlichen Willen bricht, und außerdem ihre körperliche Integrität verletzt, und falls ja, unter welchen speziellen Umständen?

Hier sei eine kurze Bemerkung eingefügt zum neuerdings häufiger anzutreffenden Versuch, eine feine Unterscheidung zwischen Erpressung bzw. „Anreize-Setzen“ und Zwang herbeizudefinieren:

„Coercion between a state and its citizens can be understood in two ways. The first is direct cohesion, which means that coercion happens when the state officials directly coerce citizens to perform (or not perform) some acts. If citizens refuse to obey the command of state officials, they will be punished by enforcement agencies and suffer from the loss of wealth as well as certain degree of personal freedom. An example is the law that prohibits rape. If a rapist breaches the law, the police will arrest him and the judge will sentence him to jail. The second is structural coercion, which means that coercion occurs when the state coerces citizens to accept a particular basic structure …” (Wong 2020: 238).

Die Androhung von Strafen bei Nichtbefolgung bestimmter Handlungsgebote oder –verbote, die der Staat den Staatsbürgern auferlegt, wird üblicherweise als Zwang und hier explizit als direkter Zwang bezeichnet. Dass es interessierte Parteien gibt, die dieses staatliche Verhalten gerne anders bezeichnen möchten, steht außer Frage ….

Zurück zu unserem Thema:

Die ethische Frage, um die es im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Impfpflicht geht, ist also die Frage danach, wo die Grenzen staatlicher Verfügungsgewalt über Staatsbürger liegen, und nicht die Frage danach, wie man meint, dass sich andere Leute zu verhalten hätten, oder was ein politischer Akteur meint, dass für andere Menschen das richtige sei und wie er diese Vorstellung durchsetzen kann. Es ist deshalb ganz und gar irrelevant, ob der sogenannte Deutsche Ethikrat oder sonst jemand „…eine grundsätzliche moralische Verpflichtung, durch eine Impfung sich und andere zu schützen“ sieht oder nicht. Relevant ist, ob es ethisch gerechtfertigt werden kann, wenn eine Staatsregierung ihre Wahrnehmung und Interpretation einer Situation zur Grundlage für Zwangsmaßnahmen wie eine allgemeine Impfpflicht macht. Dem sogenannten Deutschen Ethikrat geht es doch angeblich um die „Frage einer allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht“, wie im Titel seines Papiers steht, und eben nicht darum, ob oder unter welchen Umständen sich ein Mensch impfen lassen soll oder nicht. Der sogenannte Deutsche Ethikrat hat also sein Thema vollständig verfeht.

Ob dies absichtlich getan wurde oder aus Unkenntnis, muss dahingestellt bleiben. Festgehalten werden kann aber, dass sich Philosophen der Frage nach den Grenzen staatlicher Verfügungsgewalt über Staatsbürger durchaus gewidmet haben. Zum Beispiel überlegt John Stanton (2006), der zur Stanford Encyclopedia of Philosophy einen Beitrag mit dem Titel „The Limits of Law“ beigesteuert hat, auf der Basis der Rezeption der Kant’schen Ethik durch Thomas Nagel, ob es grundsätzlich notwendig sei, dass eine Person, die einem Gesetz oder einer staatlichen Maßnahme unterworfen werden soll, ihre explizite Zustimmung dafür geben muss. John Stanton argumentiert, dass dies nicht der Fall sei, dass es aber der Fall sei, dass

„… the law should not use controversial premises about the good in order to make law” (Stanton 2006: 8),

dass die Grundlage für Gesetze oder staatliche Maßnahmen also nicht auf kontroversen Prämissen bzw. nicht auf in nennenswerter Weise umstrittenen Voraussetzungen beruhen sollte.

So „geht“ Ethik. Beim sogenannten Deutschen Ethikrat weiß man anscheinend sehr, sehr wenig von Ethik.

Sein Papier besteht bestenfalls aus einer Aneinanderreihung dahingeworfener Floskeln, schlechtestensfalls aus einem durchsichtigen Versuch, staatliche Maßnahmen mit einer ethischen Schein-Legitimation zu versehen. Das sollte bereits im Zusammenhang mit der obigen Darstellung seiner Aussagen u.a. zur suspendierbaren Freiheit erkennbar geworden sein, aber erst die Lektüre des gesamten Papiers macht dies auf eindringliche Weise deutlich.

Das „Strickmuster“, nach dem der sogenannte Deutsche Ethikrat verfährt, ist dabei immer dasselbe: unter einer bestimmten Überschrift werden „ethische Grundsätze“ (Deutscher Ethikrat 2021: 8) benannt, die allerdings keine sind, sondern westliche Werte wie z.B. Freiheit oder Gerechtigkeit. Zuerst wird ihre Wichtigkeit beteuert, dann werden sie eingeschränkt oder uminterpretiert. Über „Selbstbestimmung über den eigenen Körper“ (auf Seite 8) heißt es z.B.:

„Aus der Freiheit folgt unmittelbar die Selbstbestimmung. Sie gilt in besonderem Maße über den eigenen Körper. Auf den Körper bezogene bzw. körperliche Selbstbestimmung fordert, dass in der Regel[!] alle körperlichen (darunter medizinische Eingriffe] einer informierten, freiwilligen Zustimmung bedürfen. Gerade in Deutschland, …

bla, bla, bla, und die Negierung all dessen folgt auf den Fuß:

„Das Recht auf Selbstbestimung über den eigenen Körper gilt allerdings nicht absolut. Die eigene Fahrlässigkeit, Unvernunft oder auch besonders riskantes Verhaltens darf nicht dazu führen, andere möglicherweise substanziell zu schädigen“ (Deutscher Ethikrat 2021: 9).

Akzeptieren wir dies probeweise und rekonstruieren wir als moralisches Prinzip, das der Deutsche Ethikrat hier bemüht, die Vermeidung der Möglichkeit einer substanziellen Schädigung anderer Menschen durch eigene Fahrlässigkeit, Unvernunft oder besonders riskantes Verhalten. Wenn das moralische Prinzip als solches Geltung haben soll, dann kann es nicht nur auf die Frage nach der Selbstbestimmung über den eigenen Körper bezogen werden. Als moralisches Prinzip muss es immer (oder fast immer, unter Angabe relativierender Kriterien) gelten. Hätte der sogenannte Deutsche Ethikrat nicht sein Thema verfehlt oder verfehlen wollen oder müssen, wäre also zu diskutieren gewesen, ob es ethisch gerechtfertigt werden kann, wenn der Staat den Menschen im Staat die Pflicht auferlegt, sich auf bestimmte Weise und gegen ihren eigenen Willen zu verhalten, und die entsprechende Pflichtsetzung auf der Unvernunft des Staates und eines staatlichen riskanten Verhaltens basiert – wie im Fall der Einführung der Impfpflicht gegen Covid-19.

Und daran, dass der Staat sich mit einer allgemeinen Impfpflicht gegen Covid-19 unvernünftig verhält, kann es aufgrund vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse keinen Zweifel geben. Vor allem verhält er sich aber fahrlässig bzw. sehr riskant, wenn er eine allgemeine Impflicht einführt, mit Bezug auf die Unterdrückung natürlicher Immunität der Menschen im Staat, mit Bezug auf für die Betroffenen u.U. langfristigen und schweren Nebenwirkungen der Impfstoffe und mit Bezug auf die psychische Gesundheit der Menschen, die zum vom Staat erwünschten Handeln erpresst bzw. gezwungen werden sollen.

Zu behaupten, dass dies alles nicht häufig oder nicht schwerwiegend sei, wäre nicht nur empirisch falsch, sondern und vor allem irrelevant, denn das moralische Prinzip, das der sogenannte Deutsche Ethikrat hier anscheinend bemühen will, ist ja das der Möglichkeit einer substanziellen Schädigung anderer Menschen durch eigene Fahrlässigkeit, Unvernunft oder besonders riskantes Verhalten, wie das „möglicherweise“ im oben stehenden Zitat anzeigt. Es ist also gar nicht notwendig, empirisch zu argumentieren – über die schlichte Feststellung hinaus, dass die genannten Schädigungen nicht nur „möglich“ sind, sondern in Form der Unterdrückung der natürlichen Immunität der Menschen und schwerwiegender gesundheitlicher Schäden von Geimpften durch die Impfung in der Realität bereits beobachtet wurden.

Wie wäre mit dem Fall umzugehen, dass eine Staatsregierung fahrlässig und unvernünftig, aber in guter Absicht, handelt? Rechtfertigt die gute Absicht (auch?) die fahrlässige oder unvernünftige Handlung? Die meisten Moralphilosophen verneinen dies eindeutig. So ist der bekannte Ethiker Peter Singer der Meinung, dass

„[w]e cannot avoid responsibility simply by directing our intention to one effect rather than another. If we foresee both effects, we must take responsibility for the foreseen effects of what we do” (Singer 2011: 183),

d.h., dass wir Verantwortung nicht einfach aus dem Weg gehen können, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf einen Effekt, z.B. einen Impfschutz vor Covid-19 von wenigen Monaten,  lenken statt auf einen anderen, wie z.B. die alles andere als seltenen Nebenwirkungen der Impfung, darunter viele schwerwiegende und langfristige Nebenwirkungen.

Ein Staat, der eine allgemeine Impfpflicht einführt und in guter Absicht handelt, muss nach Singer also Sorge dafür tragen, dass er von den zu erwartenden Effekten der Impfung so umfassend und so angemessen wie möglich unterrichtet ist. In jedem Fall muss er die Verantwortng für diese Effekte tragen. Nicht-Wissen und schon gar nicht Nicht-Wissen-Wollen entbinden ihn nicht von seiner Verantwortung für die Folgen seiner Handlungen (aber Nicht-Wissen-Können schon).

Der sogenannte Deutsche Ethikrat widmet sich der Frage nach der Verantwortung des Staates für die Folgen einer allgemeinen Impfpflicht aber überhaupt nicht. So findet sich z.B. kein Wort zur praktisch relevanten Frage, wie die Schadensersatzleistungen des Staates aufgrund seiner Einführung einer Impfpflicht gegen Covid-19 im Fall von schweren Nebenwirkungen der Impfung aussehen müssen oder sollen. Und er fragt auch nicht, ob es ethisch vertretbar ist, dass die politischen Akteure die Kosten, die aufgrund ihrer ggf. fahrlässigen oder unvernünftigen Entscheidung entstehen, umstandslos auf die Steuerzahler abwälzen können, statt – zumindest zum Teil – persönlich für sie aufkommen zu müssen (Stichwort: „skin in the game“, s. z.B. Nassim N. Taleb 2018).

Tatsächlich gibt es im Papier des sogenannten Deutschen Ethikrates einen kurzen Abschnitt, in dem auf „Folgenverantwortung“ eingegangen wird (auf den Seiten 10, unten bis 11), aber in diesem Zusammenhang nennen die Ethik-„Spezialisten“ nur eine

„… mögliche (weitere)[!] Radikalisierung von Teilen der Gruppe impfunwilliger oder impfkeptischer Menschen …“ (Deutscher Ethikrat 2021: 11),

ohne an irgendeiner Stelle auf die  Gefahr möglicher weiterer Radikalisierung der mit staatlichem Dominanzstreben verbundenen und angeblich durch Covid-19 “notwendig” gemachten Maßnahmen hinzuweisen, obwohl ein solches Argument, gemeinhin unter der Bezeichnung, “slippery slope”-Argument, häufig vorkommt (s. z.B. Dimmock und Fisher 2017: 133 mit Bezug auf Euthanasie), und das mit “Normalisierung” bislang fragwürdiger Behauptungen oder Handlungen auch außerhalb der Ethik häufig angesprochen wird,

und – in beklemmend paternalistischer Manier –

„… Effekte, die durch das Unterlassen eines entschiedenen Handelns große Teile der Bevölkerung betreffen können“ (Deutscher Ethikrat 2021: 11).

Und dies erwähnt der Deutsche Ethikrat auch nur, um sich diesbezüglich für unzuständig zu erklären:

„Solche Abwägungen gehen über rein ethische Beurteilung hinaus, weil sie in hohem Maße von einer Einschätzung der gegebenen politischen Lage abhängen …“ (Deutscher Ethikrat 2021: 11).

Seltsamerweise hat sich kein ähnlicher Gedanke eingestellt, als der sogenannte Deutsche Ethikrat ganze Seiten im kurzen Papier auf die Darstellung seine Einschätzung der „gegebenen … Lage“ mit Bezug auf den Stand der Pandemie und der Eigenschaften und der Notwendigkeit einer Impfung gegen Covid-19 verschwendet hat.

Der Eindruck, dass der sogenannte Deutsche Ethikrat, statt  ethische Überlegungen anzustellen, lediglich versucht hat, eine allgmeine Impfpflicht durch und für den Staat zu legitimieren, ist schwerlich abweisbar: Die „ethischen“ „Überlegungen“, die im Papier abgedruckt sind, beziehen sich darauf, wie sich Bürger verhalten und wie sich sich verhalten sollten und auf Möglichkeiten der Rechtfertigung einer allgemeinen Impfpflicht als eine Art staatlicher Notwehr gegen die vermeintliche Uneinsichtigkeit, Fahrlässigkeit etc. auf Seiten der Bürger. Eine allgemeine Impfpflicht wird als vielleicht bedauerliche staatliche Maßnahme, nein, als eine Form „entschiedenen Handelns“ hingestellt, zu dem die „Pandemie“ den Staat sozusagen gezwungen hat, weil sich Bürger erdreisten, sich ein eigenes Urteil zu bilden über den Zustand und die Entwicklung der „Pandemie“ und über den effektiven oder ethisch legitimierbaren Umgang mit der Gesundheit bzw. der körperlichen Integrität eines Menschen – und sich erdreisten, sich ihrer eigenen Urteilskraft gemäß für oder gegen bestimmte Handlungen zu entscheiden.

Dies alles ergibt nur einigermaßen Sinn im Rahmen einer anti-individualistischen, kollektivistischen Ideologie. Im Papier werden an Werte wie „Freiheit“ und „Gerechtigkeit“ Versatzstücke kollektivistischer Ideologie wie „Solidarität“ und „Nachhaltigkeit“ gereiht, um an die Stelle moralischer Prinzipien, die sich als solche immer darauf beziehen, wie man anderen Menschen gegenüber handeln soll, Floskeln zu setzen, um vom Menschen zu abstrahieren bzw. an seine Stelle ein vorgestelltes Kollektiv zu setzen. Und erst auf der Basis der Vorstellung vom „Kollektiv“ ist es möglich, sich gegen alle Menschen gleichermaßen, d.h. gegen jeden einzelnen Menschen, zu vergehen, indem Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen oder Interessen gegeneinander ausgespielt werden. Das bedeutet aber notwendigerweise die Absage an jedwede Version moralischer Prinzipien bzw. an die Idee ethischen Handelns überhaupt: Wer meint, dass es ein „Kollektiv“ gebe, in dessen Interesse er – vielleicht per göttlichem Autrag – befugt sei, zu handeln, für den ist es prinzipiell eine verfehlte Frage, wie er sich anderen Menschen gegenüber verhalten soll; wann immer eine solche Person auf einen Menschen trifft, ist er „bloß“ ein Einzelmensch und als solcher irrelevant, relevant ist „das Kollektiv“. (Dieselbe kollektivistische Ideologie lassen übrigens Leute erkennen, die meinen, dass etwas „repräsentativ“ sein müsse, um wahr oder relevant zu sein.) Und dementsprechend kann er jeden einzelnen Menschen beliebig gegen jeden anderen ausspielen, immer und gleichermaßen bei allen mit Verweis auf Wünsche, Nutzen oder Interessen „des Kollektivs“, die sich den Wünschen, Nutzen oder Interessen benennbarer, real existierender Menschen gewöhnlich gegensätzlich verhalten. Und in den Fällen, in denen sie es nicht tun, dürfte das ein zufälliger Gleichklang sein, denn das „Kollektiv“ wird ja immer dann bemüht, wenn man dabei ist, realen Menschen Verletzungen irgendeiner Art beizubringen, während es ganz und gar unerwähnt bleibt, wenn dem Aggregat der Meinungen und Interessen real existierender Menschen Rechnung zu tragen wäre. Aber jeder Mensch handelt jedem einzelnen anderen gegenüber, auch dann, wenn er diese Menschen zu einem Plural zusammenfasst. Sein Handeln betrifft niemals ein „Kollektiv“, sondern immer jeden einzelnen in einer Menge von Menschen. Deshalb sind Versuche, im Zusammenhang mit ethischen Fragen (oder übrigens in irgendeinem anderen Zusammenhang) mit einem „Kollektiv“-Interesse zu argumentieren, prinzipiell fehl am Platze.

Genau das versucht der sogenannte Deutsche Ethikrat aber, wenn er nicht nur fälschlicherweise behauptet, dass Einweisungen in Krankenhäuser aufgrund von Symptomen von Covid-19 Resultate von Ansteckungen der Eingewiesenen bei nicht gegen Covid-19 Geimpften seien, in der Formulierung des sogenannten Deutschen Ethikrates:

„… wenn die Wahrnehmung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit in Form von Entscheidungen gegen eine Impfung zu kollektiven [sachlich korrekt müsste es heißen: aggregierten!] Effekten der Überlastung von Krankenhäusern und Intensivstationen führt“ (Deutscher Ethikrat 2021: 8),

sondern außerdem meint, dass dies im vorliegenden Zusammenhang ein ethisch relevantes Argument sei.

Warum nicht? Weil das Argument vorgebracht wurde, weil es gefällt bzw. zur Intention passt, aber nicht, weil es aus einem moralischen Prinzip abgeleitet wäre. Wäre das der Fall, würden wir also probeweise das moralische Prinzip akzeptieren, nach dem jeder dazu verpflichtet sei, seine Freiheitsrechte abzutreten, wenn sein Verhalten zu einer Überlastung von Krankenhäusern – und Intensivstationen zu führen droht, dann müsste es u.a. Menschen verboten sein, sportliche Aktivitäten auszuüben, bei denen sie sich Sportverletzungen wie z.B. gebrochene Beine zufügen können, und ihre Fenster zu putzen, weil das die Wahrscheinlichkeit von Stürzen von Leitern erhöht, wobei man sich ebenfalls Glieder brechen kann, und beides kann zu einer Überlastung von Krankenhäusern (und vielleicht sogar Intensivstationen) führen – wie fast jede menschliche Lebensäußerung in Form physischer Aktivität das Risiko in sich birgt, zu einer Überlastung von Krankenhäusern zu führen bzw. beizutragen. Selbst dann, wenn man einräumen wollte, dass Fenster-Putzen notwendig sei, so ließe sich schwerlich argumentieren, warum Fahrrad-Fahren oder Skilaufen etc. nur zum Spaß oder um die “Fitness” zu erhöhen, ethisch rechtfertigbar sein sollte, aber es nicht ethisch rechtfertigbar sein sollte, wenn sich jemand aus vergleichsweise guten Gründen nicht impfen lassen möchte. Dem sogenannten Ethikrat geht es offensichtlich nicht um moralische Prinzipien oder das, was daraus abzuleiten wäre, sondern darum, nicht gegen Covid-19 geimpfte Personen als Sündenböcke für verfehlte staatliche Politik einzusetzen. Das ist – dies festzuhalten sei mir ohne systematische Ableitung aus moralischen Prinzipien bittte erlaubt – einfach nur schäbig.

Die Trickkiste der kollektivistischen Ideologie sieht vor, jeden auf jeden zu verpflichten, damit jedem durch Verweis auf irgendjemand anderen jede Lebensäußerung eingeschränkt oder gänzlich untersagt werden kann, während der paternalistische Staat aufgebaut wird zum Träger „of the white man’s burden“, der keinerlei eigene Interessen verfolgt, sondern als „guter“, „weiser“ pater civitas dafür sorgt, dass alle bekommen, was er meint, dass sie haben sollten. Eine solche Auffassung, nach der eine „gute“ Gesellschaft das Ergebnis eines sozialtechnologischen Eingriffs durch den „guten“ Staat ist, ist als solche nicht ethisch zu rechtfertigen, und es wäre einen eigenständigen Text wert, dies sozusagen herauf und herunter zu argumentieren, bis auch dem letzten Kollektivisten sein lebensflüchtiger Traum zum Alptraum gerät.

Hier kann abschließend nur festgehalten werden, dass dem, was der sogenannte Deutsche Ethikrat öffentlich präsentiert, kein moralisches Prinzip zugrundeliegt. Er gibt keines an und aus den Ausführungen ist auch keine Systematik erkennbar, aufgrund derer man ein zugrundegelegtes moralisches Prinzip rekonstruieren könnte. Man muss vielmehr vermuten, dass den Äußerungen des sogenannten Deutschen Ethikrates die Absicht zugrundeliegt, eine bestimmte staatliche Politik und eine kollektivistische Ideologie, der diese staatliche Politik verbunden ist, durch Problematisierung des Verhaltens einer bestimmten Gruppe von Menschen, eben derer, die sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen, Legitimität zu verschaffen.

Dafür, dass dies so ist, spricht auch, dass der sogenannte Deutsche Ethikrat in seinem Papier der Präsentation der „[r]elevanten ethischen Grundsätze[…]“, die auf Seite 8 beginnt, „[v]erfassungsrechtliche Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit“ einer allgemeinen Impfpflicht auf den Seiten 5 bis 7 voranstellt. Für staatliche Akteure ist es zweifellos von Bedeutung, ob sich ihre geplanten Maßnahmen überhaupt noch auf dem Boden der Verfassung befinden (und sei es nur, weil sie es verhindern möchten, sich mit Verfassungsklagen konfroniert zu sehen), aber für die ethische Beurteilung einer allgemeinen Impfpflicht ist die Frage irrelevant, weil das, was legal ist, nicht notwendigerweise moralisch bzw. ethisch vertretbar ist, und umgekehrt, was ethisch vertretbar ist, nicht notwendigerweise legal ist. Moralität und Legalität sind zwei getrennte Bereiche. Dementsprechend kann man eine Regelung oder Entscheidung auf ihre Moralität oder auf ihre Legalität oder auf beides hin getrennt betrachten, aber es gibt keinen intrinsischen Zusammenhang zwischen der Moralität und der Legalität einer Regelung oder Entscheidung, auch dann nicht, wenn man ein Parlament, das durch eine Wahl, die alle vier Jahre stattfindet, aus Parteilisten heraus zusammengesetzt wird, ernsthaft als “demokratisch legitimierten Gesetzgeber” (Deutscher Ethikrat 2021: 6) bezeichnen möchte.

„Therefore, in discussions about ethics do be wary of talking about legal issues” (2017: 5),

wie die 16- bis 19-jährigen britischen A-level-Schüler in ihrem Lehrbuch lernen, aber die Mitglieder des sogenannten Deutschen Ethikrates anscheinend noch nicht gelernt haben (oder davon gehört, aber es nicht verstanden haben).

Möglichweise tue ich dem sogenannten Deutschen Ethikrat diesbezüglich Unrecht, und der Punkt “Vereinbarkeit einer allgemeinen Impfpflicht mit dem Grundgesetz” ist ihm vom Auftraggeber zur Behandlung vorgegeben worden. Die Bundesregierung bzw. ihre Ministerien geben gewöhnlich vor, was sie in “Expertisen”, “Stellungnahmen”, “Orientierungshilfen” etc. etc. behandelt haben wollen, und schließen damit von vornherein Dinge aus, die sie tunlichst nicht behandelt haben bzw. hören wollen. Ich wurde selbst vor einigen Jahren gebeten, mich um eine Expertise, die die Bundesregierung gerne erstellt haben wollte, “zu bewerben” – Bewerbungen müssen geschrieben werden, um die Form zu wahren, – und als ich nähere Informationen anfragte, wurde mir eine Art Inhaltsverzeichnis vorgegeben, das ich füllen sollte und mit meinem Namen (per Fehlschluss ad auctoritatem) zu legitimieren helfen sollte. (Ich habe aus Gründen der persönlichen Integrität das “nette” Angebot abgelehnt, versteht sich.)

Was auch immer den sogenannten Deutschen Ethikrat bzw. die 20 Mitglieder, die die „Empfehlung“ zur allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht abgegeben haben, dazu bewogen haben mag, dies zu tun bzw. ein Papier dieser Qualität zu verfassen und zu veröffentlichen – irgendeine Erklärung muss es haben.

„All actions have some explanation or other, but not all can be morally justified“ (Driver 2007: 9),

darunter m.E. die Empfehlung einer allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht und Präsentation eines Papiers diesen Inhaltes und dieser Qualität als eine „ethische Orientierung“.


Literatur:

Deutscher Ethikrat, 2021: Ethische Orientierung zur Frage einer allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht: Ad-hoc-Empfehlung. Berlin: Deutscher Ethikrat.

Dimmock, Mark, & Fisher, Andrew, 2017: Ethics for A-Level: For AQA Philosophy and OCR Religious Studies. Cambridge: Open Book Publishers.

Driver, Julia, 2007: Ethics: The Fundamentals. Malden: Blackwell Publishing.

Kant, Immanuel, 1906[1785]: Immanuel Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, herausgegeben und mit Einleitung sowie einem Personen- und Sachregister versehen von Karl Vorländer. (Dritte Auflage.) Leipzig: Verlag der Dürr’schen Buchhandlung.

Nagel, Thomas, 1991: Equality and Partiality. Oxford: Oxford University Press.

Singer, Peter, 2011[1979]: Practical Ethics. Cambridge: Cambridge University Press.

Stanton, John, 2006: The Limits of Law. The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2016 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = <https://plato.stanford.edu/archives/win2016/entries/law-limits/&gt;.

Taleb, Nassim N., 2018: Skin in the Game: Hidden Asymmetries in Daily Life. London: Penguin.

Wong, Baldwin, 2020: Public Reason and Structural Coercion: In Defense of the Coercion Account as the Ground of Public Reason. Social Theory and Practice 46(1): 231-255.



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