Zu Ostern über Ostern: Die tierbezogene Ikonographie und der “doppelte” Charakter des Osterfestes

Ostern hat in Deutschland ebenso wie in anderen mitteleuropäischen Ländern inklusive dem Vereinigten Königreich einen sozusagen doppelten Charakter: Einerseits ist es das christliche Fest der Auferstehung Jesu nach seiner Hinrichtung durch die römischen Soldaten am Kreuz; andererseits ist es ein Frühlings- und Fruchtbarkeitsfest, wie seine reiche tierbezogene Ikonographie, insbesondere mit Bezug auf Hasen oder Kaninchen, aber auch Hühner oder Schafe in ihrer „Kinder“-Form, also Küken oder Lämmer, nahezulegen scheint.

Dieser zuletzt genannte Aspekt des Osterfestes wird oft mit vor-christlichen Religionen in Verbindung gebracht, deren Feste – so die Erzählung – von der christlichen Kirche absichtlich mit christlichen Inhalten überlagert wurde, so dass früher „heidnische“ Feste zu christlichen Festen umfunktioniert wurden. Diese Erzählung basiert auf ein paar Indizien und vielen Assoziationen; tatsächlich ist sehr wenig darüber bekannt, woher der anscheinend doppelte Charakter unseres Osterfestes kommt.

Oder hat es überhaupt keinen doppelten Charakter?

In einem Text, der bereits im Jahr 2018 erschienen ist, hat sich eine Gruppe von Autoren (Lauritsen et al. 2018) dieser Frage mit Bezug auf das Vereinigte Königreich gewidmet. Lauritsen et al. stellen fest, dass einer der frühesten Belege für die Existenz von Ostern in einem Text von Bede mit dem Titel „On the Reckoning of Time“ aus dem frühen achten Jahrhundert stammt. Bede leitet den Namen „easter“ (Ostern) von dem Namen eines Monats im Mondkalender der Angelsachsen, die die Britische Insel ab dem 5. Jahrhundert n.Chr. besiedelt haben, ab und bemerkt, dass in diesem Monat (etwas im April) ein Fest für die Göttin Eostre gefeiert wurde, aber Bede stellt keinen Zusammenhang zwischen dem Datum des Festes für Eostre und dem Osterfest her, und es gibt keine Belege dafür, dass die Göttin Eostre irgend etwas mit Hasen oder Kaninchen zu tun gehabt hätte (Lauritsen et al. 2018: 287).

Crummy vertritt die These, dass es in der keltischen Volksreligion eine Hasen-Göttin gegeben habe, die eher im Süden und Osten der Britischen Insel verehrt worden sei, in dem Gebiet, in dem Artefakte aus dem Neolithikum, die ein Hasen-Motiv tragen besonders häufig zu finden sind, und in dem es bis heute Ortsnamen gibt, die Elemente des Altenglischen enthalten, die ihrerseits etymologisch mit dem Namen von Eostre verbunden werden können, so z.B. Eastrington in Yorkshire und Eastry in Kent (Lauritsen et al. 2008: 290 mit Verweis auf Shaw (2011). Wem das hinreichend überzeugend vorkommt, der möge sich vergegenwärtigen, dass heutzutage im Damenschmuck überall Mond-, Stern-, Sonnen-, und Tiermotive anzutreffen sind, ohne dass wir den Mond, die Sterne, die Sonne oder die jeweiligen Tiere als Götter verehren oder als Symbole bestimmter Götter ansehen. Wir finden sie einfach nur schön, und die Hersteller von Schmuck finden, dass sich diese Motive in abstrahierter Form für den Herstellungsprozess in bestimmter Weise eigenen, in der sich andere Motive nicht eignen. Nichts spricht dafür, dass dies bei unseren Vorfahren anders gewesen ist oder gar sein muss.

Lauritsen et al. halten jedenfalls fest:

„Little is known about what sort of role Eostre might have played in the minds of the pre-Christian population, with Shaw arguing she was probably a tutelary deity for specific socio-political groups rather than a goddess ‘of’ a specific portfolio such as fertility or hares … (Lauritsen et al. 2018: 287-288).

Sollte der Hase eine besondere Bedeutung in einem vor-christlichen Fest gehabt haben, so könnte ein solches Fest auch ebenso gut ein Fest der Menschen in der späten Eisenzeit oder in der späten römischen Periode auf der Britischen Insel gewesen sein wie ein Fest einer angelsächsischen Göttin, denn aus diesen Zeiträumen ist eine deutliche Zunahme von Hasen-Darstellungen auf verschiedenen Arten von Artefakten zu verzeichnen (Lauritsen et al. 2018: 288; 290).

Gegen beide Möglichkeiten – die Herleitung der besonderen Wichtigkeit von Hasen für das Osterfest vom Fest der Göttin Eostre und die Herleitung aus der späten Eisenzeit bzw. der keltischen Periode oder der spätrömischen Periode – spricht die Tatsache, dass die früheste Erwähnung des Osterhasen („Easter hare“) in Europa erst im Jahr 1682 in Georg Franck von Franckenau’s “De Ovis Paschalibus“ (“Ostereier betreffend”/”Über Ostereier”) zu finden ist. In diesem Text haben wir es schon mit einer weitentwickelten Form des „tierischen“ Elementes des Osterfestes zu tun, denn dort beschreibt von Franckenau eine bereits vorhandene Tradition des Ostereier-Suchens (nach echten Hühnereiern, nicht in Form von Schokoladeneiern) in Heidelberg und umliegenden protestantischen Gebieten (Lauritsen et al. 2018: 288).

Wenn dem (Oster-/)Hasen bereits in vorchristlicher Zeit eine große Bedeutung zugekommen wäre, vielleicht als Symbol der Fruchtbarkeit, dann wäre es einigermaßen erstaunlich, dass in all den Jahrhunderten, die zwischen der späten Eisenzeit, der spätrömischen Zeit oder der Zeit der angelsächsischen Besiedlung der Britischen Insel und dem 17. Jahrhundert liegen, keine Erwähnung des (Oster-) Hasen zu finden ist.

Und es würde nicht erklären, warum der Osterhase Hühnereier bringt und das Osterlamm sich als „Baby-Schaf“ neben dem Küken als „Baby-Huhn“ zwar in die Oster-Ikonographie einfügt, aber gewöhnlich nicht als Symbol für Fruchtbarkeit angesehen wird, sondern als Allegorie auf das Opfer Jesu. Möglicherweise hat die österliche Tier-Ikonographie gar nichts mit vorchristlichen Traditionen, seien es religiöse oder säkulare Traditionen, zu tun, sondern ist ein Ergebnis des Versuches, christliche Konzepte durch Motive abzubilden, die die Menschen in ihrer Lebenswelt bis zum Ende des Mittelalters (und stellenweise darüber hinaus) umgaben. Diesbezüglich mag daran erinnert sein, dass im Mittelalter das Dreihasenbild ein weit verbreitetes Symbol für die Dreifaltigkeit gewesen ist und als solches z.B. im sogenannten Dreihasen-Fenster im Kreuzgang des Paderborner Doms zu finden ist (Reschika 2011: 65).

GFDL, Cc-by-3.0,2.5,2.0,1.0; Zefram

Auch Küken und Eier können aus christlicher Perspektive heraus als wichtige Symbole verstanden werden. Z.B. kann das Küken, das sich aus der Eierschale herausbricht, mit Jesus, der aus seinem Grab heraustritt, in Verbindung gebracht werden. Das Ei kann seine österlich-christliche symbolische Bedeutung dadurch erhalten haben, dass während der vierzigtätigen Fastenzeit vor Ostern der Verzehr nicht nur von Fleisch, sondern auch von Ei- und Milchspeisen, verboten war (von Neveu 1841: 145), ein Verbot, das bereits im Kanon 56 des Konzils in Trullo aus dem Jahr 692 enthalten ist. Der Verzehr von Eiern an Ostern kann daher ein ritueller Verzehr (gewesen) sein, der die Beendigung der Fastenzeit mit dem freudigen Ereignis der Auferstehung Jesu markierte. Sogar Oberle, der explizit auf der Suche nach Resten „germanischen Heidentums im Christentum“ (1883) war, hat spekuliert:

„Vielleicht gehen die Ostereier auch nicht einmal bis ins Heidentum zurück; denn mit Ostern hören die Fasten auf, und da ist es altüblich, am Osterabend Eier und Fleisch in der Küche zu weihen“ (Oberle 1883: 105).

Es mag auch sein, dass das Küken für den Christen steht, der seinerseits unter dem Schutz Jesu oder der christlichen Kirche steht, eben wie das Küken unter dem Schutz seiner Mutter, der Henne. Das klingt zugegebenermaßen wie eine ziemlich willkürlich hergestellte Assoziation, aber sie könnte sich auf die Bibel stützen insofern von Jesus in der Bibel, genau: Matthäus 23: 27, berichtet wird, er habe

„… sinnigen Blicks beobachtet, wie die Henne ihre Kücklein sammelt bei drohender Gefahr“ (zitiert nach Schenkel 1871: 148).

Und in Lukas 13:34 heißt es:

„Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigest, die zu dir gesandt werden, wie oft habe ich wollen deine Kinder versammeln, wie eine Henne ihr Nest unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt!“

Wenn die Henne, die ihre Küken „unter ihre Flügel“ nimmt, am sicheren Ort des Nestes, ein Sinnbild für den Versuch Jesu ist, die Menschen Gott bzw. der Kirche und damit dem für sie sicheren Ort (wieder) zuzuführen, dann würden die Küken an Ostern die (Wieder-/)Erlangung des „sicheren Ortes“ in Jesus bzw. seinem Vater, Gott, symbolisieren.

Es scheint also, dass es nicht notwendig ist, in der österlichen Tier-Ikonographie eine vorchristliche Komponente zu sehen. Speziell die Idee, dass der Osterhase mit einer vor-christlichen Göttin verbunden gewesen sei, hat anscheinend erst Jacob Grimm in seiner „Deutsche[n] Mythologie“ aus dem Jahr 1835 aufgebracht. Lauritsen et al. schreiben diesbezüglich:

“It was Jacob Grimm who then connected the Easter hare with the goddess, suggesting in his (1835) Deutsche Mythologie, that the hare was probably sacred to Ostara (a putative cognate of the Anglo-Saxon Eostre invented by Grimm). Since then, the association has been repeated and recited to the point that it is considered fact by some … but dismissed by others … (Lauritsen et al. 2018: 288).

Dies alles zeigt (einmal mehr), dass kulturelle Phänomene komplexe Phänomene sind, die nicht einfach auf „die“ bzw. „die eine“ Ursache oder “das eine” Motiv zurückgeführt werden können.

“… understanding the entirety of any cultural phenomenon (such as Christmas or Easter) is beyond any single individual or discipline” (Lauritsen et al. 2018: 295).

Als kulturelle Phänomene werden sie von den Sinnstiftungen getragen, die die Menschen an sie herantragen oder mit ihnen verbinden. Vielleicht kann man vor diesem Hintergrund sagen, dass das einzige „falsch“ verstandene Osterfest ein sinnfreies Ostern bzw. ist, eines, das eine Reihe von freien Tagen bezeichnet – und nicht mehr und nichts anderes.

Wir wünschen unseren Lesern daher allen schöne, erholsame freie Tage, aber vor allem ein Osterfest,

mit dem sie einen Sinn verbinden.


Literatur:

Lauritsen, Malene, Allen, Richard, Alves, Joel M., et al., 2018: Celebrating Easter, Christmas and Their Associated Alien Fauna. World Archaeology 50(2): 285-299.

Neveu, Franz Xaver, von, 1841: Katechismus oder Erklärung der christlichen Lehre zum Gebrauche des Bisthums Basel, dem gleichlautend, welchen der letztverstorbene Fürst-Bischof vor mehreren Jahren in französischer Sprache hat ausgehen lassen. Luzern: Räber.

Oberle, K A., 1883: Überreste germanischen Heidentums im Christentum: oder, Die Wochentage, Monate und christlichen Feste etymologisch, mythologisch, symbolisch und historisch erklärt. Baden-Baden: Verlag von Emil Sommermeyer.

Reschika, Richard, 2011: Christentum: 50 Fragen – 50 Antworten. O.A.d.O.: Gütersloher Verlagshaus.

Schenkel, Daniel (Hrsg.), 1871: Bibel-Lexikon: Realwörterbuch zum Handgebrauch. Leipzig: F. A. Brockhaus.

Shaw, Philip A., 2011: Pagan Goddesses in the Early Germanic World: Eostre, Hreda and the Cult of Matrons. London: Bristol Classical Press.



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