Parlamentarier ver…albern. Wie eine autokratische Bundesregierung ihre Auskunftspflicht unterläuft

Vielleicht ist es das wichtigste Element im politischen Machtgefüge einer Demokratie.
Die Kontrolle der Regierung.
Sie dient im Wesentlichen dazu, den Machtmissbrauch, der sich zwangsläufig einstellt, wenn Leute Regierung spielen, in Grenzen zu halten.
Die Kontrolle der Regierung.
Sie ist nur möglich, wenn diejenigen, die Kontrolle ausüben sollen, eine Möglichkeit haben, die dafür notwendigen Informationen zu erhalten.
Von der Regierung.

Zu diesem Zweck gibt es u.a. das Fragerecht von Abgeordneten und Fraktionen in entweder schriftlicher Frage durch einen einzelnen Abgeordneten, kleiner oder großer Anfrage durch eine Gruppe von Abgeordneten oder eine Fraktion.

In der Schönwetterformulierung des offiziellen Web-Auftritt des Bundestages liest sich das wie folgt.

“Als direkt gewählter Vertretung des Volkes kommt dem Bundestag neben seiner Funktion als Gesetzgeber eine weitere sehr wichtige Aufgabe zu: die Kontrolle der Bundesregierung.

Um diese Kontrollfunktion wahrnehmen zu können, müssen sich die Abgeordneten über die Arbeit und Vorhaben der Regierung informieren können. Dazu steht ihnen eine Reihe von Rechten und Instrumenten zur Verfügung – wie zum Beispiel Kleine und Große Anfragen oder die Aktuelle Stunde.”

Fast so, wie wir das auch geschrieben haben.
Das ist die demokratische Theorie.

Und nun zur “demokratischen” Praxis, in der die Theorie schon seit geraumer Zeit nicht mehr funktioniert, weil Regierungen und ihre Vertreter es entweder mit parlamentarischen Schoßhunden, denen man mit dem Parteiknochen des Listenplatzes jede persönliche Integrität und Kritikfähigkeit nehmen kann, zu tun haben oder mit Parlamentariern, die – sehr angenehm für die Regierung – in Systemmedien schlechtgemacht, wenn nicht verleumdet werden, um Kritik, die von diesen Parlamentariern an der Regierung geübt wird, zu delegitimieren, mit einem einzigen großen Schwung in Fehlschluss ad hominem, der wohl liebste Fehlschluss der medial Verblödeten aus unterschiedlichen Anstalten.

Ein Beleg dafür, ein sehr eindrucksvoller Beleg, findet sich in Antworten der Bundesregierung auf verschiedene Fragen, die alle im Wesentlichen einen Gegenstand haben, den man wie folgt zusammenfassen kann:

Naftali Bennett, der ehemalige Premierminister Israels, hat gesagt, dass er Verhandlungen mit Vertretern der Ukraine und Russlands geführt hat, die einen Friedensschluss zum Gegenstand hatten. Dieser Friedensschluss sei, obschon greifbar nahe, dennoch nicht zustande gekommen, vielmehr sei er unterlaufen worden, und zwar von den USA, dem Vereinigten Königreich, Deutschland und Frankreich [Wir haben hier darüber berichtet]. Alle Fragenden, die wir im Folgenden dokumentieren, wollen letztlich von der Bundesregierung nur eines wissen: Stimmt, was Bennett sagt? Haben Vertreter der Bundesregierung gemeinsam mit Vertretern anderer Regierungen einen Friedensschluss zwischen der Ukraine und Russland VEREITELT?

Und nun lesen Sie selbst:
Erster Akt:

Frage: In welcher Weise hat die Bundesregierung und haben nach ihrer Kenntnis Frankreich und die USA die Bemühungen des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennet zur diplomatischen Friedensverhandlung des Ukrainekrieges unterstützt, und hätte sie im Rückblick diese Friedensbemühungen stärker fördern müssen (www.theguardian.com/world/2023/feb/05/putin-promised-me-he-would-not-kill-zelenskiy-says-former-israeli-pm-naftali-bennett)?
Fragesteller: Bernd Schattner, AfD

Antwort der Staatssekretärin Susanne Baumann vom 14. Februar 2023:

“Die Bundesregierung setzt sich intensiv für die Beendigung des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ein. Sie unterstreicht dabei stets die souveräne Entscheidung der Regierung der Ukraine über Zeitpunkt und Inhalt möglicher Verhandlungen mit der Russischen Föderation.

Der Inhalt vertraulicher Gespräche zwischen anderen Staaten liegt nicht im Verantwortungsbereich der Bundesregierung.”


Zweiter Akt:
Frage: Wie war die Bundesregierung in die Verhandlungsbemühungen des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennet um einen raschen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine in den Wochen nach dem Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine eingebunden, von denen die „Berliner Zeitung“ am 6. Februar 2023 (www.berliner-zeitung.de/open-source/naftali-bennett-wollte-den-frieden-zwischen-ukraine-und-russland-wer-hat-blockiert-li.314871) berichtete, dass in allen wesentlichen Punkten zwischen den Präsidenten Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj eine Übereinstimmung erzielt wurde und welche Beweggründe hatte die Bundesregierung, diese Verhandlungsinitiative Naftali Bennets, die „bis ins kleinste Detail mit den USA, Deutschland und Frankreich abgestimmt“ war, wie die „Berliner Zeitung“ Naftali Bennet zitiert, im Verein mit den USA, Großbritannien und Frankreich zu blockieren und damit nach Einschätzung Naftali Bennets „eine gute Chance auf einen Waffenstillstand“ zu verhindern?
Fragesteller: Gregor Gysi, Die LINKE

Antwort des Staatssekretärs Andreas Michaelis vom 16. Februar 2023

Seit Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 setzt sich die Bundesregierung intensiv für dessen Beendigung ein. Hierzu steht die Bundesregierung kontinuierlich im engen Austausch mit ihren Partnern – sowohl bilateral als auch im Rahmen internationaler Organisationen und multilateraler Foren, vor allem in der NATO, der EU und den G7.

Zum Inhalt vertraulicher Gespräche äußert sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht.


Dritter Akt:
Frage: Hat die Bundesregierung die vom damaligen israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett angestrengten Verhandlungen zwischen der russischen und der ukrainischen Regierung „blockiert“, wie von Naftali Bennett behauptet (www.berliner-zeitung.de/open-source/naftali-bennett-wollte-den-frieden-zwischen-ukraine-und-russlandwer-hat-blockiert-li.314871), wenn ja, warum, und welche konkreten diplomatischen Initiativen plant die Bundesregierung, um einen Waffenstillstand bzw. Frieden in der Ukraine zu vermitteln?
Fragesteller: Ali Al-Dailami, Die LINKE

Antwort des Staatssekretärs Andreas Michaelis vom 16. Februar 2023

Seit Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 setzt sich die Bundesregierung intensiv für dessen Beendigung ein. Hierzu steht die Bundesregierung kontinuierlich im engen Austausch mit ihren Partnern – sowohl bilateral als auch im Rahmen internationaler Organisationen und multilateraler Foren, vor allem in der NATO, der EU und den G7.

Zum Inhalt vertraulicher Gespräche äußert sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht.


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Vierter Akt:
Frage: 3. Hat bzw. hatte die Bundesregierung von der angeblichen Vermittlungsmission Naftali Bennetts im Ukrainekonflikt Anfang des Monats März 2022 erfahren, und wenn ja, wann, wo, und auf welchem Wege ist das geschehen (bitte konkret ausführen)?
4. Wenn die Frage 3 verneint wurde, hatten Vertreter der Bundesregierung im fraglichen Zeitraum, Anfang des Monats März 2022, Gespräche mit dem damaligen israelischen Premierminister Naftali Bennett geführt, und wenn ja, wurde innerhalb dieser Gespräche die Frage der Kämpfe in der Ukraine bzw. mögliche Waffenstillstandsverhandlungen berührt (bitte konkret ausführen)?
Fragesteller: AfD-Fraktion im Bundestag

Antwort der Bundesregierung:

“Die Bundesregierung hat die öffentlichen Ausführungen des ehemaligen israelischen Premierministers Bennett zur Kenntnis genommen”


Fünfter Akt
Frage: Hatte die Bundesregierung Kenntnis von der „Bereitschaft“ beider Seiten zu einem „Waffenstillstand“, wie es Naftali Bennett ausdrückt (…), und wenn ja, welche Position hatte sich die Bundesregierung dazu ggf. erarbeitet (bitte konkret ausführen)?
Fragesteller. AfD-Fraktion im Bundestag

Antwort der Bundesregierung:

Im Übrigen gibt die Bundesregierung zur politischen Positionierung anderer Staaten keine Stellungnahme ab. Obwohl die Frage bezogen auf Kenntnisse der Bundesregierung formuliert ist, zielt sie im Kern auf Gegenstände aus dem Verantwortungsbereich eines anderen Staates und deren Bewertung durch die Bundesregierung. Der parlamentarische Informationsanspruch erstreckt sich jedoch nicht auf Gegenstände, die keinen konkreten Bezug zum Verantwortungsbereich der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag haben, weil sie in die Zuständigkeit und Verantwortung anderer Staaten fallen.

Erstaunlicherweise wird hier erklärt, dass die Frage, ob die Bundesregierung etwas davon gewusst habe, dass es einen fast fertigen Friedensschluss zwischen Russland und der Ukraine gegeben habe, mit dem Vermerk unbeantwortet gelassen, dass die Frage, ob die Bundesregierung etwas gewusst habe, eine Frage sei, die in die “Zuständigkeit und Verantwortung anderer Staaten falle”. Ein schönes Beispiel für Rabulistik, die nach hinten losgegangen ist, und ein noch besseres Beispiel für eine Bundesregierung, die die Kontrollrechte des Parlaments mit Füßen tritt und somit qua definitionem den Boden einer Demokratie verlassen hat.

Und man kann, wie sich zeigt, jede Schweinerei hinter der Behauptung, es handle sich dabei um vertrauliche Gespräche, verbergen und jede Kontrolle unterlaufen, vor allem wenn man Sprechautomaten, die seltsamerweise als Staatssekretäre bezeichnet werden, zur Verfügung hat.


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