Deutschland 200x: Die autoritäre Persönlichkeit lebt!

Der bekannteste Versuch zu erklären, wie große Teile der Bevölkerung eines Landes, das von seinen Nachbarn als Kulturnation angesehen wurde (und wieder wird), sich aktiv am Völkermord beteiligen konnten, stammt von Theodor W. Adorno und seinen Mitarbeitern Else Frenkel-Brunswick, Daniel J. Levinson und R. Nevitt Sanford und ist unter dem Namen “Studien zum autoritären Charakter” bekannt geworden. Die Frage, wie es  dazu kommen konnte, dass auf Basis einer meist freiwilligen Unter- und Einordnung des Einzelnen unter/in die Autorität des “Volkes” oder der “Gemeinschaft” und vor allem der sie führenden Nazis die  Vernichtungsmaschinerie des Dritten Reiches mit einer Präzision betrieben werden konnte, die man sonst nur aus der industriellen Produktion kennt, haben die genannten Autoren der “Autoritären Persönlichkeit” mit Bezug auf ein autoritäres Syndrom beantwortet, das sie vornehmlich psychoanalytisch, also als Ergebnis sadomasochistischer Befriedigungsmechanismen erklärt haben (Adorno, 1995, S.322-325). Zwar wird diese Erklärung des autoritären Syndroms derzeit von kaum einem Wissenschaftler mehr vorgebracht, die Untersuchung des autoritären Syndroms, also der Vorurteile, die Rassen- und Fremdenhass erst möglich machen, hat die Jahrzehnte jedoch überdauert und ist heute so aktuell wie in den 1940er Jahren.

Vorurteile werden von vielen Sozialpsychologen als einfache Zuschreibung von Merkmalen an die Mitglieder einer “Outgroup” (Fremdgruppe) angesehen, die emotional, also nicht rational begründet sind (Allport, 1954; Hormel, 2007, S.25; Pastorino & Doyle-Portillo, 2010, S.375). Entsprechend unterscheiden sich Vorurteile erheblich von Stereotypen, wie “Deutsche sind gründlich”. Stereotype lassen sich durch ihnen widersprechende Erfahrungen verändern, Vorurteile nicht: „Prejudice cannot be explained – as stereotype can – on a cognitive basis alone; it is charged with collective emotions together with norms that are hidden behind values and taboos. It is not a tool for understanding the world, but a weapon in power and identity politics. This explains one characteristic of the prejudice: It is incorrigible. It can, on the contrary, be defined as a mental strategy to block the process of learning, which involves constant readjustment and reconstruction of preconceived ideas in the light of new experience and information. Instead of reconstructing the stereotype to accommodate the new evidence, the prejudice is constructed to block and destroy evidence. While the stereotype is adapted to the world, prejudice adapts the world to itself” (Assmann, 2009, S.9).

Entsprechend stellt sich die Frage, wie Vorurteile ausgebildet werden und wer sie ausbildet. Die erste Frage wird gewöhnlich durch den Verweis auf die Konkurrenz um Ressourcen beantwortet oder dadurch, dass die Zuordnung der eigenen Person zu einer Gruppe Selbstwert stiftet oder wie Henri Tajfel (1982) es formuliert hat: Menschen können ihren Selbstwert durch eigene Leistung oder durch die Zuordnung zu einer Gruppe und die Übertragung der Gruppenleistung auf sich selbst, herstellen. Für die Erklärung von Autoritarismus bzw. einer autoritären Persönlichkeit ist vor allem die zweite Erklärung von Bedeutung. So hat Altemeyer in einer Reihe von Beiträgen herausgearbeitet, dass autoritäre Persönlichkeiten in hohem Maße ethnozentrisch sind und in fast noch höherem Maße versuchen, ihre Meinungen und Einstellungen durch Konformität mit einer als richtig und herrschend angesehenen Meinung zu legitimieren. Sie verkehren in Gruppen, die die gleiche geistige Enge teilen, wähnen sich auf der Seite der moralischen Mehrheit oder, wenn in Medien eine andere Moral vertreten wird, auf der Seite der stillen Mehrheit. Autoritäre Persönlichkeiten ordnen sich dem unter, was die von ihnen anerkannten Autoritäten sagen. Sie denken nicht selbst, sind nicht kritisch, dafür aber ein wahrer Hort der Doppelmoral, und autoritäre Persönlichkeiten beschränken sich oftmals nicht mit der eigenen Unterordnung unter Autoritäten, sie zielen auch darauf, Mitglieder von Gruppen, die sie als abweichend ansehen, entweder umzuerziehen oder für deren gesellschaftliche Marginalisierung einzutreten (Altemeyer, 1998, S.86-87)

Weitere Forschung nach Altemeyer hat gezeigt, dass autoritäre Persönlichkeiten Wandel fürchten, allem Neuen mit Ablehnung gegenübertreten und den Status Quo bzw. das, was sie für den Status Quo halten, mit Zähnen und Klauen gegen Veränderung verteidigen (Perry & Sibley, 2012). Schließlich, und hier schließt sich der Kreis zum Titel dieses Beitrags, hat eine Meta-Analyse von Cohrs und Stelzl (2010) gezeigt, dass autoritäre Persönlichkeiten vornehmlich in Gesellschaften zu finden sind, die sich dadurch auszeichnen, dass die Einkommensunterschiede relativ gering sind und dass autoritäre Persönlichkeitssyndrome vor allem in Deutschland Vorurteile gegen Ausländer erklären. Das Ergebnis von Cohrs und Stelzl basiert auf der Analyse von 155 Studien aus 17 Ländern und auf einer Gesamtzahl von 38.522 Befragten, so dass man es als gut fundiertes Ergebnis ansehen kann (oder muss). Wohl selbst überrascht über ihre Ergebnisse, schreiben Cohrs und Stelzt auf Seite 688: “That the RWA (right wing authoritarianism) effect size was estimated to be the largest in Germany is noteworthy in light of the fact that authoritarianism research has ist roots there” (Cohrs & Stelzl, 2010, S.688). Dies ist eine sehr zurückhaltende Form (ein typisches britisches Understatement) um seine Verwunderung darüber zum Ausdruck zu bringen, dass in Deutschland wie in keinem anderen von den Autoren untersuchten Land, ein autoritäres Persönlichkeitssyndrom, wie es oben beschrieben wurde, Vorurteile gegen Ausländer vorherzusagen im Stande ist.

Die autoritäre Persönlichkeit, so muss man die berichteten Ergebnisse zusammenfassen, lebt in Deutschland 200x. Aber die Forschung hat nach meiner Ansicht auch einen erhebliches Problem, denn sie legt nahe, autoritäre Persönlichkeiten seien etwas, was nur auf der (extrem) rechten Seite des politischen Spektrums ausgeprägt werden kann, eine Begrenzung der Forschungsperspektive, die ich nicht nachvollziehen kann. Es liegt aus meiner Sicht vielmehr nahe, mit Perry und Sibley (2012) ein Persönlichkeitssyndrom anzunehmen, aus dem Vorurteile (definiert als affektiv geladene generalisierte Stereotype, die im Sinne von Assmann keiner rationalen Argumentation zugänglich sind) zwangsläufig folgen. Das entsprechende Persönlichkeitssyndrom zieht seine Besonderheit aus einer Feindschaft gegen jegliche Form der Veränderung, aus autoritärer Unterordnung anstelle eigenen kritischen Denkens, autoritärer Aggression, vor allem, wenn die eigene Position hinterfragt wird und insbesondere aus dem Selbstwert, der einzig und allein aus der Zuordnung zu einer Gruppe und nicht durch eigene persönliche Leistung genährt wird. Die jeweiligen Inhalte, die die Vorurteile annehmen, sind dann eher dem Zufall geschuldet und finden sich auf der rechten Seite des politischen Spektrums z.B. als Ausländerfeindlichkeit oder auf der linken Seiten des politischen Spektrums z.B. als Kapitalistenfeindlichkeit. Und auch wenn beide Seiten durch die Inhalte getrennt sind, so eint sie doch dasselbe autoritäre Persönlichkeitssyndrom, das seinen Wert daraus bezieht, sich einer Gruppe zuzuordnen und eine vermeintlich homogene Outgroup, die mit negativen Attributen belegt wird, zu bekämpfen.

Die in diesem Beitrag ausgedrückte Idee ist das Ergebnis einer Vielzahl höchst ergiebiger Diskussionen mit Dr. habil. Heike Diefenbach.

Literatur

Adorno, Theodore W. (1995 [1950]). Typen und Syndrome. In: Adorno, Theodore W. (Hrsg.). Studien zum autoritären Charakter. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Allport, Gordon W. (1954). The Nature of Prejudice. Cambridge: Addison-Wesley.

Altmeyer, Bob (1998). The other ‘Authoritarian Personality’. In: Zanna, Mark P. (ed.). Advances in Experimental Social Psychology. San Diego: Academic Press, pp.47-92.

Assmann, Aleida (2009). Introduction. In: Pelinka, Anton, Bischof, Karin & Stögner, Karin (eds.). Handbook of Prejudice. Amherst: Cambria Press, pp.1-34.

Cohrs, J. Christopher & Stelzl, Monika (2010). How Ideological Attitudes Predict Host Society Members’ Attitudes Toward Immigrants: Exploring Cross-National Differences. Journal of Social Issues 66(4): 673-694.

Pastorino, Ellen & Doyle-Portillo, Susann (2010). What is Psychology? Essentials. Belmont: Wadsworth.

Perry, Ryan & Sibley, Chris G. (2012). Big-Five Personality Prospectively Predicts Social Dominance Orientation and Right-Wing Authoritarianism. Personality and Individual Differences 52(1): 3-8.

Tajfel, Henri (ed.) (1982). Social Identity and Intergroup Relations. Cambridge: Cambridge University Press.

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