License to kill

Die Frage, was Tod ist und wann ein Lebewesen als tot zu gelten hat, ist vermutlich so alt wie die Menschheit. Die Antworten, die Philosophen über Jahrhunderte gegeben haben, sind indes eindeutig: Tod liegt dann vor, wenn alle vitalen Lebensprozesse, die Organismen entwickeln oder unterhalten, beendet sind. Gemeint sind damit Prozesse wie Stoffwechsel, Zellerneuerung, Atmung, Selbstregulierung des Organismus, Herzschlag usw.

Über Jahrhunderte wurden Menschen aufgebahrt, bis erste Verwesungszeichen als eindeutiges Indiz des Todes zu sehen waren. Man wollte sicher gehen, dass der vermeintlich Tote auf wirklich tot ist.

Mit dem Aufkommen der Transplantationschirurgie hat sich alles geändert. Organe, die transplantiert werden sollen, müssen “frisch” sein, sie müssen möglichst schnell nach dem “Tod” des Spenders entnommen werden, am besten ist es, wenn der Spender noch lebt, wenn die Organe entnommen werden. Dies klingt auf den ersten Blick makaber, hat jedoch im Jahre 1968 seinen Niederschlag darin gefunden, dass ein an der Universität von Harvard eilig zusammengerufenes Komitee Tod als Gehirntod definiert hat. Gehirntod ist nicht Herztod, d.h. gehirntote Patienten zeigen zumeist noch alle Funktionen eines physisch Lebenden: “The only rationale given by the committee for why the irreversible cessation of all brain function should be equated with death was legal utility: it would free up beds in intensive care units and facilitate organ transplantation” [Der einzige Grund, den das Komitee genannt hat, um zu begründen, warum das Ende aller Gehirnfunktionen mit dem Tod gleichgesetzt werden sollte, lautete: es setzt Betten auf Intensivstationen frei und erleichtert die Transplantation von Organen] (Shewmon, 2009, S.18).

Diese Definition von Tod als Gehirntod ist in den letzten Jahrzehnten unter massive Kritik geraten und im Jahre 2008 – wieder in den USA – vom President’s Council on Bioethics in the Determination of Death beerdigt worden. Das Komitee hat den Begriff “Gehirntod” durch den Begriff “vollständiger Verlust aller Gehirnfunktionen” ersetzt, und formuliert: “If being alive as a biological organism requires being a whole that is more than the mere sum of its parts, then it would be difficult to deny that the body of a patient with total brain failure can still be alive, at least in some cases” [Wenn es zum biologisch lebendig Sein ein Zusammenspiel des gesamten Organismus braucht, das wiederum mehr ist als die Summe seiner Teile, dann ist es kaum möglich zu behaupten, dass der Körper eines Patienten, der einen vollständigen Verlust aller Gehirnfunktionen erlitten hat, am Leben sein kann, zumindest in manchen Fällen] (President’s Council on Bioethics in the Determination of Death, 2008, S.57).

Diese Feststellung hätte das Ende der Organeentnahme bei gehirntoten Patienten in den USA bedeutet. Entsprechend hat sich das President’s Council beeilt, einen Zirkelschluss nachzuschieben und zu formulieren, dass das Ganze des Organisms auf ein funktionierendes Gehirn angewiesen ist und entsprechend bei einem vollständigen Verlust aller Gehirnfunktionen davon auszugehen ist, dass dieses gedachte “Ganze” nicht mehr funktionieren könne, weshalb mutig geschlossen werden kann, dass der Patient, der unter einem vollständigen Ausfall aller Gehirnfunktionen leidet “nicht lebendig” ist (President’s Council on Bioethics in the Determination of Death, 2008, S.60).

Die Situation, die sich unter Berücksichtigung beider Positionen des President’s Council ergibt, sieht wie folgt aus: Patienten mit einem vollständigen Ausfall aller Gehirnfunktionen sind nicht tot, aber sie sind auch nicht lebendig. Sie sind, lebendig tot. Dieser Einbruch geistiger Verwirrung in einen ansonsten rational wirkenden Bericht, hat den Mediziner D. Alan Shewmon , der sich seit Mitte der 1980er Jahre mit Fragen der “Neuroethik”, also u.a. der Frage, wann ein Mensch als tot zu gelten hat, beschäftigt, dazu bewegt, vorzuschlagen, Organspendeausweise mit dem folgenden Warnhinweis zu versehen: “Warnung: Es ist nicht sicher, dass Sie tot sind, wenn Ihre Organe entnommen werden!“. Und, so hat Sherman weiter formuliert, vielleicht wäre es angesichts der Unsicherheit, die den Tod eines Menschen umgibt, an der Zeit, die Würde und Autonomie eines Patienten über den Nutzen, den seine Organe für andere darstellen, zu setzen (Sherman, 2009, S.23).

In Deutschland kommen die Probleme, die sich mit der Feststellung des Todes eines Menschen und mit der Unbrauchbarkeit des Hirntod-Konzeptes verbinden, nur rudimentär an. So wird Gesundheitsminister Daniel Bahr, von dem es interessant wäre zu wissen, ob er einen Organspendeausweis besitzt, nicht müde, die Werbetrommel für Organspende zu rühren. Seines neuester Marketing-Gag sieht vor, die “Weltspiele der Organtransplantierten” in Deutschland zu veranstalten. Natürlich nicht ohne Hintergedanken, denn: “[r]egelmäßig ist in den ausrichtenden Ländern der Weltspiele durch mediale Berichterstattung, politische Unterstützung und begleitende Informationen zur Organspende eine signifikante Steigerung der Organspendezahlen zu beobachten”. Zweifel an der Gleichsetzung von Tod und Hirntod kennt Gesundheitsminister Bahr scheinbar ebensowenig wie die ihm unterstellte Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die nach wie vor Broschüren vertreibt, die den Hirntod als Tod deklarieren und die Organentnahme bei Hirntoten zum Akt der Nächstenliebe stilisieren.

Die Informationspraxis in Deustchland, so findet der Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Betriebsmedizin, Paolo Bavastro, in einem angesichts des Zustands der deutschen Medienlandschaft erstaunlichen Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger, stelle eine arglistige Täuschung dar. “Die Menschen werden absichtlich nicht aufgeklärt. Und viel schlimmer noch ist, dass seitens der Deutsche[n] Stiftung Organtransplantation moralischer Druck ausgeübt wird, nach dem Motto: Nur Organspender sind gute Menschen”. Entsprechend schlägt er den folgenden Text, für Organspendewillige vor: “Ich bin bereit, Organe zu spenden, obwohl ich nicht tot, sondern im Hirnversagen ein Sterbender bin“, denn: “Man kann Menschen … nicht absichtlich im Dunkeln lassen und für tot erklären, nur damit man mehr Organspenden bekommt”.

Derartige “ethische” und “moralische” Erwägungen sind ausgerechnet dem Philosophen und Professor Ralf Stoecker, der als eines seiner Hauptinteressen “angewandte Ethik” angibt, fremd. In einem Vortrag beim deutschen Ethikrat und im Rahmen des Forums “Bioethik – Hirntod und Organentnahme” kommt der Philosoph zu der folgenden Lösung für das Problem der Feststellung des Todes eines Menschen: Weil ein Hirntoter zwischen der Welt der Lebenden und der Toten wandle, ein Hirntoter aber keine Zukunft unter den Lebenden mehr habe, könne man ihn problemlos, ohne Skrupel und um seine Organe zu nutzen, töten: “Und weil man ihnen [den Hirntoten] kein Leid mehr antun, sie keiner Zukunft mehr berauben kann und weil auf der anderen Seite die Organempfänger erheblich von der Transplantation profitieren, darf man ihnen Organe entnehmen, und das, obwohl es dazu führt, dass sie ihren Zustand zwischen Leben und Tod beenden und aus den hirntoten tote Menschen werden”. Damit erteilt Stoecker all jenen, die einen lebenden Menschen, der seiner Hirnfunktionen verlustig gegangen ist, durch die Entnahme von Organen umbringen, seine Absolution, er erteilt eine “license to kill” und begründet die Lizenz damit, dass andere einen Nutzen aus der Ermordung von Patienten ziehen, deren Hirnfunktion vollständig erloschen ist.

Auf die Idee, dass man die Frage, wann ein Mensch tot ist, beantworten kann, in dem man Patienten ohne Hirnfunktion zu Wandlern zwischen Leben und Tod macht, die nur darauf warten, endlich über den Styx gefahren zu werden, kann nur ein “deutscher” Philosoph kommen, und auf diese Idee kann nur ein “deutscher” Philosoph kommen, dem der Wert von Personen, deren Hirnfunktion noch vorhanden ist, über den Wert und die Würde von Personen geht, deren Hirnfunktion erloschen ist. Entsprechend werden Personen ohne Hirnfunktion trotz aller Beteuerung von Stoecker, man müsse ihre “Würde achten” und “dürfe Eingriffe in ihre körperliche Integrität” nur mit ihrem “informed consent” vornehmen, zum hohlen Gewäsch, das abgesondert wird, um zu maskieren, dass – um es mit Immanuel Kant zu formulieren – Menschen zum Zweck für andere Menschen werden. Dies ist nicht nur für Kant eine der schlimmsten Sünden, die man gegenüber Menschen begehen kann.

Angesichts der Verrenkungen, wie sie von Anwendern einer höchst eigenen “Ethik” wie Ralf Stoecker durchgeführt werden, und angesichts der Weigerung öffentlicher Stellen, die Unmöglichkeit, Tod mit Hirntod gleichzusetzen, anzuerkennen, stellt sich einmal mehr die Frage, was auf dem Spiel steht, welchen Interessen die Transplantation von Organen dient. Ich wette an dieser Stelle, dass trotz aller Herz-Schmerz-Geschichten von durch Organspenden Geretteten, die uns regelmäßig präsentiert werden, trotz aller Marketing-Anstrengungen, bei denen Menschen mit transplantierten Organen vorgeführt werden, wie einst die Sklaven auf den Märkten Roms, die Interessen der Empfänger von Gebrauchtorganen, nicht die Interessen sind, die hinter der massiven Kampagne stehen, mit der Ihnen und mir die Einwilligung abgerungen werden soll, dass wir uns von Transplantationsteams umbringen lassen; – zumal der Nutzen eines Spenderorgan bei näherer Betrachtung nicht dem rosa-roten Bild entspricht, das die Marketingabteilung des Bundesgesundheitsministeriums zeichnet: Ob ein Spenderorgan vom neuen Organismus überhaupt (nach zuweilen mehreren fehlgeschlagenen Versuchen) angenommen wird, ist unsicher, wird es angenommen, steht dem Empfänger des Gebrauchtorgans nicht nur ein Leben unter Medikamenten und von diesen vorgenommener ständiger Unterdrückung des eigenen Immunsystems bevor, er ist auch, wegen dieser Unterdrückung des eigenen Immunsystems in hohem Maße für Erkrankungen aller Art empfänglich und in vielen Fällen handelt es sich bei den entsprechenden Erkrankungen nicht um Schnupfen, sondern um (Haut-)Krebs.

Die Transplantation von Organen ist zwischenzeitlich zu einer sehr lukrativen Industrie geworden: Mit menschlichen Organen lässt sich viel Geld verdienen. Wo sonst ist es möglich, ein Produkt zu erstellen ohne denjenigen, der die Rohstoffe liefert, bezahlen zu müssen, weil der Entsprechende nur zu willig ist, sich als kostenlose Rohstoffquelle zum Ausweiden zur Verfügung zu stellen?

Literatur

Shewmon, D. Alan (2009). Brain Death: Can it Be Resuscitated? Hastings Center Report 39(2): 18-24.

Bildnachweis:
Grim Reaper tattoos

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