Die im Stillen werkeln: Qualifikationsrahmen definiert den Wert von Bürgern

von Dr. habil. Heike Diefenbach und Michael Klein

dqr_transparent550x98Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit ist der Deutsche Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR), die deutsche Dependance des 2008 in Kraft getretenen European Qualifications Framework (EQF) zum 1. Mai 2013 in Kraft getreten. Außer Stefan Kühl, Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld, und einer der wenigen deutschen Akademiker mit institutioneller Anbindung, der über Zivilcourage verfügt und sich öffentlich und vor allem kritisch äußert, hat kaum ein Akademiker das Inkrafttreten des DQR zum Anlass genommen, um sich dazu zu äußern. Die Zeiten, in denen Akademiker ihre Ausbildung dazu genutzt haben, staatliche Eingriffe zu hinterfragen, geschweige denn zu kritisieren, sind selbst dann vorbei, wenn diese staatlichen Eingriffe im Hinterhof der Akademiker stattfinden, an “ihren” Universitäten. Die einst kritische Zunft der Sozialwissenschaften kennt Kritik meist nur noch als Benennung dessen, was die Frankfurter Schule gemacht haben soll und auch das kennen die meisten nur vom Hörensagen.

Der UntertanUnd so ist der DQR in Kraft getreten und wird in den nächsten Jahren – wie zu befürchten ist – seine Wirkung entfalten. Vorweg: Der DQR regelt acht Kompetenzniveaus, die man im Bereich der Bildung in Deutschland erreichen kann. Das oberste Niveau “Kompetenzniveau 8” hat z.B. derjenige erreicht, der “über umfassendes, spezialisiertes und systematisches Wissen in einer Forschungsdisziplin verfügt”, was z.B. durch den Erwerb eines Doktortitels nachgewiesen sein soll. Wem es aus dieser Beschreibung noch nicht klar geworden ist, Bildungsabschlüsse werden in Zukunft in Kompetenzniveaus abgebildet. Wer z.B. ohne (oder nur mit) Hauptschulabschluss bleibt, bleibt entsprechend auf Kompetenzniveau 1, auf dem er nur “unter Anleitung lernen und arbeiten” kann und sich dadurch auszeichnet, dass er “Lernberatung” annimmt.

Stefan Kühl hat den DQR vor allem wegen seiner Auswirkungen auf die Hochschulen kritisiert, soll doch im Rahmen des DQR bis ins Kleinste festgelegt werden, was z.B. ein BA-Student, nachdem er sechs Semester Soziologie studiert hat, wissen muss. Aber die Illusion, auf der der DQR basiert, geht weiter, denn es wird angenommen, dass Studenten, die sechs Semester Soziologie studiert haben, nicht nur bestimmte Inhalte wissen müssen, sondern es wird umstandslos angenommen, dass sie sie wissen. Anders formuliert, wer die Mühle “Universität” sechs Semester lang durchlaufen hat, von dem wird mit Sicherheit angenommen, dass er weiß, was er zu wissen hat. Der DQR arbeitet also mit einem Vermittlungsautomatismus, in dem Automaten der Wissensvermittlung an unterschiedlichen Orten, aber mit gleichbleibender Qualität und Fähigkeit, Automaten der Wissensaufnahme dasselbe in derselben Weise eintrichtern. Eine größere Verballhornung von Wissen und Lernen, kann man sich kaum vorstellen.

Stefan Kühl beschreibt, die Probleme, die sich mit dieser Automatisierung der Wissensvermittlung verbinden, wie folgt:

StefanKuehl“In dem ‘Modell …’ wird die Erziehung von Studierenden letztlich wie eine Technologie behandelt, die zur Erreichung vorher definierter Ziele – der Kompetenzen – eingesetzt wird. Genauso wie bei der Produktion eines Automobils definiert wird, was der Pkw am Ende kann, soll auch für Studierende ein vorher genau zu erarbeitendes Kompetenzprofil festgelegt werden, wie die Studierenden am Ende aussehen solen. Und ähnlich wie bei der Fertigung und Montage eines Fahrzeuges wird davon ausgegangen, dass es auch in der Erziehung Techniken gibt, mit denen Personen durch kalkulierbare Prozesse in ein vorher definiertes Bildungsprodukt umgeformt werden können.” (4)

Es ist ein Markenzeichen, der staatsfeministischen Ideologie, die derzeit herrscht, dass Menschen in ihren Wünschen, Fähigkeiten und Zielen standardisiert werden sollen. Individuelle Abweichungen werden nicht mehr toleriert, wie schon die Tatsache verdeutlicht, dass Gruppenrechte für Frauen, Homosexuelle oder Kinder an die Stelle von Individualrechten getreten sind. Gruppenrechte sind immer ein hervorragendes Mittel in der Hand der Herrschenden gewesen, denn man kann einerseits die Gruppenrechte beschwören und andererseits die selben Rechte Individuen verwehren, selbst wenn sie sich als Mitglied einer Gruppe für die jeweiligen Rechte qualifizieren würden.

Wir wollen an dieser Stelle auf einen weiteren und nach unserer Ansicht weit wichtigeren Punkt hinweisen, der mit der Standardisierung von Bildung und vor allem Bildungszertifikaten über Kompetenzstufen einhergeht bzw. der insbesondere mit dem DQR verbunden ist. Wer die “DQR-Matrix” anschaut, reibt sich bereits nach kurzer Zeit die Augen, denn Kriterien, die man mit Bildung assoziieren kann, wie:

  • Wissen und
  • Fähigkeiten,

werden mit Kriterien gemischt, die man nicht unbedingt mit Wissen und Bildung in Verbindung bringt, nämlich:

  • Sozialkompetenz
  • und Selbständigkeit.

Der Durchgriff des Staatsfeminismus auf das individuelle Leben, die Standardisierung der Person des Bürgers, wie sie im Sozialismus immer das Ziel war, und Staatsfeminismus ist nichts anderes als eine Re-Inkarnation der gescheiterten und gestorbenen sozialistischen Versuche, ist allumfassend. So wird von einem Doktor, dem das Kompetenzniveau 8 zugewiesen wird, womit eben einmal die in Deutschland vorhandene zusätliche Qualifikation der Habilitation gestrichen wird, verlangt, dass er “Organisationen oder Gruppen mit komplexen bzw. interdisziplinären Aufgabenstellungen verantwortlich leiten” kann und “[f]ür neue komplexe … Aufgaben … unter Refelexion der möglichen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen …, geeignete Mittel wählen und neue Ideen und Prozesse entwickeln” kann. Dagegen muss ein Kompetenzstufler 2 “[i]n einer Gruppe mitwirken” können, [a]llgemeine Anregungen und Kritik aufnehmen und äußern” können und “[i]n bekannten und stabilen Kontexten weitgehend unter Anleitung verantwortungsbewusst lernen oder arbeiten” können.

Das ist starker Tobak, und entsprechend muss man mit deutlichen Worten reagieren. Was im DQR durch die Vermengung von “Fachkompetenz” (Wissen und Fähigkeit) mit “personaler Kompetenz” (Sozialkompetenz und Selbständigkeit) geschaffen wird, ist eine Einteilung der am Ende standardisierten Bevölkerung in Führer und Geführte, in Zugehörige zur Gruppen der Avantgarde und in Zugehörige zur Masse oder wie man in den siebziger Jahren gesagt hat, in Zentrum und Peripherie. Man kann das Ganze auch bewerten und von einer Neuauflage der Einteilung der Welt in Ober- und Unterklasse oder in Ober- und Untermenschen sprechen.

Diese deutlichen Worte sind in mehrerlei Hinsicht gerechtfertigt, und sie sind es vor allem deshalb gerechtfertigt, weil überhaupt kein Grund dafür besteht, soziale Kompetenzen und individuelle Verhaltensweisen als “personale Kompetenz” getarnt mit Bildungskompetenz oder Fachkompetenz zu vermengen. Es handelt sich hier um einen standardisierten Fehlschluss ad hominem, bei dem von der Fachkompetenz auf die personale Kompetenz und umgekehrt geschlossen und zugleich ausgeschlossen wird, dass ein Hochgebildeter sich als Misanthrop erweist (und vielleicht gute Gründe dafür hat). Entsprechend kann einem mehr am Fachwissen als an sozialen Interaktionen Interessierten seine Fachkompetenz ganz einfach abgesprochen werden.

FDJ 1 MaiIn der kollektiv-sozialistischen Welt des herrschenden Staastfeminismus ist für individuelle Grillen, für schrullige und weltfremde Professoren kein Platz mehr. Der neue Mensch und Professor hat sich als Führer und Sozialwesen zu erweisen, er ist sozial kompetent und weiß, wie man andere manipuliert, nein ihnen Lernstoff vorgibt, an dem sie “verantwortungsbewusst lernen und arbeiten” können, um sich ansonsten als die Befehlsempfänger und Deutungsabhängigen zu zeigen, die sie zu sein haben, denn die Kompetenzstufen 1 oder 2 sehen keine Eigenleistungen vor. Der Untermensch ohne Hauptschulabschluss ist per definitionem der “Geführte”, der der Führung durch den Sozialarbeiter mit Kompetenzniveau 6 bedarf, denn er ist per definitionem nicht zum eigenen Denken fähig. Ein krasserer Fall von Standardisierung und von Faschismus ist kaum denkbar!

Wer nun genau als Untermensch zu gelten hat, ist der Fertigstellung einer “Handreichung” vorbehalten, deren Veröffentlichung demnächst erfolgen soll.

Der DQR wurde unter Leitung von BMBF und Kultusministerkonferenz “erarbeitet”. Beteiligt an der Erstellung waren z.B. Werner Burg von der Bundesagentur für Arbeit, Karin Burmann vom Deutschen Caritasverband, Frauke Klein von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Hermann Nehls, Stephanie Odenwald und Thomas Ressel von der GEW bzw. der IG Metall uam. Hinzu kommen zwei Professoren, Volker Gehmlich (Fachhochschule Osnabrück) und Dieter Münk (Universität Duisburg-Essen), die auf der Liste der am Arbeitskreis DQR Beteiligten, als “Experte” benannt und von den anderen Beteiligten, die dann wohl als “Nicht-Experten” zu gelten haben, abgehoben werden. Dies wirft eine Reihe von Fragen auf, Fragen, die man eigentlich immer stellen kann, wenn Bundesministerien beginnen, im Stillen zu werkeln und die man wie folgt kumulieren kann: Wer wurde aufgrund welcher Qualifikationen und zur Wahrnehmung welcher Aufgaben in den “Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen” berufen.

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