Kann man mit Deutschen alles machen?

Kultur wird von manchen verdächtigt, nationale Charakteristiken zu beinhalten. Geert Hofstede z.B. wird nicht müde zu behaupten, dass sich nationale Kulturen im Hinblick auf ihre Wertschätzung für Individualität, ihre Haltung gegenüber der Staatsmacht oder ihre Furcht vor Neuem unterscheiden, ein spezifisches “collective programming of the mind” aufweisen würden. Hofstede scheint Recht zu haben.

Deutsche waren nie ein sonderlich individualistisches und freiheitsliebendes Volk. Vielmehr haben es Deutsche immer wieder geschafft, sich mit den unterschiedlichsten Staatsformen zu arrangieren, vom Kaiserreich über die ersten republikanischen Gehversuche, vom Faschismus über seine Spielform den Sozialismus bis hin zu neuerlichen demokratischen Gehversuchen in Form einer Parteienoligarchie. Nie haben sich Deutsche gegen ihre installierte Obrigkeit gestellt, wenn man einmal vom Bananen-Reisefreiheits-Aufstand von 1989 absieht. Veränderungen der Staatsform kamen, wenn überhaupt von außen oder von oben, nie von unten.

Jerome K. Jerome, ein ebenso scharfer wie humorvoller Beobachter hat im Jahr 1900 die Deutschen und ihre nationalen Charakteristiken wie folgt beschrieben:

Three men on the bummel“Individualism makes no appeal to the German voter. He is willing, nay, anxious to be controlled and regulated in all things. He disputes not government, but the form of it. … In Germany, you make no responsibility upon yourself whatever. Everything is done for you, and done well. You are not supposed to look after yourself, you are not blamed for being incapable of looking after yourself. … ‘Get yourself born’, says the German government, ‘we do the rest. Indoors and outdoors, in sickness, in health, in pleasure and in work, we will tell you what to do. Don’t you worry yourself about anything” (Jerome, 1994: 196-198).

Seit dies geschrieben wurde, sind 114 Jahre vergangen, geändert scheint sich nicht viel zu haben. Aus der Oligarchie des Kaiserreiches ist zwischenzeitlich die Oligarchie der Partien geworden, deren Existenz allein der Regelung und Reglementierung der Gemeinschaft und der Verteilung von Gaben und Geschenken an besonderes treue und brave Untertanen gewidmet ist. Hier zeigt sich das wahre Deutschtum, wenn der moderne Polit-Ritter sich aufschwingt, um für Benachteiligte und Hilflose zu fechten, ihr Los erträglicher zu machen. Und wie Robin Hood tut dies der moderne Ritter, in dem er seine staatliche Gewalt einsetzt, um harmlosen Bürgern, die seines Wegs kommen, Abgaben und Steuern abzupressen.

Und die harmlosen Bürger zahlen. Fast, dass man den Eindruck haben könnte, sie zahlen gerne, machen sich gerne zum Wohltäter an der Gemeinschaft, geben gerne von dem, was sie mit ihrer Hände und zuweilen auch mit ihrer Gehirnzellen Arbeit erwirtschaftet haben. Es adelt den gemeinen Bürger, zu geben, es erhöht ihn, wenn er weiß, er ist nicht ganz unten, er ist einer der gibt, nicht einer, der nimmt.

Und geben tut er, ohne Murren und mit Freude an seinen Staat, den die politische Oligarchie immer dann beschwört, wenn sie ihrerseits Geschenke verteilen will, an sich oder an andere.

Nun gibt es eine Reihe Wissenschaftler, die sich das Treiben in Deutschland, so es sie interessieren würde, mit Verwunderung betrachten würden. Sind mache Wissenschaftler doch der Ansicht, Gerechtigkeitsempfinden habe etwas damit zu tun, seinen Leistungen entsprechend behandelt zu werden. Andere denken gar, dass Selbsterhaltung erste Bürgerpflicht und, mehr noch, in die conditio humana eingekerbtes Verhalten sei. Nicht zu sprechen von den Wissenschaftlern, die doch tatsächlich glauben, die Motivation, etwas zu tun, leide, wenn man nicht der Hauptnutznießer seiner Tätigkeit sei.

SteuerzahlertagkalenderAll die Wissenschaftler haben nicht mit dem deutschen Durchschnittsarbeitnehmer, dem deutschen Durchschnitts-Steuer-und-Abgabenzahler gerechnet, nein, sie wissen nicht einmal, wie es scheint, um seine Existenz. Entsprechend bleibt die deutsche Anomalie unerklärt. Niemand fragt sich, wieso der deutsche Staat einem Durchschnittsarbeitnehmer 52,38% seines Bruttolohnes abziehen kann, ohne dass er murrt, ohne dass er bemerkt, dass in den 52,38% die Vielzahl der Verbrauchssteuern, die er an seinen Staat zahlen darf, nicht enthalten ist, von der Kraftfahrzeug-, über die Benzin- und Sektsteuer, bis zur Kaffeesteuer. Des Deutschen Leidensfähigkeit ist immens, sein Vertrauen in die politische Oligarchie nicht zu erschüttern.

Auch seine Zukunft vertraut der Durchschnittsdeutsche fraglos seinem Staat und seiner politischen Oligarchie an. Entsprechend stört es ihn nicht, dass seine Rentenabgaben zu einer Rente führen, deren Rendite pro Jahr, in dem er Abgaben zahlt, um 1,4 Prozentpunkte unter der Rendite einer sehr konservativen Anlage seiner Abgaben am Kapitalmarkt liegt (Gaschke, 2008: 8). Auch scheint es den durchschnittsdeutschen Rentenbeitragszahler überhaupt nicht zu stören, dass ihm je nach Geburtsjahr zwischen 45% und 60% seiner Rentenbeiträge sofort entzogen und umverteilt werden. Und schon gar nicht stört es ihn, dass nunmehr, nach Abzug an seinen Rentenbeiträgen seine eigene Rente so gering geworden ist, dass er sich zusätzlich versichern muss, gegen Altersarmut. Der deutsche Durchschnittsbeitragszahler ist eben hart im Nehmen und edel im Geben.

Müttern und Frauen zum Beispiel, für die sich Rente lohnt, da sie in der Regel wenig einzahlen und überproportional entnehmen (selbst manche deutsche Wissenschaftler trauen sich hier, von einem Bruch des Prinzips der Teilhabeäquivalenz zu sprechen; Gascke, 2012: 608). Hier zeigt sich das wahre Gesicht des deutschen Durchschnittsbeitragszahlers: Er ist ein edler Ritter, der für seine Dulcinea del Toboso in den Kampf gegen Windmühlen zieht und dabei sein eigenes Wohl und sein eigenes Auskommen vergisst. Der deutsche Ritter nimmt seine Befriedigung daraus, dass er leistungsfähig genug ist, auf dass ihm genommen werden kann. Sein Selbstwert bestimmt sich aus seinem selbstschädigenden Altruismus.

Und den politischen Oligarchen gefällt es. Sie weiden sich an des Deutschen Langmut und Leidensfähigkeit, ersinnen immer neue Möglichkeiten, seine Erträge zu verteilen und sind mit Jerome K. Jerome in einem Punkte einig: They are good people, the Germans.

 

Gasche, Martin (2012). Bonusrente statt Zuschussrente. Wirtschaftsdienst 92(9): 605-612.

Gasche, Martin (2008). Renditevergleich zwischen Umlagesystem und Kapitaldeckungssystem. Allianz-Dresdner Economic Research, Working Paper 115.

 

 

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