Schweizer Studie: Schulerfolg bei Jungen von der richtigen Gesinnung abhängig

Der Inhalt eines Beitrags in der Zeitschrift “Masculinities and Social Change”, den Andreas Hadjar, Susanne Backes und Stefanie Gysin verfasst haben und der mit “School alienation, patriarchal gender-role orientation and the lower educational success of boys” überschrieben ist, ist schnell erzählt:

Hadjar_2015_School alienationJungen, die traditionelle Rollenverteilungen präferieren, die also z.B. denken, Männer seien Haupternährer (eine Überzeugung, die die Realität in den meisten deutschen Familien gut beschreibt) und Frauen die besseren Familien-Kümmerer, stören etwas häufiger den Unterricht als Mädchen, die die entsprechende traditionelle Rollenverteilung präferieren und im Gegensatz zu Mädchen, die den Unterricht stören, wirkt sich das Stören durch Jungen negativ auf deren schulischen Erfolg aus, d.h. sie erhalten schlechte Noten. Eine wichtigere Ursache als die Geschlechtsorientierung dafür, dass Jungen und Mädchen im Unterricht stören, ist deren Entfremdung von der Schule. Letztere schlägt sich direkt (was man erwarten sollte, bei Schülern, die sich vom Unterricht abgenabelt haben und der Schule nichts mehr abgewinnen können) und indirekt über störendes Verhalten auf deren schulische Leistung nieder. Abermals ist es so, dass der Weg über störendes Verhalten die Benotung von Jungen stärker belastet als die Benotung von Mädchen.

Kurz: Jungen werden im Gegensatz zu Mädchen bestraft, wenn sie traditionelle Rollenmuster für richtig halten. Beide, Jungen wie Mädchen, unterscheidet im Hinblick auf das Ausmaß der Entfremdung von der Schule und im Hinblick auf störendes Verhalten im Unterricht wenig. Aber: Jungen werden im Gegensatz zu Mädchen von Lehrern für störendes Verhalten bestraft – wegen falscher Gesinnung:

“The finding, that the effect of school alienation on school deviance is as strong for boys as for girls , but problem behaviour in school only effects boys’ school success, suggests the existence of different forms of deviance in schools and different perceptions of girls and boys behaviour from teachers’ perspective”.

Das ist die größte Annäherung, die man in einer Studie aus deutschsprachigen Landen an Kritik an Lehrern erwarten kann. Dass Lehrer offensichtlich differenzieren, wenn es darum geht, Jungen oder Mädchen für den Unterricht störendes Verhalten zu bestrafen und dass Lehrer offensichtlich traditionale Rollenvorstellungen bei Jungen negativ in deren Benotung einfließen lassen, dass sie mit anderen Worten die falsche Gesinnung der Jungen bestrafen, während Mädchen selbst bei falscher Gesinnung straffrei ausgehen, das muss man auf Grundlage der Analysen von Hadjar, Backes und Gysin als belegt annehmen.

Die Ergebnisse von Hadjar, Backes und Gysin resultieren aus einer quantitativen Befragung von 872 Schülern der achten Klasse aus 49 Schulklassen an schweizer Schulen. Neben der quantitativen Befragung haben die Forscher Gruppengespräche mit Schülern geführt und den Unterricht beobachtet.

Und nun ist es an der Zeit, zwei Fragen zu stellen, von denen sich eine im Text finden sollte, was sie aber nicht tut, während die andere an die Adresse der Autoren geht.

1. Frage:
Wie kann es sein, dass die Frage, ob ein Junge ein traditionelles Rollenmuster präferiert, einen Effekt auf seine Benotung hat? Was wird in Schulen eigentlich bewertet (noch ne Frage)? Die Leistung oder die richtige Gesinnung? Wenn sich in weiteren Studien bestätigen sollte, dass in öffentlichen Schulen Jungen dafür bestraft werden, dass sie ein Rollenmodell präferieren, das die Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung nach wie vor lebt, das mittlerweile in defamatorischer Absicht als pratriarchalisches Geschlechtsrollen-Modell bezeichnet und als Ausdruck männlicher Hegemonie bewertet wird, dann sollte man öffentliche Schulen auflösen und versuchen, auf privater Grundlage Schulen aufzubauen, in denen wieder Leistung und nicht Gesinnung bewertet wird.

Die Autoren beteiligen sich übrigens an der Verbreitung des Eindrucks, ein traditionelles Geschlechtsrollenmodell sei Ausdruck männlichen Hegemoniestrebens, was eine Umschreibung für Unterdrückung von Frauen ist. Von dieser Ansicht sind sie auch nicht dadurch abzubringen, dass in etwa so viele Mädchen wie Jungen diesem traditionellen Modell männlicher Hegemonie anhängen. Aber sei’s drum, wo Ideologie ansetzt, ist Ratio fehl am Platze.

Auch die Tatsache, dass es das Patriarchat nie gegeben hat, wie Dr. habil. Heike Diefenbach im bislang mehr als 2000 Mal heruntergeladenen Beitrag über dasselbe zeigt, schreckt manche nicht vom fast schon manischen Kleben an diesem Symbol für – ja, was eigentlich?: – Die eigene Einbildung? Die eigene Phantasie? Die eigene Störung? Das eigene Operempfinden? – ab.

2. Frage:

Patriarchat_coverHadjar, Backes und Gysin schaffen es, ein großes Trara an Methoden zu nutzen: Quantitative Befragung, Fokusgruppen-Interviews, Beobachtung, und trotz allen methodischen Aufwands sind sie nicht in der Lage jene beiden nicht nur aus unserer Sicht zur Erklärung eines zwischen männlichen und weiblichen Schülern differenziellen Bildungserfolgs relevanten Variablen zu berücksichtigen, nämlich die Kompetenz des Lehrers und das Geschlecht des Lehrers. Es scheint, als würde Forschern heutzutage das Herz in die Hose fallen oder die Finanzierung gestrichen, wenn sie auch nur einen Gedanken an die Frage verschwenden, welchen Eigenschaften von Lehrern es geschuldet ist, dass sie männliche und weibliche Schüler nachweislich unterschiedlich behandeln und bewerten. Wir leben im selbstgewählten geistigen Mittelalter – nur ist es dieses Mal nicht die katholische Kirche, die Forschungsfragen verbietet.

So bleibt unterm Strich festzustellen, dass Hadjar, Backes und Gysin einen weiteren Beleg dafür geliefert haben, dass Jungen in Schulen dafür bestraft werden, dass sie die aus Sicht der Lehrer falsche Gesinnung zeigen. Leistung tritt definitiv hinter den Gesinnungstest zurück.

Hadjar, Backes und Gysin haben dies für die Schweiz gezeigt. Es gibt überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass die Ergebnisse in Deutschland nicht genauso ausfallen würden – im Gegenteil: Es gibt allen Grund anzunehmen, dass es sich in Deutschland mindestens genauso verhält.

Methodisches zur Studie:
872 Schüler aus 49 Klassen aus allen Schulformen wurden befragt. Der schulische Erfolg wurde anhand der Durchschnittsnote gemessen. Zu Teilnehmern an und Durchführung der Fokusgruppen-Interviews geben die Autoren keine Informationen, auch die Frage, wie häufig Beobachtungen im Unterricht gemacht wurden, bleiibt unbeantwortet.

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