For(z)sa Niggemeier oder: Sind Anhänger von Grünen und Linker leichter zu manipuliern als andere?

Das Corpus delicti:

forsa“Hat sich Kanzlerin Angela Merkel alles in allem richtig verhalten oder hätte sie Griechenland zu einem Ausstieg aus dem Euro zwingen sollen? [Weiß nicht war eine Antwortalternative]”

Diese Frage hat das Umfrageinstitut “Forsa” seinen rund 1000 Befragten gestellt, die immer dann herhalten müssen, wenn Umfragen mit dem Prädikat “repräsentativ” versehen werden sollen, und diese Frage hat den Ärger von “Medienblogger Stefan Niggemeier” geweckt:

“Forsa hat die Frage so formuliert, dass jeder, der einen erzwungen „Grexit“ ablehnt, seine Zufriedenheit mit Merkel ausdrücken — oder „weiß nicht“ sagen muss. Das wäre auch die Option, die zum Beispiel jemand wie der Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman wählen müsste, der — nicht als einziger — von Merkel forderte, einen „weniger zerstörerischen“ Plan für Griechenland vorzulegen. In der Welt von „Stern“ und Forsa kann man nur noch härter mit Griechenland umgehen als die Bundesregierung. Schon die Formulierung der beiden Antwortmöglichkeiten ist unseriös und manipulativ. “

Grund des Niggemeierschen Ärgers ist der hohe Anteil von “alles in allem richtig gemacht”, den Forsa selbst für Anhänger der Grünen und der Linken ausweist. Und offensichtlich ist Stefan Niggemeier der Ansicht, die arglosen Anhänger der Grünen oder der Linken seien von Forsa mutwillig in die falsche Antwort getrickst worden. Natürlich ist Paul Krugman intelligenter als die vielen Anhänger der Grünen und der Linken, die nach Angaben von Forsa ihre Zufriedenheit mit der Verhandlungskunst von Frau Merkel zum Ausdruck gebracht haben.

Das Problem dieser Kontroverse, in die sich nun auch Soziologen eingemischt haben (ja, es gibt noch welche), und zwar Michael Häder, dem eine Notenskala zur Bewertung der Verhandlungskunst von Angela Merkel lieber wäre und Andreas Diekmann, den das Oder an der Frageformulierung stört: Sie wird auf Grundlage unterschiedlicher Prämissen geführt.

Rollen wir das Feld von hinten auf.

Holm_Selbstverständlich ist die Frageformulierung von Forsa manipulativ. Im Knigge der empirischen Sozialforschung steht unter den do-nots der gezielten Manipulation von Antwortverhalten: “Man formuliert geschlossene Fragen ohne eine vollständige Liste von Antwortmöglichkeiten zu präsentieren. Antworten, die nicht erwünscht sind, werden nicht vorgegeben” (Holm, 1975: 64).

Stefan Niggemeier hat mit seiner Kritik also recht. Wenn es Forsa darum gegangen wäre, ein Bild davon zu erhalten, was die von Forsa befragten Deutschen von den Verhandlungskünsten ihrer Kanzlerin halten, dann hätte die Alternative: Merkel hätte Griechenland (noch mehr) Schulden erlassen sollen, in der ein oder anderen Variante, die dann auch Paul Krugmann ankreuzen kann, dazu gehört.

Aber: Es geht um Umfrageforschung, nicht um Wissenschaft.

Gibt es wirklich noch jemanden in Deutschland, der der Ansicht ist, Umfrageforschung werde durchgeführt, um objektive Meinungsbilder der Bevölkerung abzufragen?

Kann man so naiv sein?

Wir haben in zurückliegenden Posts nicht nur gezeigt, wie Umfrageforschung genutzt werden soll, um Befragte zu manipulieren und, wenn das nichts nutzt, Ergebnisse zu frisieren. Wir haben uns schon zur Unmöglichkeit einer repräsentativen Stichprobe geäußert. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass Umfrageforschung Auftragsforschung ist, und verdi als Auftraggeber einer Umfrage über private Bildungseinrichtungen kein großes Interesse an unangenehmen Ergebnissen hat, wie das Deutsche Jugendinstitut kein großes Interesse an einem Nachlassen der Fremdenfeindlichkeit hat, wenn die Entscheidung über eine Weiterförderung des Bereiches Extremismus und Fremdenfreindlichkeit durch das BMFSFJ wieder ansteht.

Das Giftarsenal der Umfrageforschung, ergänzt um die immer geringer werdende Verbreitung der Kenntnisse darüber, wie man quantiative empirische Sozialforschung überhaupt betreibt, beides verbindet sich zu einer höchst fruchtbaren Mischung, wenn es darum geht, Ergebnisse zu produzieren, die einem in den Kram passen oder doch zumindest: es zu versuchen.

UmfragemissbrauchDenn: auch unter denjenigen, die von Umfrageforschern befragt werden, finden sich intelligente Wesen. Und so ist es für uns regelmäßig ein Rätsel, dass diejenigen, die wie Stefan Niggemeier glauben, man könne durch vermeintliche repräsentative Auswahl von Befragten und eine korrekte Formulierung der Fragen, der Wahrheit nicht nur auf die Spur kommen, nein, sie direkt messen, nicht bereit sind, ebenfalls anzunehmen, dass die Verteilung der intelligenten Befragten denselben Gesetzen der Repräsentativität folgt, dass sie, mit anderen Worten, zufällig verteilt sind, sich unter Befragten, die der CDU/CSU anhängen, im selben Anteil finden wie unter Befragten, die der Linken oder den Grünen anhängen (Es geht hier um das formale Argument, nicht um die inhaltliche Wertung!).

Wenn man annimmt, dass in vermeintlich repräsentativen Befragungen, die auf der zufälligen Auswahl von Befragten basieren, die Anzahl der Intelligenten ebenfalls zufällig verteilt ist und man zudem annimmt, dass es Intelligenten auffällt, wenn man sie manipulieren will, dann folgt daraus, dass die entsprechend Intelligenten den Braten riechen, der mit der Forsa-Frage gegrillt werden soll.

Was folgt daraus?

Anhänger von CDU und CSU werden eher zustimmen, auch dann, wenn sie den manipulativen Charakter der Frage erkennen, denn sie sind mit der Verhandlungskunst von Frau Merkel vermutlich wirklich zufrieden.

Anhänger von Linke und Grünen, die gerne die Alternative “hätte Griechenland noch mehr Schulden erlassen sollen” gewählt hätten, wie Stefan Niggemeier meint, hätten entsprechend “weiß nicht” als Anwtortalternative wählen müssen, da die von ihnen präferierte Antwortalternative nicht vorhanden war. Das haben sie aber nicht getan, was zwei Möglichkeiten offen lässt: Entweder die Anhänger der Grünen und der Linken sind tatsächlich mit der Verhandlungskunst von Frau Merkel zufrieden oder sie sind dümmer als der Rest der Befragten, denn sie haben den manipulativen Braten nachweislich nicht gerochen, sich in die falsche Antwort tricksen lassen.

Welche Alternative darf es sein, Herr Niggemeier?

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