Sozialfaschismus der Mitte: Kommunismus 2.0

Die Weimarer Republik ist an ihren Feinden gescheitert. Das lernt heute jeder Schüler. Die Feinde der Weimarer Republik, das weiß heute auch fast jeder Schüler, das waren die Nazis, die Nationalsozialisten. Die Feinde der Weimarer Republik, das waren aber nicht nur diejenigen, die aus heutiger Sicht „Rechte“ sind, es waren – betrachtet man den ersten republikanischen Versuch in seiner Gesamtheit – vor allem Linke. Keine politische Partei hat so beharrlich, so intensiv und so gewalttätig gegen die Weimarer Republik opponiert, wie die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD).

Die These vom Sozialfaschismus hat dabei eine große Rolle gespielt.

Seit Karl Marx seinen Kurzschluss in Schriftform verewigt hat, nachdem die objektive Lage das subjektive Bewusstsein beeinflusst (besser: für diejenigen, die eine objektive Klassenlage teilen, gleichschaltet), das Sein also das Bewusstsein bestimmt, hatten zuerst Marxisten, dann Sozialisten, dann Kommunisten, Leninisten und Stalinisten dasselbe Problem. Wenn viele Individuen dieselbe objektive (Klassen-)Lage teilen, also z.B. Arbeiter sind, diese objektive Lage zum selben Bewusstsein, zur selben Interessenlage, zur selben Einstellung führen soll, warum wählen dann nicht alle Arbeiter kommunistische oder sozialistische Parteien?

Die Antworten, die religiöse Fundamentalisten in einer solchen Situation immer geben, unterscheiden sich nur in der Formulierung:

  • falsches Bewusstsein,
  • Anfälligkeit für Populismus,
  • leichte Verführbarkeit zum Faschismus.

Auf der Suche nach den Verantwortlichen für das falsche Bewusstsein, das Arbeiter daran hindert zu erkennen, dass Kommunismus oder Sozialismus Heilslehren sind, die ihr Leben auf der Erde zum Dasein im Paradies umfunktionieren sollen (in der Theorie, in der Praxis ist eher die Hölle der Gulags und Erschießungslager daraus geworden), haben Kommunisten schon früh das Konzept des „Sozialfaschismus“ entwickelt.

Nach dem erfolgreichen Marsch auf Rom, den Mussolinis Partito Nazionale Fascista im Oktober 1922 durchgeführt hat, war für Kommunisten klar, dass „[d]ie Schuld für die jetzige furchtbare Lage der italienischen Arbeiterschaft … in vollem Umfang die Sozialdemokratie“ trage“ (Saage, 2007: 25). Die SPD wird von Kommunisten wie Karl Radke oder Clara Zetkin explizit in den Kreis der Faschisten eingeordnet, wobei Faschismus für die Kommunisten immer ein Instrument der Bourgeoisie ist, das z.B. in Italien von Großbanken und Großagrariern finanziert wird. Da Mussolini die Versuche der italienischen Kommunisten, die Macht in Italien zu übernehmen, beendet hat, ist für Kommunisten auch klar, dass ihre Gegner, die Verantwortlichen für das falsche Bewusstsein der Arbeiter, die Faschisten sind.

Unter Faschismus wird die Kommunistische Partei Deutschlands später mehr oder weniger alle politischen Ideologien subsumieren, die nicht die eigene sind. Ein aggressives und in weiten Phasen der Weimarer Republik gewaltsam bekämpftes Feindbild, ist das Markenzeichen der Kommunisten – es wird heute auch von Sozialisten verbreitet. Richard Stonenescu schreibt dazu:

„Die KPD verstand sich als einzig wahre soziale und nationale [!sic] Kraft im Kampf gegen den internationalen Kapitalismus. Wer nicht mit der Partei auf einer Linie lag, konnte somit auch dem faschistischen Lager zugerechnet werden“.

Dem faschistischen Lager wurde insbesondere die SPD in der Weimarer Republik und lang über die Machtergreifung der NSDAP hinaus (bis 1935) zugerechnet. Die KPD war hier Musterschüler der Sozialfaschismus-Lehre, die als Sozialfaschismusthese schon 1924 Jahre auf dem Weltkongress der Kommunistischen Internationalen von Grigori Sinowjew entwickelt wurde:

„Der Faschismus ist eine Kampforganisation der Bourgeoisie, die sich auf die Unterstützung der Sozialdemokratie stützt. Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus“ (Stonenescu 2013: 75).

Die Sozialfaschismusthese war geboren.

In einer Anweisung der KPD-Führung in Deutschland an die Bezirksleitungen der KPD heißt es:

„Der Sozialfaschismus bleibt das wichtigste Instrument des Finanzkapitals zur Niederschlagung der Arbeiterklasse, der wichtigste und gefährlichste Hebel zur Errichtung der faschistischen Diktatur […]. Die Sozialdemokratie ist der Hauptagent des Finanzkapitals und des Faschismus“ (Stonenescu 2013: 79).

Man kann in diesen Aussagen das dichotome Weltbild, das Kommunisten und Sozialisten bis heute auszeichnet, fast greifen. Wer nicht den kommunistischen Katechismus herbeten will oder kann, ist ein Feind, ein Klassenfeind, den es zu bekämpfen gilt, denn er ist hauptsächlich für die Verbreitung des falschen Bewusstseins verantwortlich, das Arbeiter dazu bringt, die SPD oder andere, aus Sicht der KPD faschistische Parteien zu wählen, wo sie doch aufgrund ihrer Klassenlage und nach allem, was Papa Marx so erzählt hat, KPD wählen müssten.

Diese Erklärung dafür, warum Wähler ihr Kreuz bei einer anderen Partei machen, haben Sozialisten und Kommunisten bis heute beibehalten (und nicht nur sie). Werden andere Parteien gewählt, dann kann dies nur am falschen Bewusstsein liegen, daran, dass die Wähler in die Wahl einer anderen Partei getrickst wurden oder daran, dass sie dem Rechtspopulismus erlegen sind. Von Linksaußen betrachtet, so sagt Dr. habil. Heike Diefenbach immer, ist jeder ein Rechter.

Damit sind die Parallelen zwischen der Sozialfaschismusthese der Weimarer Republik und der heutige Zeit aber noch nicht am Ende. Denn wir finden die Sozialfaschismusthese in Reinkultur in Schriften der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Leipziger Mitte-Studien stellen eine Reinkarnation der Sozialfaschismus-These dar, nur sind dieses Mal nicht die Sozialdemokraten daran schuld, dass Arbeiter nicht klassenbewusst KPD wählen, dieses Mal ist der Rechtspopulismus ein Agens, das sich bis in die Mitte der Gesellschaft verteilt hat und die Wähler dazu verleitet, nicht die grünen und roten Heilsparteien zu wählen.

Wir zitieren aus dem letzten Versuch von Oliver Decker und Elmar Brähler im Rahmen ihrer sogenannten „Mitte-Studien“ Sozialforschung zu betreiben. Die Studie trägt den Titel: „Leipziger Autoritarismus-Studie 2018 – Flucht ins Autoritäre – Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft“:

„Wegen dieser Befunde sprachen wir vom Rechtsextremismus in der ‚Mitte der Gesellschaft‘ und nannten die 2006, damals noch mit der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführte Studie Vom Rand zur Mitte (Decker & Brähler, 2006). Den Rechtsextremismus in der gesellschaftlichen Mitte zu thematisieren, war und ist von uns sehr ernst gemeint, hatten wir doch 2006 schon zum dritten Mal festgestellt, dass die Abwertung anderer Menschen, der Wunsch nach einem Führer oder der Chauvinismus sich nicht etwa nur bei den … Wählern extrem-rechter Parteien finden ließ. Im Gegenteil war ihr Anteil unter den … Anhängern der demokratischen Parteien sogar höher, also von en Parteien, die für sich in Anspruch nehmen, die ‚Mitte‘ zu repräsentieren. Ein Messfehler, wie ihn sich manche Kritiker unserer Studie gewünscht hätten, war das nicht: und die Entwicklung der letzten Jahre mit dem Erstarken von AfD und Pegida bestätigen – leider – unsere Ergebnisse. Messfehler sind ausgeschlossen. Das Potenzial für rechtsextreme Parteien war also schon lange groß, konnte aber von Parteien wie der NPD nicht genutzt werden. Dass die weite Verbreitung extrem-rechter Einstellungen nicht zu Handlungen führte, sollte allerdings, so unsere Botschaft, niemanden beruhigen“ (Decker 2018: 19).

Man sieht: Die für Mitglieder ideologischer Sekten so typische Überzeugung, über jeden (Mess-)Fehler erhaben zu sein, weil man sich im Besitz der reinen Wahrheit wähnt, ist heutzutage unter Personen verbreitet, die von sich denken, sie seien Sozialforscher und die Ergebnisse, die trivialer nicht sein könnten und schon 1979 von den Greifenhagens publiziert und damals noch mit viel Gelächter in der Profession goutiert wurden, zu etwas anderem stilisieren als sie sind: Messartefakte (Unsere Besprechungen dieser „Mitte-Studien“ findet sich hier und hier).

Wichtiger für den vorliegenden Beitrag ist jedoch die Feststellung, dass hier die alte Finte der Kommunisten, die Sozialfaschismusthese, die alle politischen Ideologien, die nicht die eigene sind, zu Faschismus erklärt, in neuem Gewandt wiederkehrt, nunmehr über das Bewusstsein, das man heute Einstellung nennt, operationalisiert. Die Wähler mit dem falschen angeblich rechtsextremen Bewusstsein warten darauf, von den Anbietern vermeintlich rechtsextremer Inhalte umgarnt zu werden. Die Modernisierung der Sozialfaschismusthese hat den Nachteil, dass sie die Schuld auch bei den Trägern des falschen Bewusstseins sucht und nicht nur bei denen, die die Inhaber einer objektiven Klassenlage angeblich zum falschen Bewusstsein verführen. Ein Nachteil ist das deshalb, weil man falsches Bewusstsein nun nicht mehr durch kommunistische Kur behandeln kann, sondern die entsprechenden Träger gleich als gesellschaftlichen Ausschuss betrachten muss. Der gesellschaftliche Kampf der Selbstgerechten richtet sich nunmehr nicht nur gegen den politischen Gegner, sondern auch gegen seine Wähler, was im Ende wohl dazu führen muss, dass die kommunistischen Gulags noch voller sind, als sie es historisch betrachtet, bislang waren.


Literatur:

Decker, Oliver (2018). Flucht ins Autoritäre. In. Decker, Oliver & Brähler, Elmar (Hrsg.). Flucht ins Autoritäre -Rechtextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft. Gießen: Psychosozial-Verlag, S.15-64.

Saage, Richard (2007). Faschismus – Konzeptionen und historische Kontexte. Eine Einführung. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften.

Stonenescu, Richard (2013). Das Scheitern des Kommunistischen Widerstands. Die Auswirkungen der ideologischen Leitlinien der KPD 1933-1945. Marburg: Tectum.

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