Italienische Philosophen nehmen Stellung zum grünen EU-Impfpass

Ärzte, Pfleger, Juristen, Politikwissenschaftler, andere Sozialwissenschaftler, Philosophen und besonders ihre Berufsverbände – sie alle wären aufgrund einer Berufsethik (die sie haben sollten, aber anscheinend nicht immer haben) besonders dazu aufgerufen, kritisch zu Politiken Stellung zu nehmen, die sich dessen, was Kelman „environmental manipulation“ nennt, bedienen und die Gesellschaft in verschiedene Grade von Bürgern aufteilen.

Aber kritische Stimmen aus ihren Reihen bleiben bislang die Ausnahme, und sofern es mehr dieser Stimmen gibt, erfahren wir nicht davon, denn sie werden – so gut es geht – in den mainstream-Medien ignoriert oder zensiert. Soweit ich es sehe, ist das – was deutschsprachige mainstream-Medien betrifft und sogar englischsprachige, während die Stellungnahme in der italienischen Presse weithin berichtet wurde – auch mit der Stellungnahmen passiert, die zwei der bekanntesten zeitgenössischen italienischen Philosophen, Massimo Cacciari und Giorgio Agamben, die beide auf eine lange universitäre Lehrkarriere und Publikationskarriere zurückschauen, inzwischen beide über 70 Jahre alt sind und politisch fraglos, sagen wir: links der Mitte, angesiedelt sind, am 26. Juli abgegeben haben.

Es handelt sich um eine Stellungnahme zum Dekret Nummer 105 der italienischen Regierung vom 23.07.2021, das am 06. August in Kraft getreten ist und sich auf den sogenannten grünen (Impf-)Pass bezieht, der die Voraussetzung dafür ist, dass man Museen besuchen kann, an Sportveranstaltungen teilnehmen kann u.a.m., und das Strafen für diejenigen vorsieht, die sich nicht an die entsprechenden Regeln halten, ähnlich wie das in Deutschland bereits seit Mitte Juni der Fall ist.

Die Stellungnahme der beiden Philosophen ist in der Reihe von Texten erschienen, die das Istituto Italiano per gli Studi Filosofici, also das Italienische Institut für Philosophische Studien, das in Neapel seinen Sitz hat, unter dem Titel „Diario della crisi“, d.h. „Krisentagebuch“ veröffentlicht. Der Text kann im italienischen Original hier nachgelesen werden und in einer englischen Übersetzung hier.

Für diejenigen, die beider Sprachen nicht mächtig sind, folgen hier die Stellungnahme der beiden Philosphen in meiner Übersetzung aus dem ialienischen Original ins Deutsche (so wörtlich wie möglich und/aber auch so sinnentsprechend wie möglich, und daher stellenweise etwas frei):

„Die Diskriminierung einer Kategorie von Personen, die automatisch zu Bürgern zweiter Klasse werden, ist an sich eine sehr ernste Angelegenheit, die für ein demokratisches Zusammenleben dramatische Konsequenzen haben kann. Und das ist es, womit wir, ohne es zu wissen und leichtfertig, in Gestalt des sogenannten grünen Pass konfrontiert sind. Jedes despotische Regime hat immer mit Diskriminierungspraktiken operiert, zunächst vielleicht verhalten, aber dann immer invasiver/übergriffiger. Nicht zufällig erklärt die chinesische Regierung, dass sie beabsichtigt, mit der Rückverfolgung und Kontrolle [von Bürgern] auch nach dem Ende der Pandemie fortzufahren. Und es lohnt sich, sich an den „internen Pass“ zu erinnern, den die Bürger der Sowjetunion den Behörden vorzeigen mussten, um sich innerhalb des Landes bewegen zu können. Wenn dann ein Politiker in faschistischer Sprachmanier Sätze wählt wie „Mit dem grünen Pass werden wir sie säubern“, um Nicht-Geimpfte anzusprechen, dann steht wirklich zu befürchten, dass wir bereits jede verfassungsmäßige Garantie hinter uns gelassen haben.

Wehe, wenn sich der Impfstoff in eine Art politisch-religiöses Symbol verwandelt. Das würde nicht nur ein inakzeptables antidemokratisches Abdriften darstellen, sondern auch im Widerspruch zur wissenschaftlichen Evidenz stehen. Niemand lädt dazu ein, sich nicht impfen zu lassen! Es ist eine Sache, den Nutzen des Impfstoffes zuzugestehen, aber eine vollkommen andere, darüber zu schweigen, dass wir uns noch in einer Phase des „Massenversuches“ befinden und dass die wissenschaftliche Debatte hinsichtlich vieler, grundlegender Aspekte des Problems noch gänzlich offen ist. Das Amtsblatt des Europäischen Parlamentes vom 15. Juni stellt ausdrücklich fest: ‚Es ist notwendig, direkte oder indirekte Diskriminierung von Personen zu vermeiden, die nicht geimpft sind, sowie von Personen, die sich dafür entschieden haben, sich nicht impfen zu lassen‘. Und wie könnte es anders sein? Geimpfte können nicht nur andere infizieren, sie können auch selbst erkranken: in England hatten von 117 neuen [Covid-19-]Todesfällen 50 die zweite Impfung erhalten. In Israel wird geschätzt, dass der Impfstoff 64 Prozent derer, die ihn erhalten haben, schützt. Dieselben Pharma-Unternehmen haben offiziell erklärt, dass es angesichts der Tatsache, dass sie keine Zeit hatten, alle Tests auf Genotoxizität und auf Karzinogenität durchzuführen, nicht möglich ist, die langfristigen Schäden des Impfstoffes vorherzusehen. [In der Zeitschrift] „Nature“ wurde berechnet, dass es physiologisch möglich ist, dass 15 Prozent der Bevölkerung den Impfstoff nicht annehmen. Wir müssen also am Pass festhalten bis wann?

Alle sind von diskriminierenden Maßnahmen bedroht. Paradoxerweise sind es diejenigen, die durch den grünen Pass ‚bevollmächtigt‘ sind, noch mehr als die Nicht-Geimpften (deren Darstellung als ‚Feinde der Wissenschaft‘ und vielleicht als Befürworter magischer Praktiken eine Propaganda des Regimes gerne durchsetzen würden), nämlich in dem Moment, in dem alle ihre Bewegungen überwacht werden und sie nie wissen können, wie und von wem. Das Bedürfnis, zu diskriminieren, ist so alt wie die Gesellschaft, und es war mit Sicherheit auch in unserer schon [d.h. vor dem Auftreten von Covid-19] vorhanden, aber es heute in einem Gesetz zu verankern, ist etwas, das das demokratische Bewusstsein nicht akzeptieren kann und dem es sofort entgegenwirken muss.“

Soweit die Stellungnahme von Cacciari und Agamben.

Diese Stellungnahme ist überraschend unphilosophisch, wenn man bedenkt, dass sie von zwei Philosophen formuliert wurde. Solche, die ein Interesse haben, die Stellungnahme bzw. das, was Cacciari und Agamben in ihr schreiben, zu diskreditieren, meinen deshalb vielleicht, dass sie die schlichte Tatsache, dass die beiden Philsophen nicht-philosophische Argumente vorbringen, ausnutzen können und ihnen diesbezügliche Fehler quittieren können.

Ein solches Interesse hat offensichtlich Giovanni Boniolo, der auf den Seiten von „Scienzainrete.it“ die Stellungnahme der beiden Philosophen dem unterzieht, was er anscheinend für eine Kritik hält, die aber beim besten Willen keine darstellt, sondern eher als Parodie auf eine Kritik bzw. schlicht grober Unfug gelten kann. Wer sich davon überzeugen möchte (und hinreichend gut Italienisch kann) und nichts besseres mit seiner Zeit anzufangen weiß, kann diese Parodie auf Kritik hier nachlesen.

Boniolos Kritik erschöpft sich bestenfalls in Haarspaltereien, aber meistens in Lächerlichkeiten, z.B. dann, wenn er fragt, in welchem Sinn die beiden Philosophen sich mit dem sogenannten Grünen Pass konfrontiert sehen, und wenn er sich darüber mokiert, dass Cacciari und Agamben vom „sogenannten“ Grünen Pass schreiben, als sei mit „sogenannt“ etwas faktisch Falsches impliziert – oder etwas irgendwie Abwertendes, von dem Boniolo zu wissen meint, dass es der Sache unangemessen sei. Und er fragt allen Ernstes: „Bene, chi lo dice?“ (Nun gut, wer sagt das?), obwohl auch ihm hinreichend klar sein sollte, dass es Cacciari und Agamben sind, die dies sagen – der Text stammt von ihnen!

Er wirft ihnen allen Ernstes vor, dass sie keine unterstützenden Daten oder „fonti autorevoli“ („maßgblichen Quellen“) vorbringen, aber er läßt offen, wie er sich z.B. „unterstützende Daten“ dafür, dass (nicht nur) Cacciari und Agamben (und nicht nur alle Italiener, sondern sehr, sehr viele Menschen überall auf der Erde) mit dem sogenannten Grünen Pass konfrontiert sind, vorstellt. Vielleicht erwartet er einen screenshot von einem sogenannten Grünen Pass, der belegt, dass es einen solchen gibt?! Oder würde er ein solches Bild als gefälscht abtun und weitere Belege dafür fordern, dass es den sogenannten Grünen Pass gibt?

Mir scheint, Boniolo erwartet etwas in dieser Art, ganz so, wie er Cacciari und Agamben vorwirft, sie würden, wenn sie davon sprechen, dass der sogenannte Grüne Pass eine Diskriminierung bedeutet, die als solche sozusagen unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle bleibt und (schon insofern) leichtfertig vor- und hingenommen wird, keine „nomi e cognomi“ („Namen und Nachnamen“) nennen. Boniolo gibt leider nicht an, ab welcher Länge er eine entsprechende Namensliste akzeptieren würde, aber meinen Namen und Nachnamen dürfte er ggf. getrost auf diese Liste setzen.

Oder vielleicht erwartet er eine allgemeine Bevölkerungsumfrage, in der Menschen dazu Stellung nehmen sollen, wie leichtfertig oder unbewusst[!], gemessen auf einer Likert-Skala, sie es hinnehmen, dass der sogenannten Grüne Pass eine Diskriminierung darstellt, was er gemäß dem Wortsinn von „Diskriminierung“ schon im schwächstmöglichen Sinn tut: er unterscheidet Menschen in verschiedene Gruppen, und dies in Verbindung mit differenziellen Rechten an gesellschaftlicher Teilhabe. (Das sage ich, aber der Duden befindet sich zumindest nicht im Widerspruch zu meiner Aussage.)

Den Gipfel der Parodie in dieser angeblichen „Kritik“ stellt es m.E. dar, wenn Boniolo Cacciari und Agamben der Einfachheit halber ohne unterstützende Daten und maßgebliche Quellen, aber dafür in einem in Klammern eingefügten Einschub, gleich eine ganze Reihe von „varianti“ („Varianten“) gängiger Fehlschlüsse unterstellt, ohne dies jeweils durch „unterstützende Daten“ z.B. in Form von Zitaten aus der Stellungnahmen zu belegen und ohne zu irgendeinem Zeitpunkt zu bemerken, dass er selbst einen Fehlschluss ad auctoritatem begeht, wenn er „maßgebliche Quellen“ fordert, ganz davon zu schweigen, dass nicht klar, ist, was für wen warum “maßgeblich” sein sollte.

Und an der Stelle, an der sich Boniolo über den fehlenden Literaturnachweis mit Bezug auf die Erwähnung der Zeitschrift „Nature“ (im Prinzip mit Recht) beklagt und den Leser darüber aufklären will, worum es sich hier genau handelt, versäumt er selbst es vollständig, den entsprechenden Literaturnachweis anzufügen. Sein Text enthält ebenso wenig Literaturnachweise wie die Stellungnahme von Cacciari und Agamben (was ich anbetracht der verschiedenen Arten von Literatur im Fall von Cacciari und Agamben aber relativ verzeihlicher finde).

Ich will es hier dabei belassen, dies vermeintliche „Kritik“ als das zu erweisen, was sie ist: „Mumble, mumble“ – wie Boniolo selbst formuliert (allerdings mit Bezug auf die Stellungnahme von Cacciari und Agamben, versteht sich).

Als solcher, nämlich als Versuch, Stellungnahmen gegen den sogenannten Grünen Pass zu diskreditieren, ist der Text von Boniolo jedoch sehr aufschlussreich:

Er illustriert auf eindringliche Weise, dass Befürworter des sogenannten Grünen Passes in der Tat nicht unbedingt solche, also Befürworter, sind. Wären sie es, müsste es ihnen möglich sein, für den sogenannten Grünen Passe zu argumentieren. Statt dessen versuchen sie – wie im Fall von Boniolo gewöhnlich vergeblich –, gegen Kritiker des sogenannten Grünen Passes zu argumentieren, wohl in dem Glauben, dass eine Kritik der (Argumente der) Kritiker ein Argument für die von den Kritikern kritisierte Sache darstellen würde – ein Fehlschluss, der so dumm ist, dass sich im Mittelalter, als die Bezeichnungen für die gängigen Fehlschlüsse entstanden, anscheinend niemand vorstellen konnte, dass er möglich wäre oder häufiger als sehr selten vorkommen könne; eine spezielle Bezeichnung für diesen Fehlschluss ist mir jedenfalls nicht bekannt.

Es scheint, dass Opfer dieses Fehlschlusses schlichtweg nicht wissen, warum sie dem sogenannten Grünen Pass (und vermutlich auch anderen staatlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit Covid-19) das Wort reden. Und wenn das so ist, dann muss man vermuten, dass sie das sind, was man im Italienischen „imbrattacarte dilettanti“ nennt, d.h. amateurhafte/dilettierende Schreiberlinge – und damit das perfekte Beispiel für die Unbewusstheit und Leichtfertigkeit, mit der die Konfrontation mit dem sogenannten Grünen Pass von manchen Personen hingenommen oder sogar befürwortet wird, ganz so, wie Cacciari und Agamben es in ihrer Stellungnahme formuliert haben.

Und wie es sich im realen Leben oft fügt, wird der Anschein durch die Fakten bestätigt: „Scienzainrete.it“, was etwa „WissenschaftimNetz“ bedeutet, hat mit Wissenschaft oder mit Wissenschaftlern überhaupt nichts zu tun, sondern ist eine eingetragene Nachrichtenagentur, wie man auf der Startseite (ganz unten) nachlesen kann. Wen erinnert das nicht an diverse Versuche von bei Medien Angestellten auch in Deutschland, Definitionshoheit durch anmaßende Bezeichnungen wie “Faktenfinder” zu erreichen?!

Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass Cacciari und Agamben ihre Stellungnahmen als Philosophen in dem Sinn formulieren, dass sie sie mit ethischen Argumenten bestücken oder zumindest mehr solcher Argumente vorbringen, und ich vermute, dass Cacciari und Agamben hier ihre argumentativen Stärken richtig hätten ausspielen können.

Aber wichtig ist in unserer Gesellschaft, in der sich allzu oft persönliche Feigheit der Zensur zugesellt, dass (auch) in der Öffentlichkeit bekannte Personen anzeigen, dass sie staatliche bzw. supranationale Maßnahmen reflektieren, bewerten und ggf. kritisieren, statt sie fraglos zu akzeptieren oder ihnen auf anbiedernde Weise das Wort reden – und dass Berufsverbände bzw. berufliche Zusammenschlüsse wie das Italienische Institut für Philosophische Studien in Neapel dies öffentlich erkennbar unterstützen; un lavoro fatto bene paga – früher oder später!



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