Die Ausübung von Freiheit ist in Deutschland genehmigungspflichtig – von schriller Minderheit und soziologischer Armut

Zwei Narrative beherrschen den derzeitigen Umgang mit denen, die allabendlich in beeindruckender Zahl spazieren gehen:

  • Es ist nur eine kleine – schrille – Minderheit, eine Behauptung, die vornehmlich von einer kleinen, schrillen Minderheit, von Leuten wie Ralf Stegner oder Armin Nassehi aufgestellt wird;
  • Es schicke sich nicht, seinen Protest Seite an Seite mit Rechtsextremisten zum Ausdruck zu bringen.

Vor allem Ralf Stegner, MdB für Pinneberg, SPD, zeichnet sich als Verfechter der Gesinnungstrennung aus, wie er überhaupt ein Freund davon ist, eine Form gesellschaftlicher Zweiteilung, eine Art Gesinnungsgesellschaft einzuführen, bei der die braven, die gefügigen Bürger, die alles so machen, wie es Polit-Darsteller wie Stegner für richtig halten, auf der einen Seite stehen und all diejenigen, die etwas auszusetzen haben, die kritisieren oder sonstige Formen von Häresie zum Ausdruck bringen, auf der anderen Seite stehen. Aber natürlich sind Leute wie Stegner für Rechte, für Demonstrationsfreiheit, für Meinungsfreiheit, so lange jedenfalls, so lange sich niemand die Freiheit nimmt, außerhalb der von Stegner tolerierten Freiheit zu stehen.

Es ist eines der Markenzeichen Deutschlands, dass es Leute gibt, die denken, man müsse sich die Ausübung seiner Freiheit vom Staat genehmigen lassen, müsse Spaziergänge beantragen, müsse seine Kritik in genau der Form und genau an der Stelle vorbringen, die einem zugewiesen wird. Es ist, mit anderen Worten, denjenigen, die sich für die Oligarchie an der Spitze des Staates halten, nicht einsehbar, warum sie Bürgern dieselben Rechte einräumen sollten, die sie sich selbst nehmen:

Zwei Beiträge aus der Berliner Morgenpost zwischen denen knapp zwei Jahre liegen und die die unter Linken, wie bei allen Leuten, die sich an keine Prinzipien und keine Werte binden wollen, so endemische Heuchelei, auf den Punkt bringen. Extremisten zu meiden, das schreibt man denen vor, die man ideologisch nicht mag. Die Meidepflicht für Extremisten, die gilt natürlich nicht für das eigenen ideologische Lager. Hier kann man sich gemein machen mit Steinewerfern, Brandstiftern, mit Kriminellen aller Art, denn wahre Gesinnung ist unabhängig von den Mittel, die genutzt werden, um sie durchzusetzen. Das wusste schon Stalin. Deshalb hat er seinen Gulag eingerichtet.

Das zweite Motiv, das wir hier angesprochen haben, ist die Betonung, dass sich diejenigen, die derzeit gegen “Corona-Maßnahmen” demonstrieren, in der MINDERHEIT befinden. Diese Erzählung ist sehr wichtig, denn diejenigen, die sie von sich geben, legitimieren alle ihre Aussagen durch diese Prämisse.

Ein sehr gutes Beispiel ist ein Interview mit Armin Nassehi, Professor für Soziologie an der LMU in München, das im Bayerischen Rundfunk zu hören war. Nassehi, der im Interview sehr bemüht ist, kein falsches Wort zu sprechen und die “Anführungszeichen” immer deutlich anzugeben, damit niemand denkt, er sympathisiere mit der falschen Seite, baut alle seine Aussagen auf zwei Prämissen auf:

  • Alle Maßnahmen, die der deutsche Staat gegen SARS-CoV-2 trifft, sind gerechtfertigt und richtig;
  • Deutschland ist unzweifelthaft eine Demokratie;

Über diese beiden Prämissen wird nicht diskutiert. Wer sie in Frage stellt, hat schon verloren, und wenn es notwendig ist, einen logischen Fehler zu begehen, wie ihn Nassehi begeht, wenn er sagt: Wären wir wirklich in einer Diktatur, könnten die Leute nicht diese Dinge behaupten”, dann ist es eben notwendig. Das ist empirisch und logisch falsch, wie schon die Tatsache zeigt, dass es in Diktaturen  bzw. autoritären Systemen wie der DDR immer Regimegegner gab. Die Form, die Art und Weise, in der man in der DDR seine Kritik vorbringen musste, war eine andere, schon aus Selbstschutz. Daraus kann man, und damit sind wir beim logischen Fehler angekommen, aber nicht ableiten, dass Deutschland derzeit KEINE Diktatur ist. Der Wertebereich einer Diktatur ist breit. Das relevante Merkmal eigentlich nur die Einschränkung von Freiheitsrechten und das Verbot, bedingungslos nach seiner Fasson selig zu werden.

Insofern ist es verwunderlich, wenn Nassehi sagt, dass nicht jede Einschränkung von Handlungsfähigkeit einem Verlust an Freiheit gleichkomme. Das ist nicht nur verwunderlich, es ist falsch. Natürlich geht mit jeder Einschränkung von Handlungsfähigkeit ein Verlust an Freiheit einher. Nassehi vermischt hier die Frage, ob es sinnvoll sein kann, auf bestimmte Handlungsfähigkeiten zu verzichten mit der Frage der Freiheit. Wie die meisten Moralphilosophen geschrieben haben, kann es in bestimmten Situationen sinnvoll sein, die eigene Handlungsfreiheit einzuschränken und sich allgemeingültigen Regeln zu unterwerfen, sofern mit diesen Regeln ein Zugewinn an Lebensstandard, -Freude oder Sicherheit verbunden ist. Wenn nicht, dann nicht.

Von einem zweiten Vorsitzenden im Bayerischen Ethikrat hätte man hier mehr erwartet.

Insbesondere hätte man nicht die Wiederkehr der Leier von der Überforderung, die zu Unsicherheit und über Unsicherheit zu Stress führt, was dann in Demonstrationen mündet, erwartet. Eine sehr rustikale Erklärung für diejenigen, die derzeit spazieren gehen, die den Vorteil hat, dass sie alles und nichts erklärt, denn natürlich führt der Stress, der von Überforderung ausgeht und durch Unsicherheit hervorgerufen wird, dazu, dass sich Leute unter ihrem Sofa verstecken, sich wenn nötig, jeden dritten Tag impfen lassen, so lange man ihnen das ewige Leben, sowie Sicherheit und Kost und Logis bis zum St. Nimmerleinstag verspricht. Solche Trivialitäten in Leerformeln sind ärmlich…

Aber sie sind notwendig, denn die Erzählung, die Nassehi entweder gefressen hat oder durchsetzen will, sie setzt die schrille Minderheit gegen die stille und brave Mehrheit, die, wenn sie in der Mitte des politischen Spektrums zu finden ist, aus Überforderung und Unsicherheit und resultierendem Stress spazieren geht, um den Stress abzubauen. Und wie diese Teile der eigentlich braven und guten Mehrheit so spazieren gehen, kommen die Mephistotelesse aus allen Löchern und hinter allen Bäumen hervor. Diese Mephistotelesse, immer noch die Minderheit, damit wir uns richtig verstehen, sie setzen sich, wie Nassehi meint, mit ihren Anliegen auf den Teil der verunsicherten und überfordertern, der gestressten Mehrheit, der spazieren geht, um Stress abzubauen, obschon sie nach wie vor die Minderheit sind.

Da kommen also die Querdenker und highjacken den Spaziergang, funktionieren ihn in ihrem Sinne um, machen daraus einen Widerstand gegen die Regierung, stellen die Legitimität des Staates, der Freiheit in der Familienpackung stiehlt, in Frage, sind aber dennoch eine “relativ kleine Gruppe”, wie Nassehi beharrt, eine kleine Gruppe, der es dennoch gelingt, die überfordert, verunsichert, Gestressten aus der eigentlich braven und gefügigen Mitte der Gesellschaft für ihre Zwecke einzuspannen. Und weil sie diesen Erfolg erreicht haben, diese kleine Gruppe der Minderheiten-Querdenker, deshalb haben sie den Diskurs in Deutschland vergiftet, sagt Nassehi.

Ja.

Das sind soziologische Analysen, die selbst Ulrich Beck dazu veranlasst hätten, sich die Haare zu raufen und die Niklas Luhmann wahrscheinlich in kaum vernehmlicher Fistelstimme als etwas bezeichnet hätte, was niemand versteht, sowohl inhaltlich als auch akustisch. Die Deutsche Soziologie, so hat einmal ein Chemnitzer Soziologieprofessor gesagt, die ist eben nicht besser.

Recht hat er.

Und wie ist das mit Ihnen, warum gehen Sie spazieren?
Gehören Sie zur verführten, überforderten, verunsichert, gestressten, aber eigentlich grundguten Mitte der Gesellschaft?
Oder sind Sie einer jener Verführer, einer jeder Bösewichte, die bei Spaziergängen als schrille Minderheit auftauchen, um die Richtung vorzugeben: “rechts abbiegen, nicht geradeaus da vorne”?

In Deutschland geht die Angst um.
Dass sich deutsche Bürger in großer Zahl auf der Straße einfinden, um gegen ihre Regierung zu demonstrieren, das haben all diejenigen, die sich seit Jahrzehnten auf Kosten eben dieser Bürger eingerichtet haben, nicht auf der Rechnung. Sie sind kurz vor Panik.

Geht spazieren!

10. Januar 2022: Lübeck;



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