Soziologie als Grundrecht?

Eines der letzten nach eigener Einbildung autokratisch herrschenden Zentralkomitees, der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, hat eine Empfehlung erlassen: Soziologen, Soziologieinstitute und alle die damit zu tun haben, haben ab sofort das Ranking zu unterlassen, ab sofort hat jede Beteiligung am CHE-Ranking der ZEIT (das CHE Ranking ist ein Teil des ZEIT Studienführers, der es Studenten ermöglichen soll, bevor sie sich auf eine Universität einlassen, zu wissen, worauf sie sich einlassen) aufzuhören, sowie jegliche Kontakte zu des Rankings von Soziologie-Instituten verdächtigen Personen eingestellt zu werden. Das ist selbstverständlich meine Übertreibung, denn, die DGS Stellungnahme vom 27.6.2012 ist eine Empfehlung, an die sich die einzelnen Soziologieinstitute halten soll(t)en.

Normalerweise sind es autokratische Herrschafts-Gremien nicht gewohnt, dass ihre Entscheidungen hinterfragt werden, aber die demokratischen Aufweichungen, die die Gesellschaft zeigt, die die DGS umgibt und die nunmehr seit Jahrzehnten anhalten, fordern  auch ihren Tribut vom DGS-Vorstands, und so haben sich die DGS Vorstandsmitglieder zu einer Begründung ihrer Empfehlung genötigt gesehen. Ich will an dieser Stelle nicht die weitgehend inhaltsgleiche offizielle Begründung der DGS untersuchen, sondern die autorisierte Verlautbarung der DGS-Position, die Stephan Lessenich, Stellvertretender Vorsitzender der DGS, in der ZEIT und im Namen der DGS gegeben hat.

Die Begründung von Lessenich, mehr im Stil einer Verlautbarung, zeichnet sich in erster Linie durch die Sprache aus, die all denen eigen ist, die wenig zu sagen haben, kein Interesse daran haben, dass das Wenige, was sie zu sagen haben, verstanden wird und die bemüht sind, durch einen Prozess der Satzblähung, den ich hier einmal als adjektivistische Nominalisierung beschreiben will, weil er hauptsächlich darauf beruht, unnötige Adjektive und nichtssagende Nomen in Sätze zu packen, um sie “gelehrt”, wenngleich unverständlich erscheinen zu lassen, den wenigen Inhalt unter einem Haufen von Wortunrat zu begraben. Diesen Satzblähungen kann man nur mit den Mitteln der rekonstruktiven Sozialforschung, wie sie z.B. Ralf Bohnsack (1999) bereitgestellt hat, zu Leibe rücken. Ich will mich hier insbesondere der dokumentarischen Methode bedienen, die ich mit der von Karl Raimund Popper entwickelten Methode, der Satz-Deflation kombiniert habe, die bereits in einem anderen Beitrag auf diesem Blog dargestellt wurde.

Die Methode ist recht einfach in der Anwedung: Die sinntragenen Teile des Dokuments, hier des Beitrags von Stephan Lessenich, werden identifiziert, isoliert und in verständliche Sprache übertragen. Die Hauptarbeit dieser Vorgehensweise besteht darin, die sinntragenden Teile aus einem Meer geblähter Sätze zu fischen. Es ist mir gelungen vier Passagen im Beitrag von Lessenich zu identifizieren, von denen ich mit einiger Überzeugung behaupten kann, dass sie Sinn tragen. Die Besprechung der Passagen erfolgt in der Reihenfolge ihrer Nennung im Beitrag von Lessenich, um eventuell einen möglicherweise vorhandenen Gedankengang entdecken zu können.

“Das gesellschaftspolitische Gesaltungsprinzip der Gegenwart heißt Wettbewerb. … Eine der Triebfedern der Inszenierung von Wettbewerb im Bildungswesen ist das regelmäßig vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) durchgeführte Hochschulranking”.

Meine mit Hilfe der dokumentarischen Methode vorgenommene Übersetzung (Hinweis: Ziel der dokumentarischen Methode ist es, den Geist eines Dokuments in seinen Einzelteilen zu identifizieren, in einer weniger hermeneutischen Sprache: Es geht darum, die Prämissen des Textes offenzulegen): Die gesellschaftlichen Geld- und Sachressourcen sind begrenzt. Entsprechend konkurrieren unterschiedliche gesellschaftliche Akteure um Geld- und Sachmittel, und jetzt sollen sogar Universitäten, nein schlimmer: Soziologieinstitute um knappe Ressourcen wie Hartz-IV-Empfänger konkurrieren.

“Nach Auffassung der DGS kann das CHE Ranking den selbst erklärten Zweck, eine verlässliche Entscheidungshilfe für Studieninteressierte zu liefern, nicht erfüllen. … Zum einen gehen für die Studienqualität wesentliche Faktoren – von den jeweiligen Betreuungsrelationen über die inhaltlichen Schwerpunktbildungen und die faktischen Bemühungen um die Verknüpfung von Forschung und Lehre bis hin zur Funktionsfähigkeit von Prüfungsämtern – nicht in die Bewertung mit ein; zum anderen weist die für diese Bewertung maßgebliche Studierendenbefragung erhebliche methodische Schwächen auf, allen voran die ungeklärte Selektivität der Befragten”.

Meine Übersetzung: Die Ergebnisse des CHE-Rankings sind falsch und nicht repräsentativ. Sie sind falsch, weil als “wesentlich” behauptete Faktoren wie die “Betreuungsrelation” und die “inhaltliche Schwerpunktbildung” nicht beachtet werden, sie sind nicht repräsentativ, weil die falschen Studenten befragt werden (unzufriedene bei schlechtem Ranking, zufriedene bei gutem Ranking). Beide Gründe sind etwas seltsam. Fangen wir mit dem zweiten Grund an. Dass die “falschen” Studenten befragt werden, eint alle Soziologieinstitute insofern dürfte es sich nicht auf die Relation zwischen den Soziologieinstituten niederschlagen – es sei denn, Lessenich will hier implizieren, dass die Soziologieinstitute, die im CHE Ranking gut abschneiden, Studenten dazu zwingen, mehrfach gute Bewertungen abzugeben, während sich die schlecht abschneidenden Soziologieinstitute von solch niederen Machenschaften distanzieren.

Ich muss zugeben, die Betreuungsrelation hat mich etwas ins Grübeln gebracht. Den einzigen Sinn, den ich daraus machen kann, kann ich nur so in Worte fassen: Manche Soziologie-Professoren sind zwar inkompetent, aber gaaaanz lieb, und das muss doch in die Bewertung mit eingehen – oder? Mit der inhaltlichen Schwerpunktbildung ist das leichter, die Prämisse dahinter ist gut zu identifizieren: Manche Soziologieinstitute lehren Inhalte, die man in der das Institut umgebenden Außenwelt kaum oder gar nicht brauchen kann, dies kann man den entsprechenden Instituten nicht durch eine schlechte Bewertung ankreiden.

Während Studieninteressierte im CHE Ranking vergeblich nach belastbaren Qualitätshinweisen für ihre bildungsbiographischen Entscheidungen suchen, findet dieses seine faktischen Adressaten in bildungspolitischen Entscheidungsträgern auf der Ebene der Hochschulleitung und Ministerialbürokratie. Was läge für die entsprechenden Akteure näher als … ein “gutes” oder “schlechtes” Abschneiden wahlweise zu honorieren oder zu sanktionieren”.

Analyse: (1) Behauptung: Das CHE Ranking ist nicht richtig, es verzerrt die Realität, weil es z.B. die Betreuungsrelationen nicht berücksichtigt (der gute Onkel Professor von oben). (2) Diese Behauptung schiebt Lessenich seinen Lesern eben einmal als wahr unter und folgert weiter: (3) dass sein Rektor und ein Beamter aus dem Kultusministerium das CHE Ranking nutzen könnten, um ihn zu fragen, warum das Ranking seines Instituts so (schlecht oder gut) ist, wie es ist, und, (4) schlimmer noch, das Ranking zum Anlass nehmen könnten, mehr oder weniger öffentliche Mittel für das Institut zur Verfügung zu stellen. Es wäre dem Altruismus Gewalt angetan, würde man annehmen, dass Stephan Lessenich zusätzliche finanzielle Mittel aufgrund eines guten CHE Rankings ablehnen würde. Sicher nicht. Es bleibt daher nur der Schluss, dass der Ärger über das CHE Ranking durch die Angst motiviert ist, dass die eigene Lehre plötzlich an Argumenten wie “Nützlichkeit für Studenten” oder gar: “Arbeitsmarktchancen der Studenten der entsprechenden Institute” gemessen werden. Wo kämen wir hin, wenn hochgeistige Wortblähungen wie sie an manchen Soziologieinstituten die Regel sind, auf ihre Verwendbarkeit oder ihre Nützlichkeit für Studenten hin hinterfragt würden? Wir kämen, genau, in eine Marktwirtschaft, in der Studenten nicht nur wüssten, auf was sie sich mit einem Studium an Universität einlassen, sondern auch eine Idee davon hätten, was sie mit dem Abschluss an Universität später einmal anfangen können. Das ist, wie es scheint, der DGS unvorstellbar, denn:

“In Form und Inhalt … schließt das CHE Ranking an den Wissensmodus der Gegenwart an und speist ihn mit ins Bildunsgwesen ein: jedes gesellschaftliche Feld ein Ort des Wettbewerbs um Positionen, jede Institution ein Konkurrent um knappe Ressourcen [!sic], jeder Akteur ein Sender und Empfänger von Marktsignalen”.

Eindrücklicher als in diesem Lamento kann man die eigene Prämisse, dass “knappe Ressourcen” auch an Soziologie-Institute verschwendet werden sollen, die keinerlei nützlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben bringen, nicht formulieren. Eindrücklicher kann man die eigene Überzeugung von “alle Soziologie-Institute sind gleich gut” nicht fassen. Eindrücklicher kann man die eigene Ignoranz darüber, ob die gelehrten Inhalte für die studentischen Opfer, die ihnen ausgesetzt sind, im Berufsleben in irgendeiner Weise verwertbar sind, nicht in Worte blähen, und eindrücklicher kann man die eigene Meinung, dass es ein Grundrecht auf Soziologie unabhängig vom Wert der jeweiligen Soziologie gibt, nicht beschreiben.

Es wäre schön, wenn einige der Soziologieabsolventen, die hier mitlesen, die Kommentarfunktion nutzten, um ihre Universität zu benennen und die Leser zu informieren, wie nützlich die soziologischen Inhalte, die sie gelernt haben, in ihrem weiteren beruflichen Werdegang waren, ich meine, so als Mittel, um die geforderte Berücksichtigung der “inhaltlichen Schwerpunktbildung” anzufüttern.

Da ich ein Verteter eines empirischen Ansatzes bin und darüber hinaus der Ansicht bin, dass es persönliche und nicht “kollektive” Motive sind, die Entscheidungen antreiben, habe ich den Vorstand der DGS daraufhin untersucht, wie die Universitäten der Vorstandsmitglieder beim CHE Ranking abschneiden. Nun, liebe Leser, was denken Sie?

Im Vorstand der DGS finden sich zwei Vertreter von Universitäten (Dortmund und Leipzig), die im aktuellen CHE Ranking nicht berücksichtigt sind. Es finden sich zwei Vertreter von Universitäten (Jena und Bremen), die im oberen Drittel des Rankings angesiedelt sind sowie drei Vertreter, die im unteren Drittel des Rankings angesiedelt sind (Darmstadt, Frankfurt und Rostock). Wie es scheint, hat die Mehrheit der Vertreter im Vorstand der DGS auf Basis des Rankings des eigenen Soziologieinstituts wenig Anreize, sich positiv über das CHE Ranking zu äußern, dass Lessenich ausgerechnet an einem Institut für Soziologie lehrt, das sich in der Spitzengruppe des CHE Rankings findet, ist dann wohl einer Strategie geschuldet, mit der Lessenich als Vertreter eines gut gerankten Soziologie-Instituts vorgeschickt wird, um dem Vorwurf eigener “Betroffenheit” zu entgehen. Damit müssen seine Professoren-Kollegen vor Ort halt leben.

Bildnachweis:
Chris Luck

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