Science Watch


Die Benutzung der Wissenschaft zur Legitimation politischer und ideologischer Ziele nimmt Überhand.
Bestellte Gutachten, Stellungnahmen und sonstige Legitimationsleistungen, aber auch wissenschaftliche Beiträge, die keinen anderen Zweck erfüllen als dabei zu helfen, ein politisches und ideologisches Ziel durchzusetzen, sind die Regel, nicht die Ausnahme.

Science Watch hat sich vor diesem Hintergrund das Ziel gesetzt, gegen den Missbrauch von Wissenschaft, z.B. durch das Gutachter-Unwesen vorzugehen, ideologische Gutachten, Stellungnahmen oder Beiträge in wissenschaftlichen Zeitschriften, die jeglicher wissenschaftlichen Basis entbehren, gegen die Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens oder die wissenschaftliche Redlichkeit verstoßen, zu benennen und die Beweggründe der daran beteiligten Wissenschaftler zu hinterfragen.

Jeder, der zu diesem Bemühen einen Beitrag leisten kann, der ideologische, sich als wissenschaftlich präsentierende Texte kennt und Beispiele für den Missbrauch von Wissenschaft nennen kann, ist hiermit aufgerufen, sich an Science Watch zu beteiligen.

Science Watch Themen:

Ideologische Stellungnahmen, die sich mit Wissenschaftlichkeit bemänteln wollen:

  • Bundesjugendkuratorium (2009). Schlaue Mädchen – Dumme Jungen? Gegen Verkürzung im aktuellen Geschlechterdiskurs. München: Deutsches Jugendinstitut.
  • Rieske, Thomas Viola (2011). Bildung von Geschlecht. Eine Studie im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung. Berlin: GEW.

Seltsame Auslassungen

Bundesjugendkuratorium
Das Bundesjugendkuratorium hat eine Stellungnahme verfasst, die die Nachteile, die Jungen gegenüber Mädchen bei der allgemeinen Schulbildung haben, zum Gegenstand hat. Die Stellungnahme ist ein herausragendes Beispiel ideologischer, gegen die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens und die wissenschaftliche Redlichkeit verstoßender, pseudo-wissenschaftlicher Publikationen, wie hier nachgelesen werden kann. Science Watch hat die vier Professoren, die im Bundesjugendkuratorium sitzen und diese Stellungnahme des Kuratoriums mit ihren Titeln wissenschaftlich legitimiert haben, um eine Stellungnahme gebeten. Der folgende Brief wurde an

  • Prof. Dr. Franz Hamburger, Universität Mainz,
  • Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu, Universität Bremen,
  • Prof. Dr. Joachim Merchel, Fachhochschule Münster und
  • Prof. Dr. Thomas Olk, Universität Halle-Wittenberg

verschickt. Die Antworten werden publiziert, sobald sie eingegangen sind.

Sehr geehrte/r

in Ihrer  Eigenschaft als Mitglied des Bundesjugendkuratoriums bitte ich Sie um eine  Stellungnahme zu den folgenden Punkten, die ich bei Lektüre der Stellungnahme  des Bundesjugendkuratoriums mit dem Titel „Schlaue Mädchen – Dumme Jungs“ zusammengetragen  habe und die sich mit wissenschaftlicher Methode und Redlichkeit nicht vereinbaren lassen.

  1. Der Titel der Stellungnahme impliziert (trotz Fragezeichen) eine Auseinandersetzung mit dem IQ von Jungen und Mädchen und suggeriert Lesern somit von Anfang an einen anderen Diskurs als den, um den es eigentlich geht,  nämlich die Tatsache,  dass Jungen bei den allgemeinbildenden Bildungsabschlüssen deutlich hinter Mädchen zurückbleiben.
  2. Die wertende Sprache, die das Vorwort des Berichts durchzieht, wiederspricht allen Regeln wissenschaftlichen  Arbeitens und zielt zudem auf eine Manipulation der Leser, damit Letztere das Folgende im richtigen „mind set“ lesen. Eine solche Vorgehensweise ist mit wissenschaftlicher Redlichkeit nicht zu vereinbaren.
  3. Die Stellungnahme beruft sich u.a. auf die Methode der Diskursanalyse, wobei aus dem Text deutlich wird, dass die grundlegenden Methoden der Diskursanalyse den Autoren gänzlich unbekannt sind, was z.B. am vollständigen Fehlen einer Nennung der Auswahlkriterien oder der benutzten interpretativen Analytik abzulesen ist.
  4. Alle Teile, die sich mit Daten auseinandersetzen, offenbaren einen erschreckenden Kenntnismangel. So sind die Autoren offensichtlich nicht in der Lage, zwischen Aggregatdaten und Individualdaten zu unterscheiden, kennen nicht den Unterschied zwischen einer Querschnittsanalyse und einer Vollerhebung und sind folglich mit der Interpretation von anderen erarbeiteter Ergebnisse völlig überfordert.
  5. Die Stellungnahme zeichnet sich durch einen bemerkenswerten Zynismus aus, wenn z.B. darauf hingewiesen wird, dass die Nachteile in der schulischen Bildung, wie sie Jungen nun einmal haben, nicht so schlimm sind, weil einerseits Jungen ohne Schulabschluss den Hauptschulabschluss nachholen (was übrigens auch für Mädchen gilt), andererseits Mädchen mit Realschulabschluss häufiger in Übergangsmaßnahmen zu finden sind. Die erste Aussage wird mit einer Querschnittanalyse aus Dortmund belegt, die auf 1635 Jungen im Alter von 12 bis 19 Jahren basiert und entsprechend nicht genutzt werden kann, um umfassende Aussagen über Jungen in Deutschland und schon gar nicht um relative Aussage für Jungen und Mädchen zu machen. Die zweite Aussage ändert nichts daran, dass Jungen unter den Abiturienten und unter denen mit Hauptschulabschluss häufiger zu finden sind und ist entsprechend und mit viel gutem Willen als eklektizistisch zu bezeichnen.
  6. Die Forderung, man müsse Jungen umerziehen, damit sie zur feministischen Schulkultur passen, grenzt an Totalitarismus, weil damit der angeblichen Unbezweifelbarkeit der angemessenen Funktionsweise staatlicher Institutionen der Vorrang vor offensichtlich bezweifelbaren individuellen Wünschen und Hoffnungen gegeben wird. Sie ist mit Sicherheit durch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gedeckt, und von daher mit aller Schärfe aus der wissenschaftlichen Community zu verweisen.
  7. Da die Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums durch Wissenschaftler wie Sie als wissenschaftlich legitimiert wird, ist das fast vollständige Fehlen relevanter wissenschaftlicher Literatur ein weiterer nicht zu verzeihender Lapsus.

Ich habe mir hier: http://sciencefiles.org/2011/05/01/bestellte-gutachten/ die Mühe gemacht, die vielen Verstöße gegen die Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens dieser Stellungnahme genauer darzustellen, so dass Sie dort nachlesen können, wenn Ihnen einige der obigen Punkte unklar sein sollten. Da alle hier genannten Punkte kaum mit Wissenschaft, wissenschaftlicher Redlichkeit oder gar einem Selbstverständnis als Wissenschaftler zu vereinbaren sind, bitte ich Sie, es für mich und andere nachvollziehbar zu machen, was Sie als Professor und Repräsentant einer wissenschaftlichen Disziplin dazu gebracht hat, Ihren Namen zur Legitimation der Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums zur Verfügung zu stellen und wie Sie das durch diese Stellungnahme in der Öffentlichkeit geschaffene falsche Bild von den Nachteilen, die Jungen bei der Schulbildung nun einmal haben, richtig zu stellen gedenken.

Der Fairness halber weise ich Sie darauf hin, dass ich Ihre Antwort u.a. auf meinem blog veröffentlichen werde. Wenn es Dinge gibt, die Sie gerne vertraulich behandelt sehen wollen (z.B.: eventuelle Absprachen mit dem beauftragenden Bundesministerium oder dergleichen), dann bitte ich Sie in Ihrer Antwort, explizit darauf hinzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Michael Klein

Bislang eingegangene Antworten: Keine
———————————————————————————–DJI———-

Pressemitteilung des DJI: Nur ein Viertel der Jugendlichen verlässt die Förderschulen mit einem Hautschulabsschluss.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Rauschenbach,

mit Interesse habe ich Ihre Pressemitteilung vom 7. April zur Kenntnis genommen, in der Sie die Aufmerksamkeit auf das Schicksal von Förderschülern richten und versuchen, Publizität für die Tatsache zu schaffen, dass Förderschüler mehrheitlich trotz jahrelanger Förderung ohne einen Hauptschulabschluss bleiben. Es hat mich allerdings überrascht, dass Sie an keiner Stelle Ihrer Pressemitteilung ein Wort darüber verlieren, dass die große Mehrheit der Förderschüler männlich ist. Da Ihr Haus dafür bekannt ist, Auszählungen nach Geschlecht nahezu in jedem beforschten Bereich vorzunehmen, ist diese Unterlassung etwas überraschend und erklärungsbedürftig, weshalb ich Sie um eine Erklärung für diese ungewöhnliche Auslassung bitte.

Der Fairness halber weise ich darauf hin, dass ich Ihre Antwort u.a. in meinem blog http://sciencefiles.org veröffentlichen werde.

Mit freundlichen Grüßen,
Michael Klein

——————–Antwort eingegangen am 3. Mai, 18:28 Uhr

Sehr geehrter Herr Klein,

besten Dank für Ihre Mail vom heutigen Tage.

Die von Ihnen erwähnte Presseinformation vom 7. April bezieht sich auf das DJI Online Thema 2011/03 „Förderschulen: Sprungbrett oder Sackgasse?“, auf das am Ende der Presseinformation via Link „Weitere Informationen unter: http://www.dji.de/thema/1103“ verwiesen wird.

Im DJI Online Thema wird im nachstehenden, gelb markierten Absatz das von Ihnen angesprochene Geschlechtergefälle thematisiert – dies jedoch nicht tiefer gehend, da dies nicht der intendierte inhaltliche Schwerpunkt des genannten Themas war.

Da sich die von Ihnen zitierte Presseinformation vom 7.4.11 auf das genannte DJI Online Thema bezieht, konzentriert sie sich dementsprechend auf die Kernaussagen dieses Themas.

Wir hoffen, dass wir mit dieser Information Ihre Frage beantworten konnten.

Beste Grüße,
Th. Rauschenbach

Der gelb markierte Absatz, auf den Prof. Rauschenbach Bezug nimmt und auf dessen Inhalt ich bereits in meinem Post Bezug genommen habe, lautet wie folgt:

“Nur 37 Prozent der Förderschüler/innen sind weiblich. Im Förderschwerpunkt Sprache beträgt der Mädchenanteil nur 30 Prozent, bei den emotionalen und sozialen Entwicklungsstörungen sogar nur 14 Prozent”

Und hier  ist der gelb markierte Absatz in seinem ursprünglichen Kontext. Jeder der Lust am Suchen hat, kann sich nunmehr selbst ein Bild von seiner Bedeutung machen.

———————————————————————————–GEW———-
Rieske, Thomas Viola (2011). Bildung von Geschlecht. Eine Studie im Auftrag der Max Traeger Stiftung.

Das Anschreiben an Ulf Rödde und Anne Jenter vom 15. Mai 2011:

Sehr geehrte/r …

im Zuge meiner Beschäftigung mit schulischen Nachteilen von Jungen bin ich auf die von der GEW publizierte und von Thomas Viola Rieske erstellte Studie „Bildung und Geschlecht“ gestoßen, für die u.a. Sie verantwortlich zeichnen. Was mich beim Lesen der Studie zunehmend befremdet hat, sind die vielen handwerklichen und methodischen Fehler und die vielen falschen Interpretationen von Daten.

Ich habe einige der Fehler hier:

Abuse of Science

zusammengestellt (Alle Fehler darzustellen hätte die Geduld auch des langmütigsten Lesers überfordert).

Ich gehe nicht davon aus, dass es im Sinne der GEW ist, falsche und ideologische Darstellungen zu verbreiten, und entsprechend frage ich mich, wie es zu diesen Fehlern kommen konnte. Insbesondere frage ich mich, wie Sie auf Herrn Rieske als Autor für eine Studie zu einem Thema gekommen sind, zu dem er bislang noch keinerlei wissenschaftliche Publikationen vorweisen kann. Dass er sich in dem von ihm bearbeiteten Thema nicht besonders gut auskennt, zeigt sich schon daran, dass er die relevante Literatur nicht zur Kenntnis genommen hat, was ein weiterer und nicht zu verzeihender Verstoß gegen die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens ist. (Nutzen Sie einfach einmal Google-Scholar und suchen Sie nach „Bildungsungleichheit“. Wie Sie sehen werden, gibt es eine große Zahl relevanter Beiträge zum Thema. Wie Sie bemerken werden, finden Sie kaum einen der Google-Einträge im Literaturverzeichnis von Herrn Rieske!).

Gerade ein so heftig und emotional in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema wie „Bildung und Geschlecht“, wobei es ja eigentlich um die Nachteile, die Jungen bei der Schulbildung nun einmal haben, geht, verlangt doch nach einem Verfasser, der sich in der Materie auskennt und über den notwendigen Überblick verfügt, um eine entsprechende Studie, die darauf abzielen soll, öffentliche Wirkung zu erlangen, auch zu verantworten.

Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, die folgenden Fragen zu beantworten:

Planen Sie eine öffentliche Richtigstellung der vielen Fehler, die in der Studie von Herrn Rieske enthalten sind?

Wie sind Sie auf Herrn Rieske als Autor gekommen?

Welche Kriterien haben Sie zur Grundlage Ihrer Suche nach einem geeigneten Autor benutzt?

Aufgrund welcher Leistungen haben Sie sich für Herrn Rieske entschieden?

Welche Rolle hat die Tatsache, dass Herr Rieske Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung ist, bei Ihrer Auswahlentscheidung gespielt?

Michael Klein
Science Watch

——————–Antwort von Ulf Rödde, eingegangen am 16. Mai 2011, 7:38 Uhr.

Sehr geehrter Herr Klein,

die Studie “Bildung und Geschlecht” ist von der Abteilung Frauenpolitik des GEW-Hauptvorstandes in Auftrag gegeben worden. Für die Beantwortung Ihrer Fragen habe ich Ihr Mail deshalb zuständigkeitshalber an Frau Jenter, Leiterin der Abteilung Frauenpolitik, weiter geleitet.

Mit freundlichen Grüßen

Ulf Rödde

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