Ist die Würde alter Menschen verhandelbar?

Im letzten Post haben wir drei Positionen dargestellt, die man mit Blick auf Menschenwürde einnehmen kann. Menschenwürde als Mitgift, Leistung oder Kommunikationsergebnis. Wohin es führt, wenn man die abwegige Konzeption, nach der Menschenwürde nicht erworben werden muss, keine Leistung eines entsprechenden Menschen ist, die sich in seinen Entscheidungen, seiner Lebensführung niederschlägt, zur Maxime erklärt, wird in einem Beitrag deutlich, den Andreas Kruse zum Sammelband „Psychotherapie und Würde“ beigesteuert hat, der den Titel „Würde aus der Perspektive der Gerontologie“ trägt.

Darin schreibt Kruse u.a.: „In dem Maße, in dem Würde mit Attributen – vor allem mit leistungsbezogenen Attributen – verknüpft wird, ergibt sich die Gefahr der Demütigung und Diskriminierung. Fähigkeitsorientierte Konzepte dagegen können als Anforderung an die soziale, räumliche und institutionelle Umweltgestaltung gedeutet werden“.

Mit wenigen Sätzen macht Kruse aus der Menschenwürde eine Form des Mitleids. Aus der irrigen Annahme, Menschenwürde sei verhandelbar und dann, wenn ein Mensch die Voraussetzungen, die z.B. Kant oder Puffendorf für Menschenwürde nennen, also die Vernunft im Einklang mit sittlichen Gesetzen zu nutzen, nicht mehr erfüllt, hinfällig, leitet er eine Gefahr für die Menschenwürde ab, der man nur dadurch begegnen könne, dass man dem Fähigkeitsverlust alter Menschen dadurch Rechnung trage, dass man ihre Menschenwürde „sozial, räumlich und institutionell“ gewährleiste.

Ein erschreckendes Menschenbild.

Menschen, die ein Leben in Würde verbracht haben, werden eben einmal entmündigt und zum Gegenstand von Mitleid gemacht, das man dann als Sicherstellung von Würde ausgeben kann. Was Kruse offensichtlich nicht auf der Rechnung hat, ist der Anspruch auf eine würdevolle Behandlung, der aus Handlungen, die im Einklang mit den Forderungen an eine Menschenwürde stehen, erwächst. Dieser Anspruch erlischt nicht, weil ein Mensch alt wird, auch nicht, weil er dement wird. Der Anspruch, einmal erworben, ist eine Lebensleistung, die nur verschwinden sehen kann, wer denkt, Alte, demente Alte hätten keine Würde aus eigener Leistung, entsprechend müsse man ihnen die Würde als Gnadenbrot zugestehen, eine Form gelebten Mitleids, die in ihrer Verachtung kaum zu überbieten ist – oder?

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Kruse, Andreas (2018). Würde aus der Perspektive der Gerontologie. In: Bents, Hinrich & Kämmerer, Annette (Hrsg.). Psychotherapie und Würde. Herausforderungen in der psychotherapeutischen Praxis. Berlin: Springer, S.61-78.

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