„Gleichstellung“ für Ehefrauen: Staatliche Anreize für Nichtstun und Scheidung

Unter Ökonomen ist es ein offenes Geheimnis, dass Menschen nur dann etwas tun, wenn sie aus dem, was sie tun, einen Nutzen ziehen können. Die Anzahl der Studien, die sich mit Anreizen, Motivation, den richtigen Anreizen, der intrinsischen oder extrinsischen Motivation, dem Commitment und vor allem mit Fragen von Fairness beschäftigt, ist mittlerweile so groß, dass man die alte Bücherei von Timbuktu, wäre sie nicht längst im Sand der Sahara versunken, deutlich erweitern müsste.

motivatioNicht nur Motivation und Anreize sind ein Thema unter Ökonomen, auch das, was man im Englischen Lazyness (Faulheit) nennt, und was man mehr euphemistisch als Trägheit bezeichnen könnte, ist Gegenstand vieler gefüllter Seiten in Büchern, die von offensichtlich gar nicht trägen Ökonomen verfasst wurden. Kern der beiden Stränge ökonomischer Forschung ist: Menschen wohnt eine Grundträgheit inne, zu deren Überwindung es einen Anreiz braucht. Wer also seine Trägheit überwinden soll, um z.B. Arbeiten zu gehen, dem muss ein entsprechender Anreiz, am besten in Form von monetären Tauschmitteln winken, die man wiederum in Dinge umsetzen kann, die einem das Auftauchen aus der Trägheit verzuckern, Schokoriegel z.B. oder – für die weniger Oralen unter uns – ein Auto oder ein Bike, auf dem man dann im Fancy-Dress mit dem Zeitgeist und gegen die Pfunde, die vom Schokoriegel verursacht werden, radeln kann.

Wohlfahrtsstaaten sind schon seit einigen Jahrzehnten im Visier von Ökonomen, jedenfalls von solchen deren Ziel darin besteht, die Bedingungen für Gerechtigkeit, Fairness und Wohlstand in einer Gesellschaft zu bestimmen. Und während Politiker und viele andere, die affektiv oder in einer anderen Weise, z.B. als Nutznießer, am Wohlfahrtsstaat hängen, in Letzterem die Krone der Schöpfung sehen, hat sich unter einer Reihe von Forschern eine gewisse Skepsis dahingehend ausgebreitet, dass ein Wohlfahrtsstaat, gar keine Wohlfahrt für seine Mitglieder bereit stellt, sondern im Gegenteil, eine große Zahl seiner wohlfahrenden Mitglieder in sofern „fängt“, als sie durch die „Wohlfahrtsleistungen“ von einem besseren Leben und einer Verbesserung ihrer sozialen Situation abgehalten werden. „Welfare trap“ nennt man dies im Englischen und John Bartholomew bzw. Theodore Dalrymple haben es in großer Detailtreue beschrieben.

DalrympleEntsprechend kann man formulieren, dass ein Wohlfahrtsstaat einen Großteil seiner Bürger zu einem suboptimalen Dasein verdammt, weil er ihnen vormacht, es werde für sie gesorgt; weil er ihnen vormacht, es gäbe keine Notwendigkeit, sich zu bemühen, da man ja Rechte auf was auch immer habe, und da er sie in Positionen festschreibt. Es ist elementar wichtig in einer gesellschaftlichen Position festgeschrieben zu sein in einem Wohlfahrtsstaat, da Rechte und finanzielle Zuwendungen nicht an Individuen, sondern nur an Positionen vergeben werden: an Kinder, an Familien, an Mütter, an Geschiedene, an Behinderte, an Alkoholiker, an Arbeitslose usw. Insofern im Wohlfahrtsstaat die Position mit Zuwendungen versehen wird, werden negative Anreize gesetzt,  Anreize, die sich negativ auf die Bereitschaft auswirken, eine bestimmte Position wieder zu verlassen (die oben angesprochene Trägheit). In ganz krassen Fällen werden sogar Anreize gesetzt, um eine bestimmte Position zeitlebens zu besetzen.

Eine neue Untersuchung, die demnächst in der European Sociological Review veröffentlicht wird, macht das, was ich gerade formal beschrieben habe, am Beispiel von verheirateten Frauen deutlich. Die rechtlichen Regelungen im Wohlfahrtsstaat Deutschland, so zeigt die Untersuchung von Anette Eva Fasang, Silke Aisenbrey und Klaus Schörmann, wirken sich negativ auf die Beteiligung von Ehefrauen am Erwerbsleben aus. Gemeint sind u.a. jene finanziellen Wohltaten, die verheirateten, geschiedenen und verwitweten Frauen finanzielle Sicherheit auch unabhängig von ihrem Ehemann gewähren, also z.B. der Versorgungsausgleich, der geschiedenen Frauen einen Teil der Rentenansprüche übergibt, die ihre ehemaligen Ehemänner über den Verlauf der gemeinsamen Ehe erworben haben:

Bartholomew_Hier ein Beispiel von R+V: „Walter R. hat im Zeitraum seiner Ehe ein Anrecht auf 600 EUR gesetzliche Rente im Monat erworben. Zudem hat er eine Anwartschaft auf eine betriebliche Rente (aus einer Pensionskasse) mit einem Kapitalwert von 20.000 EUR aufgebaut. Im Falle einer Scheidung erhält seine Ehefrau Christa R. einen eigenen Anspruch in der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Hälfte seiner gesetzlichen Rente, also monatlich 300 EUR. Zusätzlich hat sie gegenüber der Pensionskasse einen direkten Anspruch auf die Hälfte seiner Betriebsrente, also 10.000 EUR. Christa R. hat ihrerseits Anrecht auf eine private Altersversorge von 250 EUR monatlich. Im Falle einer Scheidung würde Walter R. einen eigenen Anspruch auf 125 EUR davon erhalten. Durch den Versorgungsausgleich würden Christa und Walter R. also jeweils auf eine Gesamtversorgung von 425 EUR pro Monat kommen. Hinzu kämen für beide je 10.000 EUR aus der Betriebsrente von Walter R.“. Dazu kann man nur frei nach Heinz Ehrhard sagen: Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht doch was Billigeres findet.

Ähnliche Regelungen, wie die beschriebene, die Ehefrauen finanzielle Vorteile verschaffen, sind Legion. Fasang, Aisenbrey und Schömann, deren Ziel darin besteht, die finanziellen Zuwendungen an Ehefrauen im Hinblick auf deren Rentenhöhe zu ermitteln, sehen sich mit Sozialleistungen aller Art, Unterhaltsregelungen, dem angesprochenen Versorgungsausgleich und einer großen Zahl weiterer Leistungen an Ehefrauen konfrontiert und summieren die Gesamtzahl der Leistungen zu dem, was sie „personal pension income“ nennen. Ausgehend von diesem personal pension income untersuchen die Autoren, für u.a. 469 zwischen 1930 und 1939 geborene Frauen, welche Faktoren sich auf die Höhe des Renteneinkommens von Frauen auswirken, und sie kontrastieren ihre Ergebnisse für Deutschland mit Ergebnissen für das Vereinigte Königreich. Das Besondere an dieser Analyse besteht darin, dass sie geeignet ist, strukturelle Bedingungen zu identifizieren, die in Deutschland dazu beitragen, dass Ehefrauen keinen Anreiz haben, arbeiten zu gehen. Die Ergebnisse sind entsprechend:

  • Vergleicht man deutsche verheiratete Frauen wieder mit britischen verheirateten Frauen, dann zeigt sich ein deutlich höherer Stellenwert, den Erwerbsarbeit für britische Ehefrauen hat, mit anderen Worten: britische Ehefrauen gehen in viel größerer Zahl und in viel größerem Umfang einer Arbeit nach als deutsche Ehefrauen.
  • Deutsche Frauen, die sich scheiden lassen, stellen sich im Hinblick auf ihr Renteneinkommen deutlich besser als Frauen, die verheiratet bleiben. Mit anderen Worten, gesetzliche Regelungen wie der Versorgungsausgleich schaffen im „Wohlfahrtsstaat Deutschland“ Anreize für Frauen, sich scheiden zu lassen.
  • Frauen, die ihre Männer überleben, haben in Deutschland ein um das 5fache höhere Rente als Frauen, die ihre Männer nicht überleben, die Regelungen der Witwenrente sind dafür verantwortlich.
  • Frauen, die nie verheiratet waren und ihr Leben lang selbst für ihren Unterhalt aufgekommen sind, weil sie nämlich einer Arbeit nachgegangen sind, haben in Deutschland eine um das Achtfache höhere Rente als Frauen, die nur verheiratet waren, eine um rund das dreifache höhere Rente als Frauen, die geschieden sind und eine nur um das eineinhalbfache höhere Rente als Frauen, die verwitwet sind. Wer sich scheiden lässt oder seinen Partner überlebt, hat trotz geringerer Erwerbsarbeit  fast dieselben Rentenansprüche wie Frauen, die ihre Leben lang gearbeitet haben.

Orwell Animal Farm_Die Ergebnisse, die Fasang, Aisenbrey und Schömann hier produzieren, sind erstaunlich und ein Schlag in das Gesicht aller, die Gerechtigkeit und Fairness für Grundwerte einer Gesellschaft halten, denn sie belegen, dass verheiratete Frauen keinen Anreiz haben, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, und wenn sie es doch tun, dann zeigen die Ergebnisse im Hinblick auf die Rentenhöhe, dass sich eine Teilzeitarbeit fast genauso  rechnet wie eine Vollzeittätigkeit. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse deutliche Anreize für verheiratete Frauen, die den Arbeitsmarkt nur noch von Ferne betrachten wollen, sich scheiden zu lassen, und sie zeigen, dass verheiratete Frauen, die ihre Männer überleben, sich letztlich und im Hinblick auf ihre Rentenansprüche fast genauso gut stellen, wie Frauen, die ihr Leben lang vollzeiterwerbstätig waren. Wenn man dieses Ergebnis nur am Beitrag zu einer Gesellschaft misst, wie er über Steuern erfolgt, dann ist es schon ein Beispiel für die Bevorzugung eines bestimmten Lebensentwurfs in Deutschland, das mit keinem Kriterium von Gerechtigkeit und Fairness vereinbar ist.

Darüber hinaus lassen die Ergebnisse von Fasang, Aisenbrey und Schömann insofern aufhorchen, als derzeit Bestrebungen im Gange sind, ein „Gender Pension Gap“ herbeizureden und auf Kosten derjenigen, die zur Rentenversicherung Beiträge leisten, zu schließen. Darüber hinaus wohnt den Ergebnissen eine gewisse Ironie inne: Da sind Genderisten landauf und landab damit beschäftigt, Ehefrauen zu erzählen, es wäre in ihrem Interesse wieder arbeiten zu gehen, da hat das BMFSFJ extra eine Internetseite geschaltet, auf der versucht wird, Ehefrauen aus den Verlockungen des Hausfrauenfernsehens in die Mühsal der Arbeitswelt zu überführen, und gleichzeitig sind gesetzliche Regelungen implementiert, die alle diese Bemühungen wie einen Witz erscheinen lassen, denn das BMFSFJ kann werben, soviel es will, die Anreize für Ehefrauen, nicht oder kaum mehr arbeiten zu gehen und statt dessen zuhause zu bleiben, gehen davon nicht weg.

Wollte man wirklich etwas ändern, man müsste das Unterhaltsrecht neu regeln, den Versorgungsausgleich streichen, Kinderzeiten nicht mehr auf die Rente anrechnen und vieles mehr. Man könnte auch enfach die Bedingungen dafür schaffen, dass Ehefrauen arbeiten gehen, indem man ihre Vergünstigungen streicht. Warum Politiker lieber verbal werben anstatt die Anreize, die ihre eigenen Werbebemühungen erst notwendig gemacht haben, zu streichen, ist eine Frage, auf die die entsprechenden Politker bislang die Antwort schuldig geblieben sind.

Technischer Appendix:

Die Analysen von Fasang, Aisenbrey und Schömann basieren auf Daten des Sozio-Ökonomischen Panel (SOEP) sowie für die hier nicht im Einzelnen besprochenen Ergebnisse für das Vereinigte Königreich auf den Daten der British Household Panel Study. Berichtet wurden von mir die Ergebnisse von Ordinary Least Square Regressions zur Erklärung des individuellen Renteneinkommens im Alter von 60 Jahren, das die Autoren auf Grundlage von Einkommens- und sonstigen Daten errechnet haben. Die OLS-Regressionen ergeben relativ stabile Ergebnisse und erklären zwischen 21% und 51% der Varianz. Im Ländervergleich zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich zeigt sich, dass eine Scheidung und eine Verwitwung deutsche Ehefrauen um Längen besser stellt, als britische Ehefrauen. Dies kann letztlich nur auf die deutlich Ehefrauen-freundlicheren Regelungen des deutschen Scheidungsrechts und die Zuwendungen an Ehefrauen im Rahmen eines Sozialtransfers zurückgeführt werden.

Fasang, Anette Eva, Aisenbrey, Silke & Shömann, Klaus (2013). Women’s Retirement Income in Germany and Britain. European Sociological Review (advanced access).

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