Hacktivismus

Beim Bundeskriminalamt gibt es auch Forschung. Hellfeld- und Dunkelfeldforschung und postalische Umfragen, die sich als Online-Umfragen entpuppen und die es schaffen 21% der Angeschriebenen auch tatsächlich zum Ausfüllen eines Online-Fragebogens zu bewegen.

Und es gibt Ergebnisberichte: Zu-Fuß-Berichte, die sich lesen, als seien sie studentische Arbeiten, deren Layout die Vermutung nahelegt, dass sie nicht geschrieben worden sind, um gelesen zu werden und deren Inhalt sich durch etwas auszeichnet, was man konzeptionelle Konfusion nennen könnte.

Konzeptionelle Konfusion findet sich z.B. im Ergebnisbericht “Hacktivisten”, der unvermittelt beginnt und den Leser komplett im Dunkeln darüber belässt, was Hacktivisten denn nun sein sollen und – entsprechend: was denn nun eigentlich erforscht wurde. Vielleicht wird der Bericht deshalb als “Projektteil Dunkelfeld” bezeichnet.

Hacktivisten2Im Abschlussbericht zum Projektteil der Hellfeld-Forschung findet sich immerhin eine geliehene Definition von Hacktivismus, also der begrifflichen Verbindung von Hacking und Activismus:

“Samuel definiert das Phänomen Hacktivismus als die ‘Hochzeit von politischem Aktivismus und Computerhacking […] als den gewaltfreien Gebrauch von illegalen oder legalen digitalen Werkzeugen um politische Ziele zu verfolgen.’ (20)

Das ist eine etwas freie Übersetzung des Originals, in dem es heißt:

“hacktivism is the nonviolent use of illegal or legally ambiguous
digital tools in pursuit of political ends” (2).

Im Original ist also von “legally ambiguous … tools” also von Mitteln, deren rechtlicher Status im besten Fall ungeklärt ist, also gerade keine “legalen digitalen Werkzeuge”, wie es beim BKA heißt, die Rede.

Aber man ist ja schon froh, wenn die Begriffe, die benutzt werden, auch definiert werden, so dass jeder weiß, wovon die Rede ist.

Hacktivismus besteht also aus digitalen Angriffen auf Webseiten Dritter, aus DDoS Angriffen, also dem Lahmlegen einer Webseite, so dass sie nicht mehr erreicht werden kann, aus Web-Defacement, also der Veränderung der Webseite von Dritten, sowie aus dem Ausspähen und Löschen von Daten Dritter – es ist schlichte Eigentumskriminalität und gewaltfrei ist es auch nicht.

Das Besondere, das dem Hacktivismus seinen Namen gibt, besteht nach dem, was das BKA veröffentlicht darin, dass Hacktivisten politisch motiviert sind. Sie wollen Seiten lahmlegen, die ihnen ideologisch nicht passen, Unternehmen schädigen, denen sie, was auch immer verübeln und zuweilen ihr eigenes ideologisches Heil an die Stelle der verhassten Inhalte setzen.

Besonders betroffen von Hacktivism sind, wie die Dunkelfeld-Untersuchung des BKA zeigt, große Unternehmen. Ihnen entstehen, materielle Schäden, die sie jedoch nur selten zur Anzeige bringen, weil für sie eine “Anzeigeerstattung keine Aussicht auf Erfolg” sehen.

Dazu heißt es auf der Seite des BKA:

“Hacktivisten nutzen ähnliche Vorgehensweisen wie andere Cyberkriminelle – wie z. B. DDoS-Angriffe, Web-Defacements, Ausspähen von Daten etc. – jedoch mit einer anderer Zielrichtung: So agieren Hacktivisten niemals profitorientiert, sondern um sich für ideologische Zwecke und Prinzipien einzusetzen und Sympathisanten zu mobilisieren.”

Es ist schon lustig, dass Kriminelle nun schon nach dem Motiv in schlechte und weniger schlechte Kriminelle unterteilt werden, wobei die weniger schlechten Kriminellen diejenigen sind, die “niemals profitorientiert” agieren. Indes, man fragt sich schon, woher man beim BKA weiß, dass Hacktivisten, die Webseiten lahmlegen, defacen oder dort Daten ausspähen, keiner Profitorientierung folgen, nicht gerade dafür bezahlt werden, dass sie Webseiten lahmlegen, Daten ausspähen oder Webseiten defacen.

Hactivism
BKA, 2015: 63

Diese Naivität auf Seiten der Verantwortlichen des BKA, mit denen wohl ihr Gutmenschen-Motiv durchgegangen ist, so dass sie sich nicht mehr vorstellen können, dass man ausgespähte Daten auch verkaufen oder an die Unternehmen zurück verkaufen kann, ist umso erstaunlicher als wenige Zeilen vor der Generalabsolution für Hacktivisten steht:

“Fundierte Erkenntnisse zu diesem Phänomen gibt es kaum. Literatur und Studien zum Hacktivismus sind rar.”

Und die vom BKA finanzierte und durchgeführte Hellfeld-Studie kommt zu dem Ergebnis:

“Valide Aussagen zu Merkmalen hacktivistischer Täter zu machen, ist, wie bei anderen Cybercrime-Tätertypen auch, generell schwierig. Die Täter agieren anonym und häufig unbemerkt. In Foren geben Hacktivisten nur wenig von sich preis und wenn sie dies tun, dann ist die Richtigkeit dieser Angaben nicht garantiert.” (46)

Insofern fragt man sich, welche Motive oder welche Unbedarftheit hinter der Behauptung stehen, politische Aktivisten agierten nicht profitorientiert bzw. Hacktivisten hätten nicht den eigenen Vorteil im Auge, wenn sie versuchen, die Webseiten Dritter zu stören oder zu zerstören oder dort Daten zu löschen oder auszuspähen.

Das wenige, was über Alter, Motivation und die Organisation von Hacktvisten bekannt ist, erinnert sehr stark an Untersuchungen zu kriminellen Jugendbanden, wie sie Cohen (1961),  Trasher, (1936) oder Whyte (1943) in ihren jeweiligen Arbeiten beschrieben haben.

Vermutlich ist die Differenzierung dem aktuellen Zeitgeist, der der Chimäre des Altruismus huldigt, gewürdigt, jener Chimäre, die Neid und Zerstörungswut zu einer Tugend im ideologischen Kampf macht und einfache Kriminelle zu halbadeligen Aktivisten umwidmet. Und mit dem selben Schachzug kann man die Erpressung von Schutzgeld im Austausch gegen die Gewähr, nicht Ziel von Hacktivismus zu werden, als selbstlose Hingabe verballhornen, was letztlich dazu führt, dass die Mafia eine mildtätige Vereinigung wird.

 

Cohen, Albert (1961). Kriminelle Jugend. Zur Soziologie jugendlichen Bandenwesens. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt.

Trasher, Frederic M. (1936). The Gang. Chicago: University of Chicago Press.

Whyte, William F. (1943). Street Corner Society. Chicago: University of Chicago Press.

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