Soziologie der Angst – Bürger müssen draußen bleiben

Angst:

Woerterbuch der Soziologie“psychologische Bezeichnung für spezifisch ausgelösten oder chronischen Affektzustand, der mit Furcht- u. Schreckgefühlen verbunden ist. Angst kann sowohl als bestimmte, auf angebbare Personen, Situationen oder Objekte bezogene, wie unbestimmte, vage auftreten. Sie kann in bestimmten Einzelsituationen u. bei gelegentlichen psychischen ‘Verletzungen’ zeitlich begrenzt, aber auch – entwicklungspsychologisch bedingt – als krankhafter Dauerzustand auftreten. Soziologisch ist bedeutsam, dass Angst das soziale Verhalten der Menschen desintegrativ u. irrational beeinflusst, und dass sie durch bestimmte soziale Strukturen gefördert werden kann. (Wörterbuch der Soziologie, 24)

Wenn man wie wir schon einge Jährchen damit verbracht hat, Sozialwissenschaft zu betreiben und die Veränderungen der letzten Jahrzehnte Revue passieren lässt, dann kann man feststellen, dass sich Sozialwissenschaften mehr und mehr von einem Fächerkanon, dessen Zweck es war, soziale Tatbestände, wie es Durkheim sie genannt hat, also Institutionen, gesellschaftliche Normen, soziale Beziehungen, die daran beteiligten Akteure und ihre Meinungen, Überzeugungen und vor allem ihr Verhalten zu erforschen, zu einem Fächerkanon entwickelt hat, dessen Ziel gerade nicht mehr im Erforschen der sozialen Tatbestände besteht, sondern darin, normative Vorgaben darüber zu machen, wie man seine sozialen Tatbestände gerne hätte.

Mit diesem Verfall dessen, was Sozialwissenschaften einst ausgemacht hat, einst, das meint die 1960er, 1970er und 1980er Jahre, geht ein methodischer Verfall einher, der immer mehr Kaffeekränzchen unter dem Dechmantel einer qualitativen Forschung oder unter dem Deckmantel des vermeintlichen Experteninterviews, das derzeit in ist, sich breitmachen sieht.

Esser_SoziologieAn die Stelle der systematischen Forschung ist die subjektive Beliebigkeit getreten; an die Stelle der theoretischen Fundierung, die ideologische Weltbeschreibung; an die Stelle der Formulierung von Hypothesen das Fabrizieren mehr oder weniger weit hergeholter Analogien oder gleich das Aufstellen wilder Behauptungen, und an die Stelle der empirischen Prüfung ist die Behauptung empirischer Wahrheit getreten, die fern jeglicher Fundierung in der Realität den deutlichsten Verweis darauf gibt, dass viele institutionalisierten Sozialwissenschaftler nicht mehr wissenschaftliche Systeme aufstellen, sondern Systeme des Glaubens.

Diese Entwicklung hat Effekte auf das wissenschaftliche Selbstverständnis, das wissenschaftliche Selbstvertrauen und das wissenschaftliche Rückgrat der jeweiligen Wissenschaftler.

Ein wissenschaftliches Selbstverständnis basiert auf einer wissenschaftlichen Methode, darauf, dass man Ergebnisse produziert, die nützlich und prüfbar sind.

Wissenschaftliches Selbstvertrauen ist das Resultat von nützlicher Tätigkeit: Nur wer Forschungsergebnisse vorzuweisen hat, die etwas über die Realität aussagen und die für andere nützlich sind, kann Selbstvertrauen aufbauen.

Ein wissenschaftliches Rückgrat wiederum baut auf dem Selbstverständnis und dem Selbstvertrauen auf und besteht darin, dass man Wissenschaftler genug ist, unbequeme Fragen gerade an die eigenen Forschungsergebnisse zu richten.

Derzeit sehen wir in den deutschen Sozialwissenschaften mit einigen wenigen Ausnahmen, keine der drei genannten Größen: Statt eines wissenschaftlichen Selbstverständnisses finden wir das Vorlieben- und Gutheits-Verständnis, das seinen Forschungsgegenstand nicht auf der Suche nach Erkenntnis, sondern auf der Suche nach Bestätigung der eigenen Vorlieben oder der eigenen Gutheit aussucht und durchsucht.

Anstelle des wissenschaftlichen Selbstvertrauens finden wir fragile ad-hoc Konstruktionen, die so lange aufrecht erhalten werden können, so lange sie niemand hinterfragt.

spinelessUnd anstelle des wissenschaftlichen Rückgrats finden wir die nackte Angst davor als der Betrug an der Wissenschaft aufzufliegen, den man nun einmal darstellt.

Gespeist wird diese Angst u.a. daraus, dass wissenschaftliche Positionen in der Regel aus Steuermitteln finanziert werden. Und wo früher das Jagen der eigenen Grille auf Kosten der Allgemeinheit möglich war, gibt es heute Blogs wie ScienceFiles, die fragen, was die Finanzierung von z.B. Gender Studies, die sich z.B. mit “Überlegungen zur Kraft und zur Herrlichkeit der Gnade – female and male mercy in Graham Greene’s Brighton Rock” beschäftigen (kleiner Teaser, dazu bald mehr), für einen Nutzen erbringen. Man könnte diese Frage auch offensiver formulieren: Wie rechtfertigen es Gender Studierte, Steuerzahlern auf der Tasche zu liegen und nichts an sie zurückzugeben? Wer keine Antwort auf solche Fragen hat, der entwickelt dann, wenn es von seiner Antwort abhängt, ob er sich auch weiterhin auf Kosten der Steuerzahler durchhangeln kann, Angst, eine spzifische Angst vor den entsprechenden Fragen.

Gespeist wird diese Angst daraus, dass nicht nur die Frage nach dem Nutzen und den Kosten bestimmter vermeintlicher Studieninhalte gestellt wird, sie wird auch daraus gespeist, dass Fragen nach der theoretischen und methodischen Fundierung der eigenen, vermeintlich wissenschaftlichen Tätigkeit nicht beantwortet werden können. Wie soll man die Frage nach den methodischen Standards beanwtorten, wenn Willkür die Methode der Wahl ist oder ein Kaffeekränzchen als narrative Methode oder, wenn das Kaffeekränzchen mit einem Stück Torte verschönt wurde, als problemzentriertes Interview verkauft werden soll? Wie soll man eine Bedeutung der eigenen Forschung aus einer Theorie ableiten, die aus einer Aneinanderreihung von Trivialitäten besteht, die man z.B. als “Standpoint Theory” bezeichnet, was die Tatsache umschreibt, dass der, der auf dem Berg steht und nach unten schaut, etwas anderes sieht, als der, der am Fuss des Berges steht und nach oben schaut?

Und – last but not least – gespeist wird diese Angst aus der Ablehnung jeglicher Form von Verantwortung dafür, was aus den Sozialwissenschaften geworden ist.

Man kann somit drei Formen der Angst benennen:

  • frightenedRelevanz-Angst, die Angst vor der Frage nach dem Nutzen,
  • Verlässlichkeits-Angst, die Angst vor der Frage nach der Begründung der eigenen Forschungsergebnisse;
  • Verantwortungs-Angst, die Angst vor der Frage, was man selbst gegen Missstände unternommen hat oder zu unternehmen gedenkt.

Die letzten Wochen haben die endemische Verbreitung dieser drei Angstformen deutlich gemacht:

  • Lehrstuhl-Günstlinge, die Gender Studies betreiben, weigern sich, Fragen nach den methodischen Grundlagen ebenso zu beantworten wie Fragen anch dem Nutzen, den die Gender Studies für Steuerzahler bereitstsellen.
  • Gewählte Vorstandsmitglieder einer gemeinnützigen Fachgesellschaft weigern sich, Steuerzahlern und Kollegen auch nur die Höflichkeit einer Antwort auf Fragen angedeihen zu lassen, und zwar deshalb weil sich diese Steuerzahler und Kollegen insofern daneben benommen haben, als sie nicht nur Fragen an die Vorstandsmitglieder gestellt haben, sondern die Fragen auf die Verantwortung der Vorstandsmitglieder abzielen.

Dies sind nur einige Beispiele für die Angst in der institutionellen Wissenschaft. Und letztlich ist diese Angst auch eine Angst vor dem Forschungsgegenstand, denn diejenigen, die hier mit Missachtung und Ignoranz behandelt werden, sind die sozialen Tatsachen, die eigentlich Gegenstand der eigenen Sozialwissenschaften sind.

Letztlich braucht man keine Sozialwissenschaften, die sich nicht mehr mit sozialen Tatsachen beschäftigt, so dass man sich fragen muss, ob die beste Therapie gegen die in den Sozialwissenschaften grassierende Angst vor dem Forschungsgegenstand nicht darin bestünde, die Sozialwissenschaften aufzulösen und die eingesparten Mittel einer sinnvollen Verwendung zuzuführen.

©ScienceFiles, 2015

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