Politische Unkultur: Im Ministerrat der EU regiert die Irrationalität

Seit Monaten trifft sich ein Club europäischer Regierungschefs und Finanzminister an den verschiedensten Plätzen in der EU, um immer und immer wieder das selbe Problem zu lösen: Die Eurozonen-Krise. Regelmäßig treten der französische Präsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel vor eine zunehmend in Langeweile versinkende Journalistengemeinde und verkünden die (dieses Mal) ultimative Lösung. Kaum sind die entsprechenden Treffen beendet, kommen aus den unterschiedlichsten Quellen neue Informationen, denen regelmäßig entnommen werden kann, dass die vorausgehende “ultimative Lösung” auch dieses Mal nur eine Scheinlösung gewesen ist. Entsprechend beginnt das ganze Prozedere von vorne: ein neuer Treffpunkt, die alten Gesichter, das ewig selbe Problem: es wird hinter geschlossenen Türen verhandelt, gestritten, eine Vereinbarung getroffen, die dann wieder als ultimative Lösung verkauft werden kann – kurzzeitig jedenfalls. Doch so langsam stellt sich auch beim wohlwollendsten Beobachter die Überzeugung ein, dass die politischen Führer der Eurozone das Problem entweder nicht lösen wollen, das Problem nicht lösen können oder gar nicht verstehen, wo das Problem eigentlich liegt. Vielleicht wollen sie es auch gar nicht wissen, weil sie zwischenzeitlich Gefallen an den regelmäßigen Treffen und der damit verbundenen Fluchtmöglichkeit aus dem nationalen politischen Geschäft gefunden haben.

Welche Antwort mag die richtige dafür sein , dass es den politischen Führern der Eurozone nicht möglich ist, ein Problem zu lösen, das letztlich von einem Land verursacht wird, das gerade einmal rund 2% zum Bruttosozialprodukt der Eurozone beiträgt?

Nach dem letzten Treffen in Brüssel mehren sich die Anzeichen, dass die Unfähigkeit zur Problemlösung ein grundlegendes Problem fehlenden rationalen Denkens ist.  Ein Ausbruch von Nicolas Sarcozy legt diesen Schluss nahe: “We are sick of you criticising us and telling us what to do”, hat der französische Präsident entweder im Pluralis Majestatis oder als Sprachrohr der anderen Eurozonen-Länder dem britischen Regierungschef David Cameron entgegen geworfen, und damit offenbart, wo die Probleme liegen.

Denn eine rationale Problemlösung sieht anders aus. Wer ein Problem lösen will, so kann man annehmen, ist an einem Erkenntnisgewinn interessiert. Er will wissen, wie er etwas zum Laufen bringen kann (z.B. eine Dampfmaschine), etwas verhindern kann (z.B. eine Überschwemmung) oder wie er dafür sorgen kann, dass die Finanzprobleme der Eurozone gelöst werden. Spätestens seit Karl Raimund Popper seine Logik der Forschung veröffentlicht hat, ist es unter Wissenschaftlern common sense, dass eine Problemlösung damit beginnt, Hypothesen über die Ursache des Problems zu formulieren, und die Hypothesen an der Realität zu prüfen. Erweisen sich die Hypothesen als richtig, dann können aus ihnen Lösungen abgeleitet werden, erweisen sie sich als falsch, dann geht die Suche nach den Ursachen des beobachteten Problems weiter. Ein wichtiges Mittel im Verlauf dieser Suche nach Lösungen ist die Kritik: Kritik weist auf Schwachstellen hin. Kritik zwingt den Kritisierten dazu, die kritisierte Auffassung zu überprüfen, und Kritik hat zur Konsequenz, dass Fehler in der bisherigen Lösungssuche aufgedeckt werden. Eben diese Kritik will Nicolas Sarkozy, ob er nun für sich oder alle Mitglieder der Eurozone spricht, nicht zulassen. Und damit macht er deutlich, dass es ihm nicht darum geht, eine rationale Lösung für die Finanzprobleme der Eurozone zu finden, denn wäre dem so, er würde die Kritik begrüßen.

Dabei gibt es genügend Indizien  die darauf hinweisen, dass die Regierungschefs der Eurozone Kritik bitter nötig haben, suchen sie nun doch schon seit Wochen offensichtlich vergeblich nach einer Lösung. Und Kritik hätte sie auch vor der Gründung der Eurozone dazu bewegen können, sich mit ökonomischen Theorien zu befassen, die sich mit dem, was zu Gründen sie sich anschicken, befassen, z.B. Robert Mundells (1961) Theorie der optimum currency area. Hätten sie dies getan, sie hätten manches, was nun gekommen ist, vorhersehen und berücksichtigen können. So sagt Mundell z.B. voraus, dass das Hauptproblem einer Währungsunion darin bestehen wird, eine divergierende wirtschaftliche und fiskalische Entwicklung in den Mitgliedsstaaten zu verhindern, also genau das zu verhindern, was in der Eurozone endemisch ist: divergierende wirtschaftliche und fiskalische Entwicklungen. Um dies zu verhindern, ist es notwendig, auf nationale Hoheitsrechte bei Steuer- und Wirtschaftspolitik zu verzichten – ein Verzicht, den die Eurozonen-Länder bislang nicht bereit sind, zu üben und entsprechend müssen sie sich über die derzeitigen Probleme auch nicht wundern. Wenn man also überhaupt eine gemeinsam Euro-Suppe kochen will, dann muss man auch im selben Topf rühren.

Die Regierungschefs der Eurozone hätten Kritik also bitter nötig. Aber sie befassen sich lieber mit einem neuen, sinnlosen Versuch, ein sinkendes Schiff mit dem Zahnputzbecher vor dem Untergang zu bewahren. Und sie tun dies aus ideologischen Gründen, denn keiner der Eurozonen-Regierungschefs will vor seine Wähler treten müssen und sagen: Die Zeiten, in denen der Staat als big spender aufgetreten ist, sind vorbei: Staatsausgaben müssen schrumpfen, Zinslasten auf derzeitiger Verschuldung abgebaut und Leistungen des Staates reduziert werden. Dies nun, ist die Politik, die David Cameron im Vereinigten Königreich verfolgt, woraus man schließen kann, dass Monsieur Sarkozy (und die Eurozonen-Länder, für die er spricht) nicht nur Angst vor der gesprochenen Kritik hat (haben), sondern auch die Augen vor dem Unausweichlichen verschliesst (verschließen) – so wie ein Kind im Kindergarten, das sich die Augen zuhält und mit dem Fuss aufstampft, um seinen Willen durchzusetzen.

Literatur

Mundell, Robert A. (1961). A Theory of Optimum Currency Areas. American Economic Review 51(4): 657-665.

Bildnachweis: Immobilienblasen

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