Stress ohne Grund: Bushido und die Freie Meinungsäußerung

Wir haben schon häufiger auf ScienceFiles auf einen entscheidenen Unterschied zwischen der US-Amerikanischen Verfassung und dem Grundgesetz hingewiesen. Das First Amendment der US-Constitution lautet kurz und bündig:

Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the political-correctness-police1Government for a redress of grievances.

Damit ist es Politikern verwehrt, Gesetzgebung zu erlassen, die Freiheitsrechte z.B. im Hinblick auf die Freiheit von Meinungsäußerung einschränken. Und entsprechend müssen sich Politiker in den USA damit abfinden, dass sie zuweilen Gegenstand von Hohn und Spott, Beschimpfung und Ärger werden. Wer sich einen Eindruck darüber verschaffen will, was in den USA alles unter freie Meinungsäußerung gefasst wird, der sollte einfach nach “Obamacare” googlen und seine Suche auf Bilder beschränken. Politiker sind nun einmal Personen des öffentlichen Lebens, und das öffentliche Leben hat nicht nur Sonnen-, sondern auch Schattenseiten.

Politiker in Deutschland wollen dagegen und ganz offensichtlich nur im Rampenlicht stehen und alles, was sie veralbert oder verhöhnt oder auch nur negativ darstellt, verbieten, wie z.B. Behauptungen über gefärbte Haare oder Textpassagen aus Liedern. Politiker in Deutschland geben sich äußerst dünnhäutig, wenn sie das Ziel von Spott oder Kritik sind, aber um so vollmundiger, wenn sie Andere kritisieren oder verspotten zu können glauben. Wer austeilen kann, muss auch einstecken können, so lautet eine alte Volksweisheit, die in Deutschland vor allem von denen, die in der öffentliches Sphäre unterwegs sind, gerne vergessen oder als obsolet angesehen wird.

Und es ist hier, dass der entscheidende Unterschied zwischen den USA und Deutschland zum Tragen kommt. So heißt es im Artikel 5 des Grundgesetzes:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

Bushido1Mit anderen Worten: (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern, aber: (2) Politiker (die man gerne hinter dem Begriff “Gesetzgeber” versteckt) haben das Recht, die Meinungsfreiheit immer dann einzuschränken, wenn sie es für richtig halten. Dass die Einschränkung der Meinungsfreiheit eine al gusto Entscheidung ist, zeigt sich schon daran, dass es keinerlei Kriterien dafür gibt, wann Meinungsfreiheit gegen “Vorschriften zum Schutz der Jugend” verstößt, die ja ohnehin auch nichts anderes sind, als Spielzeug in den Händen von Politikern, die nichts lieber tun, als ihre Bevölkerung zu bevormunden.

Und in der Tat hat sich der Jugendschutz zum häufig gebrauchten Mittel entwickelt, um unliebsame Objekte der Allgemeinheit unzugänglich zu machen. Dies zeigt sich auch an der Posse zwischen Bushido, dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit”, dem FDP-Politiker Serkan Tören und der grünen Claudia Roth. Sie bekriegen sich öffentlich und medial wirksam seit einiger Zeit, und in jüngster Zeit ist die Auseinandersetzung zu einer legalistischen geworden, die Staatsanwälte und vermutlich eine Vielzahl von Juristen beschäftigt und mit Einkommen versorgen wird.

Weil Politiker in Deutschland generell die Möglichkeit sehen, per Gesetz dafür zu sorgen, dass ihre Person nicht diskreditiert oder beleidigt wird und somit der Gegenstand von Meinungsäußerungen wird, die in den USA eher als normal angesehen werden, liegt es ihnen besonders nahe, dann, wenn sie einmal Gegenstand von Hohn, Spott und “explicit lyrics” werden, mit dem Arm des Gesetzes zu wedeln und dem entsprechenden Sprecher von Dritten den Mund verbieten zu lassen. Geeignete Mittel, um Meinungsäußerungen als inadäquat zu unterbinden, sind regelmäßig Staatsanwälte, Zivilrichter und, wie könnte es anders sein, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien.

Man darf Jugendlichen die Welt nämlich nur in den Farben zumuten, die offizielle Medien und Politiker malen. Andere Farben, wie es sie z.B. im Internet oder zuweilen in expliziten Liedertexten von z.B. Bushido oder auch im richtigen Leben gibt, sind verboten und lösen regelmäßig dieselbe hektische Betriebsamkeit aus, die vorgeblich dem Schutz der Jugendlichen gilt.

Und so schützt die Bundesprüfstelle derzeit Jugendliche vor dem Liedtext von Bushidos “Stress ohne Grund”:

Bushido2“Das Gremium stufte Inhalte der CD als jugendgefährdend ein, weil sie verrohend wirken, zu Gewalttätigkeiten anreizen und Frauen und Homosexuelle diskriminieren. Den Jugendschutzbelangen war nach Abwägung mit der Kunstfreiheit der Vorrang einzuräumen. Indizierungsrelevant war unter anderem der Inhalt des Liedes “Stress ohne Grund” von “Shindy”, feat. “Bushido””.

Diese kurze Sequenz zeigt bereits das ganze Elend der Bundesprüfstelle. Ob die CD von Shindy und Bushido verrohend wirkt, ist eine empirische Frage, die man untersuchen muss und nicht einfach als Feststellung behaupten kann. Und was für eine Abwägung zwischen “Jugendschutzbelangen” und “Kunstfreiheit” wohl von einem “Gremium” zu erwarten ist, das nicht einmal den Unterschied zwischen einer Tatsache und einer Behauptung kennt, das kann sich jeder selbst denken. Dass Jugendschutz als Mittel der Zensur genutzt wird, war nie deutlicher als an diesem Beispiel.

Aber, wenn es um die Jugend geht, dann werden Deutsche doch gerne auf Freiheiten verzichten – oder? Doch zurück zu den zartbeseiteten Politikern, Wowereit und Törun, die den Staatsanwalt anrufen, ihnen zu helfen, weil sie sich “diffamiert” fühlen oder mit dem Tod bedroht würden. Ich fürchte, wir müssen uns dem Liedtext von Bushido aus dem Genre des Gangsta-Rap, der in den USA nur mit dem Etikett “parental advisory – explicit lyrics” verkauft wird, befassen.

Musik war von jeher Geschmacksache, und es war schon immer der Fall, dass eine Reihe von Erwachsenen Lust dabei empfunden haben, sich über Jugendkulturen oder Jugenstile zu ereifern. Und jetzt ereifern sich die 68er, also diejenigen, die gegen z.B. den Radikalenerlass demonstriert und zumindest einmal damit geliebäugelt haben, einen Stein in Richtung eines Polizisten zu werfen, über einen Jugendstil, Gangsta Rap, dessen ausgesprochenes Ziel darin besteht, zu provozieren. Das ist wohl das größte Armutszeugnis, das sich Politiker selbst ausstellen können. Wie klein ihre geistige Welt wohl sein muss, wenn sie Versuche, die deutsche Sprache zu benutzen, wie die folgenden, ernst nehmen, daraus eine Diffamierung oder gar Bedrohung ihrer Person ableiten:

“Halt die Fresse, fick die Presse, Kay du Bastard bist jetzt vogelfrei, du wirst in den Arsch gefickt wie Wowereit”

oder

“Ich mach Schlagzeilen, fick deine Partei, und ich will, dass Serkan Törun jetzt ins Gras beisst. Yeah Yeah. Was für Vollmacht, du Schwuchtel wirst gefoltert. Ich schieß’ auf Claudia Roth, und sie kriegt Löcher wie ein Golfplatz”

Politicians advisoryUnd wo ich gerade dabei bin, die Bundesprüfstelle ist es nicht gewohnt, die Beschlüsse ihres “Gremiums” zu begründen, die Beschlüsse werden verkündet und basta. Aber ich wüsste doch zu gerne, wo die Phantasie der Gremiums-Mitglieder mit ihnen durchgegangen ist und wo sie Dinge gelesen haben wollen, die “zu Gewalttätigkeiten anreizen und Frauen und Homosexuelle diskriminieren”. Sofern es eine entsprechende Begründung und die dazu notwendigen Kriterien geben sollte, wäre deren Veröffentlichung eine Grundlage, auf der man sich fragen könnte, ob Jugendschutz auf eingebildeten Wirkungen aufbauen kann, ob die Phantasie von Sitten- und politischen Reinheitswächtern dazu ausreichen kann, um Freiheitsrechte anderer einzuschränken. Dies ist eine Diskussion, die in Deutschland geführt werden muss, bevor sich die Bundesprüfstelle zu einer Institution entwickelt hat, in der ein “Gremium” al gusto der Öffentlichkeit mitteilt, was sie lesen, sehen und hören darf und was nicht. Außerdem wäre eine entsprechende Transparenz demokratisch. Demokratisch? Ja, war nur ein schüchterner Einwurf.

Ich habe den Text von Bushidos Lied gelesen und das Video angeschaut. Der Text ist eher, naja, meinen Geschmack trifft er nicht; das Video enthält nichts, was man nicht im Tatort auch zu sehen bekommt und von daher stellt sich die Frage, was ist es wirklich: Was macht Anis Mohamed Youssef Ferchichi, aka “Bushido”, zum derzeitigen Lieblingsfeind von Politikern?

Nachtrag

Dass Transparenz und Offenheit für Behörden reine Symbole sind, die sie für sich behaupten, so wie die Bundesprüfstelle behauptet, etwas habe eine Wirkung, ist bekannt. Die Offenheit, mit der Transparenz behauptet und gleichzeitig ad absurdum geführt wird, ist jedoch atemberaubend. Dazu zwei kleine Impressionen von der Seite der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (übrigens eine falsche Benennung, denn wenn die Medien bereits als jugendgefährdend eingestuft sind, braucht es die Bundesprüfstelle nicht mehr, noch ein Grund, “das Gremium” aufzulösen).

Impression 1 findet sich unter dem Stichwort Mitarbeiter:

Die Bundesprüfstelle ist eine selbstständige Bundesoberbehörde mit eigenem Haushalt. Sie ist dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) nachgeordnet.

Hauptberufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Vorsitzende/ Vorsitzender und Stellvertretende Vorsitzende/Stellvertretender Vorsitzender (Sie werden vom BMFSFJ jeweils für 3 Jahre bestellt.)

17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bereiche Gesetzlicher Jugendmedienschutz, Medienkompetenz (Jugendmedienschutz: Medienerziehung) und Verwaltung.

Impression 2 findet sich unter Beisitzer

Die Bundesprüfstelle ist eine selbstständige Bundesoberbehörde mit eigenem Haushalt. Sie ist dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) nachgeordnet. “Die Mitglieder der Bundesprüfstelle sind nicht an Weisungen gebunden”, heißt es ausdrücklich in § 19 Abs. 4 Jugendschutzgesetz (JuSchG).

Ehrenamtliche Beisitzerinnen und Beisitzer Gruppenbeisitzerinnen/Gruppenbeisitzer Sie werden vom BMFSFJ auf Vorschlag ihrer Verbände für drei Jahre berufen aus den Kreisen:

Kunst
Literatur
Buchhandel und Verlegerschaft
Anbieter von Bildträgern und Telemedien
Träger der freien Jugendhilfe
Träger der öffentlichen Jugendhilfe
Lehrerschaft
Kirchen, jüdische Kultusgemeinden und andere Religionsgemeinschaften,

die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind Länderbeisitzerinnen/Länderbeisitzer
Sie werden von den Landesregierungen jeweils für drei Jahre ernannt.

Noch Fragen? Oder sind Sie mit der Transparenz zufrieden? Wenn ja, dann reicht es in Zukunft zu schreiben, das BMFSFJ bezahlt die Veranstaltung, und sie besteht aus Gremien voller Vorsitzender und Beisitzer.

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