Es bleibt dabei: Je mehr männliche Lehrer, desto besser schneiden Jungen ab

Als “Bringing Boys Back In” im Jahre 2002 erschienen ist und das Ausmaß der Nachteile von Jungen im Hinblick auf Sekundarschulabschlüsse erstmals umfassend dokumentiert wurde, hat sich eine große Zahl von Kommentatorinnen auf einen im Artikel von uns dokumentierten Zusammenhang kapriziert: Mit einer steigenden Anzahl von Grundschullehrerinnen sind die Nachteile von Jungen im Schulsystem gestiegen. Diese Korrelation zwischen zwei Variablen hat für viele Kommentatorinnen, wohl weil sie über Insiderwissen verfügen, sofort den Status einer Kausalität angenommen. In der Folge war ihr Blick (fast manisch) fixiert, dass sie völlig übersehen haben, dass das Anliegen des Beitrags von Dr. habil. Heike Diefenbach und mir darin bestand, zunächst formale Kriterien vorzugeben, die eine Erklärung der beobachteten Nachteile von Jungen erfüllen muss, um als Erklärung gelten zu können und dann eine Reihe von Vorschlägen zu unterbreiten, wie man die gefundene Korrelation unter Einhaltung der jeweiligen Kriterien erklären kann.

Bei aller Hysterie, die dann folgte und deren Hauptaugenmerk darauf lag, Grundschullehrerinnen von jedem Verdacht eines Effekts auf ihre Schüler oder Schülerinnen freizusprechen, hat die Mehrzahl der sich zu öffentlicher Äußerung berufen Fühlenden zum einen die zweite Variable im Modell, nämlich Arbeitslosigkeit, völlig ignoriert (wenn sie den Artikel überhaupt gelesen hat), zum anderen sind die meisten von ihnen fest davon ausgegangen, dass der von uns gefundene Zusammenhang keiner Erklärung bedürfe. Das weist darauf hin, dass die entsprechenden Genderisten felsenfest davon überzeugt sind, dass Jungen von weiblichen Grundschullehrern benachteiligt werden, weshalb sie die Nachteile nicht erklären müssen, da sie um ihr Zustandekommen wissen, sie absichtlich herbeiführen wollen.

Andere, die noch nicht dahinter gekommen sind, dass zwischen einem Zusammenhang und seiner Erklärung ein Unterschied besteht, versuchen über das, was man reflexive Verkomplizierung nennen könnte, den beschriebenen Zusammenhang so lange durch Sprachakrobatik und verquaste Sprachmonster in Form aneinandergereieter Adjektive zu beschwätzen, bis er verschwunden ist oder bis die Leserschaft kleinbei gibt und fortan glaubt, dass die Zusammenhänge verschwinden, wenn man nur lange genug behauptet, alles sei (zu) komplex bzw. es seien nicht Jungen, sondern Unterschichts- oder Migrantenjungen betroffen (ein neues Beispiel dazu: Thielen, 2011). Zudem wird regelmäßigt behauptet, die Zusammenhänge würden verschwinden, wenn man nicht alle Schüler betrachte, sondern nur einen Teil davon (dazu meine Besprechung der GEW-Studie “Bildung von Geschlecht”).

Deshalb prüfe ich im folgenden, ob die von Dr. habil. Heike Diefenbach und mir publizierten Zusammenhänge auch zu finden sind, wenn man nicht alle Schüler und alle Abschlüsse betrachtet, sondern nur diejenigen Schüler, die ohne einen Abschluss bleiben. Die im Folgenden präsentierten Ergebnisse basieren auf den Daten der Bildungsstatistik für die Schuljahre 2004/2005 und 2009/2010. Um die Ansatzpunkte für Hysterie so gering wie nur möglich zu halten, habe ich die Berechnungen auf der Basis des männlichen Anteils an Grundschullehrern durchgeführt.

Seit unser Artikel veröffentlich wurde, hat sich einiges verändert, wie die folgende Abbildung zeigt. So ist der Anteil der vollzeitbeschäftigten männlichen Grundschullehrer in Deutschland von 24,6% im Schuljahr 2004/2005 auf 19,1% im Schuljahr 2009/2010 gesunken. Der Rückgang der vollzeitbeschäftigten männlichen Lehrer ist nicht auf Grundschullehrer beschränkt, wie ich unter der Überschrift, der Rückzug der Männer aus der Schule bereits gezeigt habe. Ein Blick auf die einzelnen Bundesländer zeigt, dass der Anteil vollzeitbeschäftigter männlicher Grundschullehrer im Schuljahr 2009/2010 zwischen 6,62% in Sachsen-Anhalt und 36,43% in Hamburg variiert (Varianz in 2004/2005 zwischen 5.44% in Sachsen-Anhalt und 38.26% im Saarland).

 

Entsprechend stellt sich die Frage, ob der von uns gefundene Zusammenhang, nach dem mit einem steigenden Anteil von weiblichen Grundschullehrern wachsende Bildungsnachteile von Jungen einhergehen, auch heute, da der Anteil männlicher Grundschullehrer weiter gesunken ist, noch gegeben ist. Um dies zu prüfen, habe ich den Anteil männlicher Grundschullehrer mit dem Anteil von Jungen, die ohne einen Hauptschulabschluss bleiben, ins Verhältnis gesetzt.

Der Jungenanteil in der Gruppe derer, die im Schuljahr 2009/2010 ohne einen Hautschulabschluss geblieben sind, variiert zwischen den Bundesländern um knapp 7%. Er hat sein Minimum mit 57,46% in Hamburg und sein Maximum mit 64,34% in Brandenburg. Im Durschnitt sind von den 58.354 Absolventen, die im Schuljahr 2009/2010 ohne einen Abschluss eine Schule in Deutschland verlassen haben, 60,9% (35.506) Jungen.

Die Aussage der Abbildung ist eindeutig: je weniger männliche Grundschullehrer, um so mehr Jungen bleiben ohne einen Hauptschulabschluss. Der Zusammenhang zwischen dem Anteil männlicher Grundschullehrer und dem Anteil der Jungen an denjenigen, die ohne einen Abschluss von der Schule gehen, ist mit -.40 hoch und die Regressionsgerade in der Abbildung erklärt immerhin knapp 17% der Varianz zwischen den beiden Variablen. Entsprechend den in der Abbildung ausgewiesenen Ergebnissen wäre es demnach möglich, durch eine Erhöhung des Anteils männlicher Lehrer um 1% den Anteil der Jungen, die ohne einen Schulabschluss bleiben, um 0,85% zu reduzieren.

Das präsentierte Ergebnis ist ein eindrücklicher Beleg der Gültigkeit des Ergebnisses, das Dr. habil Heike Diefenbach und ich im Jahre 2002 publiziert haben: Auf der Aggregatebene besteht ein Zusammenhang zwischen dem Geschlecht der Lehrperson und dem schulischen Erfolg von Jungen. Somit stellt sich die Frage, warum dieser Zusammenhang besteht? Über all der Hysterie der letzten neun Jahre haben die Genderisten nämlich vergessen, dass der Zusammenhang, den man ja nicht leugnen kann, weil er nun einmal da ist, erklärt werden muss. Man muss daher die Frage beantworten, warum der Zusammenhang in der Weise besteht, wie er nun bereits mehrfach reproduziert wurde: Je mehr männliche Lehrer in der Grundschule, desto besser schneiden Jungen im Bildungssystem ab bzw. je weniger weibliche Lehrer in der Grundschule, desto besser schneiden Jungen im Bildungssystem ab.

Eine Erklärung dafür, nimmt im Einklang mit vorhandenen empirischen Befunden an, dass männliche Schüler bei der Grundschulempfehlung benachteiligt werden, dass dieser Benachteiligung eine konsequente Unterforderung der Jungen auf der Hauptschule nachfolgt, die einem Interesseverlust an Bildung zur Folge hat. Um nun zu wissen, ob diese Erklärung zutrifft, müsste man sie prüfen. Aber soweit ist bislang leider noch kein Bildungsforscher gelangt. Diejenigen, die sich mit den Nachteilen von Jungen beschäftigen, sind entweder nach wie vor damit beschäftigt, sie klein zu reden (dazu gibt es demnächst einen Beitrag) oder weiblichen Grundschullehrerinnen die Absolution zu erteilen. Und so harrt die eigentlich interessante Frage weiter der Beantwortung.

Nachtrag:
Der Zusammenhang zwischen dem Anteil männlicher Lehrer und dem besseren Abschneiden von Jungen hier gemessen am Beispiel von Jungen ohne einen Hauptschulabschluss ist auch dann vorhanden, wenn man den Anteil männlicher Lehrer für das Schuljahr 2002/2003 zu Grunde legt. Dies weist darauf hin, dass stimmt, was Dr. habil. Heike Diefenbach und ich in unseren Artikel von 2002 bereits vermutet haben, dass es nämlich nicht das Geschlecht einzelner Lehrer ist, das einen Effekt auf das Abschneiden von Jungen macht, sondern das generelle Lernklima an Schulen. Je feminisierter dieses Klima ist, je weniger akzeptiert männliche Rollenvorstellungen sind, desto schlechter schneiden Jungen ab.

Literatur

Diefenbach, Heike & Klein, Michael (2002). “Bringing Boys Back In”. Soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern im Bildungssystem zuungunsten von Jungen am Beispiel der Sekundarschulabschlüsse. Zeitschrift für Pädagogik 48(6): 938-958.

Thielen, Marc (2011). “Bist du behindert Mann?” Überlegungen zu Geschlecht und Geschlechtsinszenierungen in sonder- und integrationspädagogischen Kontexten aus einer intersektoralen Perspektive. Inklusion Nr. 1(2011).

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