Unsinn der Woche: Leclerc Gutmensch

Ein in Deutschland verbreiteter Glaube besagt, dass Worte mehr sind als das, was sie bezeichnen. Sie sind quasi-heilige Hüllen für mehr als ein Bezeichnungsobjekt. Sie offenbaren, sind vom Transzendenten gesalbt und deshalb a priori rein, jedenfalls dann, wenn sie von den Richtigen benutzt werden. Werden Worte von den Falschen benutzt, dann werden sie besudelt, unrein, für die Richtigen nicht mehr benutzbar. Diese Form des deutschen Schwulsts, die quasi-religiöse Vebrämung unschuldiger Worte hat Florian Leclerc in einem Kommentar für die Frankfurter Rundschau in einer geradezu rührend dussligen Weise auf den Punkt gebracht: “Wer das Wort ‘Gutmensch’ benutzt, offenbart, wes Geistes Kind er ist”. Bereits die Formulierung lässt nichts Gutes erahnen und tatsächlich: Gutmensch, sei zwar kein Nazi-Begriff (uff!) , aber einer “der von Rechten benutzt wird”. Damit ist “Gutmensch” besudelt. Ein aufrechter Mensch benutzt nach Ansicht von Leclerc diesen Begriff nicht mehr, denn wer ihn benutzt, ist rechts.

Diese esoterische Überhöhung von unschuldigen Begriffen nimmt Florian Leclerc in der Frankfurter Rundschau vor, nachdem er aus dem Duden zitiert hat, denn dem Duden scheint er überhaupt erst die Bedeutung von “Gutmensch” entnommen zu haben: Ein Gutmensch ist laut Duden ein”[naive] Mensch[en], der sich in einer als unkritisch, übertrieben, nervtötend o.ä. empfundenen Weise im Sinne der Political Correctness verhält, sich für die Political Correctness einsetzt”. Interessanter Weise passt diese Definition auf  Leclerc, so dass man nicht anders kann als ihn als Gutmensch anzusehen, setzt er sich doch in einer übertriebenen und unkritischen Weise dafür ein, den Begriff Gutmensch zu meiden, wie der Teufel das Weihwasser.

Aber aufrechte Gutmenschen wie Leclerc, die sich weigern, Worte wie Gutmensch zu benutzen, weil damit aus ihrer Sicht eine rechte Ideologie transportiert wird, haben überhaupt kein Problem damit, Nutzer des Wortes “Gutmensch” in die ideologisch rechte Ecke zu stellen und dies unter Verwendung von Vokabular zu tun, das man, wäre man veranlagt wir Leclerc wohl als “linkes Vokabular” bezeichnen würde.  Linksextremisten benutzen Begriffe wie “Neue Rechte” Herr Leclerc, der Begriff ist besudelt, wollen Sie nicht vom Gebrauch zurückschrecken?

Was Florian Leclerc nicht weiß ist, dass der Begriff Gutmensch mitnichten ein Begriff ist, der aus dem  rechten politischen Spektrum stammt. Aber um das zu wissen, hätte er recherchieren müssen, doch Recherchieren ist eine unzumutbare Härte für moderne Journalisten. Hätte er dennoch recherchiert (zum Beispiel aus Wissensdurst), er wäre z.B. auf ein Buch von Klaus Bittermann gestossen: “Das Wörterbuch des Gutmenschen: Betroffenheitsjargon und Gesinnungskitsch”, geschrieben im Jahre 1998 und damit in einem Jahr, in dem es das blog “Politically Incorrect”, in dem Leclerc den mythischen Ursprung wähnt, aus dem die Bezeichnung “Gutmensch” sich regelmäßig durch den Äther verbreitet, noch gar nicht gab. Nein, Gutmenschen, also Menschen, die andere mit ihrer Absicht, Gutes zu tun, zuweilen bis in den Tod verfolgen (z.B. in der Inquisition), gibt es schon deutlich länger als Leclerc  in seinen kühnsten Vorstellungen wähnt: Dietrich Dörner (1994) hat mit Gutmenschen Experimente durchgeführt und gezeigt, wie sie – obwohl angetreten – um Gutes zu tun, ein fiktives, zum Glück der Betroffenen, nur in der virtuellen Welt bestehendes Land durch gutgemeinte Eingriffe, deren Folgen sie nicht abgesehen haben, in Windeseile ruiniert hatten.

Wäre Leclerc durch seine Suche eventuell darauf aufmerksam geworden, dass die als Gutmensch beschriebene Sorte Mensch nicht nur in Deutschland nervt, sondern auch in anderen Ländern, er wäre vielleicht zu dem Begriff “Do-Gooder” vorgestoßen und hätte staunend einen Text aus der New York Times des Jahres 2004 gefunden: “Asking Do-Gooders to Prove they Do Good” oder ein Buch aus dem Jahre 1973 mit dem Titel, Drinks, Drugs, and Do-Gooders, in dem Charles E. Goshem sich mit den Folgen guter Menschen auseinandersetzt, die andere vom Trinken und Drogenkonsum abhalten wollen. Und für den Fall, dass er weiter gesucht hätte, wäre er vielleicht noch bei “Bleak House” angekommen, einer Erzählung von Charles Dickens aus dem Jahre 1852/53, in der Dickens mit Mrs Jellyby einen Charakter einführt, der vor lauter Sorge um das Wohlergehen eines (fiktiven) afrikanischen Stamms die Wohlfahrt seiner näheren Umgebung vergisst. Einschlägigen Definitionen entsprechend hat Dickens hier einen Do-Gooder oder Gutmenschen eingeführt, und dies lange bevor es in Deutschland die von Leclerc so argwöhnisch betrachteten Rechten gab, die u.a. den Begriff “Gutmensch” benutzten. Folglich ist es nicht nur Unsinn, sondern grober Unsinn, den Begriff “Gutmensch” als einen Begriff zu bezeichnen, den nur Rechte benutzen, Unsinn, wie er nur  einem Gutmenschen wie Leclerc einfallen kann.

Dörner, Dietrich (1994). Die Logik des Misslingens: strategisches Denken in komplexen Situationen. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt.

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