Sexismus – oder: Am richtigen Wesen soll die Welt genesen

Also ich gestehe es jetzt frank und frei: Ich bin in einer sexistischen Umgebung aufgewachsen. Meine Mutter war lieber zu Hause als beim Arbeiten und hat erst angefangen, einen Hilfsjob auszuführen, als klar war, dass das Geld, das mein Vater nach Hause bringt, nicht ausreicht. Bislang habe ich gedacht, dass die späte Arbeitsaufnahme meiner Mutter auf ihre Träume, der Arbeiterschicht zu entgehen, in der sie sich nach Ihrer Heirat gefunden hat, und sich als Teil der Mittelschicht aufzuführen, zurückzuführen war. Seit ich Anja Mays Beitrag in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie gelesen habe, kenne ich die Wahrheit: Meine Mutter war sexistisch, und mein Vater, der die spezifische Form von Arbeitsteilung, er Haupternährer, meine Mutter diejenige, die sich um den Haushalt kümmert, befürwortet und finanziert hat, war es auch. Und wenn stimmt, was Mays in ihrem Beitrag unter dem wohlklingenden Begriff “exposure-based model” schreibt, dann bin ich in imminenter Gefahr, auch sexistisch zu sein, denn ich war der flaschen Ideologie, dem Sexismus, in meiner Kindheit ausgesetzt, meine Eltern haben es mir vorgelebt, und jetzt bin ich angeblich infiziert.

Gut, dass ich nicht verheiratet bin! Ich denke, das reinigt mich doch etwas in den Augen derjenigen, die Sexismus sehen, wenn Sie die Welt durchforsten. Sexismus, so erklärt Mays ihren Lesern, könne allgemein als “geschlechtsbezogene Stereotype, Affekte und Verhaltensweisen…” verstanden werden, “…, die einen ungleichen Status von Frauen und Männern zur Folge haben” (279). Wenn Sie also Ihrer Frau/Partnerin/Kollegin bislang die Tür aufgehalten haben, Schluss damit!, denn es ist Ausdruck ihrer sexistischen Grundhaltung, denn sie denken wohl, Ihre Frau/Partnerin/Kollegin könne die Tür nicht alleine öffnen, und Sie wollen sich auf diese Weise eine Machtbasis aufbauen (alleiniger Türöffner) und ihre Frau/Partnerin/Kollegin in Abhängigkeit von ihnen bringen. Wenn Sie schwere Gegenstände aus dem Auto schleppen, z.B. den Wasserkasten nach dem Einkauf: Schluss damit! Das ist sexistisch. Sie implizieren damit, Ihre Frau/Partnerin oder welche “in” auch immer, sei nicht in der Lage, den selben schweren Wasserkasten zu schleppen. Wieder sind sie dabei, sich ein Handlungsmonopol aufzubauen und ihre “in” in Abhängigkeit zu bringen. Sie Machtmensch, sie hegemonialer: Sie Sexist!

Und denken Sie an die Folgen Ihres Sexismus, die uns Mays höchst eindrücklich vor Augen führt: “wirtschaftliche Abhängigkeit”, “unentgeltliche” Hausarbeit, “Altersarmut von Frauen”, “öffentliche Unsichtbarkeit von Frauen, deren politische Machtlosigkeit” (279). Alles, weil Sie ein Sexist sind, der z.B. “voll” oder “eher” den folgenden Statements zustimmt:

  • [1] Es ist für alle Beteiligten viel besser, wenn der Mann voll im Berufsleben steht und die Frau zu Hause bleibt und sich um den Haushalt und die Kinder kümmert.
  • [2] Für eine Frau ist es wichtiger, ihrem Mann bei seiner Karriere zu helfen als selbst Karriere zu machen.
  • [3] Eine verheiratete Frau sollte auf eine Berufstätigkeit verzichten, wenn es nur eine begrenzte Anzahl von Arbeitsplätzen gibt, und wenn ihr Mann in der Lage ist, für den Unterhalt der Familie zu sorgen.

Wenn Sie auf eine oder alle drei dieser Aussagen “voll” oder “eher” zugestimmt haben, dann sind Sie ein Sexist – jedenfalls für Frau Mays. Und Deutschland ist voller Sexisten, wie die folgende Tabelle, in der ich die Anteile der voll und eher Zustimmer für die drei Aussagen zusammengestellt habe (dazu: Mays, 2012, S:281), zeigt:

voll oder eher Zustimmer Aussage [1] Aussage [2] Aussage 3
westdeutsche Männer 41,3% 27,1% 39,6%
westdeutsche Frauen 39,1% 27,8% 35,0%
ostdeutsche Männer 19,1% 13,8% 26,3%
ostdeustche Frauen 16,7% 13,2% 22,7%

Bereits hier ist zu sehen, dass in Westdeutschland der Virus des Sexismus mehr Opfer gefordert hat als in Ostdeutschland, und interessanter Weise scheint er nicht nach Geschlecht zu differenzieren: Sexiusmus befällt Frauen fast in gleichem Ausmaß wie Männer. Die Rettung gegen Sexismus bzw. die Heilung kommt ausgerechnet aus der ehemaligen DDR, denn die “ostdeutsche Bevölkerung, Männer wie Frauen, nimmt … eine erheblich liberalere Haltung ein” (280). Auf die Liberalität komme ich unten noch zu sprechen. An dieser Stelle will ich nur die Liste der Komorbiditäten zusammenstellen, die den Sexismus, wie die Analysen von Mays zeigen, befördern:

  • Sozialisation in Westdeutschland
  • vor 1949 geboren
  • religiöse Eltern
  • wenig gebildete Eltern
  • wenig eigene Bildung
  • Hausfrauendasein
  • Religiosität
  • antiegalitäre Haltung

Dem aufmerksamen Leser mag aufgefallen sein, dass Religiosität und antiegalitäre Haltungen schon von daher eine Überlappung mit dem vermeintlichen Sexismus aufweisen, als sie sich aus dem selben Wertekanon ableiten. Dieser Wertekanon ist ein so genannter traditioneller Wertekanon und wird entsprechend bei vor 1949 Geborenen häufiger zu finden sein, als bei nach 1949 Geborenen. Dass Hausfrauen diesen Kanon inkorporiert haben, ist offenkundig, sonst wären sie keine Hausfrauen und dass die Sozialisation in Westdeutschland einen Effekt auf die Beantwortung der drei oben zusammengestellten Aussagen hat, das wissen wir schon, es bedarf daher keiner weiteren Erwähnung. Damit sind von den Variablen, die Mays in ihrem “theoretischen” Modell zusammengestellt hat, alle ohne Nutzen, da sie keine neue Erkenntnis bringen. Und Bildung, nun ja, Bildung wird als formale Bildung gemessen und da heutzutage die formale Bildung weitgehend mit einer Kontrolle der ideologischen Orientierung einhergeht, ist es nicht verwunderlich, dass mit wachsender formaler Bildung die Zustimmung zu den drei oben genannten Aussagen sinkt. Die Erklärung ist einfach, ein Junge, der das von Feministinnen so häufig beklagte Macho-Gehaben in der Grundschule an den Tag legt, wird mit Sonder- oder Hauptschule nicht unter fünf Jahren bestraft.

Entsprechend hat uns Mays in ihrer Zusammenstellung der Ergebnisse wenig zu sagen, was wir nicht schon nach der zweiten Seite dieses “Beitrags” wissen: “Traditionell sexistische Einstellungen sind nach wie vor bei einem relevanten Teil der Bevölkerung anzutreffen. Im Hinblick auf egalitäre Geschlechtsrollenvorstellungen unterentwickelt sind vor allem die westdeutschen Landesteile” (295). Interessant an diesem Satz ist indes das Adjektiv “traditionell”. Ist das Adjektiv hier attributiv gebraucht, d.h. sind die sexistischen Einstellungen traditionell verankert oder fehlt hier ein Komma und traditionelle Einstellungen werden mit sexistischen Einstellungen gleichgesetzt? Ist dies – drei Seiten vor Ende des Beitrags, ein kurzer Einschlag von Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit, eine Erinnerung daran, dass die Aussagen, die Mays hier vollmundig als Sexismus messend angibt, aus einer Skala stammen, die das Zuma Skalenhandbuch als Skala zur Messung traditioneller Geschlechtsrollen angibt und eben nicht als Skala zur Messung von Sexismus? Weiter findet sich im Zuma Skalenhandbuch unter der Rubrik “Informationen zum Instrument “Geschlechtsrollenorientierung” das folgende:

“Geschlechtsrollenorientierungen werden als die normativen Konzeptionen eines Individuums über angemessenes Verhalten von Frauen und Männern definiert. Mit Geschlechtsrollenorientierung werden also normative Einstellungsaspekte bezeichnet, die moralische Wertungen drüber enthalten, wie sich Männer und Frauen verhalten sollen …”

Von Sexismus keine Spur. Sexismus ist die Zutat, die Mays in die Suppe der Geschlechtsrollenorientierung rührt. Und nicht nur das: Während der Messung von Geschlechtsrollenorientierung der erhobene Zeigefinger und die Überzeugung darüber, dass man selbst Inhaber der einzig richtigen Rollenvorstellung sei, fehlt, hat Mays diese Zutat von der ersten Seite ihres Beitrags bzw. ihres ideologischen Pamphlets, denn mehr ist es nicht, an, eingebracht. Die Prämisse, dass die gemessenen Geschlechtsrollenorientierungen Sexismus darstellen, der verdammenswert ist, dass Menschen, die sich den gemessenen Einstellungen entsprechend verhalten, falsch sind, atmet aus jeder Zeile des Beitrags und lässt sich an Sätzen zeigen wie: “Gleichstellung von Männern und Frauen ist bei uns (!sic) nach wir vor nicht selbstverständlich (278)” oder: “Gleichwohl besteht auch heute noch (!sic), insbesondere in den westlichen Landesteilen ein z.T. bemerkenswertes Ausmaß an sexistischen Einstellungen” (280) oder: “Vergleicht man die Einstellungsverteilung zwischen den Geschlechtern, so fällt auf, dass klassisch-sexistische Vorstellungen bei Frauen insgesamt fast ebenso oft (!sic) anzutreffen sind wie bei Männern. … Endrikat versucht dieses Phänomen damit zu erklären, dass traditionelle Rollenvorstellungen bei einigen Frauen als mögliche Strategie gewählt werden, um ein positives Selbstbild zu erhalten” (280). Und schließlich: “Will man also die im Grundgesetz verankerte Gleichstellung der Geschlechter voranbringen und sexistische Einstellungen aus den Köpfen der Mesnchen verbannen oder gar nicht erst entstehen lassen, so ist es unabdingbar in Bildung zu investieren” (297).

Jemanden wie Mays von liberaler Einstellung fabulieren zu hören, ist unerträglich. Ich habe noch selten einen Beitrag in einer (ehemals) wissenschaftlichen Zeitschrift gelesen, der derart offen den Katechismus dessen, wie Menschen zu sein haben, wie ihre Gehirne programmiert zu werden haben, wie sie, schlicht entmündigt und zum allein selig machenden Leben erzogen und gezogen werden müssen, gelesen wie diesen. Noch selten hat der Faschismus, der nur eine Werthaltung als richtig anerkennt, in wissenschaftlichen Veröffentlichungen derart unverblümt sein ekelhaftes Haupt erhoben. Dieses ideologische Machwerk, das nicht davor zurückschreckt, Aussagen aus der Skala zur Messung traditioneller Geschlechtsrollenorientierung zur Messung von Sexismus umzufunktionieren, keinen Hehl daraus macht, dass es keinerleit Toleranz für Menschen gibt, die in ihren “Köpfen” die falschen Wertorientierungen beherbergen und darüber hinaus schlicht und ergreifend ideologische Arbeit in der besten Tradition marxistisch-leninistischer Volksverdummung betreibt, hat soviel mit Liberalismus gemeinsam, wie Heinrich Himmler mit Mutter Theresa.

Viel schlimmer als dieses Pamphlet ist indes, dass es in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie veröffentlicht wurde. Das so etwas als veröffentlichungswürdig angesehen wird, lässt auf die Verzweiflung der Herausgeber, dem politisch-korrekten Zeigeist zu Willen zu sein, schließen. Da diese Verzweiflung zwei Seiten hat, nämlich eine Seite, die versucht, konform zu gehen, und eine Seite, die versucht, die Kölner Zeitschrift von Beiträgen freizuhalten, die nicht konform sind, und da ich mir ziemlich sicher bin, dass jeder Beitrag, dessen Veröffentlichung von den Herausgebern der Kölner Zeitschrift in den letzten Jahren abgelehnt wurde, interessanter ist, als der ideologische Brei, den Frau Mays ihren Lesern auftischt, rufe ich hiermit diejenigen auf, deren Beiträge in der Kölner Zeitschrift nicht veröffentlicht wurden, mir ihre Beiträge zu schicken. Ich werde sie hier besprechen und im Download-Bereich veröffentlichen. Schlechter als der Beitrag von Anja Mays können sie nämlich auf keinen Fall sein, nach unten ist kein Spielraum mehr.

Vielleicht sollte man bei der Kölner Zeischrift für Soziologie und Sozialpsychologie darüber nachdenken, den eigenen Namen zu ändern z.B. in Kölner Zeitschrift für Ideologie und politisch Korrektes.

Technischer Appendix

Mays (2012), S.292.

Der statistische Teil des Beitrags von Mays besteht aus Strukturgleichungsmodellen, die zumindest in ihrer Darstellung eine “Komplexität” annehmen (siehe Abbildung), die es dem Leser nicht mehr erlaubt, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Aber selbst wenn dieser Darstellungsmakel überkommen werden könnte, so wäre es dennoch nicht möglich, die Validität der Modelle zu prüfen, weil keinerlei Angaben darüber vorhanden sind, wie viele Befragte überhaupt in den Strukturgleichungsmodellen vorhanden sind. Da Strukturgleichungsmodelle auch dann “signifikante” Effekte ausweisen, wenn gerade einmal 12 Befragte als Datenbasis vorhanden sind, sind die Ergebnisse auch aus methodischer Sicht wertlos. Und daher wäre es besser gewesen, die Leser mit den Angaben zu beglücken, die für die Bewertung dessen, was sie lesen, relevant sind, anstelle sie mit nachgebeteten Angaben wie der folgenden zu langweilen: “Die Schätzung des Strukturgleichunsgmodells erfolgt mithilfe der Full-Information ML-Methode (FIML), die im Falle von Missing Completelyatrandom (MCAR) oder Missingatrandom (MAR) eine Parameterschätzung mit den üblichen Gütekriterien der Maximum-Liklihood Schätzer … erlaubt” (289). Das klingt sehr gelehrt und zeigt, dass die Verfasserin Abkürzungen aus dem Handbuch abschreiben kann, sagt aber nicht mehr, als dass für Befragte, die zu Variablen, die im Strukturgleichungsmodell berücksichtigt sind, keine Angaben gemacht haben, “geschätzt” wurde, welche Angaben sie gemacht hätten, hätten sie Angaben gemacht. Um das Ausmaß der “Schätzung” zu bestimmen, benötigt man wiederum die Anzahl der Befragten im Modell, was einen Hinweis darauf gibt, warum grundlegende Angaben, die zu machen, die wissenschaftliche Lauterkeit gebietet, nicht gemacht wurden.

Mays, Anja (2012). Determinanten traditionell-sexistischer Einstellungen in Deustchland – eine Analyse mit Allbus-Daten. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 64(2): 277-302.

Bildnachweis
Winemag

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