Vortäuschen einer Antwort: Fake News Marke „Bundesregierung“ [Kindergeldmissbrauch]

Zur demokratischen Inszenierung gehört die Vorspiegelung der Responsivität. Bei Parteien geht es darum, Wählern vorzugaukeln, man nehme deren Interessen und Bedürfnisse ernst. Bei Regierungen geht es darum, vorzugaukeln, man sei transparent und jederzeit bereit, die eigene Tätigkeit kontrollieren zu lassen, über die eigene Tätigkeit Auskunft zu geben. Erving Goffman hat diese Form der Inszenierung unter der Kategorie „glaubwürdige Darstellung“ diskutiert. Es geht darum, eine Fassade zu errichten und die dramatische Gestaltung so zu arrangieren, dass die Hinterbühne dessen, worum es eigentlich geht (z.B. Polit-Darsteller mit einem Auskommen zu versorgen), hermetisch von der Vorderbühne getrennt wird, auf der die Surrogat-Wirklichkeit bespielt wird.

(Kleine) Anfragen im Bundestag, Fragestunden und öffentliche Aussprachen in Parlamenten dienen dazu, die Illusion der Transparenz dessen, was die Regierung tut, und der Kontrolle dessen, was die Regierung tut, aufrecht zu erhalten. Der Bundestag bespielt mit diesem Frage und Antwortspiel die Vorderbühne, deren Zweck darin besteht, Wähler und Bürger davon zu überzeugen, dass es um ihre, um Gemeininteressen ginge.

Zuweilen gibt es jedoch Risse in dieser Darstellung. Zuweilen leidet die Glaubwürdigkeit. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn neue Akteure auf die Bühne treten, die mit dem Drehbuch nicht so vertraut sind, wie das Stammensemble oder kein Interesse an dieser Aufführung haben.

Ein solcher Riss in der Darstellung findet sich in der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD-Fraktion. Die Anfrage richtet hat den „Missbrauch bei Kindergeldleistungen“ zum Gegenstand. Der Riss wird offenkundig im Bemühen der Regierung, im Wesentlichen keine Antwort auf Fragen zu geben.

In der informalen Logik sind eine Reihe von Techniken bekannt, mit denen versucht wird, unangenehmen Themen aus dem Weg zu gehen und sich um eine Antwort zu drücken. „Begging the Question“, die Petitio Principii ist eine solche Möglichkeit, die letztlich darin besteht, etwas mit sich selbst zu erklären. Der Versuch abzulenken, einen Strohmann aufzubauen und diesen zu bearbeiten, um der Frage oder dem ursprünglichen Argument aus dem Weg zu gehen, ist eine andere Möglichkeit, avoiding the issue, die Ignoranz gegenüber dem, was gefragt oder argumentiert wurde, ist eine zusätzliche Möglichkeit.
Und dann gibt es noch die Manipulationsversuche, die die Bundesregierung im Repertoire hat, zu deren Nutzung sie gezwungen wird, weil die AfD-Fraktionsmitglieder offensichtlich nicht wissen (wollen) welche Fragen man in kleinen Anfragen NICHT stellt, damit keine Öffentlichkeit für unliebsame Themen geschaffen wird. Manipulationsversuche, zu denen die Bundesregierung nicht aus argumentativer Not gezwungen wird, denn dazu wäre ein Argument notwendig. Aber soweit kommen wir gar nicht, denn die Bundesregierung hat schon Probleme damit, die Realität als solche zu beschreiben.
Als Konsequenz finden wir in der Antwort der Bundesregierung eine neue Form des Manipulationsversuchs, die wir „Vortäuschen einer Antwort“ in Anlehnung an „Vortäuschen einer Straftat“ genannt haben. Das Ganze funktioniert wie folgt:

„Frage: Wann hat die Bundesregierung erstmalig Kenntnis vom bandenmäßigen Betrug beim Kindergeld erlangt, und wie viele Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet (bitte nach Jahren und Nationalität der Tatverdächtigen aufschlüsseln)? Wie viele Täter wurden verurteilt (bitte nach Jahren, Nationalität der Täter und Strafmaß aufschlüsseln)?

Antwort: In den letzten Jahren war im Rahmen von Überprüfungen und Stichproben ein Anstieg des Missbrauchs in organisierter Form zu beobachten. Die Familienkassen, das Bundeszentralamt für Steuern und das Bundesministerium der Finanzen gehen gemeinsam gegen Kindergeldmissbrauch vor. Dazu zählt auch die Bekämpfung des Missbrauchs in organisierten Strukturen. Im Übrigen wird auf die Antworten der Bundesregierung zu den Fragen 9 und 19 auf Bundestagsdrucksache 19/1275 verwiesen.“

Sie haben die Antwort gelesen.

Was erwarten Sie von der Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 9 und 19 auf Bundestagsdrucksache 19/1275?

  • Dass sich dort Zahlen zum Kindergeldmissbrauch in organisierten Strukturen finden?
  • Dass sich dort eine weiterführende Antwort gleich welcher Art findet, der man mehr zum Thema entnehmen kann?
  • Dass dort irgend eine inhaltliche Antwort auf die Frage gegeben wird?

Na, was erwarten Sie?
Sicher nicht diese Antwort:

„Die gewünschten Zahlen können nicht genannt werden, da eine Statistik über Missbrauchsfälle beim Kindergeld nicht existiert.”

Und:

„Wie in der Antwort zu Frage 9 dargestellt, wird lediglich die Zahl der Zuleitungen an die Bußgeld- und Strafsachenstellen gezählt. Die Teilmenge der letztlich ungerechtfertigten Beantragungen kann nicht ermittelt werden. Hinzu kommt, dass der Wohnsitz des Kindes nicht in den Straf- und Bußgeldlisten erfasst wird. Teilmengen, die nach dem Wohnsitz des Kindes unterscheiden, können daher nicht gebildet werden.”

Das nennen wir „Vortäuschen einer Antwort“. Und es geschieht mit Absicht. Denn es wäre durchaus möglich gewesen in der Antwort auf Frage 2 aus Bundestagsdrucksache 19/2889 anzugeben, dass es überhaupt keine Zahlen gibt, denen man entsprechende Informationen entnehmen kann, anstatt auf die Antworten zu den Fragen 9 und 19 in Bundestagsdrucksache 19/1275 zu verweisen. Dass die Bundesregierung keinerlei Informationen dazu hat, wie häufig Kindergeldmissbrauch ist, ist jedoch ein eher peinliches Eingeständnis, also wird vorgetäuscht, an anderer Stelle würde eine Antwort gegeben.

Absichtlich.

Und mit der entsprechenden kriminellen Energie.

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