Ist jeder dritte syrische Flüchtling psychisch krank? Nein!

„Fast jeder dritte syrische Flüchtling psychisch krank“, titelt das Ärzteblatt;

Fast jeder dritte syrische Flüchtling psychisch krank, äfft der FlüchtlingsRat NRW e.V. (wohl in der Hoffnung auf steigende Einnahmen);

PR-Online: Uni Erlangen: Viele syrische Flüchtlinge leiden laut Studie an psychischen Erkrankungen.

Saarbrücker Zeitung: Ein Drittel der Flüchtlinge aus Syrien sind einer Studie zufolge psychisch krank.

Gießener Allgemeine Zeitung: Jeder dritte syrische Flüchtling psychisch erkrankt.

Das ist nur ein Teil der Meldungen, die man bereits zu einer Studie der Psychosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung des Universitätsklinikums Erlangen finden kann. Wir halten die Wette, es werde noch weitere angebliche Qualitätsmedien diese Meldung verbreiten.

Ist wirklich ein Drittel der Flüchtlinge aus Syrien psychisch krank?

Bei uns bäumt sich bei solchen Meldungen immer der gesunde Menschenverstand auf. Bei Ihnen nicht?

Fangen wir vorne an.

Alle Meldungen beziehen sich auf die Ergebnisse, die im Beitrag: „Prevalence of Mental Distress Among Syrian Refugees With Residence Permission in Germany: A Registry-based Study“ beziehen.

Als Autoren sind für diesen Beitrag verantwortlich:

Ekaterini Georgiadou, Ali Zbidat, Gregor M. Schmitt und Yesim Erim, an der Universität Erlangen-Nürnberg in der Psychosomatischen und Psychotherapeutischen bzw. in der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Abteilung beschäftigt.

Wissenschaftliche Beiträge, die im Dunstkreis von Universitätskrankenhäusern angesiedelt sind, zeichnen sich häufig durch einen massiven Mangel an methodischen Grundlagen empirischer Sozialforschung aus, was erstaunlich ist, wenn man zum Beispiel berücksichtigt, dass Psychologen Statistik und Methoden der empirischen Sozialforschung im Studium eingetrichtert bekommen und Statistik in der Epidemiologie zum Grundhandwerkszeug gehört.

Aber offensichtlich nicht für alle.

Doch zurück zur Behauptung: Sind wirklich ein Drittel der Flüchtlinge aus Syrien, die nach Deutschland kommen, psychisch erkrankt?

Die Grundlage muss sich in der zitierten Studie finden, denn darin haben die Vier aus Erlangen die Ergebnisse für die wissenschaftliche Fachöffentlichkeit bereitgestellt, die sie derzeit durch die Medien treiben lassen.

Die nämliche Studie ist eine „Register-basierte Studie“, wie die Autoren behaupten. D.h. sie haben ihre Probanden, ihre syrischen Flüchtlinge in diesem Fall, dem amtlichen Ausländerregister entnommen.

Das käme einer Vollerhebung gleich, wenn alle im Ausländerregister erfassten syrischen Flüchtlinge von den vier Psychosomatischen aus Erlangen untersucht worden wären.

Wurden sie aber nicht.

Die vier Autoren, die den Anspruch erheben, Ergebnisse von nationaler Tragweite zu verbreiten, sie haben nicht die Grundgesamtheit der syrischen Flüchtlinge in Deutschland, sie haben auch nicht die Grundgesamtheit der syrischen Flüchtlinge in NRW oder in Bayern, sie haben die Grundgesamtheit der syrischen Flüchtlinge, die in Erlangen nach 2014 angekommen sind, die in der Stadt wohnen, eine Aufenthaltsgenehmigung haben und Hartz-IV beziehen. Sie haben natürlich nicht alle entsprechenden syrischen Flüchtlinge, die nach 2014 nach Erlangen gekommen sind, berücksichtigt, sondern nur die, die nach 2014 und bevor die vier Autoren ihren Text eingereicht haben, zugezogen sind. Eingereicht haben die Autoren ihren Text im Mai 2018, so dass man davon ausgehen kann, dass der Beobachtungszeitraum von Anfang 2015 bis maximal Ende 2017 reicht.

Trotzdem machen die Autoren weitreichende Aussagen wie: „Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass syrische Flüchtlinge in Deutschland eine extrem verwundbare Bevölkerungsgruppe sind“.

Worauf Aussagen wie diese über alle syrischen Flüchtlinge in Deutschland basieren, das zeigen wir jetzt:

518 in Worten Fünfhundertachtzehn syrische Flüchtlinge haben die Autoren im Register der Stadt Erlangen gefunden.

Trotz intensiver Versuche die 518 syrischen Flüchtlinge alle zur Mitarbeit zu bewegen, waren nur 200 bereit, sich an der Untersuchung zu beteiligen.

D.h. von den 518 Hanseln, die die Autoren sowieso nur untersuchen wollten, haben sie gerade einmal 38,6% zu fassen bekommen. Eine miserable Ausschöpfungsquote, die in einer, wie sogar die Autoren bemerken, verzerrten Stichprobe resultiert.

Die 200 verbleibenden syrischen Flüchtlinge, müssen unter Anleitung drei Fragebögen ausfüllen, die zum SCREENING von psychischen Störungen dienen, nämlich Post-Traumatic Stress Disorder (Posttraumatische Belastungsstörung, PTSD), Depression und generalisierte Angststörung.

Bei PTSD sollen die syrischen Flüchtlinge u.a. angeben, ob sie selbst oder Bekannte Krieg erlebt haben, ob sie zu einem Zeitpunkt Gefangen genommen wurden, eine schwere Erkrankung hatten, in ihrer Kindheit sexuell missbraucht oder vernachlässigt wurden usw. Für jedes dieser Erlebnisse, das sie oder ein Bekannter hatten, müssen die Flüchtlinge dann einschätzen, ob es lebensgefährlich war (not at all to completely) und ob sie sich bedroht gefühlt haben (not at all to completely).

Was eine solche Skala misst, ist uns unklar, ob eine solche Skala überhaupt etwas misst, wäre noch zu untersuchen, dass damit aber mit Sicherheit KEINE Aussagen darüber gemacht werden können, ob die befragten Flüchtlinge an PTSD leiden oder nicht, ist offenkundig. Damit fallen fünf Befragte, denen die Erlanger Psychosomaten nur PTSD nachweisen konnten, aus.

Nur 5: das macht nichts meinen Sie?

Nun, das macht sehr viel, denn die Behauptung, dass ein Drittel der syrischen Flüchtlinge psychisch erkrankt sei, basiert auf genau 61, in Worten: EINUNDSECHZIG syrischen Flüchtlingen, von denen die vier Erlanger behaupten, sie hätten eine psychische Erkrankung. Da die Messung von Depression und Angststörung abermals nur auf einem Screening und eben nicht auf einer entsprechenden Untersuchung basiert, sind auch die weiteren angeblich gefundenen klinischen Fälle mit einem dicken Fragezeichen zu versehen.

Aber selbst wenn man all die methodischen Einwände nicht hätte, bliebe doch die Tatsache, dass hier auf Basis von 61 syrischen Flüchtlingen aus Erlangen, die zwischen Anfang 2015 und Ende 2017 nach Erlangen gekommen sind, die arbeitslos sind und eine Aufenthaltsgenehmigung haben, nicht auf alle syrischen Flüchtlinge in Deutschland geschlossen werden kann.

Noch vor Jahren hätten wir es für undenkbar gehalten, dass es Journalisten oder solche, die sich dafür halten, in Deutschland gibt, die dermaßen unkritisch sind, dass sie Meldungen zimmern, wie die, die wir oben zitiert haben.

Es ist einfach nur erschreckend, auf welchem Niveau der Unkenntnis manche Journalisten dümpeln.

Noch erschreckender ist es jedoch, wenn eine Yesim Erim die wohl nur über entfernte Kenntnisse der Statistik und wissenschaftlichen Lauterkeit verfügt, behauptet, ihre Ergebnisse würden zeigen, dass „syrische Flüchtlinge in Deutschland eine extrem verwundbare Bevölkerungsgruppe sind“.

Das genau zeigen die Ergebnisse nicht.

Wer auf Basis von 61 syrischen Flüchtlingen, für die ein Screening-Test durchgeführt wurde, dessen Validität unbekannt ist, eine solche Behauptung aufstellt, der ist in jedem Fall ein Fall für den Nachhilfeunterricht – in Statistik, in empirischer Sozialforschung, generell, in der Funktionsweise von Wissenschaft (Kurs: Wie geht Wissenschaft?), in wissenschaftlicher Lauterkeit, in Ehrlichkeit…

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