Mangelnde Qualifikation: ARD-Faktenfinder verbreitet Fake News

Jeder kann heute bekanntlich alles. Blinde können die Welt beschreiben, wie sie sie sehen, Lahme an Sprintläufen bei Olympischen Spielen teilnehmen, Stumme können die Rede des Jahres halten und Taube beim Geheimdienst Lauschangriffe durchführen. Und weil alle alles können, können Personen, die sich für Journalisten halten, eben einmal Faktenfinder werden und weil das noch nicht reicht, mutieren sie zudem innerhalb kürzester Zeit und unter Auslassung jeder Ausbildung zum Wissenschaftler.

Sammeln wir drei Passagen aus dem neuesten Unglück, das beim ARD-Faktenfinder Text geworden ist.

[1] „Ältere und Konservative teilen öfter Fake News.“

Der Titel steht über dem Beitrag des ARD-Faktenfinders.

[2] „Nutzer sozialer Medien ab 65 Jahren teilen fast sieben Mal mehr Falschmeldungen im Netz als Jüngere. Das zeigt eine Studie der Universitäten Princeton und New York …“.

[3] „Für die Studie prüften die Autoren die Facebook-Nachrichten von fast 1200 Menschen in den USA. Die Forscher verglichen die von den Nutzern geteilten Links mit mehreren Links von Websites, die dafür bekannt sind, Falschmeldungen zu verbreiten. Die in der Fachzeitschrift ‚Science Advances‘ veröffentlichte Studie ergab, dass nur 8,5 Prozent der Probanden einen Link von einer dieser Seiten geteilt hatten. Diese waren jedoch zumeist älter und ordneten sich selber eher dem konservativen Teil des politischen Spektrums zu.“

Mit diesen drei Passagen sind rund 70% des Beitrags der ARD-Faktenfinders erfasst. Der Rest ist Gesülze, das der namenlose Faktenfinder in der Washington Post unter der Eigenleistung einer Übersetzung abgeschrieben hat.

Fangen wir vorne an. Zu den Fakten gehört unabdingbar die Angabe der Quelle. Zu behaupten, dass „eine Studie der Universitäten Princeton und New York“ etwas zeige, und namenlose Autoren etwas geprüft hätten, ist eher ein Verschleierungsversuch, denn ein Versuch, Fakten zu finden.

Die Studie, die man beim Faktenfinder der ARD nicht zitiert, weil der Text abgeschrieben wurde und die Washington Post den Bezug zum Text in „Science Advances“ wohl auch nicht herstellt, wurde von Andrew Guess, Jonathan Nagler und Joshua Tucker erstellt. Guess lehrt an der Princeton University, Nagler und Tucker sind an der University of New York beschäftigt. Es handelt sich somit um KEINE Studie der Universitäten Princeton und New York, sondern um eine Studie von Autoren, die an den jeweiligen Universitäten beschäftigt sind.

Der Titel der Studie lautet: „Less than you think: Prevalence and predictors of fake news dissemination on Facebook”.

Bereits im Titel legen die Autoren den Schwerpunkt auf das, was sie als ihr wichtigstes Ergebnis ansehen:

„It is important to be clear about how rare this behavior is on social platforms. The vast majority of Facebook users in our data did not share any articles from fake news domains in 2016 at all”.

Ein Blick in die Daten, die die Autoren für ihren Beitrag bereitstellen zeigt, 1090 von 1191 Befragten haben keine Texte von Fake News Seiten geteilt.

Die folgende Abbildung gibt den Roh-Count der Anzahl der Links zu Fake News Seiten (dazu gleich mehr), die geteilt wurden an.

Wie sich zeigt, handelt es sich um eine sehr, sehr kleine Gruppe, die überhaupt Links von Fake News geteilt hat. Der Autor der Tagesschau hat wohl nicht zufällig vergessen, auf diesen Umstand hinzuweisen. Hätte er dies getan, seine ganze Dramaturgie wäre in sich zusammengefallen, die Dramaturgie, die zeigen will, dass Ältere und Konservative öfter Fake News teilen, wie im Titel behauptet. Der Titel ist Fake News, denn nicht Ältere und Konservative, sondern Personen, die mindestens 65 Jahre alt sind, einen Facebook-Account haben und sich selbst als „SEHR konservativ“ einschätzen, sollen siebenmal häufiger Fake News teilen als jüngere. Was der ARD-Schreiber unterschlägt, nicht nur als jüngere:

„Those over 65 shared an average of 0,75 fake news articles (…), more than twice as many as those in the second oldest age group (0,26 articles …).”

Warum die Autoren eine Relation, die näher bei drei als bei zwei ist, mit „more than twice as many“ umschreiben, bleibt ihr Geheimnis. Relationen, wie diejenige, die hier angegeben werden, sagen natürlich nur dem etwas, der die Basis kennt. Die Basis wird im Text der Autoren nicht genannt. Unter Bezug auf das „supplementary material“ kann man sie ungefähr errechnen, demnach beträgt das Gesamt der Links auf Fake News Seiten 276 Links. Aus Abbildung 2B kann man die Relationen zwischen den vier Altersgruppen errechnen. Das Ergebnis ist das folgende: 65+: 117 Links; 45-65: 95 Links, 30-44: 47 Links und 18-29: 17 Links. Aufgrund der Relationen kann man auch die Altersverteilung des Datensatzes errechnen, rund 15% der Befragten sind über 65 Jahre alt, 16% 18 bis 29 Jahre, die restlichen 69% finden sich in den beiden Altersgruppen dazwischen.

Diese Relation ist wichtig, denn die Autoren berechnen nun multivariate Modelle, mit „Fake News Links“ als abhängiger Variable. Ob diese Modelle signifikant sind, ist dem Beitrag nicht zu entnehmen, denn die Autoren geben keinerlei Maß für die Güte ihrer Modell an. Das an sich ist schon mehr als verdächtig, wenn man dazu in Rechnung stellt, dass der größte Beitrag zur Erklärung der abhängigen Variablen (Fake News Link geteilt: ja/nein) von der sogenannten Konstanten ausgeht, also dem Teil des Modells, in dem sich rechnerisch alle erklärenden Faktoren sammeln, die im Modell nicht berücksichtigt sind und die Verteilung der abhängigen Variablen 1090 nein / 101 ja sehr schief ist, dann muss man davon ausgehen, dass hier eine Luftnummer gemessen wurde und Ergebnisse präsentiert werden, die weder reliabel noch valide sind.

Das würde erklären, warum die Autoren in der Interpretation ihrer Ergebnisse so vorsichtig sind, ganz im Gegensatz zum ARD-Faktenfinder, der jede Hemmung fallen lässt. Er hat zwar offensichtlich keinerlei Kompetenz, um die Güte der Ergebnisse von Guess, Nagler und Tucker zu beurteilen, aber die Ergebnisse passen ihm in den Kram, weshalb er Fake News verbreitet.

Zusammengefasst sieht das wie folgt aus:

[1] „Ältere und Konservative teilen öfter Fake News.“

Das ist falsch: Personen über 65 Jahre, die sich als „sehr konservativ“ bezeichnen, verlinken mehr auf Seiten, die von Buzzfeed und den Autoren als „Fake News Seite“ identifiziert wurden (eine Liste der Seiten findet sich unten).

 [2] „Nutzer sozialer Medien ab 65 Jahren teilen fast sieben Mal mehr Falschmeldungen im Netz als Jüngere. Das zeigt eine Studie der Universitäten Princeton und New York …“.

Nicht „Nutzer sozialer Medien“, sondern Nutzer von Facebook, nur solche wurden untersucht, teilen fast sieben Mal mehr Links auf Fake News Sites, nämlich 117 im Vergleich zu 17.

[3] „Für die Studie prüften die Autoren die Facebook-Nachrichten von fast 1200 Menschen in den USA. Die Forscher verglichen die von den Nutzern geteilten Links mit mehreren Links von Websites, die dafür bekannt sind, Falschmeldungen zu verbreiten. Die in der Fachzeitschrift ‚Science Advances‘ veröffentlichte Studie ergab, dass nur 8,5 Prozent der Probanden einen Link von einer dieser Seiten geteilt hatten. Diese waren jedoch zumeist älter und ordneten sich selber eher dem konservativen Teil des politischen Spektrums zu.“

Es gibt in der Studie keine Probanden, denn es handelt sich nicht um ein Experiment. Es gibt 1.191 Befragte, für die die Autoren einen vollständigen Datensatz zimmern konnten. Kommen wir nun zu der seltsamen Formulierung bei der ARD: „einen Link von einer dieser Seiten geteilt hatten“. Guess, Nagler und Tucker haben nämlich keine Fake News untersucht, wie die ARD behauptet, sie haben auch keine Falschmeldungen untersucht, wie es im ersten Satz der ARD-Faktenfinder-Fake News heißt, sie haben Links zu 21 Seiten analysiert, die sie als Verbreiter von Fake News ansehen. Ob der einzelne Link auf Fake News verwiesen hat, wurde nicht untersucht. Es wurde angenommen, dass es sich um Fake News handelt, weil auf eine Seite verwiesen wurde, die Fake News verbreitet haben soll.

Man kann die Untersuchung schon wegen dieser Unterlassung in einer Weise kritisieren, die vom Ergebnis nichts übriglässt. Man muss die Untersuchung jedoch insbesondere deshalb hart kritisieren, weil keinerlei methodische Diskussion der Auswahl der Fake News Seiten vorgenommen wird. Welchen Stellenwert, welchen Anteil an Fake News die 21 Seiten, die die Autoren berücksichtigen, im Universum der Fake News haben, ist vollkommen unklar, das Ergebnis, nach dem Personen ab 65 Jahren, die sich als sehr konservativ bezeichnen, häufiger Links von diesen Seiten verbreitet haben als jüngere entsprechend keinen Pfifferling wert. Wie die Autoren selbst schreiben, kann das Ergebnis ein Artefakt der Auswahl der „Fake News Seiten“ sein. Damit ist die ganze Forschung hinfällig.

Wie gewöhnlich, sind die Faktenfinder der ARD nicht im Stande, die Qualität einer Studie zu beurteilen. Sie können nur beurteilen, ob ein Studienergebnis in ihre ideologische Weltsicht passt. Passt es, dann wird es gnadenlos durchgereicht, passt es nicht, dann wird es verschwiegen. So einfach ist Faktenfinden bei der ARD, weil es an Kompetenz und Qualifikation mangelt.

Liste der vermeintlichen Fake News Seiten, die von Guess, Nagler und Tucker berücksichtigt wurden:

(1) usanewsflash.com
(2) abcnews.com.co
(3) denverguardian.com
(4) rickwells.us
(5) truepundit.com
(6) redstatewatcher.com
(7) worldpoliticus.com
(8) subjectpolitics.com
(9) conservativestate.com
(10) conservativedailypost.com
(11) libertywritersnews.com
(12) worldnewsdailyreport.com
(13) endingthefed.com
(14) donaldtrumpnews.co.
(15) yesimright.com
(16) burrardstreetjournal.com
(17) bizstandardnews.com
(18) everynewshere.com
(19) departed.co.
(20) americanmilitarynews.com
(21) tmzhiphop.com

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