Die sekundäre Primitivität des Göttinger Tageblatts oder: Nazi als Kamfbegriff gegen die Komplexität der Welt

Sie heißen Tobias, Benedikt und Dominik, man muss gar nicht nach ihnen suchen, um zu wissen, dass man es hier mit Studenten oder gerade nicht mehr Studenten, in jedem Fall mit Leuten zu tun hat, die nach Orientierung im Leben suchen, weil ihr zartes Alter von irgendwo zwischen 20 und 35 Jahren nicht ausgereicht hat, Erfahrung zu Orientierung werden zu lassen. Ergo halten sie sich an das, was ihnen vorgegeben wird, scheuen davor zurück, etwas zu “risikieren” und sei es nur die Entwicklung einer eigenen Meinung, werden statt dessen zu semantisch Konditionierten, die jede Form einer intellektuellen Eigenständigkeit zugunsten einer Ideologie verweigern.

Dumm, wenn diese Leute dann bei Zeitungen arbeiten, als Tobias Christ, Benedikt Bathe oder Domonik Steffens, beim Göttinger Tageblatt zum Beispiel. Besonders dumm, wenn sie von Veranstaltungen berichten sollen, deren Komplexität den Erfahrungshorizont der eher einfach gestrickten Tobias, Benedikt und Dominik um ein Vielfaches übersteigt, eine Welt aus Widerspruch, eigener Meinung, abweichender Meinung, die Welt der Querdenker. Denn Querdenker und niemand sonst, so die Ansicht von Tobias, Benedikt und Dominik, haben am 2. April 2023 in Göttingen demonstriert, gegen den Krieg in der Ukraine demonstriert, und unter dem Motto “Frühlingserwachen”, zu dem wir noch kommen.

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Wenn heute jemand für Frieden in der Ukraine demonstriert, dann ist er sofort verdächtig, rechts oder gar rechtsextrem, also der Querdenker-Szene anzugehören. Es besteht ein Anfangsverdacht, der dazu führt, dass eilends eine Gegendemonstration organisiert wird, dessen Organisator, Ezra Rudolf, von Tobias, Benedikt und Dominik mit den Worten: “In Göttingen ist kein Platz für Verschwörungsideologen” zitiert wird.

Eine recht anmaßende Aussage von König Rudolf dem Letzten von Göttingen, aber nichts, was Tobias, Benedikt und Dominik hinterfragen. Denn: Hinterfragen, das machen nur Journalisten. Und Tobias, Benedikt und Dominik sind keine Journalisten. Sie schreiben für das Göttinger Tageblatt. Sie sind ideologische Krieger, die sich an einer Mirage festhalten, die sie dann ausgiebig bekämpfen. So beschäftigt, kommen sie nicht einmal auf die Idee, einen Teilnehmer der Demonstration nach seinen Motiven zu fragen, vielleicht sogar zwei. Sie kommen nicht einmal auf die Idee, den Versuch zu unternehmen, die Anliegen der Teilnehmer der Demonstration zu erfassen, denn die Teilnehmer sind der Querdenker-Szene zuzurechnen, die Organisatoren der Gegendemonstration um König Rudolf, den Letzten von Göttingen, sie haben den Anfangsverdacht formuliert und Tobias, Benedikt und Dominik, sie haben ihn so sehr gefressen und verdaut, dass sie lieber nichts mit den bösen der Querdenkerszene zugeschriebenen Menschen, die durch Göttingen ziehen, zu tun haben wollen.

Schon weil dann, wenn man zumindest versucht, einen Bericht zu erstellen, der sich nicht liest, wie eine Abhandlung auf Indymedia, mit der sich Linke, meist Linskextreme brüsten, vor Ort gewesen zu sein, und es denen, wer auch immer gerade der Feind ist, gegeben zu haben, die Gefahr besteht, dass man eine Haltung entwickeln, ein Ethos übernimmt, zum Journalisten werden könnte. Etwas, wovor Tobias, Benedikt und Dominik, für die es wichtiger ist, auf der richtigen Seite mitzulaufen, als über ein Ereignis zu berichten, mehr Angst haben als ein kleines Kind vor dem dunklen Keller.

Was indes besonders erschreckend ist, ist das Ausmaß der semantischen Konditionierung, die bei diesen drei tragischen Gestalten des ideologischen Alltags vorhanden ist. Von klassischer Konditionierung, einem Verfahren, das der behavioristischen Lerntheorie zugeordnet wird, hat sicher schon jeder gehört. Igor Pawlow ist der Name, der manchen in diesem Zusammenhang einfällt. Was die wenigsten indes wissen, Pawlow hat nicht nur klassische Konditionierung betrieben, er hat auch semantische Konditionierung betrieben.

Wir zitieren:

“Die Verbindung [der semantischen Konditionierung] zur klassischen Konditionierung wird über ein ursprünglich von Iwanow-Smolensky (1927) entworfenes Experiment hergestellt. […] Einem Kind wird eingeschärft, immer dann auf einen Gummiball zu drücken, wenn ein bestimmtes Signal erscheint. Insoweit liegt hier eine Entsprechung zu einer unkonditionierten Reaktion vor. Nunmehr wird irgend ein zweites Signal, z.B. ein farbiges Licht, regelmäßig zusammen mit dem ursprünglichen Signal dargeboten, und es entsteht eine konditionierte “Ball-Drück-Reaktion” auf diesen neuen, jetzt konditionierten Reiz.”

Klassisch und beschrieben im ersten Teil der Theorien des Lernens von Ernest E. Hilgard und Gordon H. Bower, in der Übersetzung von Hans Aebli und Hans-Eberhard Zahn aus dem Jahre 1973 [Klett-Kotta]. Und da es sich um semantische Konditionierung handelt, ist das erste Signal ein Wort, z.B. das Wort “Nazi”. Das zweite, konditionierte Signal könnte z.B. darin zu finden sein, dass jemand eine Meinung zum Ausdruck bringt, die von der vorgegebenen Einheitsmeinung abweicht. Wann immer der Konditionierte mit einer Meinung, die von der Einheitsmeinung abweicht, die ihm vorgegeben ist, konfrontiert ist, stellt sich die Assoziation “Nazi”, der ursprünglich unkonditionierte Reiz ein, der wiederum das “Ball-Drücken”, im vorliegenden Fall die Verunglimpfung der abweichenden nunmehr Nazis auslöst.

Eine solch’ konditionierte Welt ist natürlich eine sehr eindimensionale, primitive Welt, in der Worte eindeutigen Nazi-Bezügen zugeordnet werden, selbst harmlose Worte wie “Frühlingserwachen”, in noch harmloserem Kontext wie “Menschlichkeit”, die früher benutzt wurden, um eine plötzlich wiederkehrende Freude an Aktivität zu beschreiben, die in der tristen Welt der semantisch Konditionierten aber nur einen Hinweis auf “Nazi” sein können. Darauf sind sie konditioniert und danach suchen sie. Und in der Tat: Die Operation Frühlingserwachen läutete für viele SS-Soldaten das Ende des Zweiten Weltkriegs ein, denn sie wurden ab dem 6. März 1945 im Rahmen dieser Operation, die vielleicht besser unter dem Namen Plattenseeoffensive bekannt ist, bei der sich die deutschen SS-Truppen im übrigen vornehmlich ukrainischen Verbänden gegenübergesehen haben, verheizt.

Das muss man erst einmal wissen, um es mit einer Friedensdemonstration, die unter dem Motto “Frühlingserwachen” in Göttingen durchgeführt werden soll, in Verbindung zu bringen. Oder man muss, wie oben beschrieben, semantisch konditioniert sein, um immer dann, wenn Kritiker der vorgegebenen Einheitspolitik auftauchen, systematisch, akribisch und besessen nach einer möglichen Verbindung zum Dritten Reich zu suchen.

Andere, die nicht semantisch konditioniert und noch Herr über ihren Geist sind, mögen bei Frühlingserwachen eher an etwas Schönes denken … , etwas, das Freude macht, z.B. die gleichnamige Partitur von Emanuel Bach. Es mag für die eigene geistige Gesundheit ohnehin besser sein, sich mit netten, eigenständig erdachten, unkonditionierten Dingen zu umgeben, ansonsten sehen wir nicht, wie ein Leben als semantisch konditionierter Depp möglich ist. Stellen Sie sich vor, sie sind in Kaiserslautern und stoßen dort auf das Kletterzentrum Barbarossa-Halle des Deutschen Alpenvereins.

Nazis.
Barbarossa.
Unternehmen Barbarossa.
Überfall auf Russland.
Deutscher Alpenverein: Anfangsverdacht auf Nazi.
Organisieren Sie eine Gegendemonstration.
Kommandieren Sie Tobias, Benedikt und Dominik zur Berichterstattung.

Oder wie wäre es mit Nordwind, ein Begriff, im Eifer des Gefechts und im Rahmen der Wettervorhersage dahingesagt.
Nordwind.
Unternehmen Nordwind.
Letzte Westoffensive der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg..
Deutscher Wetterdienst: Anfangsverdacht auf Nazi.
Organisieren Sie eine Gegendemonstration.
Kommandieren Sie Tobias, Benedikt und Dominik zur Berichterstattung.

Eine solche Verfassung ist kaum als normal zu bezeichnen.
Macht nichts.
Sie können beim Göttinger Tageblatt mit dieser Form der Desozialisierung immer noch Spalten füllen.

Bleibt noch die sekundäre Primitivität, unter der im Wesentlichen ein kultureller Wandel der NICHT in Richtung größerer Komplexität geht, sondern in Richtung größerer Einfachheit verläuft, verstanden wird. Mehr dazu können Sie hier nachlesen.

Und natürlich wollen auch wir der historischen Kontinuität ein Fanal setzen und zitieren deshalb aus der deutschen Wikipedia den Eintrag zum Göttinger Tageblatt, die aufgrund ihrer ideologischen Linkslastigkeit jenseits des ideologischen Zweifels ist:

“Da sich das [Göttinger] Tageblatt zu einem der frühen Förderer nationalsozialistischer Politikvorstellungen entwickelte und diese Weltsicht in Göttingen zunächst noch auf wenig Gegenliebe stieß, nahm die Auflage der Zeitung zwischen 1919 und 1923 zunächst um mehr als die Hälfte ab.[11] Als die NSDAP jedoch in Göttingen zunehmend populär wurde, verbesserte sich die Position des Göttinger Tageblatts deutlich.[12]Wegen seiner Verbundenheit mit der nationalsozialistischen Bewegung betätigte sich das Göttinger Tageblatt als deren großer materieller und publizistischer Unterstützer. Bereits anfangs der 1920er Jahre druckte das GT kostenlos in großem Ausmaß Parteiwerbung der NSDAP ab. In den Jahren 1922 und 1923 wurde das Göttinger Tageblatt wegen seiner rechtsextremen, republikfeindlichen Inhalte mehrmals verboten. Die Zeitung verharmloste stark die Gewalttaten der SA, polemisierte gegen Sozialisten und Marxisten und veröffentlichte antisemitische Hasstiraden.[13] Auch die nationalsozialistische Presse profitierte von der Unterstützung des GTs. Zwar war die Fanfare eigentlich ein Konkurrent des Tageblatts, dessen Verlag gehörte trotzdem zu den entscheidenden Förderern des Nazi-Blattes, wie sich das GT noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs selbst brüsten sollte.[14]

Wir müssen sagen, wir sind erstaunt darüber, in welchen historischen Fussstapfen Tobias, Dominik und Benedikt wandeln.


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