Unsinn der Woche: Darmstädter Wortfetischisten in Aktion

Jedes Jahr trifft sich ein Häuflein von Wortfetischisten, um das Unwort des Jahres zu küren. Das Unterfangen, an dem eine Reihe von Wissenschaftlern oder vielmehr Positionsinhabern an Universitäten beteiligt sind, soll “auf öffentliche Sprachgebrauchsweisen aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein in der Bevölkerung fördern. Sie lenkt den Blick auf sachlich unangemessene oder inhumane Formulierungen, um damit zu sprachkritischer Reflexion aufzufordern”.

Im Jahr 2012 hat es nun drei Worte getroffen, die das Missfallen der Jury aus “vier SprachwissenschaftlerInnen und einem Journalisten” sowie von Dr. Heiner Geißler erregt haben: Döner-Morde, Gutmensch und marktkonforme Demokratie. Döner-Morde, so die Kommission, stelle eine sachlich unangemessene, folkloristisch-stereotype Etikettierung einer rechtsterroristischen Mordserie” dar und grenze “ganze Bevölkerungsgruppen aus”. Gutmensch, so die Jury, greife vor allem in Internetforen das ethische Ideal des ‘guten Menschen’ in hämischer Weise auf und “marktkonforme Demokratie” relativiere das Prinzip, nachdem die Demokratie eine absolute Norm sei in unzulässiger Weise.

Es ist schon erstaunlich, dass Positionsinhaber an Universitäten zum einen davon ausgehen, Begriffe seien ewige Entitäten, deren Bedeutung ein und für alle Mal im heiligen Buch der deutschen Sprache eingepunzt sei und noch erstaunlicher ist die Unverschämtheit, mit der sich die Mitglieder der Jury nicht nur die vollumfassende Kenntnis über die richtige Verwendung von Begriffen anmaßen, sondern auch der Überzeugung sind, sie hätten die Moral mit Löffeln gefressen und dürften deshalb ihr Unverdautes anderen vorsetzen.

Eigentlich ist es unter Wissenschaftlern feststehendes Wissen, dass Worte oder Begriffe keine Entitäten sind, die im luftleeren, ewigen Raum bestehen und in ihrer Bedeutung unabänderlich sind, Begriffe sind Beschreibungen für Konzepte, die sich in der Zeit ändern können. So hat das, was früher mit dem Begriff “Schlitzohr” bezeichnet wurde, sich in der Zwischenzeit erheblich gewandelt, und aus dem unehrenhaft aus der Zunft entlassenen Handwerksburschen ist zwischenzeitlich fast ein bewunderter Trickster geworden. Aber, man soll starre Geister wie diejenigen, die sich in der Unwort-Jury versammelt haben, nicht mit Begriffsdynamiken überfordern. Entsprechend wechsle ich nunmehr von der formalen auf die inhaltliche Ebene.

Die Jury-Mitglieder denken bei Döner-Morden offensichtlich sofort an Türken, was voraussetzt, dass sie in erheblicher Weise das tun, was sie anderen vorwerfen: Stereotypisieren, wenn sie nicht gar dem Vorurteil aufsitzen, dass Döner vornehmlich von Türken betrieben und besucht werden. Nun, hätten die Jury-Mitglieder
jemals den Italiener gegen die Dönerbude getauscht, sie hätten bemerkt, die Kundschaft ist in erster Linie deutscher Abstammung, und entsprechend hätte ihnen beim Begriff “Döner-Morde” nicht unbedingt einfallen müssen, dass damit eine Bevölkerungsgruppe bezeichnet wird (die sie sich zu benennen nicht trauen). Übrigens ist es überraschend, dass die Sprachreinheitsapostel Dönerbuden immer noch mit einer benennbaren Bevölkerungsgruppe in Verbindung bringen, die nicht deutsch, sondern fremd ist. Sicherlich sind gute Menschen wie die Jury-Mitglieder doch der Ansicht, dass Migranten, die sich seit Jahrzehnten in Deutschland aufhalten, die in vielen Fällen in Deutschland geboren sind, keine von der eigentlichen Bevölkerung getrennte “Bevölkerungsgruppe” darstellen.

Nun zu den Gutmenschen. Wie ich bereits an anderer Stelle gezeigt habe, geht der Inhalt von “Gutmensch” weit über das hinaus, was sich die Mitglieder der Jury in ihrer kleinen Welt so alles vorstellen können. Dass die Bezeichnung Gutmensch das Ideal des guten Menschen in hämischer Weise aufgreife, ist genau nicht der Inhalt von Gutmensch. Gutmensch richtet sich vielmehr gegen Menschen, die andere missionieren, sie mit ihrer eigenen Gutheit verfolgen wollen, Menschen wie die Jurymitglieder, die zum korrekten Sprachgebrauch bekehren wollen, nicht etwa zum  grammatikalisch korrekten Sprachgebrauch, wie man es von Sprachwissenschatlern, auch von -Innen erwarten würde, sondern zu dem, was aus Jurysicht der ideologisch erwünschte Sprachgebrauch ist.

Und dass “marktkonforme Demokratie” die absolute Norm der Demokratie relativiert, ist für mich der Schocker unter den Begründungen. Eine Demokratie, eine sich ständig verändernde Staatsverfassung als “absolute Norm” zu bezeichnen und damit gegen jede Kritik und Verbesserung zu immunisieren, ist blanker Totalitarismus. Wer in seinem Denken nicht in der Lage ist, Veränderung und Wandel als etwas Notwendiges anzusehen und denkt, man könne den heiligen Kern der Demokratie gegen die sich wandelnde Umgebung bewahren, der hat entweder zu keinem Zeitpunkt verstanden, dass es gerade die Anpassungsfähigkeit ist, die eine Demokratie vom Totalitarismus unterscheidet, oder er ist eine autoritäre Persönlichkeit, die nach festem und unverrückbarem Halt sucht und entsprechend zu keinem Zeitpunkt Hort demokratischer Ideale war.

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