Ohne eigenen Nutzen keine Kooperation

Die Frage, warum Menschen miteinander kooperieren, fasziniert Wissenschaftler seit Jahrhunderten, und viele von Ihnen haben völlig unterschiedliche Antworten gegeben. Viele Philosophen, die sich mit Kooperation unter Menschen beschäftigt haben, gehen davon aus, dass es die Vernunft, die Ratio ist, die Menschen zur Kooperation veranlasst. Die bekanntesten Beispiele sind die verschiedenen Gesellschaftsverträge, in denen z.B. Thomas Hobbes oder John Locke rationale Übereinkünfte von freien Individuen sehen, deren Zweck darin besteht, Sicherheit für Kooperationen zu schaffen.

Sicherheit für Kooperationen meint in erster Linie, Sicherheit davor ausgenutzt, übervorteilt oder betrogen zu werden. Kooperationen verlangen in der Regel eine Vorleistung von einem der Kooperationspartner, und derjenige, der in Vorleistung geht, kann sich nicht darüber sicher sein, dass sein Kooperationspartner, der nun am Zuge wäre, auch tatsächlich kooperiert. Entsprechend wurde Unsicherheit, wurden Informationasymmetrien als die Haupthindernisse für eine Kooperation ausgemacht, denn unter Unsicherheit  ist es zuweilen rational, nicht zu kooperieren. Unsicherheit schafft paradoxe Situationen, Situationen, in denen zwei Akteure von einander wissen, dass sie dann, wenn sie kooperieren, besser abschneiden, als wenn sie es nicht tun. Aber sie kooperieren dennoch nicht: aus Angst, vom Gegenüber übervorteilt zu werden (Das andere Extrem, kennt den irrationalen Kooperierer, der vor lauter Hoffnung und emotional motiviertem Glauben, sein Gegenüber mit Vertrauen überhäuft, das geradezu dazu einlädt, enttäuscht zu werden).

Die berühmteste Situation, in der ein Dilemma, wie das gerade beschriebene, dargestellt ist, ist das so genannte Gefangenen Dilemma, bei dem zwei Akteure unabhängig voneinander zu dem Schluss kommen, dass die einzig rationale Entscheidung die Entscheidung, nicht zu kooperieren ist. Die Situation stellt sich in der Modellierung von Rapoport und Chammah (1965, S.12) wie folgt dar:

Zwei Straftäter werden einer Straftat beschuldigt und getrennt voneinander verhört. Der Staatsanwalt macht beiden das folgende Angebot:

  • Wenn einer von beiden gesteht, während der andere schweigt, wird der Geständige freigelassen, während derjenige, der geschwiegen hat, für fünf Jahre ins Gefängnis muss.
  • Wenn beide gestehen, müssen beide für drei Jahre ins Gefängnis.
  • Wenn keiner von beiden gesteht, müssen beide für ein Jahr ins Gefängnis.

 

  Verdächtiger 2
  Gesteht Gesteht nicht
Verächtiger 1 Gesteht R = 3; R = 3 S = 0; T = 5
Gesteht nicht T = 5; S = 0 P = 1; P = 1

Die Situation ist vertrackt: Obwohl sich beide Verdächtigen besser stellen, wenn sie nicht gestehen, ist die rationale Entscheidung, die Tat zu gestehen, da nur auf diese Weise der Gefahr begegnet werden kann, als einziger nicht gestanden zu haben und entsprechend fünf Jahre ins Gefängnis zu müssen. Die vertrackte Situation wird durch die Unsicherheit geschaffen, dadurch, nicht zu wissen, wie sich der Mitverdächtige entscheidet. Entsprechend ist ein Geständnis, die sicherste, die rationale Entscheidung (Man spricht bei  Spielsituationen wie der vorliegenden dann von einem Nash-Equilibrium, wenn beide Spieler sich durch die getroffene Entscheidung unabhängig von der Entscheidung des Gegenüber nicht schlechter stellen können).

Die beschriebene Situation ist ein Grundproblem für rationale Akteure in Kooperation, ein Grundproblem, das wie oben bereits festgestellt, sich immer dann einstellt, wenn ein Kooperationspartner in Vorleistung tritt und sich nicht sicher sein kann, ob sich der andere Kooperationspartner an die Abmachung zur Kooperation hält (In diesem Sinne ist jede Wahl ein Gefangenendilemma, da man als Wähler mit seiner Stimme in Vorleistung geht und nach der Wahl hoffen muss, dass sich Politiker an ihren Teil der Abmachung halten, dass sie sich an das erinnern, was sie vor der Wahl versprochen haben.).

Wie nun, kann man dieses durch Unsicherheit geschaffene Problem strategisch am besten und zum Nutzen aller Beteiligten lösen? Diese Frage hat Robert Axelrod (1995) dazu veranlasst, ein Computerturnier zu veranstalten, bei dem Kooperationsprogramme bzw. Nicht-Kooperationsprogramme gegeneinander angetreten sind. Das Ziel bestand darin, in einer Anzahl von Ineraktionen zwischen den Programmen herauszufinden, welches sich als die Strategie erweisen wird, die langfristig mit dem größten Erfolg, der höchsten Auszahlung verbunden sein wird. Als erfolgreichestes Programm hat sich das von Anatol Rapoport in Basic programmierte  TIT for TAT erwiesen, das aus genau 5 Programmzeilen bestanden hat (Axelrod, 1995, S.175). TIT for TAT hat eine Voreinstellung zur Kooperation und kooperiert so lange, bis das Gegenüber nicht kooperiert. Ab diesem Punkt kooperiert TIT for TAT so lange nicht mehr, bis das Gegenüber wieder kooperiert.

Der Erfolg von TIT for TAT hat für die Frage, unter welchen Umständen eine Kooperation erfolgt, wann man sich sicher sein kann, dass man nicht (dauerhaft) ausgenutzt wird, zwei wertvolle Einsichten erbracht:

  1. Es lohnt sich, kooperationsbereit zu sein, anderen mit gutem Willen zu begegnen.
  2. Wiederholte Spiele reduzieren die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Mitspielers zu werden, der nicht kooperiert, und sie reduzieren den Erfolg nicht kooperationsbereiter Akteure.

Beide Ergebnisse sind unmittelbar einsichtig, denn zum einen lohnt sich Kooperation überhaupt nur dann, wenn der durch gemeinsame Anstrengungen zu erzielende Nutzen höher ist als der durch Defektion, was beide Akteuren, sofern sie ein ehrliches Interesse am Ergebnis der Kooperation haben, zur Kooperation motivieren sollte. Zum anderen ist es bei wiederholten Kooperationen möglich, einen Akteur, der in der Vergangenheit nicht kooperiert hat, der also kein Interesse an Kooperation und Kooperationsergebnissen hat, durch Nicht-Kooperation zu strafen, so dass sich für ihn der Nutzen, den er in der Vergangenheit aus seiner nicht-Kooperation gezogen hat, nicht rechnet, da er in Zukunft mit Strafe zu rechnen hat.

Vertreter des hier beschriebenen Rational-Choice Ansatzes führen die Kooperation unter Menschen, das Vorhandensein reziproker Beziehungen also darauf zurück, dass die Kooperation mit anderen einen Nutzen erbringt, der höher ist, als der durch eine nicht Kooperation zu erzielende Nutzen. Kooperation ist demnach rational, eine Entscheidung der Vernunft, die immer dann getroffen wird, wenn sie mit einem entsprechenden positiven Nutzen verbunden ist. Da das oben beschriebene Problem der Unsicherheit jedoch nicht aus der Welt zu schaffen ist, sind wiederholte Kooperationsbeziehungen die beste Versicherung dafür, nicht ausgenutzt zu werden. Und damit ist die Entstehung menschlicher Gesellschaften aus Sicht von Vertretern einer Rational Choice Theorie erklärt: Menschliche Gesellschaften sind Kooperationsverbünde, die für ihre Mitglieder einen rationalen Nutzen bereitstellen in einer durch Normen gesicherten und auf wiederholte Kooperation ausgelegten Umwelt.

Diese Erklärung für das Entstehen menschlicher Gesellschaften ist natürlich all denjenigen ein Dorn im Auge, die rationale, als kalt bezeichnete, ökonomische oder zuweilen auch schlicht von Männern erdachte Erklärungen nicht mögen und sich lieber in ein Idyll träumen, in dem Kooperation angeblich aus Menschlichkeit erfolgt. Die beschriebene Unsicherheit gibt es aus dieser Sicht nicht, weil Menschen ein “biologisches (Bluts-)Band” teilen, das sie quasi auf Kooperation programmiert. Sie können gar nicht anders, als miteinander kooperieren, es ist in ihrem genetischen Make-up, so wird behauptet.

Nun, die Realität spricht eine anderer Sprache, schon weil an die Stelle individueller und reziproker Beziehungen immer mehr über den Staat vermittelte Umverteilungsbeziehungen treten, in denen ein Kooperationspartner von der Reziprozität, die eine Kooperation ausmacht, freigestellt wird, in dem ihm ein Recht auf die Kooperationsleistung des anderen eingeräumt wird. Auch da, wo der Staat nicht in Kooperationsbeziehungen interveniert, findet sich opportunistisches Verhalten in großer Anzahl, wie die Streitigkeiten um Erbschaften, um Eheverträge und -auflösungen, um Ressourcenzugänge und die diversen Diskriminierung Angehöriger unterer sozialer Schichten, durch die Angehörigen sozialer Schichten, die sich über den unteren Schichten verorten und die den Zweck verfolgen, letztere vom Zugang zu Ressourcen auszuschließen, zeigen.

Nunmehr haben auch Antropologen, unter denen sich eine Gruppe gehalten hat, die lange Zeit behauptete, dass in kleinen Menschengruppen Altruismus entsteht, der wiederum Kooperationsverhalten befördert bzw. bedingt, eingeräumt, dass Menschen genau dann mit einander kooperieren, wenn es für sie einen Nutzen hat und dass der Nutzen auch darin bestehen kann, sich um andere zu kümmern, von denen man z.B. in Zukunft erwartet, dass sie einen Nutzen bereitstellen.

Michael Tomasello, Alicia Melis, Claudio Tennie, Emily Wyman und Esther Herrmann (2012) haben für Antropologen und ihr Lieblingsbeispiel: frühe Jäger gezeigt, dass Kooperation zwischen Menschen (und in der Menscheitsgeschichte) dann entsteht, wenn gemeinsames Handeln einen größeren Nutzen (man lässt den Hasen laufen und jagd gemeinsam den Hirsch) erbringt als getrenntes Handeln. Aus dieser Kooperation ergeben sich neue kognitive Anforderungen für Kommunikation und Koordination, die wiederum geeignet sind, um Menschen nach ihren kommunikativen und koordinativen Fähigkeiten zu differenzieren, da die besten Kommunizierer und Koordinierer die erfolgreichsten Jagdpartien zusammenstellen und führen können. Durch dieses Erfolgsmaß ensteht zum einen ein Anreiz, gut zu kommunizieren und zu koordinieren, zum anderen ein Schutz vor Trittbrettfahrern, die den Nutzen aus Kooperation zwar ziehen wollen, aber keinen Beitrag zur Kooperation bringen wollen. Besonders erfolgreiche Kommunikationen und Koordinationen werden in gesellschaftliche Normen übertragen und eh man es sich versieht, hat man einen festen Kanon der Kooperation in einer Gesellschaft, ohne dass die Annahme altruistischer Menschen an auch nur einer Stelle notwendig gewesen wäre.

Die Indizienkette wird also immer länger und die Tatsache, dass Altruismus nichts anderes ist als zeitversetzter Nutzen, entweder aus vergangenen oder zukünftigen Kooperationen dürfte all denen nicht gefallen, die aus welchen Motiven heraus auch immer dem Glauben anhängen, Menschen würden kooperieren, weil sie uneigennützige Heilige sind, die keinen eigenen Nutzen mit ihren Tätigkeiten anstreben. Dass derartige Ideen vornehmlich von Personen ausgesprochen werden, die einen Nutzen aus der Kooperationsbereitschaft anderer ziehen , während der Nutzen, den sie anderen selbst wenn sie kooperieren, bereitstellen, nicht unbedingt offensichtlich ist, ist vermutlich kein Zufall, sondern einfach nur eine moderne Form des Defktierens, Nutznießen hat man früher dazu gesagt.

Literatur

Axelrod, Robert (1995). Die Evolution der Kooperation. München: Oldenbourg.

Rapoport, Anatol & Chamma, Albert M. (1965). Prisoner’s Dilemma. Ann Arbor: Michigan University Press.

Tomasello, Michael, Melis, Alicia, Tennie, Claudio, Wyman, Emily & Herrmann, Esther (2012). Two Key Steps in the Evolution of Human Cooperation: The Interdependence Hypothesis.

Bildnachweis:
Dada Rocks
University of Minnesota

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