Kundenfrust als Weltkultur
Eine der politikwissenschaftlichen (vielleicht auch soziologischen) “Theorien”, die sicher eine gute Chance haben, für den Preis der “most absurd theory” vorgeschlagen zu werden, ist die von John W. Meyer und seinen Kollegen ausgearbeitete Idee einer Weltkultur. In ihrem Kern besagt die Idee, von einer Theorie zu sprechen, fällt mir doch schwerer als ich dachte, dass westliche Prinzipien von Rationalität und Rationalisierung in allen Ländern der Welt Fuss fassen (Max Webers Bürokratisierungsthese in neuem Gewand), so dass alles ein einziges westlich rationalisiertes Ganzes wird. Nun, den Kern der Idee, der von DiMaggio und Powell und aus dem Jahre 1983 stammt (bzw. geliehen ist), den will ich gar nicht bestreiten. Dass “Dynamiken”, wie es immer dann heißt, wenn man nicht genau weiß, welche Ursache eine beobachtete Wirkung hervorbringt, am Werk sind, die dazu führen, dass die Vielfalt auf dem Planeten, vor allem die kulturelle und die soziale Vielfalt, durch ein Artensterben ausgezeichnet ist, das nur noch von der Monotonie des öffentlich-rechtlichen Fernsehens übertroffen wird, scheint offenkundig: Jeder Club Med Besucher, der seine Urlaubsorte nur noch aufgrund des Flugtickets unterscheiden kann, weiß das. Dass diese Gleichmachung der Welt, durch Prozesse (da sind sie wieder) der Isomorphie, der erzwungenen, normativen und mimetischen Isomorphie getrieben ist, will ich auch nicht bestreiten und schon gar nicht, dass die Einebnung von Verschiedenheit vor allem von Nicht-Regierungsorganisationen vorangetrieben wird, die sich auf die Verschiedenheit auswirken wie die KPdSU auf die Freiheit. Was ich bestreiten will ist, dass das Ganze etwas mit Rationalität und Rationalisierung zu tun hat.
Moderne Unternehmen, big player, Multinationale, globale Unternehmen sind wohl neben Nicht-Regierungsorganisationen diejenigen Akteure, die im Hinblick auf die Anzahl ihrer Niederlassungen die weiteste Verbreitung erdenweit finden. Entsprechend wären multinationale Unternehmen eigentlich der Gegenstand der Erforschung der “Weltkultur”, wären die forschenden Wissenschaftler nicht einer ideologischen Agenda verpflichtet, die von Unternehmen nichts wissen will. Also fülle ich hier einmal eine Lücke, und zwar mit den “globalen”, den aus einem “global mindset” heraus formulierten Managementkonzepten, die es multinationalen Unternehmen ans Herz legen, doch bitte auf die lokalen oder regionalen Unterschiede Rücksicht zu nehmen, aber dennoch allem und jedem ihren “global brand” Stempel aufzudrücken.
Sie haben sicher schon vom Customer Relationship Management gehört, von der neuen Wertschätzung für Kunden. Bestimmt wurden Sie auch schon einmal gefragt, ob sie mit irgendwas (Pepsi Cola, der Surf-Erfahrung bei Aldi-Online oder ihrem Einkauf bei Amazon) zufrieden sind, wie zufrieden sie sind, ob sie wiederkommen, zum Einkaufen, andere mitbringen werden, das Unternehmen weiterempfehlen und so weiter. Sie kennen diese Loyalty Schemes, also diese Kärtchen, die man vorzeigen muss, um dafür belohnt zu werden, dass man in einem bestimmten Laden einkauft. Tatsächlich kann sich das Ganze zur Sucht entwickeln, wie das Losen auf dem Jahrmarkt. Und so sitzt man dann viermal im Jahr zu Hause und wartet frohgemut auf das Eintreffen der “Tesco-Vouchers”, die es für Clubcard-Kunden (pro £ Warenwert 1 Tesco-Clubcard-Punkt) gibt und den damit verbundenen Vergünstigungen (£10 off when you spend £75 or more at Tesco Direct). Ja, Loyalty Schemes machen zufriedene, na ja, zumindest süchtige Kunden. Aber gehört nicht noch mehr zu zufriedenen Kunden als Vergünstigungen dafür, dass sie z.B. bei Tesco einkaufen? Sicher: Niemand kauft wiederholt dort ein, wo er schlechte Waren, überteuerte Preise oder gar nicht das, was er sucht, bekommt. Zudem: Niemand kauft wiederholt dort ein, wo er wiederholt unzufrieden war, an der Kasse mißmutig bedient wurde, oder sonstwie schlecht behandelt wurde. Das sollte man zumindest denken.
Und entsprechend wäre es rational, wären Unternehmen darauf bedacht, ihre Kunden mit freundlichen Mitarbeitern zu konfrontieren. Es wäre rational, würden Unternehmen den Einkauf für ihre Kunden zu einem positiven Erlebnis machen. Es wäre rational, hätten die Unternehmen ein Interesse daran, sich als transparente Einheit zu präsentieren, deren Dienst am Kunden leicht nachvollziehbar und durchschaubar zu machen. Und gerade im Zeitalter von Internet und 24/7 Shopping wäre es rational, die entsprechenden Leistungen offen und leicht auffindbar auf den eigenen Seiten zu platzieren.
Sind den ersten bereits Zweifel am Durchdringen der Welt mit “westlicher Rationalität” gekommen? Wie viele von den Lesern haben schon und ohne Erfolg versucht, die Email-Adresse des Kundendienstes auf einer Internet-Seite herauszufinden (Nein, das ist kein Aufruf für die EU-Kommission, zu regeln… Wo ist eigentlich die Customer Hotline der EU-Kommission, und wer ist für das Customer Relationship Management verantwortlich?) Das ist eine wirkliche Herausforderung und selbst wenn man die Herausforderung meistert, ist man am Ende nicht unbedingt klüger:
Heute sind die beiden Netbooks gekommen, die wir vorgestern bestellt haben. Ein prima Beispiel für schnellen Service von Amazon. Das war der positive Teil. Der negative Teil beginnt mit der Vorinstallation von MS-Office und dem “nur” einen Klick, um die Vorinstallation in eine funktionsfähige Version von MS-Office zu verwandeln, und zwar durch “einfachen” Kauf der Version im Internet. Der erste Ärger hat mich überkommen, als ich es nicht geschafft habe, diesen @’#@Internetexplorer dazu zu veranlassen, die gesamte Seite in meinem Ausschnitt zu zeigen und nicht nur 54,7% davon. Als Ergebnis habe ich vergessen, meinen Namen bei der Kreditkarte einzutragen, was dazu geführt hat, dass die Bestellung nicht ausgeführt wurde. Also habe ich den Namen nachgetragen, was aber nichts genutzt hat, denn nunmehr hatte ich vergessen, das Passwort, mit dem ich mich bei Microsoft-Live anmelden muss, weil ich sonst kein MS-Office kaufen kann, brave new world, einzutragen. Also habe ich das Passwort eingetragen. Aber: Wieder nichts. Dieses Mal stört ihn der fehlende Zip-Code, ja, und natürlich merkt er sich auch die Nummer der Kreditkarte nicht. So ging das einige Male hin und her, ich immer mit der Maus am Verschieben des Ausschnitts von Links (Passwort eintragen) nach rechts (Kartennummer eintragen), bis die Bestellung dann “akzeptiert” wurde – was aber nicht bedeutet, dass die Bestellung ausgeführt wird, wie ich daran gemerkt habe, dass weder ein Product-Key zu sehen noch ein Download ermöglicht wurde – statt dessen die lapidare Mitteilung: Der Auftrag werde vom xy-Team geprüft. HA! Bin ich Kunde oder was. Und überhaupt, man hätte schon gerne gewusst, ob die Bezahlung geklappt hat, deshalb: Email schreiben. Das ist gar nicht so einfach, denn “Support” gibt es zahlreich, “Email-Support” nur nach langem Suchen. Die letztlich geschriebene Email wird nach “nur” rund 10 Minuten beantwortet. Ein netter Mensch von Microsoft aus den USA (ein Hort der westlichen Rationalität), schickt mir eine Email Adresse von hoffentlich einem netten Menschen im UK, der dafür zuständig ist. Ob der Mensch wirklich nett ist, kann ich nicht feststellen, denn die Email-Adresse für Microsoft im UK ist falsch. Die Seite von Microsoft UK ist so organisiert, dass man gar keinen Support per Email findet und mein Ärger mittlerweile so groß, dass mich auch die Registratur bei Microsoft Outlook nicht besänftigt, von der ich nicht einmal wusste, dass ich sie vorgenommen habe. Also ein Anruf bei der Bank, um herauszufinden, was passiert ist. Meine Bank, ebenfalls ein multinationales Unternehmen, hat, wie ich erfahre und weil man Microsoft nicht traut, die entsprechende Überweisung einem Fraud Check unterzogen und nicht ausgeführt. Mein Anruf hat dem Auftrag den Todesstoß versetzt, und ich bin wieder back to square one: mit dem neuen Netbook und mit dem Starter Set für Microsoft Office und seither überlege ich, wie ich es anstelle, die Office zu aktivieren… Vielleicht brauche ich “Support” in dieser rationalisierten Welt … fragt sich nur, von wem?
Das Beispiel von Microsoft ist nur ein Beispiel für eine globalisierte Monotonie, die in Lehrbüchern des Managements in den hehren Tönen des Customer Relationship Managements gesungen wird und in den Niederungen des Alltags zu sprachlichen Äußerungen führt, die nicht PC sind (deshalb hier auch nicht dokumentiert). Microsoft ist nur ein Beispiel für die Vereintönigung der Kundenbeziehungen, die namenlose Teams und nicht zu greifende “no-reply”-automated Mails auf Kunden hetzt, um ihnen einen Service vorzugaukeln, den es nicht gibt. Wer das nicht glaubt, der möge bei Google versuchen, ein Problem mit dem “adWords-Team” zu lösen, was bereits daran scheitern dürfte, dass er keinen finden wird, der verantwortlich sein will. Er möge versuchen, einen bestehenden Vertrag mit AOL zu kündigen, am besten über die Online-Präsenz des Unternehmens, oder er möge versuchen, von einem beliebigen und nur für Kunden vorgehaltenen Mitarbeiter eines beliebigen Unternehmens eine konkrete Antwort zu einer konkreten Frage zu erhalten. Than you will believe!
Wenn also von einer Durchdringung der Welt mit westlichen Prinzipien die Rede sein kann, dann sind dies die Prinzipien der Gleichmacherei, der Monotonie und der Nicht-Verantwortlichkeit, die sich in geradezu herausragender Isomorphie über die Erde senken und Kunden, den Mitarbeiterkontakt unmöglich machen, schon weil Mitarbeiter im Kundendienst darauf ausgerichtet sind, den schönen Schein Aufrecht zu erhalten, nicht darauf, Probleme, am Ende noch Kundenprobleme zu lösen. Die uniforme und effizienteste Lösung von Kundenproblemen besteht darin, die Kunden die Probleme lösen oder sie totlaufen zu lassen… Kundenfrust als Weltkultur!
Literatur
DiMaggio, Paul J. & Powell, Walter W. (1983). The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organizational Fields. American Sociological Review 48(2): 147-160.
Meyer, John W. (Hrsg.)(2005). Weltkultur. Wie die westlichen Prinzipien die Welt durchdringen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Bildnachweis:
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Erstmal zu dem Office-Aktivierungs-Problem: Ich habe mal irgendwo die These gelesen, dass je schwieriger der legale Erwerb eines digitalen Produkts ist, desto mehr Menschen akquirieren es illegal. Bei dem von Ihnen beschriebenen Prozedere wundert es mich überhaupt nicht, dass bis zu zwei Dritteln der “jungen Leute”, die mit dem Internet umgehen können, keine legale Version von Office verwenden (http://bit.ly/ZGrS6). Denn das geht offensichtlich nicht nur billiger, sondern auch noch schneller.
Aber gut, zum Thema Kundenservice zurück:
Als ich 2005 zu meiner Frau nach China flog, hatte ich im Gepäck ein nagelneues MacBook, was gerade noch rechtzeitig geliefert worden war (Apple hatte zumindest damals ziemlich miserable Lieferzeiten). Zehn Tage später ging das Ding kaputt, pünktlich zum chinesischen Neujahr, wo in China so ziemlich alles geschlossen ist, inklusive der Apple-Hotline. Also vertelefonieren wir relativ viel Geld, um vom japanischen Apple-Service erklärt zu bekommen, dass sie überhaupt nicht zuständig sind, vom amerikanischen Apple-Service erklärt zu bekommen, dass sie nicht zuständig sind, weil wir das Gerät in Deutschland gekauft haben und in China sind und vom deutschen Apple-Service erklärt bekommen, dass sie nicht zuständig sind, weil wir in China sind. Dass Apple eine 14-Tage “globale” Austauschgarantie bot, war allen ziemlich egal. Als dann sechs Tage später der Apple-Store in Beijing wieder geöffnet hatte und nach einem langen, aber wenig interaktiven Dialog zwischen einer sehr freundlichen Apple-Mitarbeiterin, deren Englischkenntnisse etwa meinen Chinesischkenntnissen entsprachen, und mir wurde mir klar, dass die vierzehn Tage leider jetzt um sind und ich deswegen weitere drei Wochen auf die Reparatur meines Geräts warten muss. Das war das letzte Gerät von Apple, das ich gekauft habe.
Dass Kundenservice – vor allem in China – auch anders gehen kann, zeigen nicht-internationale Unternehmen: Mein Bruder war dieses Frühjahr mit seinem drei Jahre alten Notebook in China, welches ebenfalls pünktlich zu chinesisch Neujahr seinen Geist aufgab. Ohne dass der erstbeste Computer-Reparateur an der Strassenecke ein Wort Englisch oder mein Bruder ein Wort Chinesisch sprach, war nach wenigen Minuten klar, dass das Mainboard kaputt ist, das etwa 30 Euro kosten wird und er es ihm am nächsten abend in sein Appartement bringt. Das unterschreitet meine Telefonkosten um ein Vielfaches.
Nachdem ich, Herr Klein, Ihre Artikel ja lieber kritisch lese, wollte ich nun eigentlich schreiben, dass es mich sehr entsetzen würde, wenn Amazon erst nach zwei Tagen liefert, aber nachdem “vorgestern” ja Sonntag war, verzeihe ich ihnen das mal. Überhaupt ist Amazon eines der (wenigen) internationalen Unternehmen, die den von Ihnen beschriebenen und leider wahren Bullshit “Service durch Inkompetenz und Freundlichkeit” nicht mitmachen. Man hat selten Probleme mit Produkten von Amazon, und auch dort ist die eMail-Adresse nicht sofort ersichtlich, dafür hat man auf eMails nach 20 Minuten eine Antwort. Und wem das zu lange dauert, wie mir, mein längstes Gespräch mit der Hotline dauerte 4:32 Minuten, und danach war mein Problem zu meiner vollsten Zufriedenheit gelöst – und sie haben mich noch nicht mal nach meiner Zufriedenheit gefragt – die wissen schon, dass sie nur zufriedene Kunden haben.
Ich stelle deswegen mal folgende These in den Raum: “Kundenzufriedenheitsbefragungen” dienen hauptsächlich dazu, die jüngsten Einsparungen durch schlechteren Service, die die Berater vorgeschlagen haben, zu rechtfertigen.
Hervorragender Artikel, insbesondere der abschließende Absatz.