Und Frauen sind doch vollwertige Menschen

Das letzte post, in dem ich von einer Analyse berichtet habe, die zu dem Ergebnis kommt, dass Ehefrauen sich im Hinblick auf Rentenansprüche dann besser stellen, wenn sie sich scheiden lassen bzw. dass dann, wenn sie ihren Partner überleben, sich verheiratete Frauen unabhängig davon, ob sie nach Eheschluss jemals erwerbstätig waren, im Hinblick auf ihr Renteneinkommen fast so gut stellen, wie Frauen, die nie geheiratet und immer durch eigene Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt bestritten haben, hat den folgenden Kommentar von “Jen” provoziert:

“als wäre mutterschaft nichtstun….und nicht eindeutig eine gefahr um im job bleiben zu können….arbeitswillige mütter haben es oft schwer wieder in den job zurückzufinden….weil sie nicht mehr auf dem aktuellen stand qualifiziert sind, sich die betreung des kindes schweirig gestaltet oder auch teilzeit-weidereinstiegsmodelle selten sind….mutterschaft wurde angerechnet um einen nachteilsausgleich zu sichern da das alte modell aus den 50ern wo frauen bei scheidung/verwitwen am finanziellen ruin waren weil sie eben mutter und hausfrau waren….von daher…seltsamer engstirniger artikel….”

Henrico Frank - Nach Streit mit Kurt BeckDer Kommentar, der sich vermutlich darauf bezieht, dass die Vielzahl der pro-Ehefrau-Regeln, die Letztere mit finanziellen Wohltaten ausstatten, ohne dass sie dafür etwas tun müssen (z.B. der Versorgungsausgleich) dazu führt, dass Ehefrauen keinen Anreiz haben, sich um (Vollzeit-)Erwerbsarbeit zu bemühen, hat Dr. habil. Heike Diefenbach, die in gewisser Weise allergisch reagiert, wenn behauptet wird, wie im Kommentar, Mutterschaft und Erwerbsarbeit, Frausein und Erwerbsarbeit seien dichotome, ja fast antagonistische Wortpaare, zu den folgenden Kommentaren veranlasst, die ich zu gut und zu schade dazu finde, um in der Kommentarzeile zum vorhergehenden post zu verschwinden.

Als Titel habe ich einen Ausspruch gewählt, der frei nach Galileo Galilei lautet:

Und Frauen sind doch vollwertige Menschen

Von Dr. habil. Heike Diefenbach

Das ist ein seltsam engstirniger Kommentar, denn wenn Mutterschaft so viele Nachteile bringt, was bringt denn dann Frauen dazu, sich all diese Nachteile ganz bewusst einzuhandeln (während andere das ganz bewusst nicht tun)? Anscheinend ist der “Nachteilsausgleich” effizient insofern als er tatsächlich dazu führt, dass manche Frauen meinen, die finanzielle Zuwendung durch den Steuerzahler erleichtere die ach so belastende Mutterschaft so erheblich, dass sie sich bewusst dafür entscheiden, (weitere) Kinder in die Welt zu setzen.

Darin Artikel 21
Darin Artikel 21

Und genau das sagt der Text von Michael Klein aus: dass durch Zwangsbeteiligung des Steuerzahlers an der Fortpflanzung anderer Personen und am Unterhalt von Personen, die Lebensentscheidungen getroffen haben, die sie nicht selbst verantworten wollen, ein Anreiz just dafür gesetzt wird, also ein Anreiz zu Lebensentwürfen, die man nicht selbstverantwortlich gestalten kann und will.

Wer einen Lebensentwurf fern von produktiver Erwerbstätigkeit, also einer Erwerbstätigkeit, die über den Teilzeit-Job hinaus materiell und immateriell lohnend ist und die Befriedigung gibt, die Unabhängigkeit und die Erfahrung der Selbstwirksamkeit bringt, wählt, der hat es entweder zu spät bemerkt, dass er dem “Nachteilsausgleich” auf den Leim gegangen ist, was ein hinreichender Grund wäre, um denselben konsequent abzuschaffen, oder er wählt dies sehenden Auges, und dann kann man ja wohl erwarten, dass die selbst getroffene Wahl auch selbst verantwortet wird. Von daher … wirklich ein seltsam naiver und unkritischer Kommentar …

Nachtrag

Weil ich dieses Ausmaß an Naivität, mit dem viele Deutsche staatlichen Insitutionen gegenüberstehen, einfach unsäglich und im eigentlichen Sinn lebensgefährlich finde, kann ich dem Impuls, noch einen Nachtrag zum Kommentar von “Jen” zu formulieren, einfach nicht widerstehen:

Working and mothering in asiaIn welcher Welt lebt eigentlich jemand, der meint, irgendeine Umverteilung von Ressourcen würde von Leuten, die politische oder verwaltungstechnische Positionen innehaben, aus altruistischen Gründen vorgenommen, z.B., damit die armen Frauen, wenn sie sich scheiden lassen, nicht „vor dem Nichts stehen“? Kann man denn wirklich so naiv sein? „Vor dem Nichts“ standen Arbeiterfrauen oder –männer, so lange sie arbeiten konnten (und eine Nachfrage nach ihrer Arbeitskraft bestand oder sie sich ein selbständiges Auskommen erwirtschaften konnten) nie. „Vor dem Nichts“ stehen Leute, die nicht arbeiten können oder wollen. Wenn Frauen in einer Eigenschaft als Ehefrauen oder Mütter jahrelang darauf verzichtet haben, ein eigenes Auskommen zu erwirtschaften und ihr Humankapital einzusetzen und zu entwickeln, dann stehen sie (wenn überhaupt) genau deshalb „vor dem Nichts“, aber nicht deshalb, weil sie geheiratet hätten oder weil sie Mütter geworden wären. 500.000 Jahre Menschheitsgeschichte ebenso wie die Anthropologie zeigen, dass es nicht nur möglich, sondern eine Normalität ist, Frau, Mutter und wirtschaftlich aktiv zu sein.

Wenn eine naturgegebene Unfähigkeit von Ehefrauen oder Müttern zum Erwerb von Einkommen unterstellt wird, dann widerspricht das zutiefst jeder Vorstellung von Emanzipation von Frauen – es ist in der Tat frauenfeindlich – , und nutzt nur den Interessen derer, die sich beharrlich am längst überkommenen Bild der bürgerlichen Familie aus dem 19. Jahrhundert orientieren wollen (und anscheinend bislang auch können): nur dann, wenn Steuerzahler diese Vorstellung von der Unfähigkeit von Ehefrauen und Müttern zum Eigenunterhalt „schlucken“, können diese Leute ihren bürgerlichen Familienentwurf, der (mindestens) eine Person von Erwerbstätigkeit weitgehend freistellt, auf Kosten anderer bei gleichzeitigem Aufrechterhalten der Frauenemanzipationsrethorik weiterleben. (Das stimmt so eigentlich nicht mehr; ehrlicherweise sprechen diese Leute nicht mehr von Emanzipation und auch nicht von Gleichberechtigung, sondern von Gleichstellung, und Gleichstellung ist, wenn sie irgendetwas bei und für sich selbst als Nachteil konstruieren können, für den andere materiell entschädigen müssen.)

Teilzeit im oedUnd welchen Familienentwurf leben wohl Leute, die Positionen in der Politik oder in Verwaltungen innehaben? Es ist völlig klar, dass sie ein Interesse daran haben, Frauen prinzipiell als hilfsbedürftig darzustellen, Mutterschaft sozusagen als Behinderung, und den ganz normalen Bürger als unsolidarisch oder wahlweise egoistisch, wenn er keine Frauen finanzieren möchte, die „vor dem Nichts“ stehen, weil sie sich aus freien Stücken dazu entschieden haben, nicht oder nur in Teilzeit (also geringfügig im eigentlichen und nicht im verwaltungstechnischen Sinn) erwerbstätig zu sein. Immerhin macht das diese Leute berechenbar.

Was mich wirklich erstaunt und immer wieder verstört, ist, wieviele Leute diesen einfachen Strategien der Nutznießung auf den Leim gehen – und das in der Überzeugung, zu den „Guten“ und „Verständnisvollen“ zu gehören. Das beste, was man tatsächlich über sie sagen kann, ist, glaube ich, dass sie zu den unverantwortlich Harmlosen und Lernunfähigen gehören. Dummerweise legitimieren sie damit die Nutznießung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen auf Kosten anderer bzw. der Allgemeinheit. Kollektivisten scheinen nicht zu verstehen, dass die „wunderbare“ Eigenschaft, sich ausnutzbar zu machen, nicht nur sie selbst, sondern auch die Allgemeinheit schädigt, an deren Wohlergehen sie doch angeblich so interessiert sind. Oder sind Kollektivisten nur maskierte Nutznießer? Wenn ja, dann wäre ein enger Zusammenhang zwischen (angeblich) kollektivistischen Überzeugungen und einem bürgerlichen Familien-Lebensentwurf zu erwarten – ob wohl einer meiner Kollegen aus den Sozialwissenschaften diese Hypothese testen wird?

Literatur

Cohen, Jeffrey H. Everett, Brooke, Polsky, Analise & Montiel-Ishino, Francisco (2009). Gender, Work, and Opportunity in Oaxaca: Some Thoughts on the Importance of Women in the Economic Life of the Rural Village. S. 147-161 in: Wood, Donald C. (ed.): Economic Development, Integration, and Morality in Asia and the Americas. (Research in Economic Anthropology, Volume 29.) Bingley: Emerald.

Conte, Christine (1982). Ladies, Livestock, Land and Lucre: Women’s Networks and Social Status on the Western Navajo Reservation. American Indian Quarterly 6(1/2): 105-124.

Keys, Eric (1999). Kaqchikel Gardens: Women, Children, and Multiple Roles of Gardens Among the Maya of Highland Guatemala. Yearbook – Conference of Latin Americanist Geographers. Vol. 25: 89-100.

Mason, K.O. & Palan, V.T. (1981). Female Employment and Fertility in Peninsular Malaysia: the Maternal Role Incompatibility Hypothesis Reconsidered. Demography 18(4): 549-575.

Noss, Andrew J. & Hewlett, Barry S. (2001). The Context of Female Hunting in Central Africa. American Anthropologist 103(4): 1024-1040.

Panter-Brick, C. (1989). Motherhood and Subsistance Work: The Tamang of Rural Nepal. Human Ecology 17(2): 205-228.

Piperata, Barbara A. & Gooden Mattern, Lindsey M. (2011). Longitudinal Study of Breastfeeding Structure and Women’s Work in the Brazilian Amazon. American Journal of Physical Anthropology 144(2): 226-237.

Sexton, Lorraine Dusak (1982). Wok Meri: A Women’s Savings and Exchange System in Highland Papua New Guinea. Oceania 22(3): 167-198.

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