Ewiges Leben durch freiwilliges Helfen?

Altruism half offWir leben in einer Welt, in der wir täglich mit dem Mythos des altruistischen Menschen, der ganz selbstverständlich gegen den „egoistischen Menschen“ gestellt wird, berieselt werden. Hilfe, selbtslose Hilfe, versteht sich, ist zum Markenzeichen von „richtigen“ Menschen geworden. Wer seine eigenen Interessen und Ziele verfolgt, der gilt als minderwertig. Vollwertig ist nur, wer andere mit seiner Hilfsbereitschaft verfolgt – ganz altruistisch versteht sich. Wie weit der Mythos schon in der Gesellschaft verankert ist, zeigt ein Beitrag bei „radio Stimme Russland“, auf den uns ein Leser von ScienceFiles hingewiesen hat. Unter der Überschrift: „Freiwilliges Helfen verlängert das Leben – Wissenschaftler“ ist dort Folgendes zu genießen:

STIMME RUSSLANDS: Anderen Menschen freiwillig zu helfen, kann deutlich die Psyche stärken sowie die Lebensdauer verlängern, behaupten englische Wissenschaftler in einem Artikel, der in der Fachzeitschrift „BMC Public Health“ veröffentlicht wurde.
Forscher der Medizinischen Fakultät der Universität haben Daten über den Gesundheitszustand der Bevölkerung verglichen. Ferner stellten die Wissenschaftler fest, dass freiwillige Helfer deutlich weniger unter Depressionen leiden, sie leben zufriedener und fühlen sich glücklicher.

Der Zweisatz-Unsinn ist abglegt unter „Wissenschaft – Forschung – Gesellschaft“ und soll offensichtlich ein Weiteres zum Altruismus-Mythos beitragen. Interessanter Weise ist es ein uregoistisches Motiv, das den Altruismus der freiwilligen Hilfe versüßen soll, das fast ewige Leben. Gute Menschen kommen also erst mit Verspätung in den Himmel, während schlechte Menschen im D-Zug in die Hölle fahren (and have fun).

Der Beitrag in der Stimme Russlands stammt offensichtlich aus den Kaderschmieden, die bereits zu Zeiten des Kalten Krieges versucht haben, Information durch Desinformation unmöglich zu machen. So fällt dem genau Lesenden des Beitrags der Stimme Russlands Folgendes auf:

  1. stimme russlandsDie Überschrift behautet eine Kausalität von freiwilligem Helfen auf längeres Leben, im Text wird aus der Kausalität eine Möglichkeit „kann“;
  2. Das Forschungsergebnis stammt von offensichtlich der Redaktion nicht namentlich bekannten „englischen Wissenschaftlern“,
  3. die einen Artikel, dessen Überschrift der Redaktion offensichtlich genauso unbekannt ist,
  4. in irgendeiner Ausgabe der, das wissen die Redakteure der Stimme Russlands genau: „Fachzeitschrift“ BMC Public Health veröffentlicht haben.
  5. Die Autoren sind gleichzeitig Forscher einer medizinischen Fakultät an irgendeiner Universität (es gibt mehr als eine Universität in England),
  6. und diese Forscher-Autoren haben irgendwelche Daten über den Gesundheitszustand der Bevölkerung verglichen, die zeigen, dass
  7. freiwillige Helfer „deutlich weniger unter Depressionen leiden, zufriedener leben und glüchlicher sind“, wobei sich fragt: als wer? Deutsche? Unfreiwillige Helfer? Sklaven? Öffentliche Bedienstete? Autofahrer? Genderisten? Polizisten (die Freunde und Helfer)? Amerikaner? Depressive?

Wer die oben wiedergegebene Meldung gelesen hat und beim Lesen nicht spätestens nach dem fünften Wort angefangen hat, den Kopf zu schütteln, dem sei eine kritischere Einstellung gegenüber Veröffentlichungen in vermeintlichen „Presseorganen“, die der Information dienen, empfohlen.

BMCIch habe mich auf Grundlage der nicht vorhandenen Informationen in der „Stimme Russlands“ auf die Suche nach dem Artikel gemacht, auf den sich der Beitrag beziehen könnte, und auf einen Beitrag von Caroline E. Jenkinson und acht Ko-Autoren, mehrheitlich von der University Essex (Wissenschaftler an einer Universität in England) gestoßen, der den Titel trägt: „Is Volunteering a Public Health Intervention? A Systematic Review and a Meta-Analysis of the Health and Survival of Volunteers“. Bereits der Titel des Textes zeigt, hier werden keine eigenen Daten analysiert, auch keine Daten über den Gesundheitszustand der Bevölkerung, nein, hier werden Studien analysiert, die sich mit dem Zusammenhang von freiwilligem Engagement und Gesundheit beschäftigen, das, was man gemeinhin eine Meta-Analyse nennt.

Anlass der Meta-Analyse von Jenkinson et al. ist die Behauptung, wie sie regelmäßig im Rahmen des Altruismus-Mythos aufgestellt wird, und zwar von UN, EU und nationalen Regierungen gleichermaßen, dass freiwilliges Engagement zu einer höheren Zufriedenheit und besseren Gesundheit derer führt, die sich freiwillig engagieren. Dabei wird freiwilliges Engagement definiert als:

„an act of free will that results in benefits to others (e.g., individuals, groups, the environment), outside of, or in addition to support given to close family members.“ (Jenkinson et al., 2013)

Insgesamt können die Autoren 40 veröffentlichte Untersuchungen lokalisieren, in denen der Zusammenhang zwischen freiwilligem Engagement (wie oben definiert) und Gesundheit untersucht wurde. Die Durchsicht der Untersuchungen führt wiederum zu dem folgenden Ergebnis:

„Forty papers were selected: five randomized controlled trials (RCTs, seven papers); four non-RCTs; and 17 cohort studies (29 papers). Cohort studies showed volunteering had favourable effects on depression, life satisfaction, wellbeing but not on physical health. These findings were not confirmed by experimental studies. Meta-analysis of five cohort studies found volunteers to be at a lower risk of mortality (risk ratio; 0,78; 95% CI: 0.66, 0.90). There was insufficient evidence to demonstrate a consistent influence of volunteering type of intensity on outcomes“ (np).

Ich habe hier absichtlich die Beschreibung der Ergebnisse, die man dem abstract des Beitrags, also der Kurzfassung der Untersuchung entnehmen kann, vorangestellt. Ein Redakteur der lesen kann, wäre durchaus in der Lage nachzulesen, dass in 17 Kohortenstudien, also in Studien, in denen Geburtsjahrgänge untersucht wurden, keinerlei Effekt von freiwilligem Engagement auf die Gesundheit gefunden wurden, während in 5 RCTs, also random controlled trials, eine verringerte Sterberate für frewillig Engagierte gefunden wurde. Das nennt man dann wohl widersprüchliche Ergebnisse, die auch nicht dadurch besser werden, dass die Kausalität der Effekte fragwürdig ist. Ein chronisch Kranker, ein Diabetiker, ein Herzinfarkt-Gefährdeter, sie alle werden wohl kaum freiwilliges Engagement im örtlichen Altenheim zeigen, so dass diejenigen, die sich engagieren, das sind, was man in der Soziologie eine selegierte, eine selbst-selegierte Population im vorliegenden Fall, nennt. Es ist plausibel anzunehmen, dass Menschen, die sich freiwillig engagieren, eher nicht unter den Insassen von Krankenhäusern zu finden sind und dass diejenigen, die Intensivstationen beliegen, ganz und gar fehlen, so dass es kaum verwundert, wenn Korrelationen zwischen freiwilligem Engagement und Gesundheit gemessen werden.

Vermutlich hat auch Leistungssport einen positiven Effekt auf die Gesundheit und die Lebenserwartung von indischen Yogis ist deutlich höher als die Lebenserwartung von Bergarbeitern. Dennoch kommt niemand auf die Idee, Bergarbeiter dazu zu bewegen, Profifussballer zu werden oder dazu, sich von morgens bis abends mit Meditation zu beschäftigen. Kumpel sollen einfahren und ihre Arbeit machen und ansonsten will es der Mythos der selbstlosen Hilfe, dass sie sich freiwillig engagieren, damit sie auch gesund bleiben und nicht vorzeitig an einer Staublunge versterben.

ALTRUISM2Was für ein Unsinn sich allein hinter der Vorstellung, freiwilliges Engagement würde die Lebenserwartung positiv beeinflussen, steckt, wird anhand solcher Beispiele sehr deutlich. Dass die Meldung von radio Stimme Russland absoluter Unsinn ist, sollte deutlich geworden sein und dass man sich nicht von internationalen Organisationen oder seinen Regierungen dazu verpflichten lassen soll, sich freiwillig zu engagieren, sollte aus drei Gründen bekannt sein: Erstens, man kann niemand zu einer freiwilligen Tat verpflichten. Zweitens: Wenn Institutionen behaupten, etwas habe besonders gute Effekte für diejenigen, von denen erwartet wird, dass sie dieses Etwas tun, dann ist etwas oberfaul, denn es mag ab und an ein altruistisches Individuum geben, den Heiligen Franz von ich weiß nicht wo, aber es gibt sicher eines nicht: altruistische Institutionen. Wenn die Vertreter von Institutionen zu etwas aufrufen, dann haben sie und ihre Institution etwas davon, dass Dritte dieses etwas tun. Drittens ist es sehr seltsam, dass man Anreize präsentieren muss, um altruistisches Verhalten zu motivieren, also längeres Leben oder Gesundheit oder Wohlbefinden, wahre Altruisten sind nicht auf Anreize angewiesen – oder?

Jenkinson, Caroline E., Dickens, Andy P., Jones, Kerry, Thompson-Coon, Jo, Taylor, Rod, S., Rogers, Morwenna, Bambra, Clare L., Lang, Iain & Richards, Suzanne H. (2013). Is Volunteering a Public Health Intervention? A Systematic Review and Meta-Analysis of the Health and Survival of Volunteers. BMC Public Health (online version).

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