Impfgegner besteuern wegen Externalisierung von Krankheitsrisiken?

Die Weltgesundheitsorganisation hat die Bekämpfung und Beseitigung von Masern zu einem ihrer wichtigsten Ziele erklärt. So seien in 2011 rund 158.000 Kinder an Folgen einer Erkrankung mit Masern verstorben. Seit der Einführung des Impfstoffes MMR, eines Kombiprodukts gegen Masern, Mumps und Röteln Ende der 1980er Jahre, ist die Mortalität in Folge einer Masern-Infektion von mehr als 2 Millionen Toten jährlich auf nunmehr 158.000 weltweit gesunken. Angesichts der Verfügbarkeit von MMR, eines effektiven und billigen Impfstoffes, ist es das erklärte Ziel der WHO, Masern als Todesursache auszurotten.

ImpfratenDoch es regt sich Widerstand gegen die Impfung. Viele Eltern, in Deutschland, weigern sich, ihre Kinder mit MMR gegen u.a. Masern impfen zu lassen. Ursache dafür sind vermeintliche Nebenwirkungen des Impfstoffes, die Autismus, multiple Sklerose oder Diabetes hervorrufen können sollen. Diese Nebenwirkungen sind seit 1998 im Gespräch, als Dr. Andrew Wakefield, ein britischer Arzt im Lancet eine Untersuchung veröffentlichte, die angeblich einen Zusammenhang zwischen MMR und Autismus sowie einer Darminfektion aufzeigen konnte.

Zwischenzeitlich wurde Dr. Wakefield die Zulassung entzogen, weil sich herausgestellt hat, dass er mit unlauteren Mitteln zu den Ergebnissen gelangt ist, zu denen er gelangt ist. Die Veröffentlichung der Untersuchung im Jahre 1998 im Lancet hatte einen Pressesturm nach sich gezogen. Scheinbar wollte, wie z.B. heute, wenn es darum geht, die negativen Folgen von Rauchen, Alkohol oder sonstiger Modefeinde zu verkünden, kein Zeitungsredakteur nicht sofort der Überbringer der schlechten Nachricht sein. Niemand hat sich daran gestört, dass die Ergebnisse von Dr. Wakefield gerade einmal auf der Untersuchung von 12 Kindern basierten und entsprechend Vorsicht angeraten gewesen wäre.

Und weil sich deratige schlechte Nachrichten immer besser verbreiten als Informationen haben in der Folge Eltern die Impfung ihrer Kinder mit MMR verweigert. Als Folge hat u.a. der Süden von Wales im Frühjahr 2013 eine Masern-Epidemie bis dahin ungeahnten Ausmaßes gesehen. Dabei hat sich der Masern-Virus nicht darauf beschränkt, Kinder zu befallen, er hat sich auch erwachsene Opfer gesucht, mit erheblichen Folgen für die betroffenen Erwachsenen.

Angesichts der Folgen, die Masern nach sich ziehen können, sollte man eigentlich denken, die Frage, ob die eigenen Kinder geimpft werden sollen oder nicht, sei leicht zu beantworten:

“Most measles-related deaths are caused by complications associated with the disease. Complications are more common in children under the age of five, or adults over the age of 20. The most serious complications include blindness, encephalitis (an infection that causes brain swelling), severe diarrhoea and related dehydration, ear infections, or severe respiratory infections such as pneumonia. As high as 10% of measles cases result in death among populations with high levels of malnutrition and a lack of adequate health care.”

Wer mit dem Leben davon kommt, hat also eine Chance, blind zu sein oder Hirnschäden davon zu tragen. Angesichts dieser Folgen sind die Nebenwirkungen von MMR, die in wenigen Fällen in einer leichten und schnell vergehenden Erkrankung an Masern oder Mumps bestehen und zu keinen der oben beschriebenen Folgen führen, eher gering, so dass man sich fragt, warum Eltern sich weigern, ihre Kinder impfen zu lassen.

Diese Frage hat sich auch Cornelia Betsch von der Universität Erfurt gestellt. Betsch schreibt seit Jahren gegen die Nicht-Impfer in Deutschland und anderso an und versucht, aufklärerisch tätig zu sein. So ist gerade ein Text von Betsch im Bundesgesundheitsblatt erschienen, und zwar mit dem Titel: “Die Rolle des Internets bei der Elimination von Infektionskrankheiten. Zum Management von Wahrnehmungen und Fehlwahrnehmungen”.

MasernDer Beitrag stützt sich im Wesentlichen auf einen Beitrag von Gesualdo et al. (2010), auf Informationen des Robert-Koch-Instituts und auf eine eigene Untersuchung (Betsch & Wicker, 2012). Die Botschaft der drei Beiträge besteht darin, dass im Internet Fehlinformationen über die Risiken, die mit einer Masern-Impfung oder mit dem MMR-Impfstoff verbunden sind, verbreitet werden. Diese Fehlinformationen seien leicht zugänglich, im Internet weit verbreitet, und entsprechend würden Eltern, die “direkt nach Impfrisiken suchen und hier also verstärkten Informationsbedarf aus zuverlässigen Quellen haben, die Quellen mit geringerer Wahrscheinlichkeit auffinden” (Betsch, 2013, S.1280). Und man ahnt bereits, was kommen wird: Die Relation zwischen zuverlässigen Quellen und nicht-zuverlässigen Quellen müsse verbessert werden, so empfiehlt Betsch: Informationen darüber, welche Risiken mit einer MMR-Impfung verbunden sind, müssten leichter und besser zugänglich sein.

Dies ist ein löblicher Ansatz und dennoch ein falscher Ansatz, denn er setzt voraus, dass Eltern, die nach Nebenwirkungen von MMR-Impfungen suchen, sich von der Harmlosigkeit des Impfstoffes überzeugen lassen, wenn die Informationen leicht erreichbar und verfügbar sind. Das ganze Problem der Impfgegner besteht demnach für Betsch in der Zugänglichkeit von Informationen.

Das halte ich für falsch. Die sozialpsychologische Forschung hat wieder und wieder belegt, dass Menschen meist innerhalb eines Frames nach Informationen suchen und vornehmlich bemüht sind, Informationen zu finden, die in diesen Frame passen, die konsonant zu bereits vorhandenen Informationen sind – oder: viele suchen nur die Informationen, die ihre bereits vorhandenen Ansichten bestätigen oder legitimieren. Entsprechend nutzt neue Information an sich überhaupt nichts.

Da eine einfach Suche im Internet, z.B. in Google Scholar nach “vaccination risk” oder nach MMR bereits eine Unmenge im Sinne Betschs “zuverlässiger Quellen” zu Tage befördert, die allesamt die Unbedenklichkeit einer Impfung mit MMR bestätigen bzw. nach den Ursachen für Impfverweigerung fahnden, ist bereits jetzt eine große Zahl “zuverlässiger Quellen” im Internet vorhanden. Nicht zuletzt gibt es ja auch das umfangreiche Internetangebot des Robert-Koch-Instituts, dem jeder die relevanten Informationen für seine Entscheidung für oder gegen eine Impfung entnehmen kann.

Entsprechend muss man davon ausgehen, dass der Vorschlag von Betsch, noch mehr Informationen in das Internet zu fluten, die Steuerzahler Geld kosten würde, ohne etwas zu bewirken. Deshalb schlage ich vor, die Umweltgesetzgebung auf Impfverweigerer zu übertragen, und zwar wie folgt:

Measles epidemicDie Epidemie in Südwales ging von ungeimpften Kindern aus. Sie haben andere Kinder und deren Eltern angesteckt. Die Folge waren erhebliche gesundheitliche und finanzielle EInbußen. MIt anderen Worten, nicht-geimpfte Kinder haben für andere in der Weise Externalitäten bereitet, wie dies die Umweltverschmutzung tut, die z.B. durch giftige Abwässer entsteht, die in Flüsse geleitet werden. Gemäß dem Verursacherprinzip wären demnach von Eltern ungeimpferter Kinder die Kosten der Folgen der Erkrankung, die sie ausgelöst haben, zu tragen. Wenn also ein ungeimpftes Kind an Masern erkrankt und in der Folge eine Reihe von Personen, die mit dem Kind Kontakt hatten, erkrankt, haben die Eltern die Kosten der Folgen zu übernehmen. In jedem Fall haben Eltern, die die Impfung ihrer Kinder verweigern, die Kosten, die durch eine entsprechende Erkrankung und die dadurch notwendig werdende Behandlung ihrer Kinder entstehen, in voller Höhe zu tragen.

Derzeit leben Eltern, die die Impfung ihrer Kinder verweigern davon, dass andere die entsprechenden Kosten tragen. Es ist schlicht nicht einzusehen, warum Umweltschäden vom Verursacher internalisiert werden sollen, Gesundheitsschäden bei Dritten als Folge nicht-geimpfter Kinder aber nicht,  Folglich hätten Eltern die Wahl zwischen einer Impfung bzw. keiner Impfung ihrer Kinder, müssten diese Wahl aber unter der Gewissheit treffen, dass sie die Folgen der Wahl zu tragen haben, d.h. dass sie die Verantwortung für ihre Entscheidung übernehmen müssen.

Betsch, Cornelia (2013). Die Rolle des Internets bei der Elimination von Infektionskrankheiten. Zum Management von Wahrnehmungen und Fehlwahrnehmungen. Bundesgesundheitsblatt 9: 1279-1286.

Betsch, Cornelia & Wicker, Sabine (2012). E-Health Use Vaccination Knowledge and Perception of Own Risk: Drvers of Vaccination Uptake in Medical Students. Vaccine 30(6): 1143-1148.

Gesualdo, F. et al. (2010). Surfing the Web During Pandemic Flu: Availability of World Health Organization Recommendations on Prevention. BMC Public Health 10: 561.

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