In kaum einem anderen Land nahm und nimmt die Berichterstattung über Fukushima, den Tsunami und den nachfolgenden Meltdown des Atomreaktors einen solchen Stellenwert ein, wie in Deutschland. Atomkraft war und ist der Gegenstand, an dem man seine Gutmenschen-Eigenschaften am besten unter Beweis stellen kann, und selbst die im Europäischen Vergleich fast höchsten Stromkosten schrecken deutsche Gutmenschen nicht davon ab, die Konsequenzen dafür, den sehr unwahrscheinlichen Supergau für Deutschland vermeinden zu wollen, sich und anderen zu verordnen (So sind bislang weder im erdbebengefährdeten Bodensee noch im Steinhuder Meer Tsunamis berichtet worden und auch Erdbeben kommen eher selten vor).
In die Reihe der Fern-Hysterie, die medial aus Japan nach Deutschland und zur besten Sendezeit transportiert wurde, passt ein Beitrag von Jan Goebel. Christian Krekel, Tim Tiefenbach und Nicolas R. Ziebarth in der SOEPpapers Reihe des DIW, die immer mehr zu einer Veranstaltung wird, die einem abwechselnd Mitleid und Lach-Tränen verschafft.
Stammleser werden schon kennen, was jetzt kommt: Es gibt kein theoretisches Kapitel, kein Kapitel, das dem Leser nachvollziehbar macht, warum man das mentale Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit mit der Frage, ob man sehr besorgt über den Klimawandel ist oder ob man sehr besorgt um den Schutz der Umwelt ist, in Verbindung bringen sollte. Man muss schon in den Köpfen der Autoren zuhause sein, um hier einen Zusammenhang zwischen dem Reaktorunfall in Fukushima und der mentalen Gesundheit Deutscher zu sehen. Und vor allem muss man in ihrem Kopf sein, um erklären zu können, wie man auf die Idee kommt, das eine habe mit dem anderen etwas zu tun, sei so überragend, dass das Alltägliche in Deutschland, die normalen Lebenszusammenhänge einfach ins Abseits geschoben werden. Nicht mehr Beziehungsprobleme, Arbeitslosigkeit, Kaffeemangel, Rauschgiftentzug oder Geschlechtsteilfixierung wirkt sich negativ auf die mentale Gesundheit aus, nein, die mentale Gesundheit wird gestört, weil in Japan ein Reaktor strahlt.
Mit anderen Worten: Die Autoren sehen Deutsche als einen Haufen hysterischer Spinner, deren mentale Gesundheit unter Ereignissen leidet, deren Auswirkungen sie in keiner Weise zu spüren bekommen. Deutschland eine einzige große Irrenanstalt, Millionen im freien Vollzug sich befindende Neurotiker, nein Psychopaten? Nun, das ist eine starke Annahme, die die Autoren da implizit machen, und vielleicht ist diese Annahme der Grund, dass sie sich nicht trauen, ein Theoriekapitel in ihren Text einzubauen.
Und dann kommt das letzte Kapitel des Werkes, das mich auch ganz ohne die „Discussion“ zwischen lautem Lachen und massivem Ärger hat schwanken lassen. Und dann kommt das:
We find particularly strong effects on citizens’ concerns about the environment, but also on affective well‐being measures such as sadness. Mental health is a multidimensional concept that is complex to measure. Strong concerns or worries are integral part of overall mental health. When we correlate our “very concerned about environmental protection” measure with the mental health SF12 summary scale (RAND, 1995), which was surveyed in the SOEP in 2010, we find that people who are very concerned about the environment have a highly significantly 1.8 ppt lower mental health status. Thus it is reasonable to assume that people who are permanently very concerned about the environment lose 1% of a Quality Adjusted Life Year (QALY). This assumption allows us to carry out the following rough back‐of‐the envelope calculation: Fukushima increased the share of “very concerned” Germans by 6ppt. This equals about 4 million German citizens. It took roughly 3 months for the German parliament to implement measures that ameliorated environmental concerns. Thus one would obtain a monetized mental health loss of 0.01*4/4=100,000 QALYs. The health economics literature values one QALY with roughly 100,000€. Thus, this would yield a total monetized Fukushima‐related mental health loss of €1bn or €250 per affected citizen, which equals about €20 per week and affected citizen.
Jetzt ist Zeit für einen Superlativ: Ich habe noch selten einen größeren Unsinn gelesen und will diesen hier nur mit zwei Fragen abschließen, warum sollte man die Sorge um die Umwelt 2011 mit einem summativen Maß mentaler Gesundheit korrelieren? Warum korreliert man nicht die methodologischen Kenntnisse der Autoren, und zwar vor der Durchführung ihrer Hysterie-Forschung mit ihrer „Sorge um die Umwelt“ und kontrastiert das Ergebnis dann mit der Traurigkeit (sadness) all derer, die methodologische Kenntnisse besitzen, und zwar nach dem Lesen dieses Beitrags von Goebel, Krekel, Tiefenbach und Ziebarth.
Goebel, Jan, Krekel, Christian, Tiefenbach, Tim & ZIebarth, Nicolas R. (2013). Natural Disaster, Policy Action, and Mental Well-Being: The Case of Fukushima. Berlin: DIW, SOEPpapers #599.