Bio-Macht – Die moderne Form der Herrschaft

Warum stehen Rassismen aller Art (verbal) so hoch im Kurs? Warum wollen Mitglieder der politischen Klasse ständig Rassismus bekämpfen? Warum sorgt eine Handvoll Neonazis, die in XY durch die Straße marschieren wollen, für einen Aufruhr unter Anti-Rassisten und monatelange Nachfragen im Deutschen Bundestag? Warum blühen die parlamentarischen Anfragen, die Rechtsextremismus, Sexismus oder sonstige böse -Ismen zum Gegenstand haben? Warum, mit anderen Worten, ist nichts in der politischen Klasse so beliebt, wie den Fetisch des Extremismus hochzuhalten, sich daran zu weiden?

Foucault Microphysik der MachtEine Antwort auf diese Fragen findet man bei Michel Foucault (1977, 1976) und seinem Konzept der Bio-Macht. Moderne Staaten und vor allem ihre politische Klasse, so kann man die Antwort zusammenfassen, sind inhärent rassistisch. Rassismen in allen Varianten sind ihre Herrschaftsform. Bio-Macht ist zum einen das angestrebte Ziel, zum anderen das Mittel, um die Herrschaft der politischen Rassismen durchzusetzen.

Der “moderne Rassismus”, so hat Foucault geschrieben, “ist ein typischer Staatsrassimus’, Instrument der herrschenden Klasse” (Foucault zitiert nach Magiros 1995: 103).

Diese Behauptung zielt auf den Wandel der Macht, wie er die Moderne auszeichnet: Früher gab es den Souverän, der seine Machtbeziehungen vor allem durch Abschöpfung auszunutzen wusste, durch Entzug von Gütern, Produkten oder Dienstleistungen. Letzten Endes war der Souverän auch Herr über Leben und Tod seiner Untertanen. „Diese ‚alte Macht über den Tod’ wird seit dem 17. Jahrhundert zunehmend von einer neuen Machtform überlagert, deren Ziel es ist, das Leben zu verwalten, zu sichern, zu entwickeln und zu bewirtschaften“ (Lemke 2003: 2). Die neue Macht ist die – von Foucault so benannte – Bio-Macht.

Die Bio-Macht ist eine (jedenfalls auf den ersten Blick) lebensschaffende Macht, das Biologische das bevorzugte Feld, auf dem sich die Politiker tummeln: „das Leben der Individuen wird zu einem Bereich, der für bewusste Kalküle, für die politische Durchdringung, für Herrschaft durch Kontrolle und Organisation ‚offen’ geworden ist“ (Magiros 1995: 99).

Zwei Stränge sind es, mit denen sich die Bio-Macht Einfluss und Kontrolle auf und über die Individuen zu sichern sucht, die Dressur bzw. Disziplinierung und die regulierende Kontrolle.

Margolis_FoucaultDressur bzw. Disziplinierung zielen auf Institutionen wie die Schule, die der Vermittlung gesellschaftlich, d.h. für von einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe (z. B. der Mittelschicht) für relevant gehaltener Werte dient und das Individuum in bestmöglicher Verfassung in ökonomische Kontrollsysteme entlassen soll.

Regulierende Kontrolle betrifft Maßnahmen wie den Zwang, sich halbjährlich einer Zahnkontrolle zu unterziehen und auch ansonsten für seine körperliche Fitness (oder Wellness?) zu sorgen, um die staatliche Krankenkasse nicht zu belasten. Doch das ist nur ein Teil der regulativen Kontrolle, die sich im Ganzen auf die Gattung richtet: „die Demographie wird zu einem wichtigen Wissens- und Machtgebiet, das Verhältnis von Ressourcen und Einwohnern bekommt sowohl in den Wissenschaften als auch in der Politik Gewicht, Fortpflanzung, Geburten- und Sterblichkeitsrate, Gesundheitsniveau und Lebensdauer werden zu den Variablen der Bevölkerung, die die Politik zu beeinflussen sucht“ (Magiros 1995: 99) – Kindergeld, Gesundheitsprämien und Erziehungsurlaub sind einige der Anreizsysteme, mit denen Einfluss und Herrschaft über Individuen erreicht werden soll.

Kennzeichen der Bio-Macht ist also – vordergründig – die Menschenfreundlichkeit. Sie beurteilt die Menschen danach, ob sie „‚nützlich’, ‚wertvoll’, ‚gesund’ und ‚lebenstüchtig’ sind“ (Magiros 1995: 100). Die Bio-Macht, so sagt Foucault (1976: 112), droht nicht mehr mit dem Tod, wie der Souverän dies tat, sie verspricht das Leben. Der Tod wird zum Ende ihres Wirkungsbereichs. Und doch pflastern Leichen den Herrschaftsweg der Bio-Macht: „Nie waren Kriege blutiger als im 19. Jahrhundert und niemals richteten die Regime … vergleichbare Schlachtfeste unter ihren Bevölkerungen an. … Kriege werden nicht mehr im Namen eines Souveräns geführt, sondern im Namen der Existenz aller“ (Foucault 1977: 148).

Daraus ergibt sich ein Widerspruch: Auf der einen Seite sorgt sich die Bio-Macht um ihre Bevölkerung, unterzieht den Einzelnen den unterschiedlichsten Kontrollen, um seine Gesundheit sicherzustellen und möglichst viel seiner „Lebenszeit in [dem Staat nützliche] Arbeitskraft zu transformieren“ (Lemke 2003: 4). Auf der anderen Seite schickt gerade die Bio-Macht ihre Bürger in den Krieg, um sich notfalls für den Fortbestand der anderen töten zu lassen. Gerade die Bio-Macht übt sich also in Souveränität. Das wirft eine Frage auf: „Wie kann die Macht des Todes so ausgeübt werden, wie kann die Funktion des Todes ausgeübt werden, in einem System, in dessen Mittelpunkt die Bio-Macht steht? Hier, so glaube ich, kommt der Rassismus ins Spiel“ (Foucault zitiert nach Magiros 1995: 107).

Der Rassismus dient der Bio-Macht als Differenzierungsinstrument. Mit seiner Hilfe gelingt es, Fremdgruppen, solche, die der eigenen Gruppe bzw. der eigenen Rasse fremd sind, zu identifizieren. Sie werden zum biologischen (oder heute: z.B. zum religiös-fundamentalistischen) Feind. Sie werden zur Bedrohung für das, was im Innern der eigenen Gruppe so wichtig ist: Der Fortbestand der eigenen Gruppe oder Rasse und vor allem die Gesundheit ihrer Mitglieder. Rassismus ist insofern allen modernen Staaten inhärent, denn sie versuchen, ihre biomächtige und souveräne Funktion miteinander zu kombinieren. Deshalb „sei auch der Rassismus ‚grundlegender Mechanismus’ (…) jeglicher modernen politischen Macht: nur über seine Vermittlung kann sie diese Kombination vollziehen“ (Magiros 1995: 109).

Hund RassismusWie sehr Rassismus und Bio-Macht miteinander verschränkt sind, macht der Staastfeminismus deutlich, der auf der einen Seite die Fortpflanzung zu einem Dienst an der sozialversicherten Gemeinschaft stilisiert und alle, die sich diesem Dienst nicht unterziehen wollen, straft, auf der anderen Seite denjenigen, die sich in den Dienst der gemeinschaftlichen Fortpflanzung stellen, ein regulatives Regime der Volksgesundheit aufzwingt, dassie vom souveränen Individuum, zum abhängigen Untertan reduziert. Dabei greift die Bio-Macht des Staatsfeminsmus auf allen Ebenen der Gesellschaft durch und versucht, durch die unterschiedlichsten Formen von Dressur und Disziplinierung, sei es über Lehrpläne in Schulen, sei es über Förderprogramme an Universitäten, sei es über den Zwang sich dem staatsfeministischen Diktat selbst in der Leitung eines Unternehmens zu unterwerfen, die Hegemonie seiner Bio-Macht zu sichern.

Foucault hat mit seinen Analysen darauf hingewiesen, dass Rassismus nicht in erster Linie ein Merkmal ist, das man dem kleinen Mannes unterschieben kann. Rassismus ist nicht in erster Linie eine Einstellung, die sich gegen andere richtet. Rassismus ist eine strukturelle Eigenschaft, ein Bestandteil des politischen Systems. Rassismus dient in erster Linie der Bio-Macht, ermöglicht es ihr, zum einen im Namen von z.B. Gesundheit und Prävention ständig in die individuellen Rechte ihrer Bürger zu intervenieren. Zum anderen gelingt es der Bio-Macht mit Hilfe des Rassismus eine Grenze nach außen zu ziehen und Merkmale anderer, die als willkürliches Unterscheidungskriterium gewählt wurden, so zu sterotypisieren, dass sie nicht nur als Kitt nach innen wirken, sondern auch als Zuschreibung von Fremdheit nach außen.

„Rassismus“, so schreibt Wolf D. Hund (1999:7), „ist eine flexible Ideologie. Er erlaubt vielseitiges Handeln“. Rassismus nutzt Individuen zumeist nichts, dagegen haben Staaten ihre Ziele immer leichter erreichen können, wenn sie mit der Fahne des Rassismus gewedelt haben, hinter der sich die eigenen Bürger dann eingereiht haben oder einreihen mussten, denn wer dem Banner nicht folgt, bekommt die Souveränität der Bio-Macht zu spüren.

 

Literatur

Foucault, Michel (1977). Sexualität und Wahrheit. Der Wille zu Wissen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Foucault,Michel (1976). Mikrophysik der Macht. Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin. Merlin: Merve.

Hund, Wolf D. (1999). Rassismus. Die soziale Konstruktion natürlicher Ungleichheit. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Lemke, Thomas (2003). Biopolitik im Empire – Die Immanenz des Kapitalismus bei Michael Hardt und Antonio Negri. Ludwig-Maximilians-Universität München.

Magiros, Angelika (1995). Foucaults Beitrag zur Rassismustheorie. Hamburg.

 

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