Wer regelmäßig zum Gottesdienst geht, der leidet weniger unter dem Verlust seines Arbeitsplatzes. Clemens M. Lechner, Friedrich-Schiller-Universität Jena, und Thomas Leopold, University of Amsterdam, sind für dieses Ergebnis verantwortlich und zudem der Ansicht, sie hätten die wichtige Rolle von Religioisität belegt, wenn es darum geht, mit kritischen Lebensereignissen umzugehen.
Starten wir bei den Prämissen:
Wer arbeitslos wird, der hat unglücklich zu sein, gesundheitlich zu leiden oder doch zumindest: es darf ihm nicht gut gehen, denn Arbeitslosigkeit ist kurz vor dem Tod das größte Unglück, das einem rechtschaffenden Bürger in Deutschland widerfahren kann. So will es die Folklore, wie sie von Universitäten dröhnt.
Man könnte zwar auch der Ansicht sein, dass die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses eine Chance darstellt, eine Chance, sich zu beweisen, sich nach einem neuen Arbeitsplatz umzusehen, sich am Ende selbständig zu machen, aber, nicht in Deutschland. Hier ist Arbeitslosigkeit ein Verdammnis, das nicht nur von den Gewerkschaften, die alles tun, um Arbeitslose aus tariflichen Arbeitsverhältnissen fernzuhalten, beklagt wird.
Nun gut: Arbeitslosigkeit macht unglücklich oder doch zumindest unzufrieden. Bleiben wir bei unzufrieden, denn die Lebenszufriedenheit ist als Frage in den Wellen des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) enthalten. Lechner und Leopold rechnen mit dem SOEP, also untersuchen sie den Einfluss von Religiosität auf Lebenszufriedenheit.
Was uns zum nächsten Problem bringt: Wie misst man Religiosität? Hat Religiosität etwas mit dem Aufsuchen von Kirchen zu tun?
Hat es, so sagen Lechner und Leopold, denn im SOEP ist die Frage nach der Häufigkeit des Kirchgangs enthalten. Lechner und Leopold müssen daher auf diese Variable zurückgreifen, weshalb die Kirchgangshäufigkeit zur Religiosität erklärt und mit der Lebenszufriedenheit korreliert wird.
Und siehe da: Wer häufiger in die Kirche geht, dessen Lebenszufriedenheit sinkt, nachdem er arbeitslos geworden ist, weniger als die Lebenszufriedenheit seltener Kirchgänger oder gar vom Kirchgang Abstinenter und sie erholt sich auch schneller: nach rund 3 Jahren Arbeitslosigkeit und wöchentlichem Kirchgang ist die Lebenszufriedenheit wieder da, wo sie vor der Arbeitslosigkeit war.
So ist das.
Mehr ist auf den acht Seiten des Beitrags von Lechner und Leopold, der im Journal for the Scientific Study of Religion gedruckt wurde, nicht an Aussage enthalten.
Nicht nur ist nicht mehr Aussage enthalten, es fehlen auch grundlegende Angaben zur Verteilung der Antworten, deskriptive Statistiken für die genutzten Variablen zum Beispiel. Das ist misslich, denn der Effekt von Arbeitslosigkeit auf Lebenszufriedenheit, den man aus Abbildung 1 heraus schätzen muss, bewegt sich im Bereich von relativ zufrieden (6,7 von 10). Zur Erinnerung: Die Lebenszufriedenheit wird auf einer Skala von 0 bis 10 eingeordnet, je höher der Wert, desto höher die Zufriedenheit.
Diejenigen, die im SOEP arbeitslos werden, geben vor der Arbeitslosigkeit eine Lebenszufriedenheit von 6,7 an, im ersten Jahr nach der Arbeitslosigkeit eine, von 6,3 bei wöchentlichem Kirchgang, und eine von rund 6 bei Kirchgangs-Abstinenz. Das ist kein großer Unterschied, von dem man gerne gewusst hätte, ob er zwischen den Gruppen der Kirchgänger signifikant ist, was, da er sich im Bereich von 4% bis 8% der Gesamtskala abspielt, eher unwahrscheinlich ist.
In jedem Fall muss man feststellen, dass Personen, die arbeitslos werden, nach dem Eintritt der Arbeitslosigkeit weniger zufrieden sind als zuvor. Das legt nicht unbedingt nahe, dass Arbeitslosigkeit mit erheblichen Einschnitten in das jeweilige Leben einhergeht. Wäre das so, man würde einen Absturz der Lebenszufriedenheit sehen. Wäre Arbeitslosigkeit wirklich die Katastrophe in der Lebensführung, die Lebenszufriedenheit, sie würde auf Werte um 2-3 abstürzen, sich nicht im Miniaturbereich relativer Zufriedenheit verändern.
Aber sei’s drum.
Häufiger Kirchgang führt, so Lechner und Leopold, nicht nur dazu, dass diejenigen, die arbeitslos werden, auch nach Eintritt der Arbeitslosigkeit kaum Einbußen in ihrer Lebenszufriedenheit hinnehmen, er führt auch dazu, dass sie in kurzer Zeit (2 – 3 Jahre) wieder zur vollen Höhe ihrer Lebenszufriedenheit gelangen, obwohl sie weiterhin arbeitslos sind.
Und jetzt, da sich die Frage nach dem warum, warum ist das so, geradezu aufdrängt, jetzt ist der Text von Lechner und Leopold zu Ende.
Also ist es wieder an uns, Hypothesen darüber zu bilden, warum häufiger Kirchgang die vorhandene Zufriedenheit von Arbeitslosen steigert.
Was zunächst einfällt, ist natürlich das Matthäus-Evangelium, 6: 26:
“Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn Speise? und der Leib mehr denn die Kleidung? Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?”
Wenn Vögel ohne Arbeit satt werden, dann natürlich Menschen erst recht, denn: “Seid ihr … nicht viel mehr denn” Vögel? Es fehlt hier natürlich die Angabe der unterscheidenden Kriterien, die Menschen zu mehr machen, aber wir nehmen das als Offenbarung Gottes hin und sehen: Kirchgang erhöht die Wahrscheinlichkeit die Grundlagen eines christlichen Sozialstaates vermittelt zu bekommen: “Sorget nicht für euer Leben”, euer himmlischer Vater vertreten durch die anderen Steuerzahler, die sich entgegen dem Rat des “himmlischen Vaters” doch um ihr Leben sorgen, sie ernähren euch doch.
Wenn das nicht zufrieden macht?
Und nicht genug damit, gibt es doch noch das Gleichnis des verlorenen Sohnes, das ein nicht näher genanntes Mitglied der Redaktion von ScienceFiles schon in ihrer Jugend verärgert hat: Sie kennen das Gleichnis des verlorenen Sohnes, des nichtsnutzigen Sohnes, der sich seinen Erbteil ausbezahlen lässt, ihn durchbringt, dann, abgebrannt bis auf sein letztes Hemd reuig zurückkommt, und von seinem Vater erfreut aufgenommen wird?
Etwa so: “Alles ist vergeben und vergessen. Drehen wir die Uhr zurück, tun so, als sei Dein Erbteil gar nicht ausbezahlt worden und leben ab sofort und üppig von den Früchten der Arbeit Deines Bruders. Der Trottel hat nämlich all die Jahre, die Du gebraucht hast, um Dein Erbe durchzubringen, gearbeitet und die Ressourcen angesammelt, die wir nun, da Du zurück gekehrt bist, fröhlich verbrauchen werden.”
Kein Wunder, dass man als Arbeitsloser durch häufigen Kirchgang mit seinem Leben zufriedener wird, wird doch die christliche Einsicht vermittelt, dass es nichts macht, anderen zur Last zu fallen, im Gegenteil: Es gehört sich so. Der himmlische Vater, der will das so.
Wie immer sind wir für andere Hypothesen offen.
Lechner, Clemens M. & Leopold, Thomas (2015). Religious Attendance Buffers the Impact of Unemployment on Life Satisfaction: Longitudinal Evidence from Germany. Journal for the Scientific Study of Religion 54(1): 166-174.
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PS. o tempora o mores: Vor 20 Jahren lachte man noch, wenn von der “uns alle verelendenden Tagelöhnergesellschaft” die Rede war.
Meine Hypothese: Gleichgültigkeit führt zu weniger Kirchgang und auch dazu, dass Arbeitslosigkeit nach einiger Zeit immer noch unzufrieden macht.
Wer gleichgültig ist, wird sich tendenziell eher wegen 2 Thess 3,10 “Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.” von der Kirche abgestoßen fühlen.
Wer dagegen an sich selbst und seiner Umwelt interessiert ist (und eventuell auch an Religion), wird dagegen abseits von Arbeit bald wieder Befriedigung finden.
“In jedem Fall muss man feststellen, dass Personen, die arbeitslos werden, nach dem Eintritt der Arbeitslosigkeit weniger zufrieden sind als zuvor. Das legt nicht unbedingt nahe, dass Arbeitslosigkeit mit erheblichen Einschnitten in das jeweilige Leben einhergeht. Wäre das so, man würde einen Absturz der Lebenszufriedenheit sehen.”
Dies heisst mit anderen Worten, daß Arbeit nicht der Bringer der Lebenszufriedenheit ist, zumindest kein essentieller.
Hatte der verlorene Sohn nicht “Heureka” gerufen? 🙂
Dorian Gray lebte auf großer Flamme, solange seine Sünden ins Bildnis abflossen. Er zerbrach, als sein Bildnis zerstört wurde.
Zwischen Schein und Sein besteht ein Unterschied.
Wir können uns und den anderen alles mögliche vormachen und damit bei den kleinen Geistern Neid erwecken, doch der Tag des Gerichts kommt und dann werden unsere Sünden offenbar.
Mal angenommen das Item “Häufigkeit von Kirchengängen” misst nicht Religiösität, sondern die Häufigkeit von Kirchengängen, ließe sich folgende Hypothese formulieren:
Regelmäßige Kirchengänger sind vermutlich etwas häufiger als die Rest-Population in eine stabile und unterstützende menschliche Gemeinschaft eingebunden. Durch ein solches soziales Netzwerk werden Krisenerfahrungen, wie es Arbeitslosigkeit mitunter sein kann, besser bewältigt.
Ich glaube, das Gleichnis vom verlorenen Sohn sollte menschlich, nicht ökonomisch verstanden werden: Jemand hat großen Mist gebaut und wird doch wieder aufgenommen. Als kolumnistisches Element zur Argumentverstärkung finde ich es darum hier fehl am Platz.
Ich finde es gar nicht fehl am Platz und teile entsprechend Ihre andere Interpretation nicht. Was ist übrigens ihre andere Interpretation: Dass man demjenigen der Mist baut, verzeiht und so tut, als sei nichts passiert, und zwar auf Kosten dessen, der keinen Mist gebaut hat?
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PS. o tempora o mores: Vor 20 Jahren lachte man noch, wenn von der “uns alle verelendenden Tagelöhnergesellschaft” die Rede war.
Meine Hypothese: Gleichgültigkeit führt zu weniger Kirchgang und auch dazu, dass Arbeitslosigkeit nach einiger Zeit immer noch unzufrieden macht.
Wer gleichgültig ist, wird sich tendenziell eher wegen 2 Thess 3,10 “Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.” von der Kirche abgestoßen fühlen.
Wer dagegen an sich selbst und seiner Umwelt interessiert ist (und eventuell auch an Religion), wird dagegen abseits von Arbeit bald wieder Befriedigung finden.
“In jedem Fall muss man feststellen, dass Personen, die arbeitslos werden, nach dem Eintritt der Arbeitslosigkeit weniger zufrieden sind als zuvor. Das legt nicht unbedingt nahe, dass Arbeitslosigkeit mit erheblichen Einschnitten in das jeweilige Leben einhergeht. Wäre das so, man würde einen Absturz der Lebenszufriedenheit sehen.”
Dies heisst mit anderen Worten, daß Arbeit nicht der Bringer der Lebenszufriedenheit ist, zumindest kein essentieller.
Hatte der verlorene Sohn nicht “Heureka” gerufen? 🙂
Dorian Gray lebte auf großer Flamme, solange seine Sünden ins Bildnis abflossen. Er zerbrach, als sein Bildnis zerstört wurde.
Zwischen Schein und Sein besteht ein Unterschied.
Wir können uns und den anderen alles mögliche vormachen und damit bei den kleinen Geistern Neid erwecken, doch der Tag des Gerichts kommt und dann werden unsere Sünden offenbar.
Mal angenommen das Item “Häufigkeit von Kirchengängen” misst nicht Religiösität, sondern die Häufigkeit von Kirchengängen, ließe sich folgende Hypothese formulieren:
Regelmäßige Kirchengänger sind vermutlich etwas häufiger als die Rest-Population in eine stabile und unterstützende menschliche Gemeinschaft eingebunden. Durch ein solches soziales Netzwerk werden Krisenerfahrungen, wie es Arbeitslosigkeit mitunter sein kann, besser bewältigt.
Ich glaube, das Gleichnis vom verlorenen Sohn sollte menschlich, nicht ökonomisch verstanden werden: Jemand hat großen Mist gebaut und wird doch wieder aufgenommen. Als kolumnistisches Element zur Argumentverstärkung finde ich es darum hier fehl am Platz.
Ich finde es gar nicht fehl am Platz und teile entsprechend Ihre andere Interpretation nicht. Was ist übrigens ihre andere Interpretation: Dass man demjenigen der Mist baut, verzeiht und so tut, als sei nichts passiert, und zwar auf Kosten dessen, der keinen Mist gebaut hat?