Derzeit sieht sich die Amadeu-Antonio-Stiftung nach eigener Einschätzung einer Rufmordkampagne, nein gleich: Rufmordkampagnen ausgesetzt, rechtsextremen Rufmordkampagnen versteht sich. Zentral für diese Kampagnen ist die Tatsache, dass Anetta Kahane jahrelang als IM Victoria Mitarbeiter der Stasi in der DDR war. Dies, so steht es in einer Pressemeldung der Stiftung, diene dazu „[d]ie Arbeit der Stiftung gegen Hate Speech … mit Spitzeldienst und Stasimethoden“ gleichzusetzen. „Mit dem Stasivorwurf soll generell verhindert werden“, so Anetta Kahane in der Pressemeldung, „dass ausufernder Hass gegen Minderheiten im Netz auf der politischen Agenda bleibt …“. Wir sehen, die Sauline hat sich zur Pauline gewandelt, aus dem Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi ist ein selbstloser Kämpfer gegen die Ungerechtigkeit in der Welt geworden, die Mutter Theresa der Hate Speech Opfer, die nicht in Slums in Kalkutta wirkt, sondern üppig aus den von Steuerzahlern gefüllten öffentlichen Kassen unterstützt wird, und die „altklug“ meint, sie habe einen Einfluss auf die politische Agenda.
Aber sei’s drum, denn die Erstellung des Gutachtens hat nach unserer Ansicht nichts mit dem zutun, was im Netz oder vor den Türen der Amadeu-Antonio-Stiftung stattfindet, nichts mit angeblicher Hate Speech und nichts mit Hinweisen auf die Stasi-Vergangenheit von Kahane, sondern etwas mit Angst. Öffentliche Finanzierer, Ministerien vor allem, sind sehr empfindlich, wenn sie in der Öffentlichkeit dabei erwischt werden, Geld auf Konten zu überweisen, deren Inhaber mit dem, was man offiziell als moralisch-ethische Etikette propagiert, nicht in Einklang zu bringen ist, weil er z.B. für die Stasi und aus freien Stücken für die Stasi tätig war. Scheinbar ist die Stasi-Vergangenheit von Kahane zwischenzeitlich zum Problem bei öffentlichen Finanzierungen geworden. Deshalb, so unsere Vermutung, wurde das Gutachten erstellt. Aus keinem anderen Grund.
Berichten wir daher, was es mit dem Gutachten, nein der „zusammenfassenden gutachterlichen Stellungnahme zu Frau Anetta Kahane und die DDR-Staatssicherheit“ auf sich hat. Erstellt hat Dr. Helmut Müller-Enbergs das Gutachten, der derzeit Adjungeretsprofessor an der Syddansk Uninversitet in Dänemark ist und zudem noch als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Amt des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik geführt wird. Bevor er zum wissenschaftlichen Mitarbeiter der damaligen Gauck-Behörde wurde, hat Müller-Enbergs zwei Jahre als Pressesprecher von Bündnis90 im Landtag von Brandenburg gewirkt. Es bleibt demnach alles in der ideologischen Familie.
Dieser Müller-Enbergs hat also ein Gutachten mit dem oben genannten sperrigen Titel erstellt. Ein Gutachten, das magere 10 Seiten umfasst. 10 Seiten sind deshalb mager, weil Müller-Enbergs nach eigenen Angaben mindestens 24 Stunden lang Gespräche mit Anetta Kahane geführt hat, die auf Band dokumentiert und teilweise transkribiert sind, und weil allein die Akten zu Kahane, die freigegeben wurden, rund 400 Seiten umfassen. Aber gut, vielleicht überzeugt ja die Qualität des Gutachtens, von dem sich übrigens fragt, wer es bezahlt hat, denn der Aufwand, den Müller-Enbergs betrieben hat, war sicher nicht geringfügig, schon die 24 Stunden, die er Anetta Kahane interviewen musste, verdienen sicherlich eine Vergütung entsprechend der Gebührenordnung für Psychotherapeuten.
Man muss eigentlich nicht sonderlich kenntnisreich sein, um die Wertlosigkeit dieses Gutachtens zu erkennen. Versetzen Sie sich einmal in die Rolle eines Richters, der ein Urteil sprechen soll. Würden sie sich wohlfühlen, wenn die Anklageschrift und alle die Anklage stützenden Beweise, die einen Tatverdächtigen überführen sollen, von eben diesem Tatverdächtigen zusammengestellt worden wären?
Deshalb ist das Gutachten wertlos, es erfüllt nicht seinen Zweck, vielmehr bringt es Kahane in ein noch schlechteres Licht als bislang angenommen. Denn, wie aus dem Gutachten hervorgeht, hat Kahane von 1974 bis 1982 freiwillig für die Stasi gearbeitet, denn selbst Müller-Enbergs kann sich nicht des Eindrucks entziehen, dass die Aktenlage eindeutig eine „konforme Haltung von Frau Kahane zu den Idealen des Staates, eine[n] ausufernden Erzähldrang hinsichtlich ihres beruflichen wie privaten Umfeldes“ erkennen lässt. Kahane ist, so geht aus den Akten hervor, auf „politisch-ideologischer Grundlage“ geworben worden. Es war nicht notwendig, materielle Vorteile durch die Spitzeltätigkeit zu versprechen oder Kahane durch „kompromittierende Dinge“ zur Tätigkeit für die Stasi zu erpressen. Weiter heißt es im Gutachten:
“Frau Kahane hatte zu Beginn der Kooperation über ihr näheres Umfeld, Freunde und Studienkollegen zu berichten. Sie berichtete darüber nach den Niederschriften ihres Führungsoffiziers auch ‚belastend‘. Allerdings bemerkt der Führungsoffizier, dass Frau Kahane von Anfang an auch Sachverhalte ‚verschweigt‘. … Außerdem wirkt … Frau Kahane nach dem Eindruck aus den Akten altklug, insbesondere, was die Bewertung politischer Kader angeht“.
Wann immer man es mit Überzeugungstätern zu tun hat, hat man ein Problem. Opportunisten kann man bestechen, ihnen einen Vorteil versprechen, man kann sie kaufen und hat entsprechend die Gewissheit, dass man es mit einem rationalen Akteur zu tun hat. Bei Überzeugungstätern ist das anders. Sie wollen keine persönlichen Vorteile, sie brauchen keine Bezahlung, sie berichten über Freunde und Bekannte ohne Gegenleistung, ohne Vorteil im eigenen Leben ohne Bezahlung. Es gibt insofern keine Möglichkeit, Überzeugungstäter zur Räson zu bringen. Deshalb sind uns Opportunisten lieber, die kann man wenigstens rational erklären und beeinflussen. Aber was macht man mit Leuten wie Anetta Kahane, die darauf bestehen, keinerlei Vorteil aus ihrer Tätigkeit für das MfS entnommen zu haben und die nicht zur Tätigkeit gezwungen wurden? Wir wissen es nicht und Müller-Enbergs, der Gutachter, er weiß es auch nicht. Er attribuiert die Tätigkeit für die Stasi darauf, dass Kahane zum Zeitpunkt der Anwerbung 19 Jahre alt war und noch nicht reif genug, um zu wissen, worauf sie sich einlässt.
Wir sehen keinen Anlass, unsere Beurteilung der ehemaligen Stasi-Tätigkeit auf Grundlage eines Gutachtens zu ändern, das keinerlei Versuch von Transparenz erkennen lässt, das sich vielmehr dadurch auszeichnet, dass die Informationsgrundlage im Dunkeln gelassen wird, das eine Reihe von unerklärten Fehlstellen hat, wie ein Vergleich zu dem, was bereits vor dem Gutachten bekannt war, zeigt:
“Fast 800 Seiten umfasst die IM-Akte “Victoria”, von denen die Birthler-Behörde gut 400 Seiten freigegeben hat. Enthalten sind mehr als 70 Informationen, die ausweislich der Akte von der Stasi-Zuträgerin stammen. IM “Victoria” berichtete ihrem Führungsoffizier über Bekannte, die sie im privaten Rahmen aushorchte – während einer Faschingsfeier, einer Hochzeit, eines Konzerts oder eines Stadtbummels.
Mit ihren Angaben belastete Kahane Dutzende Personen aus ihrem unmittelbaren Umfeld, darunter viele Künstler. Sie berichtete über einen ZDF-Reporter, mehrere Studenten von West-Berliner Universitäten und vor allem über in der DDR lebende Ausländer. Kahane führte Aufträge aus und erhielt von der Stasi kleinere Geschenke und Geld. In einem von IM “Victoria” stammenden Bericht heißt es 1976 über einen Kreis von Schriftstellern und Schauspielern: “Zu den Feinden der DDR gehören in erster Linie Klaus Brasch und Thomas Brasch.”
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